DROHT EIN KAMPF DER KULTUREN? Mit Stellungnahmen und Kommentaren stellen wir diese Frage zur Diskussion. Christine Müller beleuchtet die Herausforderungen an die interkulturelle Arbeit in Einrichtungen der Katholischen Jugendsozialarbeit. Europäische Kommentatoren fordern eine Modernisierung des Islam. Stellungnahme von Christine Müller: „Ein neuer Kampf der Kulturen? Herausforderungen an die interkulturelle Arbeit in Einrichtungen der katholischen Jugendsozialarbeit: Als Reaktion auf in Dänemark erschienene Karikaturen des Propheten Mohammed eskalierte in den letzten Tagen der weltweite Protest in Gewalt. Eine faktenbezogene Analyse wird immer komplexer, gleichzeitig übernehmen emotionale Reaktionen zunehmend stärker die Kontrolle über die Handlungen und fördern undemokratische Denk- und Verhaltensweisen. Insbesondere seit dem 11. September 2001 wird die Wahrnehmung von Muslimen in Deutschland immer stärker auf Terrorismus reduziert, das Bild des fanatischen Moslems verstärkt und gleichzeitig der Islam – den es als den Islam ja gar nicht gibt – mit all seinen Facetten überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Der Islam ist kein monolithischer Block, wie Christen oft annehmen er zeigt verschiedene Gesichter und mehrere Richtungen. Damit wird wieder einmal deutlich, dass die Wunden der Vergangenheit und die lange Tradition angewachsener emotionaler Barrieren zwischen Christen und Muslimen – heute eher mit westlicher Welt und Islam umschrieben – noch lange nicht abgebaut sind, im Gegenteil in letzter Zeit neu geschürt werden. Wir vergessen aus unserer westlichen Sicht jedoch häufig, dass „hüben wie drüben“ Gruppierungen bestehen, die das Gespräch scheuen. Einige Christen sehen den Islam vom Ansatz her als intolerant, gewalttätig und bedrohlich an. Dieses Bild erhalten sie durch die Lektüre polemischer Literatur, es wird aber auch durch die Medien vermittelt. In ihnen herrscht ein Stereotyp des Orients vor, in dem die Entgegensetzung von westlich-europäisch und östlich-nichteuropäisch vorherrscht. Der Orient erhält die Identität des Nicht-Europäischen sie ist anders als die westliche Identität, die als eine grundsätzlich überlegene gekennzeichnet wird. Wir dürfen unseren differenzierten Blick auf den Islam nicht verlieren, das gilt insbesondere für das Zusammenleben zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen hier in Deutschland. Als erste emotionale Reaktion auf die Angriffe gegen dänische Botschaften ein „jetzt reicht’s“ und die Verteidigung der Presse- und Meinungsfreiheit im Hinterkopf neigen wir dazu, ungerecht zu werden gegen diejenigen, von denen wir überhaupt nicht wissen, ob sie sich mit der Gewalt identifizieren oder nicht. Die Gefahr besteht, dass Muslime in Deutschland jetzt wieder verstärkt ausgegrenzt werden, dass sie sich durch die einseitige Sicht auf ihren Glauben Islam = Terrorismus verletzt und frustriert fühlen. Das Bild eines vermeintlich bevorstehenden Kulturkampfes wird so zusätzlich geschürt. Je mehr Menschen in einer pluralistischen Gesellschaft zusammenleben, die voneinander abweichende Werte, Normen und Lebensstile zu verwirklichen suchen, desto größer wird der Bedarf an Toleranz. Diese sollten wir nicht nur bei anderen, sondern immer auch bei uns selbst suchen. Meinungs- und Pressefreiheit müssen wir im Bezug auf unsere demokratischen Prinzipien entschieden verteidigen, dabei sollten wir jedoch der Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime nicht selbstverständlich unterstellen, dass sie sich nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen. Randale und Vandalismus sollten nicht mit der Verfassung der Mehrheiten gleichgesetzt werden, die den Terrorismus genauso verabscheuen wie wir und sich mehr Besonnenheit und einen friedlichen Protest wünschen. Und noch etwas sollten wir bedenken: Freiheit jedes einzelnen bedeutet auch immer die Freiheit des anderen. Das gleiche Recht aller Menschen auf Freiheit sollte gefördert und anerkannt werden, d.h. wenn ich meine eigene Freiheit auslebe muss ich gleichzeitig immer vor Augen haben, dass ich die Freiheit eines anderen damit verletzen könnte, dem sie genauso zusteht wie mir. Ist es wirklich notwendig, unter dem Deckmäntelchen der Meinungsfreiheit die religiösen Empfindungen anderer Menschen zu demütigen? Wir sollten uns bei unseren emotionalen Reaktionen darauf besinnen und im Verweis auf Meinungsfreiheit die Monopolisierung der öffentlichen Meinung und die Vertretung bestimmter Interessen, nicht nur bei Muslimen, sondern auch bei uns selbst, in Erinnerung rufen. Was heißt es für uns in der Jugendsozialarbeit, wenn wir beruflich oder privat vielleicht mit Jugendlichen zusammentreffen, die Gewaltproteste gegen Karikaturen unterstützen und gutheißen? Die durch den Modernisierungsprozess unserer Gesellschaft geschaffene Diversität in unseren Lebenswelten kann Überforderung, Verunsicherung und Orientierungslosigkeit zur Folge haben. Das erleben wir in der Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen, gleich welcher Herkunft und Religion sie sind: Die Erfahrung von Andersartigkeit und Fremdheit schafft Vorurteile und Aggressionen, an deren Ende auch rassistische und extremistische Gewalt stehen kann. Diese Tatsachen fordern generell unsere erhöhte Aufmerksamkeit und das Entwickeln neuer Vermittlungsmöglichkeiten für eine spezifische Toleranzkompetenz und ein qualitatives Demokratieverständnis, die auf der Bereitschaft, Fähigkeit und Kenntnis basieren, sich in Konfliktsituationen angemessen zu verhalten. Lern- und Bildungsprogramme wie Betzavta und EINE WELT DER VIELFALT können uns didaktisch und methodisch in der Arbeit mit Jugendlichen helfen, ein solches Demokratieverständnis zu entwickeln. Letztendlich liegt es jedoch an uns selbst, uns in der täglichen Arbeit mit Jugendlichen, mit deren Bedürfnissen und Hintergründen auseinanderzusetzen und gleichzeitig selbstkritisch unsere eigene Position, unseren Standpunkt und unsere Werthaltungen zu reflektieren und ggf. auch dafür einzutreten. Toleranz wäre falsch verstanden, wenn sie hieße alles tolerieren zu müssen und würde einen Dialog unmöglich machen, der durch ein Gespräch über die Verletzung religiöser Gefühle und der Meinungsfreiheit als demokratisches Prinzip entstehen kann. Der Duden definiert Dialog als ‚das Gespräch, das zwischen zwei Gruppierungen geführt wird, um sich und die gegenseitigen Standpunkte kennen zu lernen.‘: Wir sollten Jugendlichen als Gesprächspartner/-innen zur Verfügung stehen, Interesse an ihrer Lebenssituation zeigen und nicht aufgeben, Absichten und Hintergründe aus ihren Reaktionen zu erfahren, dabei unsere eigenen emotionalen Reaktionen und Vorurteile kritisch reflektieren. Wir müssen die menschliche Fähigkeit des bewussten Umgangs mit Konflikten wieder stärker in den Vordergrund unseres Denkens und Handelns rücken, statt affektorientiert zu reagieren. Der Dialog als Form der pädagogischen „Interaktion, die Intersubjektivität in modernen Gesellschaften und globale Verantwortungsübernahme für die selbstproduzierten Risikowelten erwirken will‘, ist für unsere tägliche Arbeit grundlegend und beinhaltet durch die Beschaffung einer Vielzahl von Meinungen zudem den Versuch, unsere Denkrichtungen von einem gewissen Kulturimperialismus zu befreien. Dialog heißt Verständigung, nicht Übereinstimmung. Durch direkte Ansprache an die Einzelpersönlichkeit kann die kollektivistische Sichtweise auf vermeintlich fremde Gruppierungen aufgebrochen werden. Wir sollten vor dem Dialog keine Angst haben, bietet er doch die Möglichkeit, in unserem eigenen Glauben, unseren Werthaltungen und Ansichten zu wachsen und uns selbst weiterzuentwickeln sowie das einträchtige gesellschaftliche Zusammenleben zu stärken. Betreiben wir eine dialogorientierte Pädagogik, können wir auf eine Veränderung von Lebensformen aber auch einer Weiterentwicklung der Gesellschaft hinwirken. Dieser politischen Verantwortung dürfen wir uns in der sozialen Arbeit mit Jugendlichen nicht entziehen. Literatur und Verweise: * Bildungsprogramme Betzavta und EINE WELT DER VIELFAT: www.betazvta.de Leimgruber, Stephan: Interreligiöses Lernen. München 1995. * Muth,Cornelia: Erwachsenenbildung als transkulturelle Dialogik. Schwalbach/Ts. 1997. * Reinders, Stefan: „Im Grunde reist man am besten, indem man fühlt.“ – Interkulturelle Begegnung und die Zumutung des Fremden. In: Treber, Monika/Burggraf, Wolfgang/Neider, Nicola (Hrsg.): Dialog lernen. Konzepte und Reflexionen aus der Praxis von Nord-Süd-Begegnungen. Frankfurt am Main 1997, S. 170-186.“ Christine Müller, Referentin bei der BAG KJS e.V. Kommentare aus der europäischen Presse: „Dänemark – Politiken. … Jetzt handelt es sich um einen Anschlag auf die offene Gesellschaft als solche. Ging es erst um die Balance zwischen dem Recht, die Karikaturen zu drucken, und dem Respekt gegenüber Andersdenkenden, geht es nun um die Wahl zwischen zivilisiertem Dialog und kriegerischer Konfrontation…“ „Frankreich – International Herald Tribune. …’In einer globalisierten Welt, in der die Beziehungen zwischen verschiedenen Kulturen immer vielfältiger werden und in der eine lokale Begebenheit weltweite Folgen haben kann, ist es umso wichtiger, dass wir Werte wie Respekt, Toleranz und friedliches Miteinander kultivieren‘, schreiben der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan und der spanische Premierminister Jose Luis Rodriguez Zapatero in einem gemeinsamen Kommentar…“ “ Österreich – Der Standard. ‚Es sind die Araber und Muslime selbst, die hauptverantwortlich sind für die Diffamierung dieser Religion und des Bildes von Mohammed, weil sie nicht das wirkliche Bild dieser himmlischen und unsterblichen Botschaft und seines ehrwürdigen Propheten verkörpern … schreibt der arabische Autor Baha Al-Musawi und fragt: ‚Warum präsentieren wir nicht ein Bild von Mohammed als gläubigem, aufrichtigem und tolerantem Menschen, anstatt Mohammed zu einem Bild von Bin Laden, einem Schwert, des Tötens, der Taliban, der Enthauptung und des Selbstmords verkommen lassen? Wie können wir den Mord an Ungläubigen gestatten, obwohl Mohammed sie geehrt hat? Wie können wir die Frauen unterdrücken, obwohl Mohammed sie verehrt hat? Wie können wir Blut vergießen, obwohl Mohammed das verboten hat?.'“ „Dänemark – Jyllands-Posten. Dieser Aufeinanderprall der Zivilisationen musste kommen, erklärt die niederländische Schriftstellerin und Politikerin Ayaan Hirsi Ali im Interview … so biete der derzeitige Konflikt doch eine große Chance, findet Ali: ‚Die Karikaturen können dazu führen, dass die Entwicklung des Islam in Europa binnen weniger Jahre Jahrhunderte vorangebracht wird. Es wurde höchste Zeit, dass ein Aufruhr entfacht wurde. Hätte man die Zeichnungen nicht gebracht, hätte die Diskussion um den Propheten nicht stattgefunden. Man sollte daran denken, dass der Islam nicht die Reform und Anpassung durchgemacht hat, die das Christen- und Judentum über tausend Jahre durchlaufen haben. Im Gegenteil. Der Islam stagniert, seine Gesetze beruhen auf der Stammesgesellschaft. Nun sind alle Moslems in … Europa gezwungen, darüber nachzudenken, wie sie sich zu den moslemischen Tabus verhalten sollen, die nicht mit einer modernen demokratischen Gesellschaft übereinstimmen.'“
Quelle: Bundesarbeitsgmeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit e.V. http://politiken.dk/VisArtikel.iasp?PageID=436865 http://www.iht.com/articles/2006/02/05/opinion/edprimes.php http://derstandard.at/?id=2331758 http://www.jp.dk/kultur/artikel:aid=3541890/