Datenerhebeung von Schulversäumnissen an allgemeinbildenden öffentlichen Schulen in Sachsen

DATENERHEBUNG VON SCHULVERSÄUMNISSEN AN ALLGEMINBILDENDEN ÖFFENTLICHEN SCHULEN IN SACHSEN Die Problematik, dass Kinder und Jugendliche nicht zum Unterricht erscheinen oder der Schule über lange Zeit gänzlich fern bleiben, wird in der Gesellschaft zunehmend offen diskutiert. Die Erscheinungsformen des Phänomens sind unterschiedlich und reichen von der „geistigen Abwesenheit“ im Unterricht bis hin zum so genannten „Totalausstieg“. Die Ursachen und Hintergründe für schuldistanziertes Verhalten sind vielfältig und meist folgenreich miteinander verkettet. Zusammenfassung der Datenerhebung von Schulversäumnissen an allgemeinbildenden öffentlichen Schulen in Sachsen von Jürgen Hagedorn (Fachreferent Jugendsozialarbeit – Villa Lampe in Heiligenstadt): “ Die Technische Universität Dresden hat im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus im Schuljahr 2004/2005 eine Datenerhebung von Schulversäumnissen an allgemeinbildenden öffentlichen Schulen in Sachsen durchgeführt, die auf der Homepage des Sächsischen Kultusministeriums veröffentlicht wurde. In die Befragung waren 1225 Schulen einbezogen. Zur Auswertung lagen gültige Daten von 514 (42% Rücklauf) Schulen vor. Mit diesen 514 Schulen konnten insgesamt 133.568 Schülerinnen und Schüler in die Auswertung einbezogen werden, was 38.1% der sächsischen Gesamtschülerschaft entspricht. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: * 0,72% der einbezogenen Schülerinnen und Schüler innerhalb eines Schuljahres fehlten mehr als 12 Tage unentschuldigt. * 2,8% fehlten bis zu 12 Tagen im Schuljahr unentschuldigt. * In den Förderschulen sind die Quoten höher als in den anderen Schulformen. Hier fehlen 2,97% der Schülerinnen und Schüler mehr als 12 Tage unentschuldigt und 7,85% der Schülerinnen und Schüler bis zu 12 Tagen unentschuldigt. * Über 21 Tage im Schuljahr fehlten 0,35% der in die Auswertung einbezogenen Schülerinnen und Schüler. Auch hier sind es die Förderschulen, in denen das Problem massiver Schulversäumnisse am größten ist. Vor allem in den Förderschulen zur Erziehungshilfe. * In den Klassenstufen 7 und 8 kommt unentschuldigtes Fehlen häufiger vor als in anderen Klassenstufen. Auch hier ist die Förderschule für Erziehungshilfe „Spitzenreiter“: in der Klassenstufe 7 fehlen knapp 23% der Schülerinnen und Schüler 1-3 Tage unentschuldigt. * Es gibt Hinweise darauf, dass tageweise unentschuldigtes Fehlen in den Großstädten häufiger als im Landesdurchschnitt der Fall ist. Die Ursachen und Hintergründe für das Fehlen in der Schule sind sehr vielschichtig und können nur im jeweiligen Einzelfall verstanden und nachvollzogen werden. Dabei sollten die drei Lebenskontexte, persönlichkeitsrelevante Faktoren, Bedingungen des familiären Hintergrundes sowie schulische Faktoren, einbezogen werden. Die Autoren plädieren dafür, dass es letztlich darauf ankommt, – egal wie hoch oder vermeintlich niedrig die Schulversäumnisquote auch sein mag – das Phänomen als Symptom einer individuellen Konfliktlage im System von Schule und Lebenswelt wahrzunehmen. Bemängelt wird in der Datenerhebung, dass es in Deutschland so gut wie keine miteinander vergleichbaren Daten zu Schulversäumnissen gibt. Diese wären aber nötig, um sich ein Bild vom Umfang des Problems machen zu können, und bildeten eine gute Grundlage für eine weitere Diskussion und Entwicklung kooperativer Strategien bei der Prävention und Intervention von individuellen Risiken schulischen Scheiterns. Anmerkung: Insofern ist diese Erhebung und der anscheinend offensive und öffentliche Umgang damit seitens des Sächsischen Kultusministeriums ein Schritt in die richtige Richtung.“ Aus der Datenerhebung von Schulversäumnissen an allgemein bildenden öffentlichen Schulen in Sachsen: “ … Erfolgreiche Lösungen im akuten Einzelfall als auch in der Absicht einer frühzeitigen Vermeidung von Risiken einer Abkehr von der Schule gehen tiefer an die Wurzeln des Symptoms und rücken sowohl individuell biografische Erfahrungen und Lebensumstände von Schülerinnen und Schülern ins Zentrum, wie auch Diskussionen struktureller Gegebenheiten des Bildungssystems und seiner Institutionen. Empirisch nachvollziehbare Angaben über die Größenordnungen von Schulversäumnissen sind in Deutschland selten und so gut wie gar nicht miteinander vergleichbar. Sie sind aber nötig, um sich ein Bild vom Umfang des Problems zu machen und bilden eine gute Grundlage für die weitere Diskussion und Entwicklung kooperativer Strategien bei der Prävention und Intervention von individuellen Risiken schulischen Scheiterns. … Bezugsrahmen der Datenerhebung: Es wurden unentschuldigte Fehltage, unentschuldigte Fehlstunden und entschuldigte Fehltage im Schuljahr 2004/2005 erfasst. Hierzu wurden Kategorien gebildet, z.B. 1-3 Fehltage, 4-6 Fehltage … >21 Fehltage. Des Weiteren wurden die Schulen zu den Maßnahmen der so genannten „Verwaltungsvorschrift Schulverweigerer“ befragt. … Neben denjenigen, die tageweise unentschuldigt in der Schule fehlen, gibt es eine Reihe von Schülerinnen und Schülern, die bisher noch nie tageweise, dafür aber stundenweise den Unterricht versäumten. 5,6% der in die Auswertung einbezogenen Mittelschüler (N=3510) fehlen innerhalb eines Schuljahres bis zu 10 Unterrichtsstunden ohne Entschuldigungsgrund. In der Klassenstufe 9 der Mittelschulen kommt das Schwänzen von bis zu 10 Unterrichtsstunden am häufigsten vor … Neben dem unentschuldigten Fehlen wurde auch erhoben, wie viele Schülerinnen und Schüler entschuldigt fehlten und dadurch Unterricht versäumten. In den Gymnasien fehlten mit 36,02% (N=13.637) die meisten Schülerinnen und Schüler 1-5 Tage mit Entschuldigung. … In den Grund- und Mittelschulen sind es im Bereich von 1-5 entschuldigten Fehltagen etwas über 31% der Schülerinnen und Schüler die entschuldigt fehlten. In den Förderschulen fehlten im Vergleich zu den anderen Schulformen die wenigsten Schüler 1-5 Tage entschuldigt. Bei 6 bis 10 Tagen entschuldigtem Fehlen im Schuljahr liegen die Quoten in den Schulformen zwischen ca. 16% bei den Förderschulen und um die 18% bei den anderen drei Schulformen. Bei den Fehltagen größeren Ausmaßes, also ab über 11 Tagen, fehlen im Gymnasium im Vergleich zu den anderen Schulformen prozentual die wenigsten Schüler. In den Förderschulen sind die Quoten am höchsten. Hier fehlen z.B. mit 12,58% (ohne Förderschule für geistig Behinderte) die meisten Schülerinnen und Schüler über 30 Tage entschuldigt im Unterricht (N=889). In den Mittelschulen fehlten 2,15% (N=1348) über 30 Tage entschuldigt. In den Grundschulen fehlen mit 7,3% (N=1816) auffällig viele Kinder über 30 Tage im Schuljahr entschuldigt. Innerhalb der Untersuchung wurde auch versucht, etwas über die Durchführung und die Reichweite der Maßnahmen zu erfahren, die im Rahmen der gemeinsamen Verwaltungsvorschrift zur Zurückdrängung von Schulpflichtverletzungen und Schulverweigerung beitragen sollen. Während im Rahmen der Verwaltungsvorschrift insbesondere im Bereich bis zu 5 Fehltagen noch auf kommunikative Problemlösungsstrategien gesetzt wird, werden im Fall zunehmender Schulversäumnisse vor allem Disziplinar- und Ordnungsmaßnahmen gegen die Schulpflicht verletzenden Schülerinnen und Schüler und ihre Familien ins Feld geführt. Die Befragungsergebnisse zu den Maßnahmen laut „Verwaltungsvorschrift Schulverweigerer“ und ihren Erfolgen im Falle von Schulpflichtverletzungen machen folgendes deutlich: In fast allen Fällen von Schulpflichtverletzungen werden Gespräche mit den Schülern und Eltern geführt. Dass dies immer erfolgreich im Sinne eines geregelten Schulbesuchs ist, kann niemand ernstlich erwarten. Allerdings scheinen Gespräche mit den Erziehungsberechtigten ein klein wenig wirkungsvoller zu sein als mit den betroffenen Schülerinnen und Schülern allein. Bei einer Reihe von Elternhäusern scheint ein Gespräch zu bewirken, dass sie sich ihrer Verantwortung besinnen und darauf einwirken, dass die Kinder regelmäßig die Schule besuchen. Neben Gesprächen mit Schülern und Eltern werden in etwa 70% der Fälle von Schulpflichtverletzungen über 5 Tage schulische Ordnungsmaßnahmen angedroht … In einem von zehn Fällen kann vielleicht die Androhung von schulischen Ordnungsmaßnahmen noch etwas bewirken, ansonsten ist der Erfolg schulischer Ordnungsmaßnahmen fragwürdig. Bei der Einleitung und Durchführung von Ordnungs- und Disziplinarmaßnahmen im Falle von über 5 Fehltagen sind die Schulen deutlich zurückhaltend. … Andere Ordnungsmaßnahmen spielen in den Schulen als Lösungsstrategie keine Rolle, das gilt von der Überweisung in eine andere Klasse bis hin zum Ausschluss aus der Schule und der polizeilichen Zuführung. Dies zu Recht, denn insbesondere die schulischen Ordnungsmaßnahmen sind als Problemlösungsstrategien ungeeignet, wenn nicht sogar Problem verstärkend. Es ist paradox, dass Problem der Schulverweigerung durch Schulausschluss regeln zu wollen. … Neben den in der „Verwaltungsvorschrift Schulverweigerer“ beschriebenen Maßnahmen zur Zurückdrängung von Schulversäumnissen haben die Schulen eigene Routinen entwickelt, wie sie sich im Falle von Schul- und Unterrichtsversäumnissen verhalten. Hierzu zählen Sanktionen, die bereits beim unentschuldigten Versäumen einer Unterrichtsstunde deutlich zeigen, dass Schul- und Unterrichtsversäumnisse nicht geduldet werden. Aber auch Sensibilität in der Wahrnehmung von Schulversäumnissen und deren Reflexion werden als wirkungsvolle Mittel beschrieben, mit dem Phänomen umzugehen. Folgende erfolgreiche Strategien im Umgang mit Schulversäumnissen lassen sich erkennen: * Frühzeitige Information der Erziehungsberechtigten über das Fehlen der Kinder im Unterricht * Versäumter Unterricht wird zeitnah nachgeholt * Eine ordnungsgemäße Dokumentation und Buchführung von Schulversäumnissen * Gemeinsame Reflexion und Aufklärung der Ursachen des schulvermeidenden Verhaltens sowie Maßnahmeplanung unter Einbezug relevanter Partner * Existenz eines funktionierenden Helfernetzwerkes, in dem die Verantwortlichkeiten geklärt sind * Besondere individuelle Maßnahmen und Anreize zur Motivation des Schulbesuchs * Gegenseitige und schriftlich fixierte Verträge im Sinne von individuellen Hilfeplänen bzw. Bildungsplänen * Aufbau von schulinternen Projekten (z.B. Projektklasse, die förderspezifisch täglich bis zu 4 Stunden unterrichtet wird) und Kooperation mit schulexternen Projekten für schulmüde Kinder und Jugendliche Ursachen und Hintergründe … Insbesondere bei solchen Formen von Schulversäumnissen, die durch innere und äußere Abkehr von schulischen Anforderungen charakterisiert sind, sollten mindestens drei Lebenskontexte der Schüler stärker in den Blick genommen werden, wenn man nach Ursachen fragt: persönlichkeitsrelevante Faktoren, Bedingungen des familiären Hintergrunds sowie schulische Faktoren. Im Rahmen der Untersuchung wurden die Befragten gebeten, einige Dimensionen aus diesen drei Perspektiven auf Grund von Erfahrungen mit Schulversäumnissen zu gewichten. Die Vertreter der Schule sehen die Ursachen für Schulversäumnisse vor allem in den Herkunftsfamilien. Sie machen eine geringe Wahrnehmung der elterlichen Erziehungsaufgaben und gestörte Eltern-Kind-Beziehungen als ausschlaggebende Ursachen für massive Schulversäumnisse verantwortlich. … Diese Perspektive deutet darauf hin, dass im Hinblick auf schulinterne Gründe, die durchaus als relevante Faktoren für Schulvermeidung gelten können, ein Wahrnehmungsdefizit vorliegt. “

Quelle: http://www.sachsen-macht-schule.de

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