VERSCHIEDENE FACETTEN DER AKTUELLEN DISKUSSION ZUR INTEGRATIONSPOLITIK Die Debatte um die Integrationspolitik reißt nicht ab. Die Anlässe für vielerorts geübte Kritik sind unterschiedlich. Die ‚Rütli-Schule‘, der ‚Ehrenmord‘-Prozess oder geforderte Strafen für ‚Integrationsverweigerer‘ heizen die Debatte an. Mittels einer Zusammenstellung aktueller Medienberichte und Äußerungen von Kirchenmännern, Politikern, Experten und Verbänden geben wir einen Überblick über den Diskussionsstand. Viele der Probleme, die die Integration ausländischer Mitbürger und Mitbürgerinnen aufwirft, stellten sich bereits vor mehr als 30 Jahren. Deshalb runden wir unsere Zusammenstellung mit Auszügen aus einem Memorandum des ersten Ausländerbeauftragen der Bundesrepublik (Heinz Kühn) ab. Die Katholische Nachrichtenagentur hat in den letzen Tagen eine Vielzahl von Meldungen zur Diskussion um die Integrationspolitik gebracht. Hier lesen Sie Äußerungen von Politikern, Deutschen Kardinälen und Experten: * Laschet wirft Union Fehler in der Integrationspolitik vor “ … Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU) hat seiner Partei Versäumnisse in der Integrationspolitik vorgeworfen. „Wir haben zu spät erkannt, dass wir de facto ein Einwanderungsland sind“, sagte Laschet im Interview der „Frankfurter Rundschau“… . Laschet sprach sich klar gegen Unions-Forderungen nach schärferen Sanktionen gegen Ausländer aus. Man dürfe nicht Menschen abschieben, die hier geboren sind, oder 60-jährigen Einwanderern, „die ganz bewusst aus bildungsfernen Schichten zu uns geholt worden sind“, mehr Deutsch-Tests abverlangen. … Kritisch äußerte sich Laschet auch zu Plänen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), das Nachzugsalter ausländischer Ehegatten auf 21 Jahre anzuheben und bereits vor dem Zuzug Deutschkenntnisse zu verlangen. … “ * Raddatz: Integration von Ausländern völlig fehlgeschlagen “ Der Orientalist Hans-Peter Raddatz hält die Integration von Ausländern in Deutschland für „völlig fehlgeschlagen“. Sie habe nicht stattfinden können, „weil wir im Rahmen dieses Dialogs den Muslimen weitest gehend entgegengekommen sind und ihnen Anpassungsleistungen erspart haben“, sagte Raddatz im Bayern2 Radio. … Auch die Probleme an den Schulen hätten damit viel zu tun. Männliche Jugendliche würden von den Eltern bestärkt, ihren Schwestern und Frauen gegenüber herrisch aufzutreten. Raddatz schlug vor, den Kindern in der Schule künftig „Rechtskunde“ zu erteilen. … “ * Deutsche Kardinäle kritisieren Integrationspolitik “ Führende Vertreter der katholischen Kirche haben anhaltende Versäumnisse in der Integrationspolitik kritisiert. „Vielleicht hat die Integration noch gar nicht begonnen“, sagte der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky in der ARD-Talkshow „Beckmann“ (am Ostermontag um 22.45 Uhr). Lange Zeit, so Sterzinsky, habe die Mehrheit der Politiker wohl erwartet: „Entweder passen sie sich wirklich an, oder sie gehen wieder weg.“ Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, sagte: „Es ist keine Integrationspolitik im größeren Stil gemacht worden.“ Jahrelang habe sich die Politik keine Gedanken über die Probleme gemacht, so Sterzinsky weiter … Sterzinsky betonte, der „eigentliche Fehler“ seien eine „Getto-Bildung und die Parallelgesellschaften“. Menschen aus dem Ausland könnten nicht integriert werden, wenn sie unter sich blieben und „nicht einmal aus ihrem eigenen kulturellen Bereich die Lehrkräfte und Pädagogen haben“. Deutschland werde zur Bewältigung der Integration noch „einen langen Atem“ benötigen, so der Berliner Kardinal. Sterzinsky räumte ein, dass auch ihm der Dialog der Kulturen nicht immer leicht falle, etwa mit den Muslimen. Er wisse nie, „wer den Islam in seiner reinen Form vertritt“. … Dennoch müsse man jeden Menschen anderen Glaubens „ganz ernst nehmen“, so der Kardinal – „genauso wie denjenigen, der meinen Glauben teilt“. … “ * Die Frankfurter Rundschau berichtet über umstrittene Strafvorhaben: “ CSU will Strafe für ‚Integrationsverweigerer‘. Gesetzesverschärfungen gefordert … Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), verlangte im Sender RTL, für Ausländer einen Straftatbestand der Integrationsverweigerung zu schaffen. Uhl sagte, wenn ein Migrant sich ‚jahrelang hartnäckig weigert, Deutsch zu lernen, und wenn er unsere Grundwerte mit Füßen tritt‘, dann dürfe er sich nicht auch noch auf einen Ausweisungsschutz berufen können. Der Vater und die Familie der ermordeten jungen Türkin Hatun Sürücü seien dafür ein Paradebeispiel. … Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) betonte dagegen …’Auch ein schärferes Gesetz würde uns in der Praxis nicht helfen, in abgeschottete Parallelgesellschaften hineinzukommen.‘ “ (Frankfurter Rundschau vom 18.4.2006) * Der Verein Deutscher Volkshochschul-Verband e.V. (DVV) stellt in einer Presseerklärung Forderungen zur Verbesserung der Integration. Auszüge aus dem Forderungskatalog: “ Seit dem 1. Januar 2005 gilt das ‚Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung‘, nach dem Zuwanderer verpflichtet werden können, an so genannten Integrationskursen teilzunehmen. Diese Kurse bestehen aus 600 Unterrichtsstunden Sprachunterricht und einem dreißigstündigen Orientierungskurs, der die wichtigsten Informationen über das Leben in Deutschland vermitteln soll. Neben den Verpflichteten haben auch viele so genannte ‚Berechtigte‘ an den Kursen teilgenommen. Fast ein Drittel der Kursteilnehmenden waren Menschen mit Migrationshintergrund, die schon länger in Deutschland leben. Nun hat die Bundesregierung angekündigt, die im Haushalt vorgesehenen Mittel für den Integrationsbereich um ein Drittel zu kürzen. Die kommunalen Spitzenverbände haben sich in einem Brief an den Bundesinnenminister gegen diese Kürzung ausgesprochen. Der Deutsche Volkshochschul-Verband unterstützt die kommunalen Spitzenverbände nachhaltig in ihrem Anliegen und stellt zehn Forderungen auf, wie die Integrationsarbeit verbessert werden sollte. … Die Pläne der Bundesregierung, im Haushalt 2006 rund 68 Millionen Euro bei den Integrationskursen (Sprach- und Orientierungskurse) für Zuwanderer einzusparen, sind ein falsches Signal an die sieben Millionen Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland und eine Zumutung für die Kursträger, die unter nicht akzeptablen Rahmenbedingungen die Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes ermöglichen. Der richtige Weg zur nachhaltigen Integration ist ein anderer: die Maßnahmen müssen insgesamt verstärkt werden, die Zulassung von Trägern unter Qualitätsaspekten begrenzt, die Kursteilnehmer/innen an den Schnittstellen zum Arbeitsmarkt besser unterstützt, pädagogische Erkenntnisse konsequent umgesetzt und bürokratische Auflagen dringend abgebaut werden. Nicht zuletzt muss die Kostenerstattung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge … die Deckung der anfallenden Kosten ermöglichen. … Zur Verbesserung des Integrationserfolgs legt der DVV zehn Forderungen vor. 1. … Die meisten Teilnehmer/innen melden sich angesichts des zu erwartenden Misserfolgs erst gar nicht zur Zertifikatsprüfung an. Da das gesetzlich geforderte Sprachniveau (B1) für die Teilhabe am gesellschaftlichen und beruflichen Leben unabdingbar ist, muss die Zahl der förderungsfähigen Unterrichtsstunden für Menschen mit geringer Schulbildung und nicht vorhandenen Fremdsprachenkenntnissen bis auf neunhundert erhöht werden. … 2. Die umfangreichen Durchführungsvorschriften für die Integrationskurse sind von den Kursträgern personell und finanziell nicht zu erfüllen. … Es ist dringend notwendig, bürokratische Auflagen abzubauen den Trägern müssen die Kosten für unabdingbare Verwaltungsaufgaben ersetzt werden. 3. … Die unüberschaubare Anzahl der zugelassenen Integrationskursträger muss dringend auf ein sinnvolles Maß reduziert werden. Eine überschaubare Trägerzahl mit einem gut vermittelten, verlässlichen Angebot würde die Transparenz erhöhen, den Kurssuchenden schneller das passende Angebot vermitteln und ein Mehr an Professionalität garantieren. 4. Im Interesse der Qualität der Integrationskurse sollten als Träger dieser Kurse nur solche Einrichtungen zugelassen werden, die nach den Weiterbildungsgesetzen der Länder anerkannt sind oder über ein anerkanntes Qualitätssicherungssystem … verfügen. … 5. Die Größe der Lerngruppe hat entscheidenden Einfluss auf den Lernfortschritt. Den größten Erfolg verspricht nach heutigem Wissensstand ein Sprachkurs mit rund 15 Teilnehmer/innen. Kursträger schöpfen jedoch die vom BAMF zugelassene Höchstteilnehmerzahl von 25 aus, um wirtschaftlich bestehen zu können. … 6. … Die Zahlung eines Mindesthonorars an die Lehrkräfte, das sich an den geforderten hohen Qualifikationsanforderungen orientiert, muss ein Kriterium für die Trägerzulassung werden. 7. Vom BAMF finanzierte sozialpädagogische Beratung und Begleitung müssen ein Teil der Integrationsmaßnahmen sein. Sie können in Kooperation mit den Migrationsberatungsstellen organisiert werden. … 8. Die Integrationskurse müssen verstärkt kombiniert werden mit Bildungsangeboten in den Bereichen Beruf und Gesellschaft. Sprachförderung mit gleichzeitiger beruflicher Qualifizierung und Einbeziehung des Wohnumfeldes führt nachweislich zu einem besseren Integrationserfolg. … 9. … Der DVV regt eine Kampagne zur Mobilisierung der bereits hier lebenden Zuwanderer an. Partner einer solchen Aktion sollten neben den Kursträgern Arbeitgeber, Gewerkschaften, Migrationsberatungsstellen und vor allem auch Organisationen der Zuwanderer selbst sein. … 10. Die Kosten der Kursträger sind durch den aktuellen Erstattungsbetrag des BAMF von 2,05 Euro pro Teilnehmer/in und Unterrichtsstunde nicht annähernd gedeckt. … Der Erstattungsbetrag von 2,05 Euro muss auf mindestens 3,00 Euro pro Teilnehmer/in und Unterrichtsstunde erhöht werden auch die Durchführung der vorgesehenen Prüfungen muss angemessener finanziert werden. “ * Vor fast dreißig Jahren verfasste Heinz Kühn, der erste Ausländerbeauftragte der Bundesrepublik, ein Memorandum. In ihm steht vieles, was heute in der Integrationsdebatte noch immer erregt diskutiert wird. Vor allem die Geschehnisse an der Rütli-Schule Fast keine der damaligen Forderungen wurde erfüllt. 1979 verfasste er seinen ersten Bericht, der als ‚Kühn-Memorandum‘ in die Geschichte einging. Der vollständige Titel lautete: ‚Stand und Weiterentwicklung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in der Bundesrepublik Deutschland‘. Die zentrale Aussage war schon damals: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Der dokumentierte Text ist ein Auszug aus dem Papier. Das komplette Memorandum ist im Internet zu finden unter: www.migration-online.de Auszüge aus dem historischen Text, die vor allem mit dem Blick auf die Ereignisse an der Berliner Rütli-Schule interessant sind: “ Eine ‚Zwangsgermanisierung‘ scheidet aus … 5.Schulsektor Die schulische Situation der ausländischen Kinder und Jugendlichen ist durch einen unzureichenden Schulbesuch, eine extrem niedrige Erfolgsquote bereits im Hauptschulbereich und eine erhebliche Unterrepräsentation ausländischer Schüler an weiterführenden Schulen gekennzeichnet … – … In Gemeindegebieten mit hoher Ausländerkonzentration sind Grundschulklassen mit mehr als 50 v.H. ausländischen Kindern nicht mehr selten. Seit dem Schuljahr 1965/66 ist die Gesamtzahl der ausländischen Schüler um das 14-fache gestiegen. … – An den weiterführenden Schulen (Realschulen, Gymnasien und integrierten Gesamtschulen) entspricht der Anteil der ausländischen Schüler nicht im entferntesten den Verhältnissen bei den deutschen Schülern. … Es ist offensichtlich, daß unter dieser Gegebenheiten der integrative Effekt der Schulbildung für die ausländischen Kinder und Jugendlichen bisher weitgehend wirkungslos bleibt. … Selbst die Hauptschüler mit Abschluß bleiben, vor allem unter ungünstigen Arbeitsmarktbedingungen, wegen der dann allgemein höheren Anforderungen für eine qualifiziertere Tätigkeit noch chancenlos, so daß ohne eine gravierende Verbesserung der Situation nahezu die Gesamtheit der ausländischen Kinder und Jugendlichen in die Gefahr gerät, weiter in eine totale Pariarolle hineinzuwachsen. … Gezielte Ergänzungsmaßnahmen für ausländische Schüler sind größtenteils bisher nur ansatzweise vorhanden und beruhen häufig auf außerschulischen Initiativen … Vor dem dargestellten Hintergrund sind nachhaltig weiterführende Maßnahmen dringlich: – Auch die Schulpolitik muß ohne Einschränkung auf eine dauerhafte Integration der ausländischen Schüler ausgerichtet werden. Die bisherige ‚Doppelstrategie‘ einer gleichzeitigen Hinführung zu den Bildungszielen des Aufenthaltslandes und des Herkunftslandes muß aufgegeben werden, weil sie weder durchführbar ist noch den tatsächlichen Perspektiven der Betroffenen entspricht … muß eine optimale Vorbereitung auf das Leben in der Bundesrepublik Vorrang haben. … – Den ausländischen Kindern und Jugendlichen muß demnach das Angebot zur vorbehaltlosen Einbeziehung in das deutsche Schulsystem gemacht und durch zusätzliche Maßnahmen soweit gefördert werden, daß sie dieses Angebot chancengleich mit den deutschen Schülern wahrnehmen können. Eine ‚Zwangsgermanisierung‘ scheidet aus, wenn der Unterricht in den Lernzielen, den Lerninhalten und den Lernmitteln von überholten nationalen Verengungen freibleibt. … Die Frage des Religionsunterrichts muss gelöst werden … Muss auch die Frage des Religionsunterrichts, namentlich für die große Gruppe der muslimischen Kinder, befriedigend gelöst werden. Zur Vermeidung problematischer Selbsthilfeversuche (z.B. in ‚Koranschulen‘) erscheint es notwendig, die religiöse Unterweisung analog dem entsprechenden Unterricht der deutschen Schüler in den schulischen Bereich zu übernehmen, inhaltlich in der notwendigen Übereinstimmung mit den zuständigen religiösen Autoritäten. … Die sonstigen schulischen und außerschulischen … Ergänzungsmaßnahmen … müssten erheblich intensiviert und umfassender gefördert werden (finanziell wie werbend). Im schulischen wie im außerschulischen Bereich dürfte es außerdem sehr darauf ankommen, die Elternseite stärker als bisher zu mobilisieren und auch die deutschen Schüler als ‚Integrationshelfer‘ zu gewinnen … “ (Frankfurter Rundschau)
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http://vhs-dvv.server.de/servlet/is/29130/
http://www.migration-online.de
Quelle: KNA Informationsdienst Nr. 75 Newsletter Pro Integration Nr. 482 http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/nachrichten/?cnt=848976 Pressemeldung Deutscher Volkshochschul-Verband e.V. http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_pol