Perspektivwechsel in der Hartz-IV-Missbrauchsdebatte?

PERSPEKTIVWECHSEL IN DER HARTZ-IV-MISSBRAUCHSDEBATTE? Zur Diskussion gestellt: “ Hartz-IV-Ombudsmann zur Leistungs-Missbrauchs-Debatte und zum Organisationschaos In der Öffentlichkeit wurde viel diskutiert, ob und wie stark die so genannte „Optimierung“ des SGB II für die Gruppe der „U 25“ hilft, den Missbrauch durch den Umzug in eine eigene Wohnung zu verringern. Vielen Empfängerinnen und Empfängern wurde und wird unterstellt, sie würden eine eigene Wohnung nur deshalb beziehen, um aus der Bedarfsgemeinschaft heraus zufallen und dadurch höhere Leistungen abkassieren zu können. Hierzu gibt es keine eindeutigen Zahlen oder Belege. Die fachliche und soziale Seite, dass es oft pädagogisch sinnvoll und notwendig ist, wenn Menschen vor ihrem 26. Lebensjahr aus nicht-förderlichen Familienverhältnissen ausziehen, selbstverantwortlich ihr Leben in die Hand nehmen etc. wurde und wird bedauerlicher weise kaum diskutiert. Auch bei der jetzigen Haushaltsdebatte werden bezüglich der Hartz-IV-Diskussion kaum sachliche Argumente ausgetauscht. Die hohe Neuverschuldung wird zum großen Teil der „zu hohen“ Hartz-IV-Kosten angelastet. Andere Bereiche werden gar nicht diskutiert. Kurt Biedenkopf, Mitglied des Hartz-IV-Ombudsrates zeigt letztlich auf weitere Einnahmequellen des Staates, und weist die Missbrauchsvorwürfe durch eine diskussionswürdige Perspektive zurück. Auf eine Frage der Süddeutschen Zeitung, ob es seiner Ansicht nach viel Betrug bei Hartz IV gäbe, antwortet Biedenkopf: „Ich empfehle hier Vorsicht mit Begriffen. Zum Betrug bei Hartz IV gibt es keine Statistik, es ist auch kein weit verbreitetes Übel. Das Problem liegt woanders. Nach dem Start haben viele Betroffene ihre Form des Zusammenlebens anders gestaltet, um so mehr Leistungen zu erhalten. Das ist rechtlich zulässig. Betriebe wählen für ihre Strukturen auch die steuerrechtlich günstigste Form.“ Die Hartz-IV-Missbrauchsdebatte wird gesellschaftlich ganz breit, laut und z.T. sehr populistisch geführt. Dabei geht es um Bevölkerungskreise mit der geringsten Lobby und geringen Partizipationsmöglichkeiten – also um die unteren Schichten unserer Gesellschaft. Missbrauch von anderen, weniger benachteiligten Kreisen – der übrigens mehr als 6 Milliarden Euro jährlich den Bundeshaushalt belastet, wird eher selten thematisiert. Biedenkopf hält Hartz IV darüber hinaus nicht für „Murks“, der einer Generalrevision unterzogen werden sollte: „Es gibt aber ein Organisationschaos in den Arbeitsgemeinschaften, die die Erwerbslosen betreuen sollen. Zu diesem Durcheinander haben allerdings einige derjenigen beigetragen, die jetzt eine Generalrevision fordern: die Ministerpräsidenten. Sie haben damals im Vermittlungsausschuss Strukturen vereinbart, die in der Praxis nicht funktionieren. Diese bedürfen einer Generalüberholung. Dazu werden wir uns diese Woche noch äußern.“ “ Zusammengestellt von Brigitte Schindler (Referentin BAG KJS)

Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 20.6.2006, S.6

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