BIBB-Hauptausschuss empfiehlt Rahmenrichtlinien für Ausbildungsregelungen für behinderte Menschen

RAHMENRICHTLINIEN FÜR AUSBILDUNGSREGELUNGEN FÜR BEHINDERTE MENSCHEN Der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) hat auf seiner Sitzung am 20. Juni in Bonn einstimmig eine Empfehlung zu neuen bundeseinheitlichen Rahmenrichtlinien für Ausbildungsregelungen für behinderte Menschen nach §66 Berufsbildungsgesetz (BBiG) und §42m Handwerksordnung (HwO) verbaschiedet. Auszüge aus den Empfehlungen des Hauptausschusses des Bundesinstitutes für Berufsbildung: “ Rahmenrichtlinien für Ausbildungsregelungen nach § 66 BBiG und § 42m HwO für behinderte Menschen 1. Präambel Die dauerhafte Eingliederung von behinderten Menschen in Arbeit und Gesellschaft ist eine zentrale sozial- und bildungspolitische Aufgabe. Es ist dabei erforderlich, für die besonderen Bedürfnisse dieser heterogenen Personengruppe geeignete Maßnahmen zu entwickeln und einzusetzen. Vorrangiges Ziel bei allen Bemühungen insbesondere um Jugendliche mit Behinderungen muss es sein, sie zu einem berufsqualifizierenden Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf zu führen. Dieses Ziel ist auch dann zu verfolgen, wenn die Befähigung für einen allgemein anerkannten Ausbildungsberuf erst mit Hilfe ausbildungsvorbereitender und -begleitender Maßnahmen erreicht werden kann. Wenn dies jedoch trotz geeigneter Maßnahmen und Hilfen wegen Art und Schwere der Behinderung nicht möglich ist, können Ausbildungsregelungen der zuständigen Stellen Anwendung finden. Deshalb müssen entsprechende Ausbildungsregelungen und -angebote geschaffen werden, die den Neigungen und Fähigkeiten von behinderten Menschen entsprechen, um ihnen dadurch Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und zum Lebenslangen Lernen zu eröffnen. Die Berufsschule hat maßgeblich zum Ausbildungserfolg beizutragen. Dies erfordert, dass sich die Berufsschule auf die besonderen Belange von Jugendlichen mit Behinderungen einstellt und deren Förderbedürfnissen unterrichtlich gerecht wird. 2. Ziel der Rahmenrichtlinien Ziel der Rahmenrichtlinien ist es, Benachteiligungen von behinderten Menschen im Sinne des Artikels 3 Grundgesetz in Ausbildung, Umschulung und Prüfung zu verhindern. Eine Benachteiligung liegt vor, wenn behinderte und nicht behinderte Menschen ohne zwingenden Grund unterschiedlich behandelt werden und behinderte Menschen dadurch in der gleichberechtigten Teilhabe an der beruflichen Bildung unmittelbar oder mittelbar beeinträchtigt werden… 3. Ausbildungsmöglichkeiten und -bedingungen für behinderte Menschen 3.1 Personenkreis Behinderung, gesetzliche Definition Der Begriff der Behinderung ist mit § 2 des Sozialgesetzbuches – Neuntes Buch – (SGB IX) -Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen- für alle Leistungsträger einheitlich definiert. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Einbezogen sind auch Menschen, denen eine Behinderung droht. Für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch gilt § 19 SGB III. Die Zugehörigkeit zu diesem Personenkreis ist im Einzelfall festzustellen. Darüber hinaus wird empfohlen, die gutachterliche Stellungnahme der Schule in den Entscheidungsprozess einzubeziehen. 3.2 Rechtslage … Behinderte Menschen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch) sollen in anerkannten Ausbildungsberufen ausgebildet werden. Berufsausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen nach § 65 BBiG und § 42l HwO (1) Regelungen nach den §§ 9 und 47 BBiG (§§ 38 und 41 HwO) sollen die besonderen Verhältnisse behinderter Menschen berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für die zeitliche und sachliche Gliederung der Ausbildung, die Dauer von Prüfungszeiten, die Zulassung von Hilfsmitteln und die Inanspruchnahme von Hilfeleistungen Dritter wie Gebärdensprachdolmetscher für hörbehinderte Menschen. (2) Der Berufsausbildungsvertrag mit einem behinderten Menschen ist in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse (§ 34 BBiG, § 28 HwO) einzutragen. Der behinderte Mensch ist zur Abschlussprüfung auch zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 Nr. 2 und 3 HwO nicht vorliegen. Ausbildungsregelungen der zuständigen Stellen nach § 66 BBiG und § 42m HwO (1) Für behinderte Menschen, für die wegen Art und Schwere ihrer Behinderung eine Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf nicht in Betracht kommt, treffen die zuständigen Stellen / trifft die Handwerkskammer auf Antrag der behinderten Menschen oder ihrer gesetzlichen Vertreter oder Vertreterinnen Ausbildungsregelungen entsprechend den Empfehlungen des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung. Die Ausbildungsinhalte sollen unter Berücksichtigung von Lage und Entwicklung des allgemeinen Arbeitsmarktes aus den Inhalten anerkannter Ausbildungsberufe entwickelt werden … Berufliche Fortbildung, berufliche Umschulung nach § 67 BBiG und § 42n HwO Für die berufliche Fortbildung und die berufliche Umschulung behinderter Menschen gelten die §§ 64 bis 66 BBiG und §§ 42k bis 42m HwO entsprechend, soweit es Art und Schwere der Behinderung erfordern. 3.3 Feststellung zur Ausbildung nach einer Ausbildungsregelung für behinderte Menschen (§ 66 BBiG und § 42m HwO) Die Feststellung, dass Art und Schwere der Behinderung eine Ausbildung nach einer Ausbildungsregelung der zuständigen Stellen erfordert, soll auf der Grundlage einer differenzierten, bundesweit einheitlichen Eignungsuntersuchung erfolgen. Sie ist durch die Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit unter Berücksichtigung der Gutachten ihrer Fachdienste und • von Stellungnahmen der abgebenden Schule, unter Beteiligung von dafür geeigneten Fachleuten (Ärzte/Ärztinnen, Psychologen/Psychologinnen, Pädagogen/ Pädagoginnen, Berater/Beraterinnen für behinderte Menschen) aus der Rehabilitation bzw. • gegebenenfalls unter Vorschaltung einer Maßnahme der Berufsfindung und Arbeitserprobung durchzuführen. Dabei hat die Bundesagentur für Arbeit die Vorschriften des § 31 SGB III zu beachten. Für andere Leistungsträger gilt das Verfahren entsprechend. Behinderte Menschen sind über ihr Antragsrecht zu informieren. Eine gründliche Diagnose in Zusammenarbeit mit der abgebenden Schule kann zu folgenden Verbesserungen führen: • Reduzierung der Informationsverluste an den Schnittstellen zwischen Schule und Berufsberatung für behinderte Jugendliche, • vereinheitlichte Terminologie und Bewertungsmaßstäbe (Bezug: SGB IX § 2 und SGB III § 19), • Verbesserung der Transparenz des Handelns aller am Entscheidungsprozess zur Feststellung des individuellen Förderbedarfs beteiligten Personen. Lehrkräfte, die über einen relativ langen Zeitraum ihre behinderten Schüler und Schülerinnen kennen gelernt oder gefördert haben, können unter Wahrung des Datenschutzes des Berufsberaters / der Berufsberaterin für behinderte Menschen wichtige Hinweise zu den Stärken, aber auch zu den behinderungsspezifischen Einschränkungen geben. Solche Hinweise könnten beispielsweise sein: Art und Auswirkungen der Behinderung sowie Hilfen und Unterstützungsmaßnahmen, die nach Abgang von der Schule weiterhin erforderlich sind. Der Erlass einer Ausbildungsregelung nach § 66 BBiG / 42m HwO ist als wichtige Angelegenheit nach § 79 BBiG anzusehen. 3.4 Annahme und Bearbeitung des Antrags eines behinderten Menschen zur Ausbildung nach einer Ausbildungsregelung für behinderte Menschen (§ 66 BBiG und § 42m HwO) durch die zuständigen Stellen Maßgeblich für die Ausbildungsregelungen nach § 66 BBiG und § 42m HwO der zuständigen Stellen sind Empfehlungen des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung: sowohl diese Rahmenrichtlinien für Ausbildungsregelungen für behinderte Menschen nach § 66 BBiG und § 42m HwO als auch noch zu entwickelnde bzw. zu aktualisierende Empfehlungen des Hauptausschusses des BIBB zu Ausbildungsregelungen für konkrete Berufsbereiche („Musterregelungen“). … 4. Die Ausbildungsregelung nach § 66 BBiG bzw. 42m HwO hat mindestens festzulegen 4.1 Die Bezeichnung des Ausbildungsberufs Die Bezeichnung einer Ausbildungsregelung für behinderte Menschen soll ihren Inhalt zutreffend wiedergeben. Sie soll eine möglichst kurze und allgemein verständliche Aussage der beruflichen Funktionen und Tätigkeiten sein und dem vorgesehenen Abschluss entsprechen. Die Bezeichnungen der Ausbildungsregelungen der zuständigen Stellen müssen sich jedoch von den für anerkannte Ausbildungsberufe verwendeten Bezeichnungen unterscheiden. Zur besseren Transparenz und Vergleichbarkeit der Berufsabschlüsse sollen die Kernkompetenzen für jede Ausbildungsregelung in einem kurz gefassten Ausbildungsprofil ausgewiesen werden. … 4.2 Ausbildungsdauer Die Ausbildungsdauer soll nicht mehr als drei und nicht weniger als zwei Jahre betragen. Eine Verlängerung der Ausbildungszeit ist auf Antrag der Auszubildenden möglich, sofern die Verlängerung erforderlich ist, um das Ausbildungsziel zu erreichen. … 4.3 Die beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten (berufliche Handlungsfähigkeit), die mindestens Gegenstand der Berufsausbildung sind (Ausbildungsberufsbild) Grundsätzlich sollen die Ausbildungsinhalte unter Berücksichtigung von Lage und Entwicklung des allgemeinen Arbeitsmarktes aus den Inhalten anerkannter Ausbildungsberufe entwickelt werden. Das Ausbildungsberufsbild fasst die Ausbildungsinhalte übersichtlich und in knapper Form zusammen. 4.4 Sachliche und zeitliche Gliederung der Vermittlung der Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten (Ausbildungsrahmenplan) Die Ausbildungsregelung muss eine Anlage zur sachlichen und zeitlichen Gliederung der zu vermittelnden Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten enthalten. Diese Anlage ist Bestandteil der Ausbildungsregelung. Die Lerninhalte sind in einen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zu stellen, nach welchem die Ausbildungsstätten den Ausbildungsplan aufstellen. Die Formulierungen des Ausbildungsberufsbildes werden im Ausbildungsrahmenplan wörtlich aufgeführt. Der Ausbildungsrahmenplan zeigt auf, welche Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten in einem bestimmten Zeitraum (z.B. Jahresgliederung mit Zeitrichtwerten in Wochen) vermittelt werden sollen. Die für die Besonderheiten der Ausbildung erforderliche Flexibilität soll gewährleistet sein. Für die Ausbildungspraxis bedeutet dies, dass in den individuellen betrieblichen Ausbildungsplänen die Zeitrichtwerte der einzelnen Ausbildungsinhalte unter- oder überschritten werden können. 4.5 Prüfungen Die Prüfungen sind entsprechend der Regelungen im Berufsbildungsgesetz bzw. in der Handwerksordnung, in den Ausbildungsordnungen, in den Prüfungsordnungen der zuständigen Stellen und den entsprechenden Empfehlungen des Hauptausschusses zu gestalten… Bei behinderten Menschen sind darüber hinaus unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Behinderung und der besonderen Behinderungsauswirkungen entsprechende Prüfungskonzepte, -methoden und -verfahren anzuwenden. … 4.6 Gutachterliche Stellungnahmen Der Prüfungsausschuss kann zur Bewertung einzelner, nicht mündlich zu erbringender Prüfungsleistungen gutachterliche Stellungnahmen von Dritten wie Berufsschulen, aber auch von Betrieben oder Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation einholen. Dies kann bei Prüfungsteilnehmern und Prüfungsteilnehmerinnen mit Behinderungen von entscheidender Bedeutung für Erfolg oder Nichterfolg der Prüfung sein… 5. Weitere Regelungen 5.3 Berufsausbildung außerhalb der Ausbildungsstätte Die Ausbildungsregelung kann festlegen, dass die Berufsausbildung in geeigneten Einrichtungen / Betrieben außerhalb der Ausbildungsstätte durchgeführt wird, wenn und soweit die Berufsausbildung und / oder die Behinderungsauswirkungen dies erfordern. 5.4 Kooperation zwischen Ausbildungsstätte und Berufsschule Im Interesse einer umfassenden behindertengerechten Ausbildung ist eine enge Kooperation zwischen Ausbildungsstätte und Berufsschule zu praktizieren. Theoretische und praktische Lerninhalte sind eng miteinander zu verzahnen und bei der Durchführung zeitlich zu synchronisieren und zwar sowohl in den einzelnen Lernorten als auch zwischen den beiden Lernorten. 6. Spezielle Hinweise 6.1 Lernorte Die Ausbildung und Umschulung kann in Betrieben und Dienststellen privater und öffentlicher Arbeitgeber, Einrichtungen von Trägern von Maßnahmen der beruflichen Ausbildung und Einrichtungen nach § 35 SGB IX erfolgen. Findet die Ausbildung in Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation statt, sollen die Einrichtungen entsprechend § 35 Abs. 2 SGB IX darauf hinwirken, dass Teile dieser Ausbildung auch in Betrieben durchgeführt werden. 6.2 Eignung der Ausbilder / Ausbilderinnen und der Ausbildungsstätte für die Ausbildung von behinderten Menschen … Ausbilder / Ausbilderinnen, die behinderte Menschen ausbilden, haben über zusätzliche behindertenspezifische Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten zu verfügen. … 6.3 Barrierefreiheit in der Ausbildung Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen etc. dann, wenn sie für behinderte Auszubildende in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und ohne fremde Hilfe zugänglich sind… 6.4 Vermittlung in Ausbildung und Umschulung Die Agenturen für Arbeit sind die örtlichen Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit. Ihre enge Zusammenarbeit mit externen Stellen … ist unerlässlich. Besondere Fachdienste der Agenturen für Arbeit wie der ärztliche und psychologische Dienst sowie technische Berater / Beraterinnen … unterstützen die Reha-Fachkräfte bei der Klärung der beruflichen Eignung und auch in Fragen der behinderungsgerechten Ausstattung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Untersuchungen oder eine Begutachtung erfolgen nur mit Einverständnis der betreffenden Personen. Gleiches gilt für die Mitteilung von entsprechenden Ergebnissen an Dritte. “

http://www.bibb.de

Quelle: http://www.bibb.de/dokumente/pdf/pr_empfehlung_ha_pm_20-2006.pdf

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