DAS QUALIFIKATIONSKONZEPT UND DESSEN GESELLSCHAFTLICHE KONSTRUKTION Auszüge aus einem Artikel von Mike Rigby und Enric Sanchis, erschienen in der europäischen zeitschrift für berufsbildung: “ Einleitung Angesichts der immens hohen Dauerarbeitslosigkeit und angesichts der Umwälzungen im Produktionsbereich rückten ab Mitte der 1970er Jahre das Konzept der Qualifikation und der Qualifikationserwerb immer stärker in den Mittelpunkt der Diskussionen um beschäftigungspolitische Ansätze, die den Anforderungen einer Wirtschaft im Wandel gerecht werden. Viel zu häufig wird in diesen Diskussionen das Qualifikationskonzept als Selbstverständlichkeit aufgefasst und dessen Komplexität außer Acht gelassen. Um aber zu einer klareren Vorstellung vom Wesen der Qualifikationen zu gelangen, ist es zunächst einmal notwendig, Qualifikation als ein soziales Konstrukt zu begreifen und als solches kritisch zu untersuchen … Die gesellschaftliche Konstruktion der Qualifikationen Bei den Diskussionen um das Qualifikationskonzept standen vor allem die technisch-fachliche bzw. berufliche Dimension, die arbeitsbezogenen Fertigkeiten und die mit den Arbeitsverfahren zusammenhängenden Kenntnisse im Mittelpunkt, die durch Ausbildung und Erfahrung vermittelt und perfektioniert werden. Dabei dürfen die Bewertung, die Ermittlung und die Entwicklung von Qualifikationen nicht als primär objektive Prozesse gesehen werden, sondern sind weitgehend als Ergebnis eines Prozesses der sozialen Konstruktion zu betrachten … Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen Die Akteure, die an diesem Prozess der sozialen Konstruktion unmittelbar … beteiligt sind, sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dabei definieren die Arbeitnehmer als Anbieter der eigenen Arbeit Ihre Qualifikationen sicherlich anders als die Arbeitgeber als Abnehmer dieses Arbeitsangebots. Die Arbeitnehmer fassen ihre Qualifikationen als Kombination aus den Kenntnissen, Fertigkeiten und Erfahrungen auf, die sie sowohl vor dem Eintritt ins Erwerbsleben als auch im Rahmen ihrer Berufstätigkeit erworben haben. … Legt man den Qualifikationsbegriff dieses Konzepts zugrunde, so kann man vielleicht am besten von „effektiven Qualifikationen“ sprechen, verstanden als beim Einzelnen tatsächlich vorhandene Qualifikationen. Das Qualifikationskonzept der Arbeitgeber hingegen ist wesentlich enger gefasst… Begrifflich lässt sich diese enger gefasste Definition am besten mit der Bezeichnung „nominelle Qualifikationen“ fassen. Diese Qualifikationen sind also auf die Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten beschränkt, die für eine ganz bestimmte Tätigkeit unabdingbar sind. Die nominellen Qualifikationen sind in der Regel auch die einzigen Qualifikationen, die die Arbeitgeber anzuerkennen (und zu honorieren) bereit sind. … Dennoch besteht häufig ein Unterschied zwischen den Qualifikationen, die nach Auffassung des Arbeitgebers für die Ausübung einer bestimmten beruflichen Tätigkeit erforderlich sind, und den Auffassungen der Arbeitnehmer. Diese Unterschiede können zu unterqualifizierten Beschäftigungsverhältnissen beitragen, häufiger führen sie aber zu der Art von Überqualifizierung … Wie sich der Unterschied zwischen effektiven und nominellen Qualifikationen in einer gegebenen Situation konkret darstellt, hängt von zahlreichen Faktoren ab … Unserer Auffassung nach lässt sich ganz allgemein konstatieren, dass der Unterschied zwischen effektiven und nominellen Qualifikationen um so geringer ist, je demokratischer ein Unternehmen verfasst ist. Die Situation der Frauen Welche Auswirkungen die soziale Konstruktion der Qualifikationen hat, wird deutlich, wenn man sich die Beschäftigungssituation der Frauen genauer ansieht. In der Regel werden berufliche Tätigkeiten von Männern ganz systematisch als höher qualifiziert und besser bezahlt beschrieben als die beruflichen Tätigkeiten von Frauen. Grund dafür ist eine Unterbewertung der von Frauen ausgeübten Tätigkeiten, häufig als Resultat der sozial begründeten Definition der Qualifikationen. Arbeitgeber bzw. bestimmte Gruppen vorrangig männlicher Beschäftigter setzen ihre ökonomische Macht auf den internen Märkten gezielt dazu ein, dafür zu sorgen, dass das Qualifikationsniveau der Männer immer höher bleibt als das weiblicher Beschäftigter die Arbeitgeber tun dies, um die Belegschaften zu spalten, und die männlichen Beschäftigtengruppen wollen so ihre privilegierte Stellung zementieren… Die Tätigkeiten der Frauen werden unterbewertet, weil Frauen häufig in Berufen tätig sind, bei denen vorrangig implizite Qualifikationen mobilisiert werden, beispielsweise soziale Fähigkeiten bei Pflege- und Betreuungsaufgaben oder Fähigkeiten und Fertigkeiten, die im Rahmen des Familienlebens erworben wurden … Qualifikationen dieser Art werden weit seltener systematisch ermittelt und formal erfasst als andere. Ein Beispiel sind hauswirtschaftliche Tätigkeiten, ausgeübt zumeist von Frauen, die zu schlechten Bedingungen und Konditionen beschäftigt sind. Lässt sich dies wirklich mit den mangelnden fachlichen Qualifikationen dieser Frauen begründen? … Die qualifizierte Fähigkeit der Frauen, die Arbeit im Haushalt zu erledigen und zu ‚managen‘, verbessert weder ihren Status noch Ihre Beschäftigungsbedingungen In der Branche: Weil die Gesellschaft der Arbeit dieser Frauen nur geringen Wert beimisst, werden ihre fachlichen Qualifikationen einfach nicht anerkannt. Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich Auch Berufe im Dienstleistungsbereich werden tendenziell unterbewertet. Die Tätigkeit als Bote, Pizzalieferant, Kellner oder Wachmann erfordert auf den ersten Blick kaum besondere Qualifikationen. Eine objektive Bestimmung der Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten der betreffenden Personen zeigt jedoch, dass diese über umfassendere Qualifikationen verfügen als allgemein angenommen: Der geringe Status der betreffenden Tätigkeiten liegt vor allem in der Tatsache begründet, dass diesen Qualifikationen kaum gesellschaftliche Anerkennung zuteil wird. Bei Dienstleistungsjobs mit geringem Status stehen in der Regel die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Einzelnen im Vordergrund. Qualifikationen dieser Art sind eher impliziter Natur, durch Erfahrung erworben und nicht als Bestandteil formaler Qualifikationen objektiviert. Sie unterscheiden sich gemeinhin stark von den herkömmlichen Benchmark-Qualifikationen, wie sie beispielsweise für die verarbeitende Industrie kennzeichnend sind. … Auch der große Anteil an weiblichen und jungen Beschäftigten im Dienstleistungssektor befördert sicherlich die Abwertung der Dienstleistungstätigkeiten. Denn sowohl die Frauen als auch Jugendliche bzw. junge Erwachsene haben im Rahmen der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen nur sehr begrenzt Einfluss. Dies macht sie mit Blick auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Prozess der Konstruktion von Qualifikationen zu benachteiligten Gruppen. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, ob der junge Mann mit dem Motorroller, der die Pizza ausliefert, tatsächlich weniger qualifiziert ist als ein Hafenarbeiter. … Implikationen für die Politik Die soziale Konstruktion der Qualifikationen hat auch Implikationen für die staatliche Politik in Fragen der Definition und Entwicklung von Qualifikationen. … Seit den 1980er Jahren hat das Kompetenzkonzept das Konzept der Qualifikationen zunehmend verdrängt … Welche Implikationen ergeben sich aus dieser Dominanz des Kompetenzkonzepts für die Bedeutung einer sozialen Konstruktion der Qualifikationen? Bei den Kompetenzen stehen klar und transparent formulierte (Lern-)Ziele im Vordergrund und die Beurteilung von Kompetenzen erfolgt losgelöst von bestimmten Institutionen oder Ausbildungsprogrammen. Es besteht also ein deutlicher Unterschied zwischen dem Kompetenzkonzept und dem in Zeiten des Fordismus üblichen Qualifikationskonzept mit seiner Betonung der formalen Qualifikationen, die sich auf unterschiedliche Beschäftigtengruppen anwenden ließen und genau angaben, welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten erforderlich waren, um eine ganz bestimmte Funktion wahrzunehmen. … Die Abkehr von kollektivistisch geprägten Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen und die immer zentralere Bedeutung individueller Beziehungen im Betrieb haben die Entwicklung eines Konzepts begünstigt, das dem nominellen Qualifikationsbegriff der Arbeitgeber weit näher steht als dem effektiven Qualifikationsbegriff der Arbeitnehmer und das die Verbundenheit des Arbeitnehmers mit dem „Projekt‘ des Arbeitgebers als selbstverständlich voraussetzt. Von der Tendenz her räumt das Konzept dem Erwerb impliziter Qualifikationen am Arbeitsplatz Vorrang ein, und zwar auf Kosten der expliziten Qualifikationen. Dies entwertet die Qualifikationen, die der einzelne Beschäftigte mit in den Betrieb bringt, so dass sich ein geschlossenes System herausbildet, das die etablierte Hierarchie der Qualifikationen perpetuiert. … Ein von Arbeitgeberseite beförderter Konservativismus und ein für das Konzept typisches sehr eingeschränktes Hintergrundwissen führen in der Regel dazu, dass ein Bündel von Kompetenzen erworben wird, die nicht viel mehr darstellen als eine Beschreibung „der Art und Weise, wie die Arbeit im Normalfall zu erledigen ist“, und die den Arbeitnehmer folglich kaum für zukünftige Entwicklungen, eine Beförderung und die Herausforderungen des Wandels wappnen können. Die Tatsache, dass die Kompetenzen im Rahmen informeller Zusammenhänge quasi unbemerkt erworben werden, erschwert die Erfassung und Zertifizierung und damit die Übertragbarkeit dieser Kompetenzen, was wiederum deren Mehrwert für den einzelnen Beschäftigten beschneidet. Kompetenzen sind somit ebenso Resultat sozialer Konstruktionsprozesse wie die traditionelleren Qualifikationsmodelle. Bedeutsam ist das Kompetenzkonzept deshalb, weil es eine Machtverschiebung im Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis widerspiegelt. … Diejenigen, die für nationale politische Initiativen zur Bewältigung der Probleme plädieren, die verbunden mit dem laufenden Prozess der sozialen Konstruktion auftreten, sehen sich mit einer Reihe von Schwierigkeiten konfrontiert. Um etablierte Strukturen aufbrechen zu können, müssen derartige Initiativen interventionistischen Charakter haben und werden deshalb sicherlich als gegenläufig zu dem vorherrschenden Trend zu mehr Flexibilität, Dezentralisierung und Deregulierung wahrgenommen, der den zeitgenössischen Diskurs in weiten Teilen prägt. … Die derzeit vorherrschenden, auf nationaler Ebene verankerten und nur ganz bestimmte Interessengruppen einbeziehenden institutionellen Formen der Qualifikationsbestimmung sind sicherlich kaum geeignet, eine solche Partizipation anzustoßen bzw. voranzubringen… Ein wesentliches Merkmal dafür, dass es sich bei den Kompetenzen um eine Manifestation des von den Arbeitgebern konzipierten nominellen Qualifikationsbegriffs in einem uneinheitlichen und rasanten Veränderungen unterworfenen wirtschaftlichen Umfeld handelt, ist die Tatsache, dass sich Kompetenzen häufig nur in einem ganz spezifischen Beschäftigungskontext als sinnvoll erweisen. Dies hat zur Folge, dass die Arbeitgeber kaum bereit sind, sich irgendeiner gemeinsamen Definition anzuschließen. Aus diesen Gründen laufen nationale Systeme zur Bestimmung von Kompetenzen wie beispielsweise das NVQ-System immer Gefahr, dass sich die Arbeitgeber massenhaft abwenden und das System boykottieren ganz besonders gilt dies für die Inhaber kleinerer Unternehmen. … Auch Länder, in denen die Sozialpartnerschaft mehr Gewicht hatte und hat, werden sich vor Schwierigkeiten gestellt sehen, wenn es darum geht, bei der Festlegung von Qualifikationen die sehr vielgestaltigen unterschiedlichen Interessen möglichst umfassend zu berücksichtigen. Für die Gewerkschaften ist es schwierig, die Interessen bestimmter, bereits weiter oben erörterter Beschäftigtengruppen … zu vertreten, weil diese Gruppen, die schon heute die Mehrheit der Beschäftigten in der Europäischen Union stellen, vorrangig in Sektoren tätig sind, in denen die Beschäftigten kaum oder überhaupt nicht gewerkschaftlich organisiert sind und der soziale Dialog mehr oder weniger ruht. Auch die Arbeitgeberverbände sehen sich in diesen Sektoren vor Repräsentationsprobleme gestellt. Welche Implikationen birgt die Erklärung von Kopenhagen über eine verstärkte Zusammenarbeit bei der beruflichen Bildung aller Voraussicht nach für die genannten Beschäftigtengruppen? Die Umsetzung bestimmter Punkte der Erklärung im Hinblick auf bessere Transparenz, Information und Beratung sowie die Entwicklung gemeinsamer Bezugsebenen, Bezugssysteme und Maßnahmen böten sicherlich Gelegenheiten für eine Überprüfung der Qualifikationssysteme, welche zu den oben erörterten Ungerechtigkeiten geführt haben. Die zur Umsetzung der Erklärung angewandte Methode wird sich in diesem Zusammenhang aber höchstwahrscheinlich als kontraproduktiv erweisen. Wenn man sich bei der Entwicklung eines einheitlichen Qualifikationsrahmens auf die Erfahrungen der Länder stützt, die bereits einen nationalen Bezugsrahmen vorweisen können, und bestehende Interessengruppen beteiligt, so führt dies aller Voraussicht nach zu einem konservativen Resultat, weil über diese Erfahrungen auch die Konsequenzen der sozialen Konstruktion von Qualifikationen transportiert werden, in denen die Interessen der beteiligten Akteure zum Ausdruck kommen. Gute Gelegenheiten böte auch die Qualitätssicherung. Vorstellbar wären Maßnahmen und Zielvorgaben zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit beruflicher Bildung, die auch die Anerkennung von Qualifikationen fördern könnten, beispielsweise eine Pflicht zur Einführung von Verfahren zur Überprüfung der Qualifikationen bestimmter Beschäftigtengruppen. Allerdings begünstigt auch die zu starke Betonung einer „Bottom-up“-Kooperation sicherlich vor allem die bestehenden Interessengruppen. … Relevante Initiativen Initiativen, die eine ausgewogenere Beteiligung am Prozess der gesellschaftlichen Konstruktion von Qualifikationen wirksam fördern sollen, müssen dazu die aufgezeigten Unzulänglichkeiten überwinden. Zwar erfordern Systeme zur Bestimmung von Qualifikationen unbestritten einen nationalen Bezugsrahmen, der die Übertragbarkeit und Akkreditierung erleichtert, gleichzeitig sind aber auch Mechanismen notwendig, die eine Einbeziehung der Arbeitgeber und Beschäftigten auf lokaler Ebene fördern und so beschaffen sind, dass sie das gesamte Spektrum von Beschäftigungssituationen und -formen erfassen können. Angesichts der derzeitigen Machtverhältnisse in Sachen Qualifikationsdefinition sollten diese Mechanismen so angelegt sein, dass sie dem von Arbeitnehmerseite vertretenen effektiven Qualifikationsbegriff mehr Geltung verschaffen. Es gibt verschiedene Initiativen, die beispielhaft aufzeigen, wie derartige Mechanismen aussehen können, die auf einer Kombination von kollektiven und individuellen Ansätzen fußen. Der 2002 verabschiedete „Aktionsrahmen für die lebenslange Kompetenz- und Qualifikationsentwicklung“ der Sozialpartner ist sicherlich vor allem darauf ausgerichtet, die Qualifikationsdefizite branchenübergreifender (horizontaler) Beschäftigtengruppen zu bekämpfen, beispielsweise … Einen neueren sozialpartnerschaftlichen Ansatz stellt die Funktion des gewerkschaftlichen Lernbeauftragten (Union Learning Representative, ULR) dar, die im Vereinigten Königreich seit 2003 gesetzlich geregelt ist. Der auf betrieblicher Ebene tätige Lernbeauftragte ist Gewerkschafter und vertritt die Interessen der Beschäftigten in Qualifizierungsfragen. Er berät die Beschäftigten über Qualifizierungsmöglichkeiten und organisiert einschlägige Ausbildungsangebote. … Einen weiteren sozialpartnerschaftlichen Ansatz stellen die so genannten Gruppenweiterbildungspläne für Beschäftigte kleiner und mittlerer Unternehmen dar, die in Spanien im Rahmen der seit 1993 existierenden dreiseitigen Abkommen zur Weiterbildung vorgesehen sind. In der Regel ist ein Gruppenweiterbildungsplan auf die Beschäftigten von Kleinbetrieben eines bestimmten Wirtschaftszweiges in einer bestimmten Region zugeschnitten und umfasst unterschiedliche Kurs- bzw. Lehrgangsangebote. … Damit boten die gewerkschaftlich geförderten Ausbildungsangebote vielen Beschäftigten die Möglichkeit, das eigene Qualifikationsprofil unabhängig von den Arbeitgebern auszubauen, weitere explizite Qualifikationen zu erwerben und die eigene Mobilität zu verbessern – und trugen so zu einer Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern bei. Die Ausbildungsinhalte der Gruppenpläne wurden anhand einer Befragung von Beschäftigten und Arbeitgebern des betreffenden Sektors festgelegt. Die mit der Entwicklung des Kompetenzansatzes im Bereich der Qualifikationen verbundene Betonung des informellen Lernens durch Berufserfahrung wirft unausweichlich die Frage auf, wie informellem Lernen umfassendere Anerkennung zuteil werden kann. Ein Beschäftigter, der implizite Qualifikationen erworben hat, an deren expliziter Anerkennung sein Arbeitgeber nicht unbedingt interessiert ist, muss ein Recht darauf haben, dass diese Qualifikationen gestützt auf eine einschlägige Infrastruktur in eine anerkannte und Obertragbare Form gebracht werden. … Weitere individuelle Rechte, die den Einfluss der Beschäftigten bei der Qualifikationsbestimmung stärken können, ergeben sich aus der Gleichstellungsgesetzgebung… Die einschlägige Gesetzgebung regelt auch Fragen des Zugangs zur Ausbildung. Die Frage der Qualifikationen behandelt die Gleichstellungsgesetzgebung im Rahmen der Regelungen, die gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit sicherstellen sollen… Allerdings zeigen sich zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum Teil noch gravierende Unterschiede bezüglich effektiver Mechanismen zur Umsetzung der Gleichstellungsgesetzgebung. Schlussbemerkung … Die Entwicklung eines umfassenden Ansatzes im Bereich der beruflichen Bildung, wie ihn die Kopenhagener Erklärung widerspiegelt, eröffnet die Möglichkeit, sich dieser Probleme anzunehmen. Zur Bewältigung der Probleme müssen beispielsweise Strukturen und Verfahren geschaffen werden, durch die sich auch diejenigen Beschäftigtengruppen im Prozess der Bestimmung, Entwicklung und Vermittlung von Qualifikationen Gehör verschaffen können, die bislang zumeist keine Stimme hatten … Den herkömmlichen Institutionen und Einrichtungen auf sektoraler und nationaler Ebene ist dies nicht gelungen. Erforderlich ist ein Ansatz, der auf mehreren Ebenen greift und das Unternehmen und die einzelnen Beschäftigten gleichermaßen einbezieht, zugleich aber auch die Notwendigkeit einer Intervention auf nationaler Ebene berücksichtigt, damit auch die Sektoren und Beschäftigtengruppen erreicht werden können, für die der gesellschaftliche Prozess der Qualifikationsbestimmung noch immer ungerechte Resultate produziert. … Es geht uns keinesfalls darum, die Notwendigkeit eines nationalen Kompetenz- und Qualifikationsrahmens in Frage zu stellen, wir wollen nur darauf hinweisen, dass eine derartige nationale Rahmenstruktur auch die Fragen berücksichtigen sollte, die sich verbunden mit der sozialen Konstruktion der Qualifikationen stellen, und einschlägig relevante Initiativen ganz allgemein umfassende einbeziehen sollte.“ Autoren: * Mike Rigby (Stellvertretender Direktor des Center for International Business der London South Bank University) * Enric Sanchis (Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Soziologie und Sozialanthropologie der Universität von Valencia)
http://www.trainingvillage.gr/etv/Information_resources/Bookshop/publications.asp?section=18
Quelle: Europäische Zeitschrift für Berufsbildung Nr. 37 Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung CEDEFOP