AUSZEIT. STÄRKUNG – MOTIVATION – QUALIFIZIERUNG – INTEGRATION für schulmüde Jugendliche und Schulverweigerer im Landkreis Osnabrück. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts ‚Auszeit‘ für hartnäckige Schulverweigerer liegen vor. Das Modellprojekt AUSZEIT wurde vom Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (IAJ) von April 2003 bis Juli 2005 wissenschaftlich begleitet. Der Abschlussbericht stellt die wichtigsten Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung vor. Er zeigt, dass es sich in mehrfacher Hinsicht lohnt, Jugendliche, die oftmals viele Monate, ja zum Teil jahrelang der Schule ferngeblieben sind und sich als hartnäckige Schulverweigerer aus dem Bildungssystem „verabschiedet“ haben, in besonderer Weise zu fördern, auch wenn dies sicher nicht immer einfach ist und zum Teil recht aufwändig erscheint. Auszüge aus dem Abschlussbericht: “ * Einleitung Das Thema „Schulverweigerung“ hat in den letzten Jahren, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit den Ergebnissen der PISA-Studien, wachsende öffentliche Aufmerksamkeit gefunden. Inzwischen ist Schulverweigerung neben einem schulischen auch zu einem bildungspolitischen Thema geworden … Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass es weder hinsichtlich der Begrifflichkeit Übereinstimmung noch hinsichtlich des quantitativen Umfangs genaue Kenntnisse über Schulverweigerung gibt. Unstrittig hingegen ist, dass die Formen des Rückzugs von Kindern und Jugendlichen aus der Schule äußerst vielfältig sind, worauf auch die Vielfalt der Begriffe wie Schulmüdigkeit, Schulaversion, Schulpflichtverletzung, Schulphobie, Schulverweigerung etc. hinweisen, auch wenn diese nicht immer trennscharf unterschieden werden. Unstrittig ist weiterhin, dass es bislang weder auf Bundesebene noch auf der Ebene der einzelnen Bundesländer zuverlässige statistische Daten über Schulverweigerer gibt. … Anders als auf Bundes- und Landesebene gibt es auf der Ebene einzelner Landkreise im Allgemeinen recht zuverlässige Informationen über die quantitativen und – zum Teil auch – qualitativen Dimensionen des Problems Schulverweigerung. Dies gilt unter anderem für den Landkreis Osnabrück, wo jedes Jahr im Durchschnitt ca. 500 Fälle von Schulverweigerung durch die Schulen angezeigt werden … * Theoretische und empirische Befunde zu Schulverweigerung … Hintergründe und Ursachen Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Schulverweigerung nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen ist, sondern in der Regel mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Als eine der möglichen Ursachen, die bei vielen Schulverweigerern eine wichtige Bedeutung hat, gilt Angst vor Mitschülern und Lehrern, aber auch vor eigenem Versagen. Einer Studie von Brandhorst (2001) zufolge kennt „fast jeder fünfte Jugendliche zwischen zwölf und siebzehn Jahren […] Angstattacken aus eigenem Erleben“. Dies betrifft vor allem die Angst davor, schulischen Anforderungen nicht entsprechen zu können. Ein weiterer Grund für Angst sind aber auch Auseinandersetzungen mit Mitschülern bzw. Mobbing durch Klassenkameraden. Hiervon betroffen sind meistens Außenseiter in einer Klasse, die Brandhorst zufolge dadurch systematisch zermürbt werden können. Schulverweigerung erscheint manchen Jugendlichen als der einzige Ausweg, solchen Kränkungen auszuweichen. Als weitere mögliche Ursachen … werden insbesondere die spezifische familiäre Situation … sowie die Einstellung der Eltern zur Schule genannt. Diese Aspekte stehen in einem engem Zusammenhang mit der sozialen Herkunft. … Aktivitäten der Jugendlichen während ihrer Schulverweigerung Es gibt kaum gesicherte Erkenntnisse darüber, wie Schulverweigerer ihre „gewonnene Freizeit“ verbringen. Schreiber-Kittl (2000) vermutet, dass sie ihre Zeit entweder zu Hause oder mit Freunden draußen in der Stadt, in Parks, an Bahnhöfen etc. verbringen und dabei darauf achten, sich an Orten aufzuhalten, wo sie sicher sein können, nicht Eltern oder Lehrer zu treffen. Während Mädchen sich eher zuhause aufhalten, um zu schlafen, Hausarbeiten zu erledigen, einem Hobby nachzugehen oder fernzusehen, halten sich Jungen häufiger außerhalb des Hauses, zumeist in Gruppen oder Cliquen, auf. Die Zugehörigkeit zu Cliquen bietet den Jugendlichen die Möglichkeit, Unzufriedenheit oder Kränkungen umzukehren und somit ein positiveres Selbstbild zu entwickeln. … * Ziele und Struktur von AUSZEIT Übergeordnetes Ziel von AUSZEIT ist es, für hartnäckige Schulverweigerer neue persönliche Perspektiven zu erarbeiten. … Da die Ursachen für die Schulverweigerung in der Regel sehr komplex sind, ist eine – zumindest aktuelle – Rückkehr in den Schulalltag oftmals nicht möglich. Daher ist es das Ziel von AUSZEIT, den Jugendlichen die Möglichkeit zu eröffnen, den Hauptschulabschluss außerhalb der Schule zu erwerben und/oder den Übergang in eine Berufsausbildung oder Berufstätigkeit zu schaffen. In jedem Falle ist es das Ziel von AUSZEIT, die Jugendlichen sozial und individuell zu stabilisieren und ihnen die Hilfe anzubieten, die sie benötigen, um aus ihrer „verfahrenen Situation“ herauszufinden. … Der Grundansatz von AUSZEIT ist es, die Jugendlichen außerhalb der Schule wieder für die Schule zu interessieren oder ihnen ohne Reintegration in die Schule eine soziale und berufliche Perspektive zu eröffnen. Methodische Grundlage ist im Unterschied zu der in der Schule zumeist verlangten konformistischen Anpassung die individuelle und auf positive Ressourcen der Jugendlichen ausgerichtete Ansprache und Begleitung. Bei AUSZEIT gilt der Grundsatz: Individualität vor Konformität. Neben der individuellen Zielsetzung für den einzelnen Jugendlichen verfolgt AUSZEIT auch das Ziel, im Landkreis Osnabrück neue Strukturen im Umgang mit Schulverweigerung zu schaffen. Dazu gehört vor allem die Vernetzung mit spezifisch ausgerichteten Hilfe- und Unterstützungsangeboten. … Individuelle Förderplanung Der individuellen Förderplanung kommt im Rahmen des Modellprojekts eine Schlüsselstellung zu. Nach erfolgter Erstaufnahme wird gemeinsam mit jedem Jugendlichen ein individueller Förderplan erarbeitet. Dieser wird während des Projekts entsprechend dem Entwicklungsfortschritt des Jugendlichen kontinuierlich fortgeschrieben. Alle an AUSZEIT beteiligten Institutionen und Personen arbeiten bei diesem grundlegendem Diagnose- und Verlaufsverfahren zusammen. … * Empirische Ergebnisse Die Bedeutung der Fachberatung Schulverweigerung Der Fachberatung Schulverweigerung kommt im Rahmen des Modellprojekts AUSZEIT eine zentrale präventive Rolle zu, die sie durch die Erfüllung von koordinierenden, aufsuchenden und beratenden Aufgaben wahrnimmt. … Insgesamt konnten durch die Beratung immerhin rund die Hälfte der Jugendlichen wieder zum regelmäßigen Schulbesuch motiviert werden. Dies zeigt, dass vor allem dann, wenn eine frühzeitige Meldung durch die Schulen erfolgt und sich daran eine Beratung durch die Fachberatung Schulverweigerung anschließt, es gar nicht erst zum Ausstieg der Jugendlichen aus der Schule kommen muss. Die von der Fachberatung Schulverweigerung beratenen Schüler und Schülerinnen waren zwischen 13 und 17 Jahre alt, davon waren rund zwei Fünftel jünger als 15 Jahre. … Durchschnittliche Verweildauer in AUSZEIT An dem Modellprojekt AUSZEIT haben in der Zeit zwischen August 2002 und Juli 2005 insgesamt 31 Jugendliche teilgenommen, pro Schuljahr im Durchschnitt etwa 12 bis 13 Jungen und Mädchen. Auch wenn die Teilnehmergruppe über das gesamte Schuljahr hinweg weitgehend konstant geblieben ist, ist zwischenzeitlich immer wieder einmal ein Teilnehmer ausgeschieden oder ein Jugendlicher neu in das Projekt gekommen. … Die jeweilige Verweildauer in AUSZEIT war für die einzelnen Jugendlichen unterschiedlich lang. Im Durchschnitt waren die Jugendlichen 359 Tage im Projekt. Allerdings bildet dieser Mittelwert die tatsächliche Verweildauer nur unzureichend ab. … Herkunftsschulen Knapp die Hälfte der Jugendlichen (14) kam von einer Hauptschule, ebenso viele Jugendlichen gingen zuvor auf eine Schule für Lernhilfe bzw. für Erziehungshilfe (je 7), und insgesamt drei Jugendliche haben vor AUSZEIT eine Gesamtschule besucht. … Biographische Hintergründe … Die für Jungen und Mädchen getrennt vorgenommenen Beschreibungen zeigen, dass ausnahmslos alle Jugendlichen aus persönlich und sozial schwierigen Lebensverhältnissen kommen, die für schulisches Lernen nicht gerade förderlich sind und dass die meisten von ihnen mit Problemen zu kämpfen hatten und zum Teil immer noch haben, die die Lernmotivation und das Interesse an Schule massiv blockieren und wesentlich mit verantwortlich sind für ihre „Karriere“ als Schulverweigerer. … Gründe für die Schulverweigerung aus Sicht der Jugendlichen … Die von ihnen genannten Gründe für ihre Schulverweigerung machen anschaulich nachvollziehbar, welches aus Sicht der Jugendlichen die Probleme sind, die sie persönlich mit Schule haben. So ist es offenbar vor allem der „Stress mit Lehrern“, der den Jugendlichen zu schaffen macht. Gleichzeitig zeigen die Äußerungen der Jugendlichen deutlich, dass sie sich von Lehrern häufig nicht richtig wahrgenommen und nicht angemessen behandelt fühlen: „Lehrer haben auf Fragen nicht geantwortet, nur gesehen, dass man keine Hausaufgaben gemacht hat, aber nie gefragt warum“ (Schüler). … Die Interviews … zeigen, dass die Beziehung zu den Lehrern eine zentrale Rolle für die Abneigung der Jugendlichen gegen die Schule spielt. Für die Jugendlichen ist es wichtig, als Person ernst genommen zu werden und nicht bloß als „dummer Schüler“ behandelt zu werden … Sehr sensibel reagieren die Jugendlichen auch auf das Verhalten von Lehrern, wenn es aus ihrer Sicht ungerecht und verständnislos für ihre persönlichen Bedürfnisse ist. … Ein weiterer Grund, nicht mehr zur Schule zu gehen, ist für die Jugendlichen neben Ärger mit Lehrern auch Ärger mit Mitschülern. Nicht selten ist es auch Angst vor den Aggressionen der Mitschüler, die Jugendliche nicht mehr zur Schule gehen lässt. … Oftmals ist es auch eine Mischung aus massiven Konflikten in der Familie (z.B. Trennung der Eltern), Lernschwierigkeiten, einer als unangenehm empfundenen schulischen Umgebung und von Gewalterfahrungen in der Schule, die dazu führt, dass Jugendliche nicht mehr zur Schule gehen … Aktueller Verbleib und weitere Perspektiven der Jugendlichen Betrachtet man nunmehr zusammenfassend den Verbleib aller Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Modellprojekt AUSZEIT zum … August 2005, so ergibt sich eine ähnliche Verteilung wie schon jeweils zum Abschluss der einzelnen Projektjahre. Etwa die Hälfte aller Jugendlichen, die bislang an AUSZEIT teilgenommen haben, befinden sich auch nach Abschluss der Modellphase weiterhin in AUSZEIT (16). Die andere Hälfte ist entweder wieder zurück in die Schule (4) gegangen oder bereitet sich im Rahmen von SiJU auf den Hauptschulabschluss vor (3), drei Jugendliche haben eine Berufsausbildung begonnen, ein Jugendlicher nimmt am BGJ teil. Drei Jugendliche beziehen derzeit – aus unterschiedlichen Gründen – Arbeitslosengeld (ALG II), ein Jugendlicher befindet sich weiterhin im Jugendstrafvollzug. Insgesamt zeigt sich an diesen Verbleibsdaten, dass die Teilnahme an AUSZEIT für die meisten Jugendlichen sehr positiv verlaufen ist. Die für die einzelnen Projektjahre dargestellten Verbleibsdaten belegen, dass die Teilnahme an AUSZEIT für die meisten Jugendlichen dazu geführt hat, wieder Lernbereitschaft und Lernmotivation zu entwickeln. Auch wenn – insgesamt gesehen – nur einzelne Jugendliche wieder für das Lernen in der Schule gewonnen werden konnten, was im Übrigen auch nicht primäres Ziel von AUSZEIT ist, wurde doch für immerhin knapp ein Drittel (9) der Teilnehmer erreicht, dass sie sich, sei es im Rahmen von Schule oder aber im Rahmen von SiJU, auf einen Schulabschluss vorbereiten. Und für fast alle Jugendlichen wurden mittelfristige Perspektiven eröffnet, die zu realisieren eine hohe Lernbereitschaft voraussetzt. Dies gilt besonders auch für diejenigen Jugendlichen, die bereits eine Ausbildung aufgenommen haben oder vorhaben, dies zu tun. … * Zum Kosten-Nutzen-Verhältnis … Anhand einer gesamtfiskalischen Betrachtung ließe sich zeigen, dass diese Mittel nicht nur aus verantwortungsethischen oder sozialpolitischen Gründen sinnvoll eingesetzt sind, sondern dass sich ihr Einsatz auch unter Kostenaspekten „rechnet“. Selbst wenn man lediglich die finanziellen Aufwendungen, die im Rahmen von Jugendhilfe erforderlich geworden wären, denjenigen Kosten gegenüber stellt, die für AUSZEIT entstanden sind, ergibt sich … eine positive Bilanz. … haben die Sorgeberechtigten fast aller Jugendlichen beim Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) des Landkreises Osnabrück einen Antrag auf Hilfen zur Erziehung gestellt. In den meisten Fällen (20)handelte es sich hierbei um Anträge nach § 34 KJHG (Heimerziehung), in insgesamt acht Fällen wurde ein Antrag nach § 30 KJHG(Erziehungsbeistandschaft) gestellt. Lediglich für drei Teilnehmer wurde kein entsprechender Antrag gestellt. … Insgesamt zeigt die … Kostenbetrachtung, dass die Finanzierung eines Teilnehmerplatzes in AUSZEIT deutlich kostengünstiger ist als die Finanzierung von ansonsten erforderlich gewordenen Hilfen zur Erziehung. Damit erweist sich AUSZEIT als ein Projekt, das schulmüde Jugendliche nicht nur optimal fördert, sondern auch vergleichsweise kostengünstig ist. … * Zusammenfassende Bewertung und Empfehlungen … Als das wichtigste Ergebnis des Modellprojekts ist die Tatsache zu werten, dass – von wenigen Ausnahmen abgesehen – durch AUSZEIT bei den Jugendlichen eine positive Entwicklung in Gang gesetzt worden ist, die nachhaltige Wirkungen verspricht. Die Möglichkeit, zum Teil umfassende handwerkliche Fertigkeiten erworben zu haben, vor allem aber, sich auf schulähnliches Lernen einzulassen – in der Regel mit zunehmendem Erfolg und Interesse – war für die Jugendlichen eine wichtige Erfahrung. Dies initiiert und ermöglicht zu haben, ist ein bedeutsamer Erfolg von AUSZEIT. Auch dass die Jugendlichen dazu bereit waren, wichtige Arbeiten für die gesamte Gruppe zu übernehmen (z.B. Zubereitung von Mahlzeiten), war nicht nur eine wichtige Erfahrung für die meisten Jugendlichen – viele haben diese Erfahrung zum ersten Mal gemacht –, es ist ebenfalls als ein Erfolg von AUSZEIT zu verbuchen. … Für die Jugendlichen stellt AUSZEIT einen bis zu einem gewissen Grade geschützten Sozialraum dar, in dem sie eine Vielzahl von persönlichen Erfahrungen machen können, die für eine Reintegration in die Schule oder auch für den Übergang in eine berufliche Ausbildung bedeutsam sind. … Die Fachberatung Schulverweigerung als Erfolgsbedingung Neben den bereits genannten Bedingungen hat für den Erfolg von AUSZEIT die enge Kooperation zwischen den beteiligten Institutionen –insbesondere zwischen Jugendhilfe und Schule – eine zentrale Rolle gespielt. In diesem Zusammenhang kommt der Fachberatung Schulverweigerung eine Schlüsselstellung zu. Ohne ihre, die Kooperation organisierende und vorantreibende Arbeit wäre es sicherlich nicht gelungen, die im Landkreis Osnabrück vorhandenen Ressourcen zum Abbau von Schulverweigerung in der Weise zu nutzen, wie dies im Rahmen von AUSZEIT bislang so erfolgreich geschehen ist. … “ Verfasser PD Dr. Gerahrd Christe (Dipl.Soziologe) Der Volltext des Abschlussberichts steht Ihnen unter der Quellenangabe als Download zur Verfügung.
http://www.Massarbeit.de
http://www.iaj-oldenburg.de
Quelle: http://web12.basicbox12.server-home.net/pdf/auszeit_abschlussbericht.pdf