Pluspunkte für die duale Berufsbildung in Deutschland

KOSTEN, NUTZEN UND QUALITÄT DER BERUFLICHEN AUSBILDUNG Bremer Berufsbildner um Professor Felix Rauner brechen eine Lanze für die berufliche Ausbildung in Deutschland – und stehen damit in Widerspruch zum ersten nationalen Bildungsbericht 2006. Darin wird ausgesagt, dass die duale Berufsbildung die teuerste Bildungsform in Deutschland sei. Rauner und sein Team haben nun im Rahmen der Bremer ‚Initiative ‚Innovative Berufsbildung 2010‘ (IBB 2010) nicht nur die Rentabilität, sondern auch die Qualität der betrieblichen Berufsausbildung mit 60 Bremer Unternehmen bei über 100 Berufen untersucht und in Relation zueinander gebracht. Die Ergebnisse: Je höher die Qualität der betrieblichen Ausbildung, desto höher ihre Rentabilität. Und in zahlreichen Betrieben gibt es noch erhebliche Entwicklungspotenziale. … Das Institut Technik und Bildung (ITB) hat ein Instrumentarium entwickelt, mit dem Betriebe selbst ihre Ausbildung bewerten können, und stellt es der Bremer Wirtschaft im Rahmen des IBB 2010-Projektes als Online-Tool zur Verfügung. Ausbildungsbetriebe können mit relativ geringem Aufwand anhand anschaulicher Grafiken und tabellarischer Übersichten ermitteln, wie es um die Rentabilität und Qualität ihrer Ausbildung bestellt ist. Außerdem können sie den Ergebnissen entnehmen, an welchen Stellschrauben sie drehen müssen, um ihre Ausbildung für Auszubildende attraktiver und für den Betrieb rentabler zu gestalten. Nach Abschluss der online- Pilotphase kann dieses Selbstevaluationsverfahren von Branchen und Regionen auch dazu genutzt werden, die Ausbildungsberatung zu verbessern und ein Ausbildungsbarometer einzuführen, an dem abgelesen werden kann, wie und ob sich die durchgeführten Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildungssituation in der Praxis auswirken. Auszüge aus der Untersuchung: “ 1 Einleitung Ökonomische Vergleichsstudien, die den Zusammenhang zwischen Bildung und Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und von Volkswirtschaften untersucht haben, kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass Länder mit einem dualen Berufsbildungssystem und einer darauf aufbauenden bzw. damit verschränkten Ausbildung von Ingenieuren im internationalen Vergleich einen Wettbewerbsvorteil haben. Es werden eine Reihe weiterer Gründe angeführt, die dafür sprechen, diese Berufsbildungstradition zu bewahren und zugleich zu modernisieren. Dazu gehören – eine relativ geringe Jugendarbeitslosigkeit, da der Ausbildungsmarkt an den Arbeitsmarkt angekoppelt ist … – die positiven Auswirkungen auf die soziale Integration der Jugendlichen in die Gesellschaft. Strittig ist dagegen die Einschätzung der Kosten, die die duale Berufsbildung im Unterschied zur schulischen und hochschulischen Bildung verursacht. Nach dem Bericht »Bildung in Deutschland« (Konsortium Bildungsberichterstattung. … Von den 10.800 € pro Auszubildenden pro Jahr entfallen nach einer Untersuchung des Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) 8.600 € im Bundesdurchschnitt (über alle Berufe) auf die betriebliche Berufsausbildung. … 2 Zur Bedeutung eines Selbstevaluationsinstrumentes für die Ermittlung der Qualität und Rentabilität betrieblicher Berufsausbildung … Bildet ein Unternehmen Fachkräfte aus, dann handelt es ökonomisch rational, wenn die Ausbildungserträge wenigstens die Höhe der Ausbildungskosten betragen. Unter den Bedingungen des internationalen Qualitätswettbewerbes ist es im ökonomischen Interesse der Unternehmen, eine hohe Ausbildungsqualität, ein hohes beruflichen Engagement und eine sich selbst finanzierende Ausbildung zu erreichen. Dass in Deutschland immer noch eine große Zahl von Unternehmen ausbildet, obwohl ihnen erhebliche Netto-Kosten entstehen, gibt aus bildungsökonomischer Sicht einige Rätsel auf. Als Erklärung verweisen Walden und Herget auf den Opportunitätsnutzen, der sich durch eine eigene Ausbildung erst nach Abschluss der Ausbildungsphase einstellt. Bildungsökonomisch betrachtet liegt damit ein investitionsorientiertes Ausbildungsverhalten vor. Andere Überlegungen basieren auf der Vermutung, dass die Tradition der »Lehrlingsausbildung« tief in der deutschen Unternehmenskultur verwurzelt ist. Kulturen bilden im technisch-ökonomischen Wandel ein Moment der Beharrung und Stabilität. Dagegen wird zu Recht eingewendet, dass sich in den neuen Dienstleistungsbranchen diese Ausbildungstradition erst gar nicht entwickelt und zugleich ein verstärkter Erosionsprozess in der dualen Berufsausbildung in traditionsreichen Branchen der Industrie und des Handels dadurch eintritt, dass die Internationalisierung der Unternehmen zwangsläufig auf die Herausbildung interkultureller Orientierungen und Handlungsmuster zunehmend auch die Personalentwicklung der Unternehmen prägt. … Die traditionell gegebene Selbstverständlichkeit, mit der sich viele Betriebe immer noch an der dualen Berufsbildung beteiligen, verliert mit fortschreitender Internationalisierung der ökonomischen Entwicklung an Bedeutung. Nur wenn es gelingt, die Vorzüge der dualen Berufsbildung bildungsökonomisch nachzuweisen,lässt sich dieser Trend umkehren. … Trotz der zentralen Bedeutung, die dem ökonomischen Kalkül auch für das Ausbildungsverhalten der Betriebe zugemessen wird, zeigt die Praxis, dass nur wenige Unternehmen explizit Kosten-Nutzen-Abschätzungen für ihre Berufsausbildung vornehmen. …Auch wenn sich die Berufsausbildung unternehmerisch rechnet, ist es in dem herrschenden Klima der »Versorgung von Jugendlichen« nicht opportun, sich zur Rentabilität der Berufsausbildung zu bekennen. Daraus resultiert das Forschungsinteresse, ein Instrument zur Selbstevaluation der Kosten-Nutzen-Abschätzung für die betriebliche Berufsausbildung zu entwickeln, das den Betrieben ermöglicht, anhand der Eingabe kosten-nutzenrelevanter Daten in ein Softwaretool, Angaben über die Rentabilität und Qualität ihrer Ausbildung zu erhalten. Die Einführung eines solchen Instrumentes stößt zu Recht auf das Bedenken jener, die befürchten, dass eine Erhöhung der Ausbildungserträge und die Reduzierung der Ausbildungskosten das Risiko einer Senkung der Ausbildungsqualität birgt, weil Auszubildende als billige Arbeitskräfte eingesetzt werden – so ein geläufiges Standardargument. Dieses Argument kann weitgehend entkräftet werden, da gezeigt werden kann, dass eine hohe Ausbildungsqualität nur erreicht werden kann, wenn die qualifizierenden Potenziale wertschöpfender Arbeitsaufgaben für das Lernen im Arbeitsprozess ausgeschöpft werden. Dadurch nimmt auch die Rentabilität der Ausbildung zu. … Zwei Einsichten begründen daher das betriebliche Interesse an einem Instrument zur Abschätzung der Ausbildungsqualität und -rentabilität, (A) Kosten, Nutzen und Qualität der Berufsausbildung hängen miteinander zusammen. Dieser Zusammenhang kann aufgedeckt werden. (B) Eine hohe Ausbildungsqualität kann durch eine betriebliche Berufsausbildung erreicht werden, in deren Zentrum das Lernen in realen, wertschöpfenden und zugleich die Kompetenzentwicklung herausfordernder Arbeitsaufgaben steht. 3 Das Selbstevaluationsinstrument Qualität – Erträge – Kosten (QEK) Die Erfassung der Bruttokosten orientiert sich an dem vom BIBB entwickelten Verfahren. Die Bestandteile der Bruttokosten setzen sich aus den Personalkosten der Auszubildenden und der Ausbilder, den Anlage- und Sachkosten sowie sonstigen Kosten zusammen. Um einer realistischen Abschätzung der Kosten nahe zu kommen, werden die Betriebe bei der Nutzung von QEK auf zwei Punkte besonders aufmerksam gemacht, die das Ergebnis verfälschen können. (A) Kosten für das ausbildende Personal Bei der Erfassung der Kosten für das ausbildende Personal kommt es darauf an, anzugeben, ob z. B. ein hauptamtlicher Ausbilder vollständig in nicht-produktiven Ausbildungsprozessen (z. B. in einer traditionellen Lehrwerkstatt) tätig ist, oder ob er als Ausbilder mit »seinen« Auszubildenden eingebunden ist in produktive Geschäftsprozesse. … (B) Anlagen- und Materialkosten Die Anlagen- und Materialkosten können nur als Kosten gerechnet werden, wenn sie ausschließlich für Ausbildungszwecke genutzt werden. … Der Ausbildungsnutzen ergibt sich aus der produktiven Tätigkeit der Auszubildenden. Der Ausbildungsertrag entspricht der Lohnsumme, den das Unternehmen an Arbeitskräfte zahlen müsste, wenn es nicht ausbilden würde. Der darüber hinaus in der Kosten-Nutzen-Analyse geltend gemachte Opportunitätsnutzen basiert im Wesentlichen auf vier Faktoren. Durch die Übernahme von Auszubildenden in ein Beschäftigungsverhältnis entsteht für ein Unternehmen ein Nutzen, der sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. Nach der klassischen Humankapitaltheorie entsteht ein zusätzlicher, betrieblicher Nutzen durch die Übernahme eines betrieblich Ausgebildeten, der über besonders betriebsspezifische Fähigkeiten verfügt. In der einschlägigen Literatur wird auf die folgenden Kostenvorteile bei der Übernahme in ein Beschäftigungsverhältnis verwiesen. – Rekrutierungskosten … – Einarbeitungszeiten … – Fluktuation und Fehlbesetzung … – Ausfallkosten durch Fachkräftemangel … Walden und Herget kommen auf der Grundlage einer empirischen Untersuchung zu diesen Faktoren zu der Einschätzung, dass der Gesamtnutzen einer betrieblichen Berufsausbildung deutlich den durch die Ausbildungserträge gegeben Nutzen übersteigt. Offen ist jedoch, bei welchen Betrieben und unter welchen gesamtökonomischen und betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Opportunitätsnutzen sich positiv auf das Ausbildungsverhalten der Betriebe auswirkt. Bei der Entwicklung der Selbstevaluationsmethode »Qualität, Erträge, Kosten« (QEK) wurde diese Dimension des Ausbildungsnutzens nicht berücksichtigt. Jeder einzelne Betrieb muss bei der Anwendung von QEK daher für sich kalkulieren, was ihm seine eigene Ausbildung wert ist, wenn die Ausbildung Netto-Kosten verursacht. QEK liegt ein produktionsorientiertes und nicht ein investitionsorientiertes Konzept der Ausbildung bei der Kosten-Nutzen-Abschätzung zu Grunde. 4 Ermittlung der produktiven Leistung von Auszubildenden – die Ausbildungserträge Der für die Ausbildung Verantwortliche, der die produktive Leistung der Auszubildenden bewerten kann, schätzt ab, welchen Wert die produktive Leistung von Halbjahr zu Halbjahr für den gesamten Ausbildungszeitraum bei den Auszubildenden einer Berufsgruppe erreicht. Dabei wird von den folgenden Annahmen ausgegangen: 1. Auszubildende werden mit Arbeitsaufgaben betraut, die durchgängig Aufgaben repräsentieren (oder Anteile davon), wie sie für den zu erlernenden Beruf charakteristisch sind. … 2. Bei der Bewertung der produktiven Leistung von Auszubildenden kommt es darauf an, nicht nach der Kompetenz und dem Leistungspotenzial der Auszubildenden zu fragen, sondern nach der produktiven Leistung im Arbeitsprozess. … 3. Eine Unterscheidung in Tätigkeiten für Fachkräfte und Angelernte, wie dies in anderen Untersuchungen vorgenommen wird, ist problematisch, wenn dabei unterstellt wird, dass die Produktivität von Auszubildenden mit der von angelernten Arbeitskräften gleichgestellt und die Produktivität von Auszubildenden bei der Wahrnehmung von Aufgaben auf Fachkräfte-Niveau durchgängig mit 50 Prozent gewichtet wird. … 1. Schritt Zunächst wird anhand der Halbjahreswerte für die produktive Leistung der Auszubildenden der arithmetische Mittelwert gebildet. Dieser sagt aus, wie hoch über den gesamten Ausbildungszeitraum die produktive Arbeitsleistung der Auszubildenden im Verhältnis zu der einer Fachkraft eingeschätzt wird. Im Beispiel (Abb. 4) beträgt dieser Wert 0,75. Der Ausbilder bewertet also die produktive Leistung der Auszubildenden eines bestimmten Berufes mit 75 Prozent der produktiven Leistung einer Fachkraft. 2. Schritt Im zweiten Schritt werden die produktiven Lernzeiten ermittelt. Diese betragen im Vergleich zur Arbeitszeit einer Fachkraft in diesem Beispiel 72 Prozent (Abb. 4). Geht man davon aus, dass ein Drittel der Ausbildungszeit auf das berufschulische Lernen entfallen, dann bedeutet dies, dass die Auszubildenden fast ausschließlich in realen Arbeitsprozessen ausgebildet werden. Multipliziert man beide Faktoren, dann ergibt sich daraus die produktive Arbeit, die von den Auszubildenden im Rahmen ihrer Ausbildung erbracht wird. Multipliziert man diese mit dem Lohn, den das Unternehmen entsprechenden Fachkräften bezahlt, die Lohnnebenkosten einbezogen, dann ergibt sich daraus der Ausbildungsertrag. Die Differenz zwischen den Brutto-Kosten der Ausbildung und den Ausbildungserträgen ergeben im folgenden Beispiel einen Nettoertrag. Mit QEK lassen sich die Kosten und Erträge für jedes Ausbildungsjahr gesondert ermitteln. … 6 Zusammenfassung der Ergebnisse: Die Qualitäts-Rentabilitäts-Matrix (QRM) Die Vier-Felder-Matrix »Qualität-Rentabilität« (QRM) erlaubt es, alle Evaluationsergebnisse in je einem Punkt zusammenzufassen. Dem Anwender erschließt sich auf einen Blick, wie sich Qualität und Rentabilität seiner Ausbildung zueinander verhalten. Die Werte der 5er-Skala lassen sich als Schulnoten von sehr gut (1) bis mangelhaft (5) interpretieren. Damit entsprechen die Werte dem geläufigen Alltagsverständnis, mit dem Qualitäten bewertet werden. Eine Unterteilung der QRM in 16 Felder, gegeben durch die Notenskalen von 1 bis 5, erlaubt eine hinreichende Differenzierung bei der Beschreibung eines Evaluationsergebnisses. Das Feld Q1-2 / R1-2 (Abb. 8) repräsentiert Beispiele guter bzw. sehr guter Ausbildungspraxis, das Feld Q4-5 / R4-5 dagegen die Beispiele ausreichender bis mangelhafter Ausbildungspraxis. … 7 Fazit Dem berufs- und arbeitspädagogischen Konzept des Lernens in qualifizierenden Arbeitsprozessen kommt sowohl bei der Ermittlung der Ausbildungskosten und – erträge als auch bei der Bewertung der Ausbildungsqualität eine zentrale Bedeutung zu. Daher erlaubt es QEK, die Qualität und die Rentabilität der betrieblichen Berufsausbildung als einen wechselwirkenden Zusammenhang zu analysieren und zu veranschaulichen. QEK wurde mit dem Ziel entwickelt, die Diskussion über Kosten, Nutzen und Qualität zu versachlichen und vor allem den Betrieben ein Instrument zur Verfügung zu stellen, das es ihnen erlaubt, die Stärken und Schwächen ihrer Ausbildung zu erkennen und Innovationen einzuleiten, die darauf zielen, die Ausbildung sowohl rentabel als auch auf einem hohen Qualitätsniveau zu gestalten. “ Die Studie kann unter aufgeführtem Link von der Website des ITB geladen werden. Die praktische Umsetzung der Ermittlung der produktiven Leistung von Auszubildenden wird im Volltext ausführlich beschrieben und anhand von Praxisbeispielen und Grafiken nach vollziehbar.

http://www.itb.uni-bremen.de
http://www.itb.uni-bremen.de/downloads/Publikationen/Forschungsberichte/FB_23.pdf

Quelle: http://idw-online.de/pages/de/news200519

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