Bürgerarbeit – die neue Wunderwaffe? Ein kritischer Beitrag zum Bad Schmiedeberger Modell

WORKFARE–GEDANKE MIT BÜRGERARBEIT EIN GESELLSCHAFTLICH AKZEPTIERTES MODELL? – Zur Diskussion gestellt – In der Zeitschrift „ifo Dresden berichtet“ (2/2007) veröffentlichten Prof. Ronnie Schoeb und Prof. Marcel Thum einen Artikel unter der Rubrik Blickpunkt. Auszüge aus dem Artikel, der das Bad Schmiedeberger Modell kritisiert, die Moral der Arbeitslosen anfragt und für einen Kombilohn anstelle öffentlich geförderter Beschäftigung plädiert: BÜRGERARBEIT – DIE NEUE WUNDERWAFFE? EIN KRITISCHER BEITRAG ZUM BAD SCHMIEDEBERGER MODELL “ Mit der Bürgerarbeit hat die BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT scheinbar die Erfolgsformel gegen die Arbeitslosigkeit entdeckt: Langzeitarbeitslose finden wieder geregelte Arbeit, der Fiskus wird nicht belastet und Firmen müssen keine Konkurrenz befürchten, da nur marktferne Tätigkeiten in der Bürgerarbeit erledigt werden – so die Versprechungen. Und tatsächlich, in Bad Schmiedeberg (Sachsen-Anhalt) ist es gelungen, die Arbeitslosenquote mehr als zu halbieren. Das Hamburger Abendblatt nennt Bad Schmiedeberg auch prompt die erste Stadt, die Hartz IV abschafft (18. Februar 2007). Bei diesen Erfolgsnachrichten ist es kein Wunder, dass das Pilotprojekt … ausgeweitet wird und mittlerweile sogar ernsthaft die bundesweite Einführung der Bürgerarbeit diskutiert wird. Was steckt hinter diesem Konzept? Und wie erfolgreich ist es wirklich? Durch die Einführung der Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg sank die offizielle Arbeitslosenquote der Stadt von 15,6 % im September 2006 auf 6,3% im Dezember 2006. Wie ist das gelungen? Zunächst führten die Vertreter der AGENTUR FÜR ARBEIT und der ARGE Wittenberg intensive Vorgespräche mit den 331 Arbeitslosen des Ortes. Je nach Situation der einzelnen Person, wurde den Bewerbern eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt, eine Weiterbildung oder eine Stelle bei der Bürgerarbeit angeboten. Wer Bürgerarbeit leistet, erhält eine unbefristete sozialversicherungspflichtige Beschäftigung (ohne Arbeitslosenversicherung), die ihm für eine 30-Stundenwoche einen durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst von 800 bis 820€ zusichert. Die Bürgerarbeit gibt es ausschließlich im Non-Profit-Bereich und zielt darauf ab, regulären Tätigkeiten im Arbeitsmarkt keine Konkurrenz zu machen. Bis Dezember 2006 kamen 82 Personen in Bürgerarbeit [BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT (2006)]. Zur Verringerung der statistischen Arbeitslosigkeit trugen aber auch die rund 120 Arbeitslosen bei, die in Um- und Fortbildungsmaßnahmen gingen oder sich nach dem ersten Gespräch beim Arbeitsamt abmeldeten. Soweit Bürgerarbeit das sozialpolitische Ziel verfolgt, Menschen, die einer geregelten Tätigkeit nachgehen wollen, wieder eine Chance auf Arbeit zu geben, ist sie zu begrüßen. … Die über 80 Personen in Bad Schmiedeberg, die bislang von einer geregelten Tätigkeit ausgeschlossen waren, sind nun wieder vollständig integriert und leisten mit ihren Jobs in Krankenhäusern und Altenheimen einen wichtigen Beitrag. Da diese Arbeit … unbefristet sein soll, erhalten viele erstmals wieder eine längerfristige Perspektive. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit in Bad Schmiedeberg erklärt sich aber nur zum Teil durch die Bürgerarbeit. Ein erheblicher Teil des Erfolges ist auch darauf zurückzuführen, dass sich bislang arbeitslos gemeldete Hilfeempfänger einfach aus der Arbeitslosigkeit abmelden. Quantitativ liegen die Abmeldungen in etwa in derselben Größenordnung wie die Stellen in der Bürgerarbeit. Inwieweit diese Personen durch die verstärkte Aktivierung eine neue Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt gefunden haben oder sich – vor die Wahl gestellt – für die Schwarzarbeit entschieden haben, ist aus den vorliegenden Zahlen nicht ersichtlich. Das Beispiel Bad Schmiedeberg zeigt aber, dass verschärfte Zumutbarkeitsregeln … dazu führen, dass mancher Arbeitslose lieber auf diese Unterstützung verzichtet, als unter den angebotenen Bedingungen zu arbeiten. … Das Konzept der Bürgerarbeit bestätigt damit nur eindrucksvoll, was Ökonomen seit Jahren fordern, nämlich durch die Verknüpfung von staatlicher Unterstützung und öffentlicher Beschäftigungsgarantie sicherzustellen, dass das soziale Netz in Deutschland eng geknüpft ist und zugleich nur wirklich Bedürftige unterstützt werden. Bad Schmiedeberg zeigt, dass dies dann gesellschaftlich akzeptabel ist, wenn – wie hier in der Bürgerarbeit – im ausreichenden Maße Arbeitsangebote bereitstehen. Ohne dass dies jemals von offizieller Stelle thematisiert wurde, ist der Vorschlag damit den in der deutschen Politik verpönten Workfare-Konzepten de facto sehr nahe. Bürgerarbeit schafft nicht nur Arbeit, sondern entlastet kurzfristig auch die öffentlichen Kassen. Das ist zunächst einmal die zweite gute Botschaft. Die Rechnung ist denkbar einfach. Wer Bürgerarbeit leistet, kostet kaum mehr als ein Arbeitsloser. Die Einsparungen entstehen, weil sich ein Teil der Arbeitslosengeld-II-Bezieher, vor die Wahl gestellt, lieber aus der Arbeitslosigkeit abmeldet, als Bürgerarbeit zu leisten. Unter dem Strich bleibt ein Plus. Aber dieses Plus kann zum einen nicht verbergen, dass die Bürgerarbeit zu hundert Prozent aus staatlichen Mitteln finanzierte Arbeit ist. Gelänge es beispielsweise mit Hilfe von Kombilohnmodellen wie der aktivierenden Sozialhilfe [SINN et al. (2006)] oder der Magdeburger Alternative [SCHOEB und WEIMANN (2006)] die gleiche Anzahl von Arbeitsplätzen im ersten Arbeitsmarkt zu schaffen, so würde zumindest ein Teil des Lohnes durch den Markt finanziert und nicht durch den Staat. Der Einsparungseffekt wäre ungleich größer. Zum anderen wird das Plus nur dann Bestand haben, wenn tatsächlich sichergestellt ist, dass die Arbeit marktfern ist und damit keine reguläre Arbeit in die subventionierte Bürgerarbeit abgedrängt wird. Die Konkurrenz mit Arbeitskräften im ersten Arbeitsmarkt lässt sich aber nur vermeiden, wenn Arbeiten ausgewählt werden, die durch private Akteure in einer Marktwirtschaft nie erledigt würden. Allerdings gibt es wirklich marktferne Tätigkeiten praktisch kaum. Es gibt lediglich Tätigkeiten, die momentan vom Markt nicht erledigt werden, weil sie einfach zu teuer sind. Bei sinkenden Arbeitskosten ließen sich diese Leistungen durchaus über den Markt erbringen. Bürgerarbeit birgt daher die Gefahr, dass für den Fiskus wesentlich kostengünstigere Arbeitsplätze verdrängt werden und dass die Arbeit nicht in die bestmögliche Verwendung geht. Wer „Marktferne“ ernst meint, darf Bürgerarbeit im Grunde nur bei völlig unproduktiven Tätigkeiten zulassen – nur so kann man die Verdrängung regulärer Arbeit mit Sicherheit vermeiden. Je marktferner, also unproduktiver die Tätigkeit, desto teurer wird aber die Bürgerarbeit. Der Verdrängungseffekt der Bürgerarbeit darf nicht unterschätzt werden. Bei der Bürgerarbeit wird mit rund 6,50€ ein Bruttostundenlohn gezahlt, der über den Bruttostundenlöhnen einfacher Tätigkeiten in einigen ostdeutschen Branchen liegt. Über kurz oder lang wird sich eine Verlagerung von regulärer Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt hin zu den staatlich finanzierten Tätigkeiten in der Bürgerarbeit ergeben. … Die aktuelle Ausgestaltung der Bürgerarbeit verstärkt das Problem noch, indem nicht nur Langzeitarbeitslose Bürgerarbeit angeboten bekommen können, sondern auch Bezieher von Arbeitslosengeld I. Dem gleitenden Übergang von der marktlich entlohnten Beschäftigung zur 100% staatlich finanzierten Tätigkeit steht nichts mehr im Wege. Was bleibt unter dem Strich? Insgesamt ist die Bürgerarbeit sehr viel weniger revolutionär, als es auf den ersten Blick scheint. Denn das, was … zur „Erfolgsgeschichte“ beiträgt, ist keineswegs neu, sondern entspricht im Wesentlichen den ökonomischen Analysen und Vorschlägen der letzten Jahre. Zu loben ist, dass mit der Bürgerarbeit der Workfare-Gedanke in neuem und öffentlich akzeptiertem Gewand Eingang in die deutsche Politik gefunden hat. Damit aber auf Dauer nicht nur marktferne, sondern möglichst produktive Arbeitsplätze entstehen, bedarf es zusätzlicher weiterführender Maßnahmen zur Belebung des ersten Arbeitsmarktes. Die Vorschläge (z. B. Aktivierende Sozialhilfe, Magdeburger Alternative) liegen längst auf dem Tisch und hinsichtlich der Einschnitte ins soziale Netz sind sie sogar moderater. Die Bürgerarbeit mit ihrer konsequenten Umsetzung des Workfare-Gedankens könnte in diesen umfassenderen arbeitsmarktpolitischen Konzepten eine sinnvolle, gesellschaftlich akzeptierte Rolle spielen – als alleiniges arbeitsmarktpolitisches Instrument taugt sie jedoch nicht. “ Prof. Marcel Thum Lehrstuhl für Finanzwissenschaft, TU Dresden Leiter der Niederlassung Dresden ifo Institut für Wirtschaftsforschung Einsteinstr. 3 01069 Dresden Telefon: +49(0)351/264 76-0 (ifo Dresden)

http://www.ifo.de

Quelle: ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Niederlassung Dresden

Dokumente: ifoDD_07_02_37_38_Schoeb.pdf

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