Jugendsozialarbeit trifft Betriebe

DOKUMENTATION EINER FACHTAGUNG Benachteiligte Jugendliche müssen einen Fuß in die Tür kriegen Ausbildungsplätze für Jugendliche mit schlechtem Schulabschluss sind Mangelware. Über 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche leben in Deutschland auf Grundsicherungsniveau. Mehr als neun Prozent der Schulabgänger(innen) erreichen keinen Hauptschulabschluss, zwölf Prozent der Arbeitslosen sind junge Menschen unter 25. Laut Arbeitsagentur stieg der Anteil der jugendlichen „Altbewerber‘ um Lehrstellen insbesondere bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund weiter an. Die Betriebe klagen über immer mehr nicht ausbildungsreife Jugendliche. Doch wie können jugendliche Schulverweigerer und Ausbildungsabbrecher, Jungen und Mädchen mit sozialen, Lern- und Motivationsproblemen heute überhaupt noch einen Fuß in die Arbeitswelt bekommen? Eine Möglichkeit, die auch von den Betrieben immer noch als geeignetes beiderseitiges Testverfahren angesehen werde, sind Praktika. Doch Praktika gehörten mittlerweile für fast alle jungen Menschen zu Berufsfindung und Berufseinstieg dazu: Die Motivation, Jugendliche mit Vermittlungshemmnissen zu betreuen, sei aufgrund der gut qualifizierten Konkurrenz erheblich gesunken. Immerhin werde die demografische Entwicklung mittelfristig dafür sorgen, dass sich die Unternehmen im eigenen Interesse um die Integration auch benachteiligter Jugendlicher kümmern müssten. Sie benötigten hierbei jedoch die fachliche Unterstützung der Jugendberufshilfe. In Kooperation mit IN VIA Katholische Mädchensozialarbeit Deutscher Verband e.V. und der Befähigungsinitiative des Deutschen Caritasverbandes e.V. führte die Fortbildungs-Akademie am 8./9. März 2007 in Fulda eine Fachtagung mit dem Titel „Jugendsozialarbeit trifft Betriebe“ durch. Die Fachtagung „Jugendsozialarbeit trifft Betriebe‘ zeigte, wie Unternehmen dafür gewonnen werden können, auch benachteiligten Jugendlichen eine Chance zu geben. Die Tagung bot Raum, um sich mit Vorträgen aus Sicht der Jugendsozialarbeit, der eines Unternehmens, der Bundesagentur für Arbeit und der Praxis auseinanderzusetzen. Anhand verschiedener Praxisbeispiele wurde in Fulda gezeigt, wie in der konkreten Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfeträgern und Unternehmen Jugendliche, die sonst kaum Chancen hätten, Zugang zu Betrieben finden. In den Diskussionen wurde die Bedeutung einer professionellen und auf möglichst hoher Ebene angesiedelten politischen Lobbyarbeit für Kooperationsprojekte von Jugendberufshilfe und Unternehmen hervorgehoben. Immer wieder angesprochen wurde die Frage nach dem möglichen Nutzen von Teilqualifizierungen und einer modularisierten Ausbildung. Einige Teilnehmer befürworteten das Angebot zertifizierter Kurzlehrgänge für bestimmte Tätigkeiten. Auszüge aus der Tagungsdokumentation: “ … *ANGEBOTE DER JUGENDBERUFSHILFE KOOPERATION MIT BETRIEBEN UND GEGENSEITIGE ERWARTUNGEN … WAS ERWARTEN BETRIEBE UND UNTERNEHMEN VON DER JUGENSDBERUFSHILFE? Betriebe haben drei zentrale Erwartungen an die Kooperation mit Trägern der JSA: 1. Risiken vermeiden • Durch professionelle Auswahl und Vorbereitung der Jugendlichen sowie Ausbildungsbegleitung wird das Ausbildungsrisiko minimiert. 2. Entlastung herstellen • Entlastung von Formalia, Unterstützung bei der Beantragung von Fördermitteln, Professioneller Coach bei fachlichen und sozialen Krisenlagen 3. Gewinn für den Betrieb realisieren (Profit und Non-Profit) • Monetäre Förderung, Arbeitsleistungen der Auszubildenden, Zuwachs an Sozialprestige, Beitrag zur Personalentwicklung *ANFORDERUNGEN AN BERWERBER/-INNEN Hintergründe, Beschäftigungsfelder und Förderstrategien Betriebsbefragung Ganz weit vorn: • Leistungsmotivation / Interesse • Zuverlässigkeit (Pünktlichkeit, verlässliche Aufgabenerfüllung) • Flexibilität (für neue / wechselnde Aufgaben) Im mittleren Bereich (mit Schwankungen je nach Tätigkeitsfeld) • Soziale und kommunikative Kompetenzen • Schulabschluss • Äußeres Erscheinungsbild Deutlich weniger wichtig: • Fachlich-berufliche Vorkenntnisse (fachliche Anforderungen werden über Anlernung vermittelt) VON DEN BETRIEBEN IN ANSPRUCH GENOMMENE HILFE UND UNTERSTÜTZUNGSLEISTUNGEN Lernhilfen während der Ausbildung 85,0% Vorauswahl der Jugendlichen 40,9% Hilfe in Konfliktfällen während der Ausbildung 37,2% Organisiert Fördermittel 34,0% Vorbereitung der Jugendlichen auf die Ausbildung 30,0% Hilft dem Betrieb bei den Formalia der Berufsausbildung 22,7% Leistungen d. Trägers können auch die „anderen“ Azubis nutzen 22,3% Leistet Beitrag zur Presse-/Öffentlichkeitsarbeit des Betriebs 9,3% Hilft dem Betrieb beim Zugang zur Berufsausbildung 8,0% Berät den Betrieb in der Personalentwicklung 1,4% KONSEQUENZEN FÜR DIE ARBEIT DER TRÄGER DER JUGENDBERUFSHILFE: Empfehlungen zur Umsetzung • Pool von Betrieben aufbauen oder einzelne Betriebe gezielt auswählen und ansprechen • Professionelles, selbstbewusstes und dienstleistungsorientiertes Auftreten • Den Betrieb kennen lernen, sich in den Betrieb hinein versetzen, vertrauensbildende Maßnahmen, „Kultur“ des Betriebes berücksichtigen • Passgenaue Vermittlung: sorgfältiger Abgleich von Bewerber/-innenprofil und Stellenprofil • Praktika mit den Teilnehmer/-innen gründlich vorbereiten, dadurch Negativerfahrungen vermeiden • größten gemeinsamen Nenner finden/ Erwartungen abgleichen • Betriebe wünschen fall- und bedarfsorientierte Hilfe- und Unterstützungsoption, aber keine zusätzliche, sozialpädagogische Arbeitsebene • konkrete Angebote machen (Formalia abnehmen, „Feuerwehr“ im Konfliktfall, Begleitung während der Ausbildung, Nachhilfe organisieren,…) • Zusammenarbeit verbindlich vereinbaren • Vertrag abschließen • Kontakt pflegen … “ * REDEBEITRAG GERHARD LUX Gerhard Lux vom Bund Katholischer Unternehmer (BKU) und Geschäftsführer der Lux Personal & Kommunikation bestätigte die Bedeutung einer zielgerichteten und professionellen Akquise, die er zugleich als ‚Kärnerarbeit‘ bezeichenete. Er hob hervor, dass die Arbeit der Jugendberufshilfe an die örtlichen Bedingungen gebunden sei. Grundaussage seines Vortrags war: ‚Engagement in der Jugendsozialarbeit ist wirtschaftliche Notwendigkeit – der positive gesellschaftliche Effekt ist lediglich eine Folge davon.‘ “ … Der derzeitige wirtschaftliche Aufschwung wird von einer Reihe gesellschaftlicher Problemstellungen überschattet. So stehen dem internationalen Wettbewerbsdruck, den gestiegenen Kundenanforderungen sowie dem hohen Fachkräftebedarf sinkende Schulabgängerzahlen und eine immer schlechter werdende Vorqualifizierung von Auszubildenden gegenüber. … Angesichts dieser Problematik verweist Gerhard Lux auf die ursprüngliche Rolle von Unternehmen. Das originäre Ziel von Unternehmen ist es, Gewinn zu erwirtschaften und damit die Existenz des Unternehmens zu sichern. Jede unternehmerische Entscheidung ist aus diesem Blickwinkel der Eigenverantwortung zu betrachten und zu bewerten. So ist auch strategische Personalplanung unerlässlich … Das Engagement der Unternehmen im Bereich der Jugendsozialarbeit stellt damit nicht nur eine imageträchtige Sondermaßnahme dar, sondern eine existenzielle Notwendigkeit. Dabei dürfen Unternehmen nicht allein auf staatliche Hilfe oder das Engagement von Non-Profit-Unternehmen setzen. Es gilt selbst aktiv zu werden, um verborgene Potenziale von Jugendlichen aufzudecken und Jugendliche zu mehr Leistungsbereitschaft zu motivieren. Dies beginnt bereits in der Berufsorientierung mit Informations- und Aufklärungsangeboten über Ausbildungsberufe, Betriebspraktika und Betriebserkundungen und geht bis zu Einstiegsqualifizierungsangeboten für schwervermittelbare Jugendliche. Dabei gilt es, enge und intensive Kontakte zu den Schulen und Trägern der Jugendsozialarbei zu knüpfen und zu pflegen. Die Zusammenarbeit kann nur funktionieren, wenn sich alle Akteure auf einen offenen und fairen Dialog auf gleicher Augenhöhe einlassen. … Stimmt die Qualität der Zusammenarbeit, können präventiv die richtigen Weichen für die Zukunft gestellt werden. Dies immer mit dem Anspruch, dass aus Jugendlichen erst gar keine Benachteiligten oder Schwervermittelbare werden. … “ * GESETZLICHE GRUNDLAGEN UND FÖRDERPROGRAMME FÜR AUSBILDUNGSFÖRDERNDE MAßNAHMEN SCHWERPUNKT: ZUSAMMENARBEIT MIT BETRIEBEN Uwe Vogt von der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit stellte Föerdermöglichkeiten über die Arbeitagentur vor und erläuterte weitere Planungen: “ … PROGRAMM ZUR VERBESSERUNG DER AUSBILDUNGSCHANCEN JUNGER MENSCHEN IM HAUSHALTSJAHR 2007 – Schwerpunkt: Stärkere Ausrichtung auf präventive Maßnahmen in Schulen sowie Abbau des Altbewerberbestandes durch – Bereitstellung zusätzlicher Berufsausbildungsplätze in außerbetrieblichen Einrichtungen – Beteiligung an der Finanzierung präventiver Ansätze für Schüler in gemeinsamer Verantwortung mit den Ländern – Bereitstellung zusätzlicher Mittel: 220 Mio. € Ausgabemittel 2007 und 363 Mio. € Verpflichtungsermächtigungen Bereitstellung zusätzlicher Berufsausbildungsplätze in außerbetrieblichen Einrichtungen – 2.500 Plätze mit Beginn im Februar 2007 – Möglichkeit, mindestens 7.500 weitere Plätze mit Beginn im Herbst 2007 einzurichten – zusätzlich zu den bereits geplanten 17.300 Eintritten Verstärktes Engagement bei präventiven Ansätzen durch – Intensive Nutzung des Instruments der vertieften Berufsorientierung (§ 33 SGB III) – Modellprojekte zur Verbesserung des Übergangs von Schule in Ausbildung durch gezielte frühzeitige Förderung … Ziele der vertieften Berufsorientierung sind z.B. – Vertiefte Eignungsfeststellung – Verbesserung des Entscheidungsverhaltens – Vertiefung berufs-/ betriebskundlicher Kenntnisse und Erfahrungen Geeignete Methoden können sein – Frühzeitiger Einsatz von Kompetenzfeststellungsverfahren – Auf die Ergebnisse der Kompetenzfeststellung ausgerichtete individuelle Förderplanung – Sozialpädagogische Begleitung – Einbindung des Lernortes Betrieb … Im Rahmen von ausgewählten Modellprojekten soll nach Wegen gesucht werden, durch frühzeitige Förderung von Schülern, bei denen das Erreichen von Schulabschluss bzw. Ausbildungsreife zweifelhaft ist, den Übergang in Ausbildung zu verbessern. • Ziel ist auch, zu untersuchen, inwieweit durch den frühzeitigen Mitteleinsatz spätere kostenintensive (Nach-) Qualifizierungsmaßnahmen, insbesondere Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen entbehrlich werden. … AUSBILDUNGSBEGLEITENDE HILFEN GEM. § 241 ABS. 1 SGB III Stand des Vergabeverfahrens: • geplanter Veröffentlichungstermin 28.03.2007 • Beginnzeitpunkte: 01.08/ 01.09/ 01.10.07 • Vertragslaufzeit zunächst für 12 Monate • Verlängerungsoption für weitere 12 Monate … Kooperation mit Betrieben: Die Inhalte der Qualifizierung im Rahmen von abH sind mit dem ausbildenden Betrieb abzustimmen. Der Betrieb ist bei auftretenden Schwierigkeiten sowie bei erheblichen Fehlzeiten einzuschalten. … AKTIVIERUNGSHILFEN GEM. § 241 ABS. 3a SGB III Ziel: Maßnahmen der Aktivierungshilfen stellen ein niederschwelliges Angebot im Vorfeld von Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung dar. Sie richten sich an Jugendliche, die auf andere Weise nicht erreicht werden können, um sie für eine berufliche Qualifizierung zu motivieren. Zur förderungsfähigen Zielgruppe gehören Jugendliche und junge Erwachsene ohne berufliche Erstausbildung, die die allgemeine Schulpflicht erfüllt haben. Dauer: Die Teilnahmedauer ist individuell festzulegen und beträgt in der Regel 6 Monate. Förderung: Eine Förderung ist nur möglich, wenn Dritte sich mindestens zur Hälfte an der Finanzierung beteiligen (SGB III-Jugendliche) Jugendliche aus dem Rechtskreis SGB II können durch die Träger der Grundsicherung zu 100 % gefördert werden. … SOZIALPÄDAGOGISCHE BEGLEITUNG BEI BERUFSAUSBILDUNGSVORBEREITUNG NACH DEM BBiG (§ 421m SGB III) … Das Engagement von Betrieben in der Berufsausbildungsvorbereitung soll dadurch gefördert und die Chance benachteiligter Jugendlicher auf einen Ausbildungsplatz erhöht werden. … Förderung: Der gesetzliche Auftrag der BA beschränkt sich nach § 421m SGB III auf die Erstattung der den Betrieben entstehenden Kosten. Eine gesetzliche Ermächtigung zur Bereitstellung entsprechender Leistungen durch eine Beauftragung von Bildungsträgern durch die BA liegt nicht vor. Eine Förderung der sozialpädagogischen Begleitung ist nur möglich, wenn • diese von Sozialpädagogen mit abgeschlossenem Studium der Sozialpädagogik/-arbeit oder alternativ von einem staatlich anerkannten Erzieher mit Abschluss und einschlägiger Zusatzqualifikation oder Berufserfahrung in der Berufsvorbereitung durchgeführt wird und – hierzu externe Fachkräfte in Anspruch genommen werden. Die Kostenerstattung erfolgt pauschal mit monatlich 213,- €. … SCHLUSSFOLGERUNGEN FÜR DIE BA: – Es müssen verstärkte Anstrengungen unternommen werden, mittelfristig mehr betriebliche Ausbildungsplätze auch für den Personenkreis der benachteiligten Jugendlichen zu erschließen. – Um dieses Ziel zu erreichen, hat der Verwaltungsrat der BA eine Neuausrichtung der Förderpraxis für benachteiligte Jugendliche beschlossen. Hierbei geht es insbesondere um folgende Vorschläge: * Organisatorische Unterstützung von Arbeitgebern bei der betrieblichen Ausbildung benachteiligter Jugendlicher (Ausbildungsmanagement), * Organisatorische Unterstützung von Arbeitgebern bei der betrieblichen Ausbildungsvorbereitung, * Finanzielle Eingliederungshilfen für benachteiligte Jugendliche in betrieblicher Ausbildung. Diese Neuausrichtung setzt gesetzliche Änderungen im SGB III voraus. WEITERE RECHTLICHE ÄNDERUNGSVORSCHLÄGE WERDEN DISKUTIERT: – befristeter Verzicht auf die zwingende Vorschaltung von 6 Monaten BvB vor Beginn von BaE – Erweiterung des § 33 SGB III für Projekte im Rahmen der Prävention beim Übergang Schule – Beruf – Integration der Übergangshilfen (§ 241 Abs. 3 SGB III) in abH und BaE – Pauschalierung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages in BaE (§ 244 SGB III) – Streichung der gesonderten Maßnahmen zur Fortbildung des Trägerpersonals – Streichung der gesonderten Rechtsgrundlagen für Instrumente, die nur in geringem Umfang genutzt werden (Produktstraffung). “ Die Dokumentation in ihrem vollen Umfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.

Quelle: Quelle: Neue Caritas Heft 8, 30.April 2007, IN VIA Katholische Mädchensozialarbeit Deutscher Verband

Dokumente: Dokumentation_Jugendsozialarbeit_Maerz2007.pdf

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