Arbeitsmigration von Ost nach West

WESTEUROPA PROFITIERT VON DER ZUWANDERUNG Millionen Menschen aus Osteuropa haben sich in der Hoffnung auf höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen nach Westeuropa aufgemacht. Welche Auswirkungen hat die Abwanderung für die osteuropäischen Länder, welche Folgen für Wirtschaft und Alltag in Westeuropa? Auszüge aus einem Bericht von Berthold Forssman: “ Erlebt Europa eine Art Völkerwanderung, fragte der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk im Sommer 2006 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. ‚Werden manche Regionen sich völlig entvölkern? So wie der Osten Polens, wie der Süden Italiens?‘ Der europäische Einigungsprozess hat zunehmend Binnenwanderung zur Folge: Viele Portugiesen arbeiten in Spanien, seit 2007 strömen Rumänen und Bulgaren nach Italien und Spanien, wohingegen Großbritannien und Irland seit 2004 besonders attraktiv für Polen, Letten oder Litauer geworden sind. Der Trend der binneneuropäischen Wanderung geht eindeutig von arm nach reich und von Ost nach West. Laut Eurostat hat allein die Zahl der Rumänen und Bulgaren, die im europäischen Ausland arbeiten, in diesem Jahr die Millionengrenze überschritten. … * Westeuropa profitiert von Zuwanderung Trotz aller Warnungen hat die Wirtschaft Westeuropas bislang von der Zuwanderung profitiert. Der britische Unternehmer Roland Rudd wies … darauf hin, dass die große Mehrheit der Forschungen ergibt, dass Migration Vorteile hat: ‚Laut einer Studie zum Beispiel kann ein Bevölkerungswachstum durch Migration von einem Prozent ein Wachstum des BIP von 1,5 Prozent auslösen.‘ Vor allem Branchen wie Gastronomie, Medizin, Landwirtschaft oder Einzelhandel rekrutieren ihren Bedarf an Arbeitskräften unter den Immigranten aus Osteuropa. Immer mehr westeuropäische Länder sind inzwischen dem Beispiel von Großbritannien, Irland und Schweden gefolgt und haben ihre Arbeitsmärkte geöffnet, darunter Finnland, Portugal und Spanien. Der belgische Politikwissenschaftler Rik Coolsaet riet … zur Gelassenheit: ‚Immigranten und Einheimische sind keine Konkurrenten um dieselben Arbeitsplätze (soll heißen: sie nehmen uns nicht ‚unsere‘ Arbeitsplätze weg). Natürlich verläuft Immigration nicht problemlos… Die heutige Situation ist nicht schlimmer als früher. Vor einem Jahrhundert wanderte ein Zehntel der Weltbevölkerung, heute sind es nur drei Prozent.‘ * Arbeit – zu welchen Bedingungen? Neben den wirtschaftlichen Vorteilen werden auch Schattenseiten der Migration deutlich. So drohen die billigen Lohnarbeiter aus dem Osten, die ortsüblichen Westtarife auszuhebeln und soziale Errungenschaften in Frage zu stellen. Die Arbeitskräfte aus Osteuropa werden dabei oft selbst ausgebeutet, stellte Paul Laverty bei den Recherchen für einen Film über das Schicksal polnischer Arbeiter in Großbritannien fest. Er schrieb am 24. September 2007 im Guardian: ‚Nachdem ich diese Geschichten gehört hatte, schien es auf einmal, als hätten sich all die Gesetze für Gesundheit und Arbeitsschutz in einer Rauchwolke aufgelöst, zusammen mit allen gewerkschaftlichen Errungenschaften aus den letzten 150 Jahren.‘ Oft übersehen Westeuropäer, dass die Abwanderung für die Staaten Osteuropas enorme Probleme mit sich bringt. Längst kommen nicht mehr nur Erdbeerpflücker und Spargelstecher, Bauarbeiter oder der berühmte polnische Klempner nach Westeuropa, sondern zunehmend auch Hochqualifizierte wie Ärzte, Architekten und Ingenieure. … * Arbeitskräftemangel in Osteuropa In vielen von Abwanderung betroffenen osteuropäischen Ländern gibt es inzwischen Arbeitskräftemangel, der sich massiv verstärken könnte, wenn 2011 sämtliche EU-Länder ihre Arbeitsmärkte öffnen müssen. … ‚ Manchmal würden Auswanderer bereits als Vaterlandsverräter betrachtet, stellte Monika Bonckute am 26. September 2007 in der litauischen Zeitung Lietuvos rytas fest. Die baltischen Länder haben inzwischen Gegenmaßnahmen ergriffen und rekrutieren selbst Arbeitskräfte aus dem Ausland. Allerdings sind die Löhne für Bürger aus den alten EU-Staaten nicht attraktiv genug, weshalb die Anwerbung von Arbeitnehmern aus noch ärmeren EU-Ländern, aus Gus-Staaten wie der Ukraine oder gar aus Fernost erfolgt. … Werbeaktionen zur Rückholung ausgewanderter Arbeitskräfte seien bislang wenig erfolgreich gewesen, stellte die estnische Zeitung Postimees am 11. Oktober 2007 fest: ‚Der Arbeitskräftemangel ist so stark fühlbar, dass die politischen Führer endlich… einen Appell an die Hunderttausende von Wirtschaftsemigranten richteten.‘ Statt allgemeine Appelle in die Welt zu schicken, so die Zeitung, solle die Regierung mehr Wert auf die Schaffung menschenwürdiger Lebens- und Arbeitsbedingungen im eigenen Land legen. … * Gibt es einen Annäherungsprozess? Die Migration hat natürlich auch einen interkulturellen Aspekt. So haben polnische Arbeitnehmer in Großbritannien begonnen, sich in eigenen Gewerkschaften zu organisieren, britische Läden haben polnische Waren ins Sortiment aufgenommen. … Umgekehrt können nach Ansicht von Witold Gadomski auch die alten EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich von ihren osteuropäischen Nachbarn lernen. Er hielt am 5. Mai 2007 in der polnischen Gazeta Wyborcza fest: ‚Zu einer wirklichen Integration der EU kommt es erst, wenn eine große Wanderung der europäischen Völker beginnt – in einem viel größerem Ausmaß als die heutige Arbeitsmigration aus Mitteleuropa.‘ “

http://www.eurotopics.net

Quelle: Europäische Presseschau eurotopics

Ähnliche Artikel

Skip to content