Erwerbstätige Leistungsbezieher im SGB II

AUFSTOCKER – BEDÜRFTIG TROTZ ARBEIT Viele Menschen beziehen gleichzeitig Erwerbseinkommen und Sozialleistungen, vor allem geringfügig Beschäftigte – Vollzeitbeschäftigte können ihre Bedürftigkeit meist schnell überwinden Politik und Forschung beschäftigen sich seit einiger Zeit intensiv mit den sogenannten Aufstockern. Diese beziehen neben ihrem Einkommen aus Erwerbstätigkeit Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), um das soziokulturelle Existenzminimum zu erreichen. So vielfältig wie die Ursachen hierfür sind, so unterschiedlich müssen auch die Lösungsansätze sein. Erste Forschungsergebnisse zum Thema „Aufstocker“ sollen die Suche nach Problemlösungen unterstützen. Ein Kurzbericht des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung untersucht Umfang und Dauer der Erwerbstätigkeit bei gleichzeitiger Bedürftigkeit nach dem SGB II. Auszüge aus dem Bericht: “ Aufstocker sind erwerbstätige Leistungsempfänger. Sie stocken entweder ihr Einkommen aus Erwerbstätigkeit mit Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) auf, um das soziokulturelle Existenzminimum zu erreichen. Oder sie ergänzen ihre Sozialleistungen – meist aus geringfügigem Erwerbseinkommen – mit einem eigenen Beitrag zum Lebensunterhalt und entlasten damit das Sozialsystem. Die Ursachen für dieses Phänomen sind vielfältig: Menschen mit geringer Qualifikation erreichen auch bei Vollzeitbeschäftigung häufig nur ein Erwerbseinkommen, das unterhalb des Existenzminimums liegt. Aber auch bei Vollzeitbeschäftigten mit höheren Verdiensten kann aufgrund hoher Mieten oder der Familiengröße das Einkommen zur Existenzsicherung des Haushalts nicht ausreichen. Eine Zunahme der Beschäftigung in Niedriglohnbereichen verstärkt dieses Problem. Andere Aufstocker üben nur eine Teilzeitbeschäftigung aus, die aufgrund geringer Arbeitsstunden nicht bedarfsdeckend sein kann. In der öffentlichen Diskussion wird oft die These vertreten, Leistungsbezieher richteten sich mit einer geringfügigen Beschäftigung dauerhaft im Leistungsbezug ein. Die Freibetragsregelungen könnten es für manche Leistungsbezieher vorteilhafter erscheinen lassen, mit geringem Arbeitsaufwand, SGB-II-Leistungen und Freibeträgen ein Netto-Einkommen zu erzielen, das bei niedriger Entlohnung in einem Vollzeitjob kaum erreichbar wäre … . Entsprechend der vielfältigen Problemlagen werden in der Politik verschiedene Ansätze diskutiert, um die Bedürftigkeit erwerbstätiger Menschen zu vermeiden. Aktuelle Beispiele sind die Forderungen nach Mindest- oder Kombilöhnen, nach Absenkung von Sozialabgaben für Geringverdiener, nach höheren Arbeitsanreizen im SGB II durch Verringerung der Freibeträge … ERWERBSTÄTIGE LEISTUNGSBEZIEHER 2005 Im Jahr 2005 bezogen monatlich im Durchschnitt ca. 880 Tsd. Erwerbstätige Unterstützungsleistungen nach dem SGB II. Dies entspricht 17,5 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsbezieher. Der Anteil variiert zwischen West- und Ostdeutschland mit 17,8 Prozent und 17,2 Prozent kaum. Die Mehrheit der Erwerbstätigen ging einer geringfügigen Beschäftigung nach, gefolgt von Voll- und Teilzeitbeschäftigung. Die Zahl der erwerbstätigen Leistungsbezieher nahm während des Jahres 2005 deutlich zu: Von Januar bis Dezember stieg die Zahl der Aufstocker um 222 Tsd. (30 %) auf 969 Tsd. … Dieser Trend setzte sich in den Folgemonaten fort: Aktuelle Auswertungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigen, dass im Januar 2007 ca. 1,278 Mio. Erwerbstätige Leistungen aus der Grundsicherung bezogen. Kombinierte Auswertungen von Beschäftigungszeiten und Zeiten mit Leistungsbezug ermöglichen es nun, den zeitlichen Aspekt des Aufstockens zu untersuchen. Sie zeigen, dass insgesamt ca. 2,1 Mio. verschiedene Personen zumindest für kurze Zeit während des Leistungsbezuges im Jahr 2005 auch beschäftigt waren. Allerdings waren nur etwa 325 Tsd. Leistungsbezieher ganzjährig erwerbstätig, davon 56 Prozent geringfügig. Die Jahreszeitraumbetrachtung verdeutlicht, dass weit mehr Menschen aufstockende Leistungen beziehen, als es die Stichtagsauswertungen vermuten lassen. Der „Umschlag“ der Aufstocker ist groß, und die Dauer des gleichzeitigen Bezugs von SGB-II-Leistungen und Erwerbseinkommen ist überwiegend kurz. Um die Problematik und das Ausmaß von Erwerbstätigkeit und Bedürftigkeit besser einordnen zu können, müssen Antworten auf folgende Fragen gesucht werden: * Wie viele Menschen schaffen es nicht, das eigene Existenzminimum oder das ihres Haushaltes dauerhaft aus ihrem Erwerbseinkommen zu bestreiten? Bei wie vielen Menschen trifft dies auch mit einem größeren Erwerbsumfang zu? * Warum handelt es sich beim gleichzeitigen Bezug von Leistung und Erwerbseinkommen häufig nur um eine kurzfristige Situation? • Ist bei kurzfristigen Aufstockern mit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ein gleitender Ausstieg aus dem Leistungsbezug verbunden? Ist dieser Ausstieg von Dauer oder kehrt der Erwerbstätige schon bald wieder in den Leistungsbezug zurück („Drehtüreffekt“)? • Handelt es sich bei kurzfristigen Aufstockern eher um Leistungsbezieher mit kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen, bei denen das Erwerbseinkommen nur für kurze Zeit einen Beitrag zum Bedarf des Haushaltes leistet? Für umfassende Antworten auf diese Fragen sind Beobachtungen über längere Zeiträume erforderlich. Bisher sind Auswertungen nur für das Jahr 2005 möglich, die jedoch erste Tendenzen zur Dauer aufzeigen sowie Hinweise auf besondere Problemlagen bei spezifischen Fallkonstellationen geben. DAUER DES AUFSTOCKENS Zunächst wird der Zeitraum betrachtet, in dem gleichzeitig Leistungen der Grundsicherung und Einkommen aus Erwerbstätigkeit bezogen werden. Insgesamt gab es 2,14 Mio. Personen, die im Jahr 2005 trotz Erwerbstätigkeit zumindest zeitweilig auf SGB-II-Leistungen angewiesen waren. Von diesen Erwerbstätigen hatten 66 Prozent nur ein Beschäftigungsverhältnis während des Jahres 2005. 34 Prozent der Personen hatten jedoch mindestens zwei Beschäftigungsverhältnisse, die nacheinander, gelegentlich auch parallel, bestanden. Ende Dezember 2005 gab es ca.1 Mio. Aufstocker, bei denen über die Fortdauer von Beschäftigung und Leistungsbezug gegenwärtig noch keine Aussage gemacht werden kann. Von den 2,14 Mio. Personen, die im Jahr 2005 trotz Erwerbstätigkeit zumindest zeitweilig auf SGB-II-Leistungen angewiesen waren, beendeten 722 Tsd. (34 %) den gleichzeitigen Bezug bereits nach weniger als vier Monaten. Insgesamt konnte bei 983 Tsd. Personen eine Aufstockungszeit von weniger als vier Monaten beobachtet werden … Verbleibswahrscheinlichkeit Im Folgenden verlassen wir die Personenebene und betrachten Aufstockungsepisoden, die nach Januar 2005 begonnen haben. … Je nach Beschäftigungsart enden die Aufstockungsepisoden unterschiedlich schnell. Man sieht auch, dass die Dauer des Aufstockens bei Vollzeitbeschäftigung deutlich kürzer, bei geringfügiger Beschäftigung länger als der Durchschnitt ist. Nur etwa 9 Prozent der Vollzeitbeschäftigten, aber 22 Prozent der geringfügig Beschäftigten sind nach zehn Monaten immer noch SGB-II-Leistungsempfänger. In der Kombination von SGB-II-Leistungsbezug und Erwerbstätigkeit sind folgende Konstellationen zu unterscheiden, die zu kurzfristigen Aufstockungen führen. 1. Während der Beschäftigung eines Hauptverdieners entsteht eine kurzfristige Notlage, die durch Leistungen aus der Grundsicherung überbrückt wird. … 2. Während des Leistungsbezugs wird ein Beschäftigungsverhältnis von kurzer Dauer ausgeübt. … 3. Bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit kann die erste Gehaltszahlung aus der Erwerbstätigkeit erst im Folgemonat eintreffen und der Leistungsbezieher bleibt deshalb noch einen Monat lang im Leistungsbezug. … 4. Eine Erwerbstätigkeit muss nicht zum Ende des Monats auslaufen. Wenn das Gehalt nicht für den vollen Monat gezahlt wird und wegen kurzer Beschäftigungszeiten kein Anspruch auf Arbeitslosengeld I erworben wurde oder dieses zur Deckung des Bedarfs nicht ausreicht, müssen in diesem Monat zusätzlich SGB-II-Leistungen bezogen werden (Einstiegsszenario). GRÜNDE FÜR DIE BEENDIGUNG DES AUFSTOCKENS Sind aufstockende SGB-II-Leistungen also eher Überbrückungszahlungen bei Ausstieg aus der Bedürftigkeit? Oder bildet das Erwerbseinkommen nur ein zeitlich begrenztes Zubrot bei fortbestehender Bedürftigkeit? … 20 Prozent der Episoden von Erwerbstätigkeit mit Leistungsbezug enden bereits innerhalb des ersten Monats. Dabei fällt zu gleichen Teilen die SGB II- Leistung bzw. das Erwerbseinkommen weg. Danach nimmt die Beendigung des Leistungsbezugs stärker zu. Während bei 60 Prozent der Episoden die SGB-II-Leistungen bei andauernder Beschäftigung eingestellt werden, fällt bei 40 Prozent das Erwerbseinkommen bei Fortdauer der SGB-II-Leistung weg. Bei vielen kurzfristigen Aufstokkungsepisoden handelt es sich offenbar um Überbrückungszahlungen bei einem – zumindest zeitweiligen – Ausstieg aus dem Leistungsbezug. … Bei einer Vollzeitbeschäftigung endet der Leistungsbezug häufig bereits in den ersten Monaten. Nach zehn Monaten beträgt die Wahrscheinlichkeit, weiter vollzeitbeschäftigter Aufstocker zu sein, nur noch 14 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit für die Beendigung der Beschäftigung liegt bei 23 Prozent, für den Ausstieg aus der Hilfebedürftigkeit bei 63 Prozent. Bei einer geringfügigen Beschäftigung entfällt die Leistung dagegen nur selten. Die Wahrscheinlichkeit für einen Parallelbezug von Erwerbseinkommen und SGB-II-Leistungen über mehr als zehn Monate beträgt bei geringfügig Beschäftigten ca. 30 Prozent. Während mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp 50 Prozent in dieser Zeit die Beschäftigung endet, fällt bei 20 Prozent die Leistung weg. Da die Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung eigentlich nicht bedarfsdeckend sein können, muss sich das Haushaltseinkommen durch Ausweitung der Beschäftigung, Arbeitsaufnahme des Partners oder Veränderung der Haushaltszusammensetzung verbessert haben. In der kurzfristigen Betrachtung sprechen die Auswertungen häufiger für Änderungen im Haushalt … ZUSAMMENSETZUNG DER GRUPPE Die bisherigen Ergebnisse zur Dynamik unter den Aufstockern fallen für verschiedene Gruppen sehr unterschiedlich aus: Die Mehrheit der Aufstocker ist geringfügig beschäftigt. Sie verbleiben häufig relativ lange im Leistungsbezug und der Abgang daraus gelingt – innerhalb des kurzen Beobachtungszeitraums – relativ selten. Die Mehrheit der Vollzeiterwerbstätigen bezieht nur kurzfristig ergänzende Leistungen nach SGB II. Diese Aufstocker verlassen häufig den Leistungsbezug kurz nach Beginn des Aufstockens. Der kleinere Teil von ihnen übt hingegen nur ein kurzfristiges Beschäftigungsverhältnis aus. Von den Vollzeiterwerbstätigen ist nur ein kleiner Teil über einen längeren Zeitraum auf den ergänzenden Bezug von Leistungen angewiesen. Bedürftigkeit trotz Arbeit hängt also ab von Art und Dauer der Beschäftigung sowie von Einkommen und Haushaltskontext. … Vollzeitbeschäftigte, die länger als neun Monate im Jahr 2005 Leistungen bezogen, gab es ca. 127 Tsd., davon leben 80 Prozent in einem Paarhaushalt. Ca. 51 Prozent der Beschäftigten leben in Paarhaushalten mit Kindern und 29 Prozent haben keine Kinder. Der erhöhte Bedarf durch den Partner, Kinder und höhere Kosten der Unterkunft sowie eine fehlende Erwerbstätigkeit des Partners lassen auf die Ursache dieses hohen Anteils schließen. Unter den kurzfristigen Leistungsbeziehern mit Vollzeiterwerbstätigkeit sieht die Verteilung über die Bedarfsgemeinschafts-Typen anders aus. Die Mehrheit (55 %) ist hier alleinstehend. … Eine große Gruppe bilden Teilzeitbeschäftigte und geringfügig Tätige. Vor allem unter Teilzeitbeschäftigten dominiert der Frauenanteil, entsprechend sind hier auch Alleinerziehende stärker vertreten. … Die Einsatzbranchen der Aufstocker: Bei den Vollzeitbeschäftigten spielt die Zeitarbeit eine große und besondere Rolle: Dort arbeiten ca. 23 Prozent der kurzfristigen Aufstocker. … Mini-Jobber und Teilzeitbeschäftigte finden häufig in Reinigungsdiensten, dem Einzelhandel und der Gastronomie einen Arbeitsplatz. Vollzeiterwerbstätige in stabilen Beschäftigungsverhältnissen, die zusätzlich Leistungen beziehen, verdienen monatlich im Durchschnitt ca. 1.320 €. 55 Prozent verdienen weniger, 46 Prozent liegen mit ihrem Bruttomonatslohn darüber. Unterstellt man eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden, entspricht dies einem Stundenlohn von 7,60 €. Rund 10 Prozent der vollzeitbeschäftigten Aufstocker verdienen weniger als 800 €. FAZIT Die bisherigen Untersuchungen sind auf den engen Beobachtungszeitraum des Jahres 2005 begrenzt. Die auch über 2005 hinaus steigenden Aufstockerzahlen zeigen zunächst, dass ein wachsender Teil der Leistungsbezieher die Verbindung zum Arbeitsmarkt sucht, aber nicht immer halten kann. Ein Wechsel zwischen Beschäftigung und Leistungsbezug findet häufig statt. Etwa 2,1 Mio. Personen erhielten im Jahr 2005 zu ihrem Erwerbseinkommen zumindest zeitweilig SGB-II-Leistungen. Nur 325.000 mussten das Einkommen ganzjährig aufstocken. … Flankierende Instrumente, die Haushaltseinkommen von Erwerbstätigen stabilisieren sollen, müssen einerseits die hohe Fluktuation, andererseits die Haushaltskonstellation berücksichtigen. Der häufige Wechsel bei kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen verlangt von Kombilohnmodellen eine flexible Anpassung an wechselnde Einkommenssituationen, um nicht eine Vielzahl von wiederholten Anträgen auszulösen. Die Beobachtung, dass dauerhafte Aufstockung von Vollzeitbeschäftigung überwiegend in Paarhaushalten mit Kindern stattfindet, zeigt die Notwendigkeit einer Abstimmung mit familienpolitischen Transfers wie Wohn- und Kindergeld, da je nach Haushaltskontext selbst bei Lohnsätzen über 7,50 € Bedürftigkeit bestehen kann.“ AutorInnen des Forungsberichts: Kerstin Bruckmeier, Tobias Graf und Helmut Rudolph Hinzuverdienst im SGB II ist wie folgt geregelt: Hilfebedürftig im Sinne des SGB II ist, wer seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie (Bedarfsgemeinschaft) nicht aus eigenem Einkommen sichern kann. Leistungen werden erst gezahlt, wenn das eigene Einkommen (z.B. Kindergeld, Erwerbseinkommen) und anrechenbares Vermögen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Bedarf) eingesetzt wurden. Einkommen wird in dem Monat auf den Bedarf angerechnet, in dem es zufließt. Bei Erwerbseinkommen gilt ein Freibetrag, der nicht auf den Bedarf angerechnet wird. Er ist in § 30 SGB II geregelt. Seit 1. Oktober 2005 gilt folgende Neuregelung des Freibetrags: Bruttoeinkommen bis 100 € sind grundsätzlich anrechungsfrei. Bei höheren Einkommen wird vom Nettoeinkommen noch folgender Freibetrag abgezogen: • 20 % des Teils, der auf das Bruttoeinkommen zwischen 100,01 € und 800 € entfällt, • 10 % des Teils, der auf das Bruttoeinkommen zwischen 800,01 € und 1200 € entfällt, • 10 % des Teils, der auf das Bruttoeinkommen zwischen 1200,01 € und 1.500 € entfällt, falls der Hilfebedürftige ein minderjähriges Kind hat. Den Volltext der Untersuchung des IAB entnehmen Sie bitte über den angegebenen Link. Der Bericht ist dort zu kostenlosen Download eingestellt.

http://www.iab.de/de/194/section.aspx/Publikation/k071203n11

Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit

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