Arbeitskräftebedarf bis 2025

DIE GRENZEN DER EXPANSION – Eine Analyse des IAB Modellrechnungen zeigen noch bis 2020 einen Anstieg der Beschäftigung, danach aber – demographisch bedingt – einen Rückgang der Erwerbstätigenzahlen. Der Aufschwung am Arbeitsmarkt war in den Jahren 2006 und 2007 unerwartet kräftig. Trotz der konjunkturellen Eintrübung in jüngster Zeit wird allgemein erwartet, dass sich im Jahr 2008 der Beschäftigungsanstieg fortsetzt, wenn auch in abgeschwächter Form. Wie aber sieht die Entwicklung nach 2008 aus? Ist mittelfristig mit einem nachhaltigen Beschäftigungsaufbau zu rechnen? Und welche Entwicklungen zeichnen sich darüber hinaus in der langen Frist bis 2025 ab? Auszüge aus der Projektion, die auch den Wandel der Erwerbsformen (Teilzeitarbeit, Mini- und Midi-Jobs) berücksichtigt: “ MODELLBASIERTE PROJEKTION Wegen der Vielzahl von Bestimmungsgrößen ist die Verwendung eines modellbasierten Projektionssystems zur Vorausschau auf den Arbeitsmarkt unumgänglich. Bei der Interpretation der Modellergebnisse muss man sich jedoch immer vor Augen halten: Langfristprojektionen wollen und können die Zukunft nicht abbilden und eine wahrscheinliche, gleichsam unbeeinflussbare Entwicklung vorhersagen. Vielmehr handelt es sich stets um eine „Wenn…, dann…“-Aussage. Deshalb müssen die Ergebnisse immer vor dem Hintergrund der Annahmen betrachtet werden, die der Projektion zugrunde liegen. So hängt der Arbeitskräftebedarf langfristig von einer Reihe nur schwer kalkulierbarer Entwicklungen ab, wie dem Ölpreis, den Währungsrelationen, der Weltkonjunktur, den Rückwirkungen der Finanzmarktkrise auf die reale Wirtschaft. Aber auch der Einfluss des institutionellen Rahmens und damit von Politik und Tarifparteien sowie die noch nicht bewältigten Folgen der deutschen Vereinigung bergen erhebliche Unwägbarkeiten, die eine Abschätzung der Entwicklung des künftigen Arbeitskräftebedarfs erschweren. Referenzperiode dieser Projektion ist 1991 bis 2004. Projiziert werden die Einzeljahre von 2005 bis 2025. Bei den für 2005, 2006 und 2007 ausgewiesenen Werten handelt es sich um Modellwerte, die an die reale Entwicklung angepasst wurden. Für die Zukunft werden der Übersichtlichkeit halber nicht die Einzeljahre ausgewiesen, sondern die Werte für 2010, 2015, 2020 und 2025. Grundannahmen der Projektion Der Projektion liegen folgende Annahmen zugrunde: – Die Finanzpolitik beschließt keine zusätzlichen Ausgabenkürzungen bzw. Steuererhöhungen zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. … Die Projektion unterstellt also eine Politik der Stärkung der indirekten Komponenten des Steuersystems. – Der Mineralölpreis steigt von knapp 70 Dollar je Barrel im Jahresdurchschnitt 2007 auf 115 Dollar je Barrel in 2025. – Trotz eines … positiven Wanderungssaldos von 200 Tsd. pro Jahr wird sich die Bevölkerung in Deutschland bis 2025 um knapp 3,6 Mio. verringern. Unter diesen Annahmen wird das Erwerbspersonenpotenzial bis 2015 um rd. 200 Tsd. leicht abnehmen. Nach 2015 wird dieser Rückgang aber stärker, so dass 2025 das Erwerbspersonenpotenzial um insgesamt 2 ,4 Mio. niedriger ausfallen wird als heute. – … Bis 2015 wird daher angenommen, dass die durchschnittlichen Jahresarbeitszeiten der Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten sektoral jeweils unverändert bleiben. Danach steigen sie jährlich um 0,5 Prozent. Für die Teilzeitquoten wird unterstellt, dass sie von knapp 33 Prozent im Jahr 2005 nur noch sehr moderat auf etwas über 36 Prozent im Jahr 2025 steigen. ERGEBNISSE DER AKTUELLEN MODELLRECHNUNG Gesamtwirtschaftliche Entwicklung Für die weltwirtschaftliche Entwicklung ergibt sich bis 2025 ein jährliches durchschnittliches Wachstum des globalen nominalen Bruttoinlandsprodukts von 5 Prozent (1991-2005: 4,0 %) und von 6 Prozent (1991-2005: 6,3 %) für den Welthandel. Die internationale Arbeitsteilung schreitet also weiter voran. … Damit wird im gesamten Projektionszeitraum Faktor bleiben, der das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes in Deutschland treibt. Im langfristigen Durchschnitt wird das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland nur moderat zunehmen (1,6 % p.a.) … Der Staatsverbrauch wird … im gesamten Projektionszeitraum nur unterdurchschnittlich wachsen. Deshalb wird ab 2009 der Finanzierungssaldo des Staates über den gesamten Projektionszeitraum leicht positiv sein. Nach einer lang anhaltenden Schwächeperiode werden vor allem wieder die Investitionen und nach 2010 auch der private Verbrauch verstärkt zum Wirtschaftswachstum beitragen. Die Lohnsteigerungen bleiben insgesamt moderat und werden im Durchschnitt bis 2022 unter dem Anstieg der nominalen Arbeitsproduktivität liegen, so dass die realen Lohnstückkosten bis dahin weiter zurückgehen. Danach übersteigen die Lohnsteigerungen den Produktivitätsspielraum, nicht zuletzt wegen des sinkenden Arbeitsangebots und – damit verbunden – des zunehmenden Fachkräftemangels. Arbeitsmarktbilanz und Unterbeschäftigung … Hervorzuheben ist … der Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials. … Die Zahl der Erwerbstätigen wird den Rechnungen zufolge zwischen 2005 und 2010 um 800 Tsd., zwischen 2010 und 2015 um 700 Tsd. und zwischen 2015 und 2020 um weitere 200 Tsd. zunehmen (2005 bis 2020 insgesamt also um gut 1,7 Mio.). Gegenüber heute bleibt damit die Erwerbstätigenzahl bis 2010 nahezu unverändert. Grund für die Stagnation bei der Beschäftigung ist, dass sich modellendogen das Wirtschaftswachstum im Vergleich zum Wachstum der Jahre 2006 und 2007 deutlich von 2,75 Prozent p.a. auf 1,2 Prozent p.a. bis 2010 abschwächt. … die Lücke zwischen Erwerbspersonenpotenzial und Erwerbstätigkeit wird kleiner, die Unterbeschäftigung geht zurück. … Bis 2010 ergibt sich aus der Projektion für die Unterbeschäftigung zunächst ein kleiner Anstieg. Danach wird sie jedoch bis zum Ende des Projektionszeitraums kontinuierlich zurückgehen und sich – rein rechnerisch – halbieren. Werden 2010 noch rund 5 Mio. Personen (Unterbeschäftigungsquote: 11,4 %) keinen Arbeitsplatz haben, so sind es 2025 nurmehr ca. 2,3 Mio. Personen (Unterbeschäftigungsquote: 5,5 %). Ab 2020 schlägt der Rückgang der Bevölkerung und damit auch der des Erwerbspersonenpotenzials am Arbeitsmarkt immer mehr durch. Die Löhne steigen modellendogen aufgrund des Rückgangs der Unterbeschäftigung stärker als die nominalen Produktivitäten. …Ein Abbau der Beschäftigung setzt ein, so dass bis 2025 rund 0,5 Mio. weniger Personen erwerbstätig sein werden. Sektorale Entwicklung Deutschland ist und bleibt ein rohstoffarmes Hochlohnland. Die künftige Wirtschaftsstruktur wird auch weiterhin durch primär hochwertige Produkte mit hoher Forschungs- und Entwicklungsintensität sowie durch eine weiter zunehmende internationale Arbeitsteilung gekennzeichnet sein. Dabei werden die Globalisierung und die technologische Entwicklung in einer engen Wechselbeziehung stehen. … Im Durchschnitt über alle Sektoren wächst die preisbereinigte Bruttowertschöpfung zu Beginn des Projektionszeitraums mit knapp 2 Prozent pro Jahr und geht dann auf ca. 1,5 Prozent pro Jahr zurück. … Für die sektorale Erwerbstätigenentwicklung bestätigt die Projektion: … – Im Bereich der Land- und Forstwirtschaft sowie im Bergbau ist mit einem weiteren Beschäftigungsabbau zu rechnen. – Im Verarbeitenden Gewerbe bewirken hohe Produktivitätsfortschritte trotz deutlich zunehmender Wertschöpfung einen Beschäftigungsabbau von rund 1,5 Millionen. Die überwiegende Zahl der Wirtschaftszweige ist davon mehr oder weniger stark betroffen. – Mit Anteilsverlusten ist auch in Branchen des Dienstleistungsgewerbes zu rechnen, die produktivitätsstark sind. Dazu gehört beispielsweise das Kredit- und Versicherungsgewerbe. – Im Bereich der Öffentlichen Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung sorgt der bereits erwähnte Rückgang des Staatsverbrauchs für einen Beschäftigungsabbau. – Besonders stark werden die Beschäftigungsgewinne (fast 2 ,5 Mio.) in den unternehmensbezogenen Dienstleistungen sein, wegen des anhaltenden Prozesses der Ausgliederung von Unternehmensteilen und Betriebsfunktionen („Outsourcing“). Hierzu zählen:Softwarehäuser, Hardwareberatung, Datenverarbeitungsdienste, Instandhaltung und Reparatur von Büromaschinen, Datenverarbeitungsgeräten und -einrichtungen, Forschung und Entwicklung, Rechts-, Steuer- und Unternehmensberatung, Markt- und Meinungsforschung, Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung, Unternehmens- und Public-Relations-Beratung, Ingenieurbüros, Werbeagenturen, aber auch die gewerbsmäßige Vermittlung und Überlassung von Arbeitskräften. – Sehr gute Beschäftigungsperspektiven (Gewinn bis 2025 fast 1 Mio. Beschäftigte) zeichnen sich auch im Gesundheits- und Sozialwesen ab. Hauptgrund hierfür ist die Alterung der Gesellschaft, durch die sowohl die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen massiv steigt als auch die Beschäftigung in Senioreneinrichtungen und bei ambulanten Pflegediensten. – Nennenswerte Beschäftigungsgewinne (etwa 0,5 Mio.) dürften auch die sonstigen öffentlichen und privaten Dienstleister verzeichnen. Hierbei handelt es sich um einen sehr heterogenen Beschäftigungsbereich: Rundfunk- und Fernsehanstalten, Dienstleistungen für private Haushalte wie etwa Reinigung, Tagesbetreuung etc., politische Organisationen wie Parteien, Verbände, Gewerkschaften, religiöse Vereinigungen. De-Industrialisierung? Der sich abzeichnende Trend zur Dienstleistungsgesellschaft ist nicht gleichzusetzen mit einer De-Industrialisierung. Im Gegenteil: Die Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe wächst auch in Zukunft überdurchschnittlich. Die Rationalisierungsmöglichkeiten der Industrie bewirken auch in Zukunft überdurchschnittliche Produktivitätssteigerungen, die den Beschäftigungsabbau in diesem Sektor erklären. … Das künftige Verhältnis von Industrie und Dienstleistungen wird weiterhin durch Komplementarität und nicht durch Substitutionalität gekennzeichnet sein. Vor allem die intelligente Verknüpfung von Industrieproduktion und ergänzenden Dienstleistungen könnte in Zukunft der Schlüssel zum Erfolg sein. Integration und Systemlösungen werden vom Strukturwandel begünstigt … Entwicklung in den alten und neuen Ländern … Während in Westdeutschland die Beschäftigung bis 2010 gegenüber heute nahezu konstant bleibt, expandiert sie den Modellrechnungen zufolge bis 2020 in einer Größenordnung von annähernd 0,9 Mio. Nach 2020 werden das sinkende Erwerbspersonenpotenzial und die damit einhergehende Lohnentwicklung auch in Westdeutschland ihren Tribut fordern, so dass die Beschäftigung von 2020 bis 2025 um knapp 0,4 Mio. Personen abnehmen wird. Dahinter stehen folgende ökonomische Größen: – Das westdeutsche Bruttoinlandsprodukt wächst nominal im Projektionszeitraum durchschnittlich mit rd. 2 ,7 Prozent p.a. – Die nominale Erwerbstätigenproduktivität steigt in den Modellrechnungen durchschnittlich um 2,5 Prozent p.a.. Während sich für Westdeutschland somit durchaus kräftige Beschäftigungsgewinne andeuten, zeigt die Projektion für Ostdeutschland zwar keine Hinweise auf einen positiven Trend. Der Beschäftigungsabbau der letzten 15 Jahre dürfte sich dort in der nächsten Dekade zumindest nicht fortsetzen. Die Berechnungen deuten – unter „Status-quo-Bedingungen“ – bis 2020 auf eine Stagnation der Erwerbstätigenzahlen im Osten hin, d.h. sie pendeln um den aktuellen Wert von etwas über 7 Mio. Erwerbstätigen. Nach 2020 setzt dann aber auch wieder ein leichter Beschäftigungsabbau ein. Die Löhne im Osten nähern sich imProjektionszeitraum denen im Westen an – von derzeit etwas über 80 Prozent auf fast 95 Prozent im Jahr 2025. Ein Aufschwung ist aber nach wie vor nicht erkennbar. Hauptgrund hierfür ist, dass das Wachstum der nominalen Erwerbstätigenproduktivität mit durchschnittlich 2,9 Prozent p.a. deutlich höher ausfällt als im Westen (2,5 % p.a.) – bei nahezu gleichen Wachstumsraten des nominalen Bruttoinlandsprodukts in beiden Landesteilen. (Berlin ist den neuen Bundesländern zugeordnet). FAZIT … Im Projektionszeitraum zeichnet sich aufgrund der demographischen Entwicklung beim Arbeitskräfteangebot auch für den Arbeitskräftebedarf eine Trendwende ab. So wird nach den Modellrechnungen der Arbeitskräftebedarf in Deutschland zwischen 2007 und 2020 zwar noch um rd. 800 Tsd. zunehmen, danach bis 2025 allerdings auch wieder um gut 500 Tsd. abnehmen. … Trotz des erwarteten Rückgangs der Beschäftigung nach 2020 könnte die Unterbeschäftigung bis 2025 auf fast die Hälfte des heutigen Niveaus zurückgehen. Dies gilt allerdings nur, wenn der künftige Bedarf an Arbeitskräften nicht nur quantitativ, sondern auch qualifikatorisch gedeckt werden kann. Ansonsten droht Massenarbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Fachkräftemangel, was Wirtschaft und Gesellschaft vor ernsthafte Probleme stellen würde. … In Verbindung mit einer abnehmenden Zahl jüngerer Arbeitskräfte und einer zumindest bislang fehlenden Bildungsexpansion könnte es deshalb schon bald zu einem Mangel an qualifizierten Fachkräften kommen. Um dem entgegen zu wirken, bedarf es in der kurzen und mittleren Frist erheblicher zusätzlicher Anstrengungen in Bildung und Weiterbildung. “ Autoren: Peter Schnur, Gerd Zika Die Analyse in Form eines IAB-Kurzbereichts entnehmen Sie bitte dem aufgeführten Link oder dem Anhang.

http://doku.iab.de/kurzber/2007/kb2607.pdf

Quelle: IAB-Kurzbericht Ausgabe Nr.26

Dokumente: kb26_Arbeitskraeftebedarf.pdf

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