Jugendgewalt und Jugenddelinquenz – aktuelle Entwicklungen und Befunden in Hannover und München

VERBESSERTE INTEGRATION VERMINDERT GEWALT UND DIE DELIQUENZ IM JUGENDALTER Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V.(KFN) führt seit 1998 in vielen Städten und Landkreisen Deutschlands repräsentative Schülerbefragungen zur Jugendgewalt und Jugenddelinquenz durch. Besonders für Hannover zeigen sich dabei zwischen 1998 und 2006 positive Entwicklungen, die sich vor allem im Vergleich zu München verdeutlichen lassen: “ * Der Anteil der Neuntklässler, die in den letzten 12 Monaten vor der Befragung Opfer einer Gewalttat geworden sind (Raub, Erpressung, Körperverletzung, sexuelle Gewalt) ist zwischen 1998 und 2006 um ein Viertel zurückgegangen (von 28,0% auf 21,2%). Entsprechendes zeigt sich im Hinblick auf die Quote der jugendlichen Gewalttäter (von 20,1% auf 15,2%). Bei den Mehrfachtätern (mehr als fünf Gewalttaten im letzten Jahr) beträgt der Rückgang sogar ein Drittel (von 6,3% auf 4,1%). Bei den nichtdeutschen Jugendlichen fällt diese Entwicklung noch stärker aus, als bei den deutschen (Letztere 4,6% zu 3,2%). Bei türkischen Jugendlichen ist beispielsweise die Mehrfachtäterquote seit 1998 von 15,3 auf 7,2 Prozent gesunken. Parallel dazu gibt es in Hannover auch in anderen Delinquenzbereichen einen beachtlichen und teilweise sehr stark ausgeprägten Rückgang (Gewalt an Schulen und Mobbing, Fahrzeugdiebstahl und Ladendiebstahl, Sachbeschädigung und Graffiti). * Auffällig ist, dass im Vergleich der Befragungen von 1998 und 2005 in München die Gewaltopferrate leicht zugenommen hat (18,5% zu 19,0%). Zwar ist die Täterrate bei deutschen Jugendlichen leicht rückläufig (4,1% zu 3,1%), nicht aber bei den jungen Migranten. Die Mehrfachtäterquote ist bei jungen Türken sogar von 6 auf 12, 4 Prozent angestiegen. Und auch die anderen Trends fallen nicht so positiv wie in Hannover aus. Die Gründe für die erfreuliche Entwicklung in Hannover sind vielfältig. Ein Faktor verdient aber besondere Beachtung: Die verbesserte schulische Integration der jungen Migranten. Insgesamt betrachtet ist in Hannover die Quote der Hauptschüler zwischen 1998 und 2006 von 22,6 auf 16,7 Prozent gesunken, die der Gymnasiasten ist von 35 auf 40,5 Prozent gestiegen. Beides beruht in hohem Maß darauf, dass sich die schulische Integration der jungen Migranten und hier insbesondere der jungen Türken erheblich verbessert hat. So ist der Anteil türkischer Jugendlicher, die ein Gymnasium besuchen, um drei Viertel angestiegen (von 8,7% auf 15,3%), die Quote der Realschüler/ Gesamtschüler hat von 44,2 auf 52,2 Prozent zugenommen. Die der Hauptschüler ist dagegen von 47,1 auf 32,5 Prozent gesunken. In München hat sich die schulische Integration türkischer Jugendlicher teilweise sogar verschlechtert. Die Gymnasialquote ging von 18,1 Prozent im Jahr 1998 auf 12,6 Prozent im Jahr 2005 zurück. Die Hauptschule besuchten 2005 fast doppelt so viele türkische Neuntklässler wie in Hannover (61,4%), während es nur halb so viele Real-/Gesamtschüler gab. Die Unterschiede, die sich zur Bildungsintegration von türkischen Jugendlichen in Hannover und München zeigen, sind deshalb von erheblicher Bedeutung, weil die KFN-Studie eines klar belegen kann: Die Hauptschule ist im Verlauf der letzten zehn Jahre schrittweise zu einem eigenständigen Verstärkungsfaktor der Jugendgewalt geworden. Da in ihrer Schülerschaft der Anteil der familiär und sozial erheblich belasteten Jugendlichen stark angewachsen ist, haben sich negative Aufschaukelungs- und Ansteckungseffekte ergeben, denen die Schulen nur schwer entgegensteuern können. Die Folgen davon zeigen sich im Anteil der Freunde von türkischen Jugendlichen, die in den beiden Städten angegeben haben, dass sie fünf und mehr delinquente Freunde haben (München 27,5%, Hannover 19,5% keine delinquenten Freunde haben demgegenüber in München 28,8%, in Hannover dagegen 38,8%). Die verbesserte Schulintegration der Migranten in Hannover wird dadurch erleichtert, dass die in ihrer Qualität zweifelhaften Schullaufbahnempfehlungen für junge Migranten in Hannover nicht bindend sind, wohl aber in München. Vor allem aber wirkt sich in Hannover aus, dass sich in dieser Stadt im Verlauf der letzen zehn Jahre ein laufend stärker werdendes bürgerschaftliches Engagement für die schulische und soziale Integration von Kindern und Jugendlichen aus sozialen Randgruppen entwickelt hat. Als ein weiterer Stabilisierungsfaktor für die soziale und schulische Integration hat sich in Hannover erwiesen, dass es gelungen ist, das Schuleschwänzen deutlich zu reduzieren. Besonders die Quote der Intensivschwänzer (fünf und mehr Tage im Halbjahr) ist seit 1998 von 18,8 auf 10,7 Prozent zurückgegangen. Offenbar wirkt sich hier aus, dass sich Hannover 2003 an einem Modellversuch beteiligt hat, mit dem es gelungen ist, die schulischen Kontrollen nachhaltig zu verbessern und die Hilfsangebote für Schulschwänzer auszuweiten. Auch in dieser Hinsicht schneidet München erheblich schlechter ab. Die Quote der Intensivschwänzer ist dort nur von 18,9 auf 14,7 Prozent gesunken. Die Anzeigequote der jungen Gewaltopfer ist in Hannover seit 1998 besonders deutlich angestiegen: bei Körperverletzungen ohne Waffen z.B. um ein Drittel von 15,5 auf 21 Prozent, bei Raubdelikten sogar um vier Fünftel von 34,9 auf 60 Prozent. Die Polizei dürfte durch ihre Arbeit an den Schulen beträchtlichen Anteil daran haben, dass das Vertrauen der Opfer in staatliche Hilfe erheblich zugenommen hat. Aus der Sicht der Täter betrachtet hat sich dadurch deren Risiko stark erhöht, sich wegen ihrer Gewalttaten vor Gericht verantworten zu müssen, was ihren Tatendrang erheblich reduziert haben dürfte. Gewalt und Jugenddelinquenz werden auch durch den Drogenkonsum gefördert – z.B. in nicht unerheblicherweise durch Cannabis. Von daher hat sich positiv ausgewirkt, dass der Drogenkonsum insgesamt rückläufig ist (Cannabis z.B. von 25,3% auf 19%, harte Drogen von 6 auf 3%). Auch das häufige Rauchen ist von 37,5 auf 24 Prozent zurückgegangen. Nur zum Alkoholkonsum zeigt sich keine positive Entwicklung. Ein zweiter Bereich, der zu Sorgen Anlass gibt, ist der ausufernde und inhaltlich problematische Medienkonsum vieler Jugendlicher. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die männlichen Neuntklässler. So verbringen von ihnen 25,7 Prozent pro Tag im Durchschnitt mindestens vier Stunden mit Computerspielen von den männlichen Hauptschülern sind es sogar 37,4 Prozent. Hinzu kommt, dass sich auch der Fernsehkonsum der Jugendlichen stark angestiegen ist. Im Jahr 2000 besaßen von den Mädchen unter den Neuntklässlern 36,7 Prozent einen eigenen Fernseher, von den Jungen 25,4 Prozent. Sechs Jahre später waren es von den Mädchen 61,2 Prozent und von den Jungen 72,3. Die insgesamt gesehen positive Entwicklung Hannovers wird im Übrigen auf einen Faktor zurückgeführt, zu dem im Rahmen der aktuellen Untersuchung keine gesonderte Datenerhebung durchgeführt wurde: die hohe Qualität der Arbeit der Polizei und der anderen an der Strafverfolgung von Jugendkriminalität beteiligten Institutionen. … Die aktuellen Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik und der Strafverfolgungsstatistik deuten darauf hin, dass sich die Strafverfolgung von Jugendgewalt in Hannover nach wie vor auf gutem Kurs befindet. Doch was sollte im Hinblick auf die dargestellten Probleme geschehen, die die Untersuchung zu Tage gefördert hat? Eine konstruktive Antwort liegt auf der Hand: Wir brauchen dringend den Ausbau unserer Schulen zu Ganztagsschulen. Gerade bei den Kindern und Jugendlichen, die von ihren Familien wenig Unterstützung dabei erhalten, ihre Nachmittage konstruktiv zu gestalten, erscheint diese Lösung als einziger Ausweg aus der vor allem die Jungen aus sozialen Randlagen betreffenden, krisenhaften Zuspitzung ihrer Situation. Die Tatsache, dass beispielsweise im Jahr 2005 von den männlichen jungen Migranten bundesweit 21 Prozent die Schule ohne Abschluss verlassen haben ist ein Alarmsignal, das Kommunen und Bundesländer gleichermaßen zum Handeln veranlassen müsste. Die Schulen müssen in die Lage versetzt werden, nachmittags ein Motto umzusetzen: Lust auf Leben wecken durch Sport, Musik, Theater und soziales Lernen. Hier sind nicht nur der Staat und die Kommunen gefragt, sondern ebenso die zivilgesellschaftlichen Kräfte. “ Eine Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse entnehmen Sie bitte dem Anhang.

Quelle: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V.

Dokumente: Jugendgewalt_und_Jugenddeliquenz_in_Hannover_2008.pdf

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