Bildungsgerechtigkeit im Lebenslauf

EINE EMPFEHLUNG DER SCHULKOMMISSION DER HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG Die Heinrich-Böll-Stiftung verfolgt mit ihren Empfehlungen das Ziel jungen Menschen darin zu unterstützen ihr eigenes Leben gestalten zu können und ihre Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit zu steigern. Damit das gelingen kann, fordert die Stiftung ein Zusammenwirken vieler Personen, die ihre Verantwortung nicht an jeweiligen Zuständigkeitsbereich enden lassen. Sie mahnt die Übernahme von Verantwortung für gefährdete junge Menschen an, im Sinne eines Vorsorgeprinzips bzw. einer Lebensvorsorge. Nur durch die Ausrichtung aller Akteure an einem Vorsorgeprinzip können die Benachteiligungen abgebaut werden und das Aufwachsen solidarisch als öffentliche Aufgabe geleistet werden. Aus der Arbeit der Schulkommission der Heinrich-Böll-Stiftung resultieren folgende 5 Vorschläge: 1. Zeit sinnvoll nutzen 2. Weiterentwicklung der bestehenden Schulstrukturen 3. Neustrukturierung der Sekundarstufe II: Übergänge Allgemeinbildung – Berufsbildung – Hochschule 4. Bildung regionaler Verantwortungsgemeinschaften für Kindheit und Jugend 5. Wertschätzug von Bildung und Leistung – Kulturelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen für Schulerfolg Auszüge aus der Empfehlung: DAMIT BILDUNGSARMUT NICHT WEITER VERERBT WIRD “ DIE ZENTRALEN PROBLEMLAGEN … * Schule als vergeudete Lebenszeit für die Risikogruppe Für die Risikogruppe erscheint die Schulzeit als belastete Lebenszeit. Dies hat gewichtige Folgen für die Motivation des Lernens. Die Gegenwart schulischen Lernens wird nicht als sinnvolle Lernzeit erlebt. Absentismus breitet sich immer weiter aus, da die schulische Lernzeit nicht als verbindliche Rhythmisierung des Alltags anerkannt wird. Schulische Lernzeit ist für sie nicht zukunftsfähig, weder in der Sicherung der Kompetenzen noch in der Vergabe der Zertifikate und später bei der Orientierung auf Weiterbildung und Bildungsmobilität. Der Lebenslauf wird insgesamt nicht über selbstverantwortliches Lernen strukturiert und damit auch nicht als gestaltbar erlebt. Am Ende sind die Jugendlichen dieser Risikogruppe arm an Zertifikaten und arm an Kompetenzen. In allen Bildungseinrichtungen muss deshalb die basale Erwartung gesichert sein, dass die Gegenwart organisierten Lernens als Bildungszeit erfahrbar wird, und zwar so, dass sie ihren Wert in sich hat und zugleich Perspektive gibt und Zukunft ermöglicht. Für die von besonderen Problemen belasteten Jugendlichen muss – individuell – ein Bewusstsein von der Bedeutsamkeit des Lernens im Lebenslauf aufgebaut werden, zugleich muss schulische Lernzeit neu als sinnvoll, aber auch als verpflichtend erfahrbar werden, und die Schule sollte mit Angeboten zusätzlicher Lernzeit die Differenzen und Benachteiligungen der Herkunft ausgleichen. … * Übergangsprobleme Das Berufsbildungssystem hat gegenwärtig an zwei Schnittstellen Übergangsprobleme. Die erste Schnittstelle betrifft den Übergang von der Schule in die berufliche Bildung – und dabei vor allem Schulabbrecher, Hauptschulabsolventen und speziell (männliche) Jugendliche mit Migrationshintergrund. Die zweite Schnittstelle liegt beim Übergang von der Berufsbildung in die Hochschule. An beiden Übergängen besteht besonderer Handlungsbedarf. Das gilt in erster Linie für die Schülerinnen und Schüler, denen durch eine berufliche Qualifizierung der Anschluss an den Facharbeiterarbeitsmarkt ermöglicht werden muss, … . Eine wesentliche Herausforderung ist dabei die Steigerung von Motivation bei den Beteiligten. … * Wertschätzung von Bildung und Leistung Zahlreiche Forschungsarbeiten zeigen, dass die Erwartungen, die Lehrkräfte hinsichtlich der Potenziale und Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler haben, deren tatsächliche Bildungsverläufe beeinflussen können. Lehrkräfte erwarten von Schülerinnen und Schülern aus unteren sozialen Schichten, aus eingewanderten Familien oder ethnischen Minderheiten häufig weniger. Die Sensibilität für milieubedingte Verhaltensweisen ist oft nicht hinreichend ausgeprägt. Dies gilt insbesondere gegenüber türkischen und arabischen Jugendlichen. Die Kultivierung des Lernens, die Generalisierung der Lernbereitschaft und die Fähigkeit, den Lebensverlauf als Lernprozess zu verstehen und zu gestalten, ist das entscheidende Ziel von Bildung, das die Kinder und Jugendlichen der Risikogruppe aus der Exklusionsfalle herausführen soll. Dazu ist eine Kultur tätigen zivilgesellschaftlichen Engagements und tätiger zivilgesellschaftlicher Solidarität erforderlich. Sie muss dabei im Auge behalten, dass nicht in falsch verstandener Nachsicht die Zuschreibung einer Opferrolle überhand nimmt, so dass die Stärkung der Leistungsbereitschaft und des Selbstvertrauens zur selbstständigen Meisterung des Lebens in den Hintergrund tritt. Für gelingende schulische Bildungsprozesse braucht es auch eine außerschulische Kultur, die Leistungsanforderungen und Leistungsbereitschaft wertschätzt, sowie die realistische Aussicht, dass sich schulische Anstrengungen für den weiteren Lebenslauf auch lohnen und dass also Leistung herkunftsbedingte Ungleichheit mindern kann. EMPFEHLUNGEN * Zeit sinnvoll nutzen … In der Analyse von Problemen des Bildungssystems hat sich gezeigt, dass Prämissen der Zeitgestaltung für die Risikogruppe besondere Bedeutung haben. Die Schulkommission empfiehlt deshalb den Zeitmustern von Lernprozessen größere Aufmerksamkeit zu schenken – und zwar sowohl im Blick auf systemisch konzipierte Maßnahmen als auch in der Konstruktion individueller Bildungsgänge. Dabei sollten die Zeitmuster der individuellen Bildungszeit und der institutionell geprägten und angebotenen Lernzeit bewusster und erwartbarer in die Lebenszeit eingeordnet werden. Als Leitprinzipien gelten dabei für die Gestaltung von Bildungsgängen insgesamt: – Schulzeit muss verlässlich als produktiv genutzte Lernzeit gestaltet sein. Verlässlich gestaltete Lernzeit bedeutet auch, dass Stundenausfall minimiert wird. – Die Individualisierung der Angebotsgestaltung und der Angebotsnutzung muss gefördert werden. Eine Beschleunigung bzw. Verlangsamung von Lernprozessen muss ermöglicht werden, ein Standardtempo des Lernens stellt für sich keinen Wert dar, es darf jedenfalls nicht über jahrgangsweise Wiederholung von Schulzeit („Sitzenbleiben“) durchgesetzt werden. – Bildungsprogramme pädagogischer Einrichtungen sollten sich nicht allein in der Programmdimension curricular, sondern auch in der Zeitdimension unterscheiden und dafür Ressourcen an Geld und Personal nutzen können. Dies erfordert die Flexibilisierung der Durchlauf- und Programmzeiten. – Der Wiedereintritt in Lernzeiten sollte institutionell gesichert werden. Er soll als Normalperspektive im Lebenslauf individuell anerkannt und institutionell durch engere Vernetzung gefördert werden („lebenslanges Lernen“). – Die Gestaltung von Lernzeiten sollte stärker in lokaler Kompetenz liegen. So sind Jahrespläne oder Wochenpläne einzelschulisch sinnvolle curriculare Gestaltungsoptionen. Für die Risikogruppe ist die Ordnung der Zeit eine besonders wichtige Gestaltungsaufgabe. Die Ordnung der Lernzeiten innerhalb der Lebenszeit der beteiligten Lernenden und Lehrenden ist eine wesentliche Bedingung gelingender Lernprozesse. Auch die Arbeitszeit der Lehrer soll primär von ihrer Präsenz in der Schule bestimmt sein, im Klassenzimmer und eingebunden in die außerunterrichtlichen schulischen Lernaktivitäten. Im Einzelnen bedeutet das für Schülerinnen und Schüler und ihre Lehrkräfte: (1) den Aufbau eines reflektierten Zeitbewusstseins auf der individuellen Ebene … (2) die bessere Nutzung der schulisch vorhandenen Zeit … (3) die adressatenspezifische Ausweitung von Lernzeiten … * Neustrukturierung der Sekundarstufe II: Übergänge Allgemeinbildung – Berufsbildung – Hochschule … Die aktuellen Schwierigkeiten beim Übergang von der allgemeinbildenden Schule in die Berufsausbildung sind nicht allein Konjunktureffekten geschuldet. Neben und jenseits von Marktungleichgewichten sind die steigenden Anforderungen an die kognitiven Voraussetzungen der Ausbildungsbewerberinnen und -bewerber bei vielen Berufsbildungsprogrammen in Betracht zu ziehen. Außerdem spielt die im Vergleich zu früheren Jahrzehnten deutlich gewandelte ethnisch-kulturelle Zusammensetzung der Schülerpopulation, auf die die Ausbildungsträger häufig nicht angemessen vorbereitet sind, eine Rolle. Die unzulängliche Koordinierung zwischen den Maßnahmetypen des Übergangssystems und der voll qualifizierenden Berufsausbildung ist schließlich eine der Hauptursachen für die begrenzte Effektivität des Übergangssystems und führt zu hohen Zeitverlusten für die Jugendlichen. Unter diesen Voraussetzungen ist eine Besserung nicht von der Schaffung von noch mehr Übergangsmaßnahmen, sondern nur von einer besseren Steuerung und inhaltlichen Veränderung des gesamten Übergangskomplexes zu erwarten: (1) Es müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit die gesamte Berufsausbildung neu strukturiert und in bundesweit anerkannten Ausbildungsbausteinen organisiert werden kann. Die Wahrung des Berufsprinzips bleibt durch die Inhalte der Bausteine und eine Abschlussprüfung erhalten. In die Abschlussprüfung gehen die Teilprüfungen der Bausteine ein, die an den jeweiligen Lernorten abgelegt werden. Durch Modularisierung werden Teilschritte der Ausbildung besser anerkannt und angerechnet, das Bildungssystem wird durchlässiger. Durch die Modularisierung kann die Lernzeit flexibilisiert und den individuellen Bedürfnissen angepasst werden. Pädagogische Begleitmaßnahmen für Lernschwächere können zu mehr Lernzeit und trotzdem zu einem regulären Abschluss führen, genau so wie die Verkürzung der Lernzeit für leistungsstarke Auszubildende möglich sein muss. (2) Damit kein Qualifizierungsschritt mehr ohne Abschluss, Anerkennung und Anrechnung bleibt, werden die bestehenden Übergangsmaßnahmen zwischen Schule und Ausbildung in eine Ausbildung nach dem dualen Prinzip überführt sowie von Kammern und Berufsschulen organisiert und anerkannt. … Die einjährigen Lehrgänge an Berufsfachschulen (BFS) sollen zu einem Grundmodul innerhalb der Ausbildung weiterentwickelt werden. Für weiterhin notwendige Berufsvorbereitung wie z.B. das Berufsvorbereitungsjahr sollten Produktionsschulen ausgebaut werden, d.h. Schulen, die reale Arbeitsprozesse integrieren. Dort werden zusätzlich theoretische Kenntnisse nachgeholt und soziale Kompetenzen vermittelt. Nachholende Schulabschlüsse und die gleitende Überführung in Ausbildung ist das Ziel. Produktionsschulen können an überbetrieblichen Einrichtungen, an Berufsschulen und mittelfristig an allgemeinbildenden Schulen eingerichtet werden, um die Schulabbrecherquote zu senken. (3) Es wird ein Berufsabitur als zweiter Regelabschluss für die Berufsbildung eingeführt. Damit hat jeder Auszubildende die Chance, eine Hochschulzugangsberechtigung – eventuell fach- oder berufsfeldgebunden – zu erwerben. … Dieser Regelabschluss ist an zusätzliche Lernleistungen der Auszubildenden gebunden, für die sie sich freiwillig entscheiden können. … Das Berufsabitur würde die Attraktivität der Berufsbildung erhöhen, die soziale Bildungsbenachteiligung abmildern helfen, zu einer besseren Nutzung von Ausbildungszeiten führen und den Nachwuchs der Betriebsleitungen im Mittelstand fördern. Bund und Länder müssen den Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte ohne Abitur bundeseinheitlich regeln und materiell unterstützen. Eine Vereinheitlichung der heute bestehenden vielfältigen Sonderregelungen … hätte eine Umgestaltung der Ausbildungscurricula … zur Voraussetzung. … (5) Die Realisierung der Vorschläge ist nicht mit hohen Kosten verbunden, da sie sogar zu einer beträchtlichen Erhöhung der Bildungseffizienz führen kann. Ohne die Kooperation bzw. Zustimmung institutioneller Akteure wie den Tarifparteien, den Kammern und Unternehmen, freien Trägern und Kultus- und Wissenschaftsverwaltungen ist sie aber nicht zu erreichen. … * Wertschätzung von Bildung und Leistung – Kulturelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen für Schulerfolg … Reformkonzepte müssen jedoch berücksichtigen, dass sie in gesellschaftliche und kulturelle Kontexte eingebettet sind. Wird dies nicht bedacht, werden möglicherweise Nebenwirkungen übersehen, die zu unerwünschten Effekten führen. … Bildung muss Menschen befähigen, handlungsfähig zu werden. Dazu gehört neben dem Erwerb von Kompetenzen die Überzeugung der eigenen Selbstwirksamkeit, das eigene Leben aktiv handelnd bewältigen zu können. Solche Haltungen und Befähigungen zu fördern, gehört zu den obersten Aufgaben aller Bildungsinstitutionen. Allerdings werden solche Haltungen nicht allein und oft nicht einmal in erster Linie in den Bildungseinrichtungen erzeugt, sondern es gibt dafür sehr unterschiedliche individuelle und gesellschaftliche Voraussetzungen. Dazu gehören historische Entwicklungen, in denen sich durchaus regional unterschiedliche Lernkulturen entwickelt haben, religiöse Wertsetzungen und gesellschaftlich günstige oder weniger günstige Konditionen für individuelle Anstrengungsbereitschaft. Diese wirken auf die Bildungseinrichtungen ein und beeinflussen dort individuelles Lernverhalten sowie das Verhalten der Akteure zueinander. … Leistungsorientierung als kultureller Habitus Es gibt offensichtlich in verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche Wertungen von Leistung und Leistungsorientierung. In Deutschland sehen sich Schülerinnen und Schüler bei einer engagierten Leistungsorientierung häufig dem „Streber“- Vorwurf ausgesetzt. Auch bei Lehrkräften wird die Betonung von hohen Leistungsforderungen schnell mit Befürchtungen vor Ausgrenzung verbunden und der Sorge, dass schwächere Schülerinnen und Schüler verlieren könnten. Befürworter hoher Leistungsstandards in Schulen formulieren diese auch häufig eher als Drohung denn als positive Aufgabe, zu deren Bewältigung junge Menschen befähigt werden sollen und können. … Individuelle Haltungen und Einstellungen Haltungen und Einstellungen der Personen in der unmittelbaren und medialen Umwelt haben Auswirkungen auf die Entwicklung der Selbstbilder und der Leistungsbereitschaft von Kindern und Jugendlichen. Dies gilt auch für die Erwartungshaltungen von Lehrkräften an Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Herkunft. Die „self-fulfilling prophecy“ im Bildungsbereich ist hinreichend erforscht, in der Ausbildung von Pädagogen müsste ihr noch größeres Gewicht beigemessen werden. In der Lehrerbildung sollte die Kategorie der Selbstwirksamkeitserwartung eine größere Rolle spielen, sowohl hinsichtlich der Überzeugung der eigenen Wirksamkeit als auch der der Schüler und Schülerinnen. Das bedeutet auch, dass in der Lehrerbildung – und zwar in der Aus- und Fortbildung – sowie bei der Rekrutierung von Lehrkräften auf entsprechende Kompetenzen geachtet wird und diese unterstützt werden. Damit sich Haltungen und Handlungen der Akteure ändern, sollten Steuerungsinstrumente wie z.B. Zielvereinbarungen und Verträge stärker eingesetzt werden. … Durch Lern- und Bildungsverträge sollte man insbesondere die Kooperation von Lehrkräften, Erziehern und Erzieherinnen, Eltern sowie Schülerinnen und Schülern verbessern. Diese Instrumente sollen die Verpflichtung auf Leistungsbereitschaft einerseits und Unterstützung andererseits stärker ins Bewusstsein rücken. Selektivität des Bildungsbegriffs Das Heimischmachen in der eigenen Kultur und die Vermittlung von kulturellen Traditionen und Fertigkeiten ist eine Kernaufgabe der Menschenbildung durch die Schule. Kultur und Bildung sind in Deutschland jedoch immer noch emphatisch aufgeladen und häufig noch stärker auf Abgrenzung gegenüber Nichtgebildeten bedacht denn auf Inklusion. Sie verweisen auf eine ausgrenzende Traditionsbildung und erschweren die Akzeptanz eines inklusiv angelegten Kompetenzbegriffs, der auf Handlungsorientierung und Anwendbarkeit zielt. … Die Auswahl der schulischen Lerngegenstände muss sich daraus legitimieren, dass sie zum Kompetenzerwerb motivieren. Die derzeitigen schulischen Curricula sind häufig eher dazu geeignet zu definieren, wer nicht gebildet ist, als dass sie für Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Elternhäusern ausreichende Anreize bieten. Die Ergebnisse internationaler Vergleichsstudien lassen den Schluss zu, dass gerade benachteiligte Jugendliche in ihren Kompetenzpotenzialen unterfordert werden, weil die Lerngegenstände hierzulande für sie ungeeignet sind oder in einem zu wenig anspruchsvollen Unterricht bearbeitet werden. Auch wenn diese Aspekte in ihrem Einfluss auf den erforderlichen Mentalitätswandel punktuell und begrenzt erscheinen, darf doch nicht unterschätzt werden, dass ihre Berücksichtigung helfen würde, hohe Leistungsanforderungen mit Lernfreundlichkeit und Unterstützung zu verbinden. Leistung wird damit nicht durch Androhung von Selektion gesteigert, sondern mit mehr Bildungsgerechtigkeit auf höherem Niveau angestrebt. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf optimistische Erwachsene, die ihnen zutrauen, erwartete Leistung auch zu erbringen. ZUSAMMENFASSUNG Die Antworten auf PISA, die von verschiedenen verantwortlichen Stellen formuliert wurden, sind im Kern richtig und begrüßenswert. Die erforderlichen Maßnahmen werden in den Ländern allerdings bisher zu wenig durchschlagskräftig und zu wenig konsequent umgesetzt. Während die Maßnahmen zur Qualitätssicherung oft sehr umfassend über neue Regulierungen ausgestaltet werden, sind die Antworten auf die Sicherung der Lern- und Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen in Risiko-Lebenslagen, die insgesamt ca. 20 Prozent aller Schülerinnen und Schüler umfassen, ungenügend und halbherzig. Gleiches gilt für Antworten zur Förderung von Bildungsgerechtigkeit. Dazu empfiehlt die Schulkommission: (1) Realisierung eines Konzepts der Förderung von Lernen und von Kompetenzentwicklung im Lebenslauf. In jeder Lebensphase kann es bei Entscheidungen über den weiteren Bildungsverlauf zu selektiven Chancenzuweisungen kommen, die nicht durch die Leistung gerechtfertigt sind. Dies erfordert vor allem eine Stärkung der institutionellen Durchlässigkeiten, die Ermöglichung von Wiedereinstiegen und die Gestaltung von Bildungsgängen nach dem Prinzip „kein Abschluss ohne Anschluss“. (2) Ausrichtung auf systemische Ansätze, die sowohl die Unterstützung der Eltern, die Förderung in Kindertageseinrichtungen und Schule als auch die Gestaltung durchlässiger Bildungswege mit flexiblen Übergängen ins Zentrum rücken. In Bezug auf schulische Instrumente empfiehlt die Schulkommission: – Mehr motivierend gestaltete Lern- und Bildungszeiten verbunden mit besserer und flexibler Nutzung der schulisch vorhandenen Zeit. Für die Kinder und Jugendlichen der Risikogruppe muss durch Ausweitung des Ganztagsangebots, durch Angebote an Wochenenden oder in den Ferien zusätzlich mehr Lebenszeit für das formelle Lernen genutzt werden. – Ausbau eines mittleren Abschlusses nach dem 10. Schuljahr als angestrebte Grundqualifikation für alle. Er sollte mit unterschiedlichen Profilen ausgestattet und auf verschiedenen Wegen auch im 11. und 12. Schuljahr nachgeholt werden können. Um aussagekräftige Abschlussprofile zu entwickeln, müssen Basiskompetenzen definiert werden, die als „Bringschuld“ staatlicher Schulsysteme gegenüber keiner Gruppe von Jugendlichen verfehlt werden dürfen. – Die demographische Entwicklung und die Stärkung verschiedener Wege zu Ausbildung und Hochschule erfordern eine flexiblere Handhabung der Schulformfragen vor Ort, die sich in Richtung einer größeren Integration der bestehenden Schulformen bewegen sollten. Hauptschulen sollten auslaufen und durch inklusivere Schulformen ersetzt werden. Die Schulkommission unterstützt diese Entwicklungen in den Ländern und legt Wert auf pragmatische Lösungen und die Akzeptanz im regionalen und lokalen Umfeld. Die zur Verringerung der Risikogruppe erforderlichen qualitativen Veränderungen der Lern- und Lehrkulturen lassen sich in Verbindung mit derartigen flächendeckenden Schulstrukturreformen deutlich beschleunigen. – Gestaltung von drei Wegen zur Hochschulzugangsberechtigung. Neben der Hochschulzugangsberechtigung nach 12 Jahren sollte vor allem die Möglichkeit beibehalten oder ausgebaut werden, nach 13 Jahren die Hochschulreife zu erwerben, die gleichgewichtig neben dem Abitur nach 12 Jahren zu stehen hätte. Der dritte, der berufsbezogene und über Module differenzierte Weg zur Hochschulreife, sollte klarer geregelt, vereinheitlicht und in der Gestalt eines Berufsabiturs ausgebaut werden. Dazu bedarf es auch einer Überarbeitung der fachspezifischen Hochschulzugänge. … (4) Die Orientierung auf den Lebenslauf von Kindern und Jugendlichen und die Beachtung systemischer Bezüge kann am besten in regionalen Bildungslandschaften verwirklicht werden. Solche lokalen und regionalen Verantwortungsgemeinschaften für Kindheit und Jugend stärken die Verantwortung vor Ort, fördern zivilgesellschaftliches Engagement und sind Ausdruck einer Kultur der Vorsorge, die die Stärkung der Leistungsfähigkeit der Kinder als Beitrag der Gemeinschaft für ihre eigene Lebensvorsorge begreift. (5) Bildungsgerechtigkeit für die Kinder und Jugendlichen der Risikogruppe kann nur in Verbindung mit einer hohen Leistungsorientierung erreicht werden. Die Schulkommission hält daran fest, dass Leistung und nicht Herkunft über soziale Chancen entscheiden soll. Dazu braucht es die Unterstützung durch ein leistungs- und lernfreundliches Klima in und außerhalb der Schule, das den Kindern und Jugendlichen keine falsche Nachsicht entgegenbringt, sondern sie an konsistenten Leistungsanforderungen die Erfahrung ihrer Selbstwirksamkeit machen lässt. (6) Um der Förderung von Schülerinnen und Schülern in riskanten Lebenslagen den nötigen Rückhalt zu verleihen, empfiehlt die Schulkommission ein zusätzliches Förderprogramm des Bundes und der Länder für die Entwicklung lokaler und regionaler Verantwortungsgemeinschaften für Kindheit und Jugend. Die Mittel für dieses Programm könnten bundesseitig aus einer progressiven Umwidmung des Solidaritätszuschlags in einen Bildungssoli und von Seiten der Länder aus der „demographischen Rendite“ stammen. “ Die Empfehlungen in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang oder aufgeführtem Link.

http://www.boell.de/bildungkultur/bildung-kultur-5212.html

Quelle: Heinrich-Böll-Stiftung

Dokumente: Bildungsgerechtigkeit_im_Lebenslauf.pdf

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