Wir sind uns ähnlicher als wir denken

SINUS-MIGRANTEN-MILIEU-STUDIE WIDERLEGT ZAHLREICHE VORURTEILE Die öffentliche Debatte um Migration und Integration ist in der Regel stark von Problemanzeigen und von Krisenszenarien geprägt. Damit räumt die Sinus-Migranten-Milieu-Studie auf. So etwa sind 33% der Migranten Katholiken und 44% der befragten Gruppe verfügen über ein mittleres bis gutes Einkommen. Quer durch die Milieus herrscht ein Bildungsoptimismus. Dies sind gute Anknüpfungspunkte für eine gelingende Integrationspolitik. Aus Sicht des Deutschen Caritasverbandes (DCV) enthält die Studie reichlich Material um Verständnis aufzubauen, Verständnis für das Verbindene und Verständnis für das Trennende. Außerdem bietet sie viele Anknüpfungspunkte für die Arbeit des DCV als Anwalt, Dienstleister und Solidaritätsstifter. Für die repräsentative Studie der Migenten-Milieus wurden 2072 Personen in den Jahren 2006 bis 2008 befragt. Dazu gehörten Spätaussiedler aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks, Ausländer oder eingebürgerte Deutsche, die selbst oder deren Eltern aus dem Ausland eingewandert sind. Auszüge aus Studien-Erkenntnissen: “ VIELFÄLTIG UND IN VIELEM DEN EINHEIMISCHEN ÄHNLICH … Die in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund sind so unterschiedlich und facettenreich wie die einheimische Bevölkerung. Die Sinus-Studie gruppiert sie in acht Milieus. Diese setzen sich aus Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, Religionen und Herkunftskulturen zusammen. Was sie verbindet, sind ähnliche soziale Lagen, ähnliche Denkweisen und ähnliche Lebensstile. Auffallend ist: Keines der acht Milieus wird von nur einer Herkunftsgruppe bestimmt. Parallelen zu den „deutschen Milieus“ Im Vergleich zur deutschen Gesamtbevölkerung weisen die Einwanderer und deren Kinder zwar einige Besonderheiten auf, aber es gibt auffallende Parallelen: Auch unter den Menschen mit Migrationshintergrund gibt es eine breite bürgerliche Mitte sowie intellektuelle, modern eingestellte Milieus. Und auch die Einstellungen der Einwanderer in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen unterscheiden sich nicht völlig von denen der einheimischen deutschen „Unterschicht“. Unterschiede aufgrund unterschiedlicher Prägungen Zugleich zeigt die Studie aber auch, wo es Unterschiede gibt – nicht nur zwischen Einheimischen und Eingewanderten, sondern auch zwischen den verschiedenen Milieus. Dort finden sich sowohl Menschen, die einer traditionalistischen Weltsicht und ihren Herkunftskulturen weitgehend verhaftet geblieben sind, als auch postmodern denkende Menschen, für die die Festlegung auf eine Kultur keine Rolle mehr spielt. Die Unterschiede zu den Einheimischen gründen sich vor allem auf unterschiedliche kulturelle und sprachliche Hintergründe und Erfahrungen. Die meisten Migranten hatten bei ihrer Ankunft in Deutschland nichts, woran sie hätten anknüpfen können: Kein Familienunternehmen, kein Immobilienbesitz, keinen einheimischen Bildungsabschluss. WESENTLICHE MERKMALE DER ACHT MIGRANTENMILIEUS IN DEUTSCHLAND * Bürgerliche Migranten-Milieus – Sinus B23 Adaptives Bürgerliches Milieu (16 Prozent) Die pragmatische moderne Mitte der Migrantenpopulation, die nach sozialer Integration und einem harmonischen Leben in gesicherten Verhältnissen strebt – Sinus AB12 Statusorientiertes Milieu (12 Prozent) Klassisches Aufsteiger-Milieu, das durch Leistung und Zielstrebigkeit materiellen Wohlstand und soziale Anerkennung erreichen will * Traditionsverwurzelte Migranten-Milieus – Sinus A3 Religiös- verwurzeltes Milieu (7 Prozent) Vormodernes, sozial und kulturell isoliertes Milieu, verhaftet in den patriarchalischen und religiösen Traditionen der Herkunftsregion – Sinus AB3 Traditionelles Arbeitermilieu (16 Prozent) Traditionelles Blue Collar Milieu der Arbeitsmigranten und Spätaussiedler, das nach materieller Sicherheit fürsich und seine Kinder strebt * Ambitionierte Migranten-Milieus – Sinus BC2 Multikulturelles Performermilieu (13 Prozent) Junges, leistungsorientiertes Milieu mit bi-kulturellem Selbstverständnis, das sich mit dem westlichen Lebensstil identifiziert und nach beruflichem Erfolg und intensivem Leben strebt – Sinus B12 Intellektuell-kosmopolitisches Milieu (11 Prozent) Aufgeklärtes, global denkendes Bildungsmilieu mit einer weltoffenen, multikulturellen Grundhaltung und vielfältigen intellektuellen Interessen * Prekäre Migranten-Milieus – Sinus B3 Entwurzeltes Milieu (9 Prozent) Sozial und kulturell entwurzeltes Milieu, das Problemfreiheit und Heimat/Identität sucht und nach Geld, Ansehen und Konsum strebt – Sinus BC3 Hedonistisch-subkulturelles Milieu (15 Prozent) Unangepasstes Jugendmilieu mit defizitärer Identität und Perspektive, das Spaß haben will und sich den Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft verweigert … Der größte Teil der Menschen mit Migrationshintergrund lebt gerne oder sehr gerne in Deutschland. In diesem Land sehen sie ihre weitere Lebensperspektive, sie sind bereit, sich dafür anzustrengen und sich an die Verhältnisse anzupassen. Sie wollen aus eigener Kraft weiterkommen, um Erfolg in Beruf und Leben zu haben. Die meisten haben auch tatsächlich Beruf und Einkommen. Für 69 Prozent gilt: „Jeder der sich anstrengt, kann sich hocharbeiten.“ Die meisten sind sich bewusst, wie wichtig dafür gute deutsche Sprachkenntnisse und eine gute Bildung sind. 86 Prozent stimmen der Aussage zu: „Ohne die deutsche Sprache kann man als Zuwanderer in Deutschland keinen Erfolg haben.“ Einwanderer und deren Nachkommen möchten aber auch, dass die Gesellschaft ihre Anstrengungen, ihre mitgebrachten Bildungsabschlüsse, ihre Mehrsprachigkeit und ihre Kulturen anerkennt oder sich zumindest dafür interessiert. 39 Prozent fühlen sich als Zuwanderer ausgegrenzt oder diskriminiert. Für sie gilt der Satz: „Menschen mit Migrationshintergrund sind in Deutschland Bürger zweiter Klasse.“ Dieser Aussage stimmen vor allem die zu, denen eine Etablierung in der Mitte der Gesellschaft nicht gelungen ist oder die sich mit ihrer multi-kulturellen Perspektive verkannt fühlen. … In allen Altersgruppen und Milieus zeigt sich ein dynamischer Wertewandel. Die Befragten oder ihre Eltern sind von einem Ort zu einem anderen gewandert. Sie haben sich auf den Weg gemacht, um hier eine bessere Zukunft zu finden. Dafür sind die meisten von ihnen auch bereit und fähig mit Veränderungen umzugehen und sich den jeweiligen Umständen anzupassen. EINBÜRGERUNG IST NICHT FÜR ALLE INTERESSANT … 45 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund sind deutsche Staatsbürger – entweder weil sie eingebürgert wurden oder als Spätaussiedler kamen. Neun Prozent haben sowohl die deutsche als auch eine andere Staatsangehörigkeit. 55 Prozent sind Ausländer. Davon wollen 36 Prozent Deutsche werden. 64 Prozent lehnen eine Einbürgerung ab oder sehen diesen Schritt eher unwahrscheinlich. … Warum sich jemand für oder gegen eine Einbürgerung ausspricht, hat viel mit seiner Lebenslage, seinen Ambitionen in Deutschland und seinem Alter zu tun. Entscheidend ist etwa, ob die Person aufgrund eines geringen Einkommens um ihren Aufenthaltsstatus in Deutschland fürchten muss und ob sie noch Bezüge vom Herkunftsland hat. Für die Caritas steht fest: Es muss sich einiges ändern, damit Deutschland eine einbürgerungsfreundliche Gesellschaft wird. Die Ausländer wollen dazu gehören und rechtlich gleichgestellt werden, weil sie dauerhaft in diesem Land leben. Allerdings zeigen die Ergebnisse der Sinus-Studie auch, dass mit der rechtlichen Gleichstellung allein die Probleme von Diskriminierung, Ausgrenzung, Marginalität und prekären Lebenslagen nicht überwunden werden können. DAS GROSSE ZIEL HEISST BILDUNG Viele Menschen mit Migrationshintergrund sind optimistisch, dass sie Bildung oder Ausbildung im Leben weiterbringen. Etliche aus der Elterngeneration haben einen niedrigen Bildungsstand und gehen ungelernten Tätigkeiten nach. Sie hoffen allerdings darauf, dass es ihre Kinder durch eine höhere Bildung besser haben werden. Die Studie zeigt allerdings, dass weder ein guter, im Ausland erworbener Bildungs- oder Berufsabschluss noch das Durchlaufen des deutschen Bildungssystems eine Garantie für eine angemessene berufliche Laufbahn und ein entsprechendes Einkommen sind. Auch nicht gute oder sehr gute Deutschkenntnisse. Armut, Orientierungslosigkeit und mangelnde Teilhabe an der Gesellschaft. Damit kämpfen gerade auch Einwandererkinder, die hier zur Schule gegangen sind und dennoch keinen oder nur sehr niedrige Schulabschlüsse oder Berufsausbildungen erlangen. BERATUNG NACH SOZIALEN NOTLAGEN … Fast alle Menschen mit Migrationshintergrund kennen Beratungsdienste wie die Sucht- und Schwangerenberatung sowie die Schuldner- oder Familienberatung. Den Beratungsstellen, die sie ausschließlich bei Fragen zu Migration und Integration unterstützen, messen sie mit 36 Prozent die geringste Wichtigkeit bei. Die Suchtberatung halten aber 47 Prozent für sehr wichtig. Dieses Ergebnis der Sinus-Studie weist darauf hin, dass sich die Menschen immer weniger als Migranten oder zu integrierende Personen verstehen. Sie brauchen Hilfe als von Sucht Betroffene, als Schwangere, als Menschen in der Schuldenfalle oder in Familienkrisen. Was zählt, ist die soziale Notlage, nicht die Herkunft. Dennoch gibt es vor allem ältere Menschen und Personen mit einfacher Schulbildung, für die die Unterstützung der Migrationsdienste und die muttersprachliche Beratung wichtig ist, um überhaupt Hilfe in Anspruch zu nehmen. Fachleute, die gute und richtige Antworten geben, eine Beratung, die vertraulich bleibt, sowie Dienste, die kostenfrei und gut zu erreichen sind. Diese Anforderungen sollten erfüllt sein, damit die Beratungsdienste der Caritas für Menschen mit Migrationshintergrund interessant sind oder werden. Den höchsten Bekanntheitsgrad sozialer Dienste hat unter den Migranten und ihren Kindern das Deutsche Rote Kreuz mit 92 Prozent. Danach folgen Kirche mit 78 und die Caritas mit 67 Prozent. Acht Prozent der Befragten nutzen die Dienste der Caritas. Allerdings erreicht das Hilfsangebot nicht alle Milieus gleichermaßen – obwohl die sozialen Notlagen in diesen Milieus durchaus vorhanden sind. MIGRANTEN BLEIBEN NICHT NUR UNTER SICH … Seit Jahrzehnten organisieren sich Menschen mit Migrationshintergrund in Vereinen. In der öffentlichen Debatte wurden diese Heimat- und Kulturvereine und insbesondere die religiösen Organisationen der Muslime oft kritisch betrachtet und in die Kategorie Parallelgesellschaft gesteckt. Erst mit dem Integrationsgipfel, den Kanzlerin Merkel erstmals 2006 einberufen hat, wurden einige dieser Organisationen als Dialogpartner auf Augenhöhe anerkannt. Viele von ihnen engagieren sich selbst in Politik und Gesellschaft, und setzen sich für die Integration ein. … Am meisten genutzt werden religiöse Vereine, Kulturvereine, ethnische Sportvereine, Interessenvertretungen einer Herkunftsgruppe oder Heimatvereine. Die meisten suchen dort Geselligkeit mit Landsleuten. Nicht ganz unwichtig ist für einige aber auch die Hoffnung auf finanzielle Unterstützung in Notlagen. … 22 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund sind aktives oder passives Mitglied von Migrantenorganisationen. In den Vereinen der Einheimischen engagieren sich 18 Prozent, weitere zwölf Prozent würden gerne mitmachen. Dazu fehlt den meisten die Zeit (68 Prozent), der passende Verein oder sie scheuen sich, weil sie dort niemand kennen (52 Prozent). Allerdings gibt jeder Vierte als Grund, weshalb er sich nicht beteiligt, den schwierigeren Stand als Migrant an, sowie die Furcht vor Ausgrenzung oder ungenügende Deutschkenntnisse. “ Die Studie wurde von einem Gremium aus Politik, Medien und Verbänden beauftragt. Ziel der Gesamtstudie war es, die Alltagswelt und Lebensstile der in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund zu untersuchen. Die Studie besteht aus einem Basisteil und den Exklusivteilen der einzelnen Auftraggeber. Ausgewählte Ergebnisse, weitere Informationen zur Studie und Positionen des Deutschen Caritasverbandes finden Sie unter aufgeführtem Link.

http://www.caritas.de/sinusmigranten
http://www.sinus-sociovision.de
http://www.kam.de

Quelle: Deutscher Caritasverband e.V. Berliner Büro – Pressestelle KAM-Newsletter

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