Attraktivität und Qualität: Herausforderungen für die Berufsbildung

GESTALTUNG DER BERUFSBILDUNG Da die Lücke auf dem Ausbildungsstellenmarkt nicht geschlossen werden konnte, bleibt immer noch ein erheblicher Teil der Schulabgänger ohne Ausbildungsplatz. Sie entscheiden sich für schulische Bildungsgänge oder nehmen an alternativen Maßnahmen teil. Zumeist erwerben sie keinen vollwertigen beruflichen Abschluss und vielfach werden sie von einer Maßnahme in die nächste geschickt. Für eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt hingegen benötigen sie eine Berufsausbildung, eine vollwertige und auf dem Arbeitsmarkt anerkannte Berufsausbildung. Dabei sollten Wirtschaft und Unternehmen bei der Ansstellung nicht danach unterscheiden, an welchem Lernort oder in welcher Organisationsform ein junger Mensch seine Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat. Im Rahmen des 10. Christiani Ausbilderinnen- und Ausbildertags im September in Konstanz hat der Forschungsdirektor des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), Prof. Dr. Reinhold Weiß, Herausforderungen an die Berufsbildung skizziert. Dazu zählen für Weiß u.a. die Dualisierung der Benachteiligtenförderung, die Integration von Zusatzqualifikationen ins Berufsbildungssystem oder eine systematische Qualitätssicherung in der Berufsbildung. Auszüge aus dem Vortrag von Prof. Dr. Reinhold Weiß „Attraktivität und Qualität: Herausforderungen für die Berufsbildung“: “ DIE BERUFSAUSBILDUNG ATTRAKTIV MACHEN * Einstellen auf Heterogenität der Zielgruppen Früher einmal … war die Ausgangslage für die Berufsbildung relativ klar: Jugendliche verließen mit 14 Jahren die Schule und begannen mit einem Abschluss der Volksschule eine Lehre. Das heißt: Die Lehrlinge waren in einem einheitlichen Alter und hatten einen einheitlichen Bildungshintergrund. … Heute liegt das Durchschnittsalter der Auszubildenden bei rund 19 Jahren. Das heißt: Neben dem 16-Jährigen sitzt unter Umständen ein 23-Jähriger. Auch ist das formale Niveau der Vorbildung wesentlich höher und zugleich differenzierter. Unter den Azubis finden wir die ganze Palette der Schulabschlüsse, von Jugendlichen ohne Schulabschluss bis hin zu Abiturienten und Studienabbrechern. Auch die Berufsausbildung selbst ist heterogener geworden. Wir haben Berufe mit hohen Anforderungen … die praktisch Abitur oder Fachhochschulreife voraussetzen. Auf der anderen Seite gibt es Qualifizierungsbausteine, Fördermaßnahmen und Ausbildungsberufe mit einem sehr schmalen oder niedrigen Qualifikationsprofil. … Für diejenigen, die die Schule ohne ausreichende Kulturtechniken verlassen, bleiben die Maßnahmen des Übergangssystems, in denen sie mehr schlecht als recht auf eine Berufsausbildung oder eine Berufstätigkeit vorbereitet werden. Ein Berufsbildungssystem muss diese Spannbreite abdecken und ihr gerecht werden. Das erfordert fürwahr ein beträchtliches Maß an Flexibilität in den Systembedingungen wie auch in den Gestaltungskompetenzen der Akteure. Angesichts der demographischen Entwicklung bedeutet dies zweierlei: – Zum einen muss das duale System ausreichend attraktiv für Hochqualifizierte sein und bleiben. … – Zugleich werden sich die Betriebe darauf einstellen müssen, ihren Fachkräftenachwuchs aus dem Potenzial jener Jugendlichen zu erschließen, die bislang wegen einer mangelnden Ausbildungsreife oder aus anderen Gründen ohne Ausbildung geblieben und stattdessen im „Übergangssystem“ gelandet sind. Das sind vor allem die Hauptschulabsolventen, die Schulabgänger mit schlechteren Leistungen, die Migranten und die Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Auf diese neue Situation müssen sich alle Akteure der beruflichen Bildung einstellen. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) erwächst aus dieser Heterogenität der Lernvoraussetzungen eine große Herausforderung. Sie müssen ihre Ausbildung variabler und flexibler gestalten und sich viel mehr als früher auf Unterschiede in der Vorbildung, in den Anforderungen, der Lernfähigkeit sowie auch den Interessen der Auszubildenden einstellen. Dazu brauchen sie Unterstützung, vor allem durch externe Partner. Das können die Berufsschulen, Beratungsstellen, Wirtschaftsorganisationen oder Bildungsanbieter sein. Konkret geht es darum, – Betriebe bei der Auswahl von Bewerbern zu unterstützen, – eine sozialpädagogische Betreuung zu organisieren, – ausbildungsbegleitende Hilfen anzubieten, – Auslandsaufenthalte zu organisieren, – Ausbildungsverbünde zu organisieren, – Erfahrungsaustausch zu organisieren oder – Qualitätsmanagementsysteme einzuführen. … * Dualisierung der Benachteiligtenförderung … Trotz eines erheblichen Ressourceneinsatzes sowie vielen Modellen und Initiativen zur Stärkung der Praxisorientierung wird das Ziel, möglichst alle junge Menschen, die dies wünschen und die dazu befähigt sind, in eine vollqualifizierende Ausbildung mit einem anerkannten Abschluss zu führen, nicht erreicht. Dies liegt nicht zuletzt an der Vielfalt der Maßnahmen – hier ist zu Recht von einem Maßnahmendschungel die Rede. Es liegt aber auch an der fehlenden Verbindung der Maßnahmen untereinan-der und zu dualen und vollschulischen Bildungsmaßnahmen. Das bildungspolitische Ziel muss darin bestehen, die Vielfalt der Maßnahmen im Übergangsystem zu systematisieren, in seiner Vielfalt zu reduzieren und damit die Transparenz zu erhöhen. Letztlich geht es darum, alle Angebote im Übergang von der Schule in den Beruf so zusammenzufassen, dass damit eine wirkliche Brücke in eine reguläre Berufsausbildung, in weiterführende Bildungsgänge oder in eine Beschäftigung gebaut wird. Dazu muss den Jugendlichen die Möglichkeit gegeben werden, anerkannte, anschluss- und anrechnungsfähige Qualifikationen zu erwerben. … SICHERUNG DER QUALITÄT DER BERUFSAUSBILDUNG * Systemqualität der Berufsbildung … Die Entwicklung von Qualitätssicherungsansätzen muss europäisch anschlussfähig sein. Hierzu bietet die Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines europäischen Bezugsrahmens für Qualitätssicherung in der berufli chen Aus- und Weiterbildung (EQARF) eine wichtige Orientierung. Den Mitgliedstaa-ten wird empfohlen, auf der Grundlage ausgewählter Indikatoren die Qualität ihrer Berufsbildungssysteme kontinuierlich zu prüfen und in einem „Qualitätssicherungs-zyklus“ fortlaufend weiterzuentwickeln. Das heißt, es sollten solche Verfahren bevorzugt werden, die dem „Qualitätsentwicklungszyklus“ von EQARF entsprechen nicht im Sinne einer „Einheitslösung“, aber im Sinne eines Modells und eines Standards für Verfahren kontinuierlicher Qualitätsverbesserung. Ferner heißt dies, dass die Kompetenzorientierung, die Kompetenzdimensionen und die Deskriptoren sowie Niveaustufen des Europäischen und Deutschen Qualifikationsrahmens sich in der Definition von Qualitätszielen und Qualitätskriterien wiederspiegeln sollten. Das zeigt: Es wird zunehmend wichtig, Qualität und Qualitätsentwicklung auch auf der Systemebene verlässlich und international vergleichbar zu dokumentieren. Dies ist Voraussetzung für wechselseitiges Vertrauen bei der Anwendung der Qualifikationsrahmen. Unter diesem Gesichtspunkt sollten in den nächsten Jahren ausgehend von EQARF europäische Qualitätsindikatoren entwickelt und erprobt werden, die europäische Vergleiche erlauben, nationale Beson-derheiten berücksichtigen und die ständige Weiterentwicklung der Berufsbildungsqualität fördern und steuern können. * Verständigung über Qualität Wer über Qualität spricht und sie beurteilen oder gar messen will, braucht Ziel- und Normwerte er muss definieren, was unter einer (guten) Qualität zu verstehen ist. Dies wäre dann einfach, wenn eindeutige und unbestrittene Vorstellungen darüber bestünden, was Qualität ist und wie sie gemessen werden kann. Tatsächlich aber weichen die Vorstellungen in der Wissenschaft wie auch der beruflichen Praxis voneinander ab, gibt es keine verlässlichen Methoden und Instrumente, um Qualität eindeutig und zuverlässig zu bestimmen. Letztlich kann deshalb nur auf der Grundlage von Diskursen, in sozialen Austauschprozessen und mit Hilfe von Aushandlungsverfahren entschieden werden, was jeweils unter Qualität verstanden wird. Das deutsche „Konsensmodell“ in der Berufsbildung hat nicht zuletzt darin seinen Ursprung und eine wesentliche Begründung. Daraus ergibt sich für den Berufspädagogen Dieter Euler die Konsequenz: Qualität und Qualitätsziele müssen argumentativ begründet werden. Und das bedeutet, dass über Qualität in einem sozialen Prozess entschieden wird. Dies können Aushandlungsprozesse zwischen den Ausbildungsverantwortlichen und den internen Kunden, aber auch zwischen der Wirtschaft und der Politik oder den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften sein. Qualität und Qualitätsziele hängen deshalb immer auch vom sozialen Kontext und seinen Rahmenbedingungen ab. * Ergebnisse von BIBB-Untersuchungen … Aus der Sicht der Auszubildenden variiert die Qualität der Berufsausbildung in Deutschland beträchtlich. Mehr als die Hälfte der Auszubildenden (53 Prozent) beurteilt die Qualität als befriedigend. Jeder vierte (24 Prozent) schätzt die Ausbildung als gut ein jeder fünfte (21 Prozent) dagegen lediglich als ausreichend. Natürlich muss dabei in Rechnung gestellt werden, dass Auszubildende nur ein eingeschränktes Bild der Ausbildung und Ausbildungsqualität haben. Wollen Betriebe ihre Ausbildung als attraktives Qualifizierungsmodell im Wettbewerb um vollschulische und hochschulische Bildungsgänge positionieren, werden sie aber nicht umhin können, an den identifizierten Schwachstellen anzusetzen. … Positiv werten die Auszubildenden vor allem das Verhalten und die Eignung der Ausbilder und Ausbilderinnen, aber auch die materiellen Bedingungen der Ausbildung in den Betrieben. Dabei geht es vor allem um die Ausstattung der Arbeitsplätze. Weniger günstig werden das Lernklima sowie die inhaltliche/methodische Umsetzung der Ausbildung bewertet. Relativ selten wird die Ausbildung nach Einschätzung der Auszubildenden genau geplant und dann auch eingehalten. Regelmäßige Feedback-Gespräche darüber, wie die Auszubildenden zurechtkommen, wo Schwierigkeiten und Förderbedarf bestehen, finden nur in wenigen Betrieben statt. Die Berufsschulen schneiden insgesamt gesehen nicht schlechter als die Ausbildungsbetriebe ab. Sie können aus Sicht der Auszubildenden vor allem mit einem guten Klassenklima punkten. Als problematisch schätzen die Befragten allerdings die materiellen Bedingungen an den Schulen ein. Oftmals würden Werkzeuge und technische Ausstattungen eingesetzt, die nicht mehr auf dem neuesten technischen Stand sind. Auch schneidet das Lehrpersonal in den Berufsschulen im Vergleich zu den Betrieben bei den fachlichen Qualifikationen der Ausbilder sowie ihrer Fähigkeit, Lerninhalte verständlich zu erklären, deutlich schlechter ab. Am schlechtesten von allen untersuchten Qualitäts-Dimensionen schneidet die Zusammenarbeit der Lernorte Betrieb und Berufsschule ab. Ursache ist die Wahrnehmung der Auszubildenden, dass die an beiden Lernorten stattfindenden Lernprozesse kaum aufeinander abgestimmt sind, die Sinnhaftigkeit des in der Berufsschule Erlernten für die berufliche Praxis oftmals nicht deutlich wird und „Ausbildungsprojekte“, die von Betrieben und Berufsschulen gemeinsam durchgeführt werden, eher die Ausnahme als die Regel sind. Ein Vergleich der 15 untersuchten Ausbildungsberufe zeigt, dass es keinen Beruf mit durchgängig guten oder schlechten Bewertungen in allen Qualitätsbereichen gibt. Es zeigt sich ein buntes Bild mit vielfältigen Abstufungen. Am besten schneiden die Berufe „Bankkaufmann/Bankkauffrau“ und „Industriemechaniker/ Industriemechanikerin“ ab. Allein durch gesetzliche Vorgaben und staatliche Kontrollen ist die Ausbildungsqualität nicht zu gewährleisten. Notwendig sind Qualitätsmanagementinstrumente, die von den Verantwortlichen aus eigenem Interesse und zum eigenen Nutzen entwickelt, nachgefragt und eingesetzt werden. Durch die ISO-Zertifizierung und andere Instrumente ist hier schon einiges in Bewegung gekommen. Staatliches Handeln muss darauf gerichtet sein, derartige Initiativen zu fördern und zu unterstützen. Konkret: Es geht hierbei um den Erfahrungsaustausch und die Bildung von Qualitätsnetzwerken, die Kooperation der Ausbildungspartner und die Qualifizierung des Ausbildungspersonals. Auch eine freiwillige Auditierung auf der Basis von Ausbildungs-Standards, die über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehen, sollte kein Tabu sein. “ Die Ansprache von Prof. Dr. Weiß in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.

http://www.bibb.de
http://www.bibb.de/dokumente/pdf/a12_reinhold-weiss_herausforderung-berufsbildung.pdf

Quelle: BIBB

Dokumente: reinhold_weiss_herausforderung_berufsbildung.pdf

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