BUCHVERÖFFENTLICHUNG Kompetenzfeststellung bei benachteiligten Jugendlichen in Maßnahmen der Jugendsozialarbeit/Jugendberufshilfe soll dazu beitragen, persönliche Möglichkeiten, Stärken und Schwächen bei Jugendlichen festzustellen, Grundlage für die weitere pädagogische Beratung zu sein und die adäquate Berufsfindung zu erleichtern. Doch zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang werden diese Verfahren der Kompetenzfeststellung mit welcher Wirkung eingesetzt? Dieser Fragestellung ging ein Forschungsprojekt der Sozialwissenschaftlichen Forschungsstelle im Meinwerk-Institut nach. Eine aktuelle Publikation des IN VIA Verlages greift die Ergebnisse des Forschungsprojekts auf und diskutiert die Möglichlichkeiten und Grenzen von Kompetenzfeststellung in Maßnahmen der Jugendsozialarbeit/Jugendberufshilfe. Einen Einblick in die Entwicklung und Anwendung von Verfahren der Kompetenzfeststellung gewähren Autoren und Autorinnen, die über ihre Praxis berichten. Eine andere Perspektive eröffnen Evaluationsergebnisse von Maßnahmen der Kompetenzfeststellung. Diese unterschiedlichen Einblicke und Perspektiven führen zu Empfehlungen zur Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen in der Jugendsozialarbeit. Es wird den Akteuren und Akteurinnen der Jugendsozialarbeit geraten, ihre sozialpädagogischen Interessen mutig zu vertreten, ihre Kompetenzfeststellungsverfahren auf ihre pädagogische Wirksamkeit hin zu prüfen und darüber nachzudenken, ob Kompetenzfeststellung nicht gerade am Ende von Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen vor allem den Jugendlichen selbst Auskunft über ihren Kompetenzzuwachs geben und schließlich auch der Öffentlichkeit gegenüber den Erfolg von Maßnahmen verdeutlichen kann. Auszüge aus der Buchveröffentlichung ‚Die Quadratur des Kreises‘: „EMPFEHLUNGEN ZUR DURCHFÜHRUNG VON QUALIFIZIERUNGSMAßNAHMEN IN DER JUGENDBERUFSHILFE Der sozial- und berufspädagogische Fördergrundsatz in der beruflichen Integrationsförderung des Übergangssystems ist von einer „optimistischen Anthropologie“ (Bojanowski 2005) geprägt. Ihre Leitideen beinhalten so hehre pädagogische Grundsätze wie Ganzheitlichkeit von Lernprozessen, Kompetenz- und Lebensweltorientierung, Individualisierung und Partizipation. In ihnen äußern sich die professionellen sozial- und berufspädagogischen Ansprüche der Förderpraxis, die auf gesellschaftliche Teilhabe, Chancengleichheit, Selbstentfaltung, individuelle Entwicklung und Emanzipation zielen. Am Paradigma des Kompetenzansatzes zeigen sich diese Ansprüche wie in einem Brennglas, wenn etwa betont wird, dass der defizitorientierte Blick auf Jugendliche zugunsten eines auf ihre Stärken und Entwicklungspotenziale gerichteten abzulösen sei. Handlungsleitend sollte für die Pädagogik in den Maßnahmen der Jugendberufshilfe, der Glaube an die Jugendlichen, die Vermittlung von Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten sowie die Suche nach Ansatzpunkten für ihre positive Entwicklung sein. Doch die Ergebnisse von Studien zum Verbleib der Jugendlichen aus den Fördermaßnahmen des Übergangssystems orientieren sich nicht an den pädagogischen Ergebnissen der Maßnahmen, sondern am arbeitsmarkpolitischen Erfolg. Dieser ist offensichtlich nicht besonders hoch, weil etwa nach fünfzehn Monaten Maßnahmedauer nur höchstens 35 % in eine vollqualifizierende betriebliche Berufsausbildung einmünden, aber 32 % weiterhin im Übergangssystem verbleiben, oder erwerbstätig bzw. arbeitslos sind. Angesichts dieses unbefriedigenden Ergebnisses muss man sich fragen, ob dies nicht auch mit geringerem Aufwand hätte ermöglicht werden können. Und auch die allerdings spärlichen Befunde zu den Wirkungen der beruflichen Integrationsmaßnahmen bestätigen eher das bekannte Matthäus-Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben“. So wurde beispielsweise durch die Evaluation der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen des CJD, die Bleck und Enggruber durchgeführt haben, gezeigt, dass bei den MaßnahmeteilnehmerInnen mit besseren Eingangsvoraussetzungen kaum Verbesserungen ihrer Kompetenzen erzielt wurden. „Dafür konnten sie aber (…) deutlich häufiger in eine betriebliche Ausbildung vermittelt werden“. Offenbar werden die berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen also ihren intendierten Zielen nicht gerecht, und man muss zu dem Schluss kommen, dass sie in ihrer jetzigen Form für die Verbesserung des Übergangs von Jugendlichen in Ausbildung nur wenig geeignet sind. Dies … birgt … auch eine große Gestaltungschance. … Angesichts des psychosozialen Förder- und Stabilisierungsbedarfs einer großen Gruppe von Jugendlichen in den Maßnahmen muss der einseitige Erfolgsfokus auf die Vermittlung in Ausbildung oder Arbeit kritisch betrachtet werden. Wenn man das tut, dann kann die Pädagogik von der Bürde der arbeitsmarktpolitischen Erwartungshaltungen befreit werden. Damit kann sich die Chance für die Jugendberufshilfe eröffnen, sich explizit zu einem bisher nicht konsequent formulierten (Aus-)Bildungsanspruch zu bekennen und diesen konsequent auszugestalten, wie dies ansatzweise etwa in der Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen (BaE), aber auch in vielen … Maßnahmen geschieht. Immerhin ist das berufliche Übergangssystem inzwischen für einen großen Teil der Jugend unter der Hand faktisch längst zu einer wichtigen Sozialisations- und Bildungsinstanz geworden, ohne dass sich allerdings schon klare Konturen oder gar verbindliche pädagogische Konzepte wie in anderen Teilbereichen des Bildungssystems herausgebildet hätten. Ein Bekenntnis zum Bildungsanspruch der Ausbildungs- und Berufsvorbereitung würde also den Blick frei machen für das pädagogisch-didaktische „Kerngeschäft“ der Bildungsangebote im Übergangssystem (Unterrichten, Ausbilden, Fördern, Beraten etc.), das erstaunlicherweise bisher nur wenig empirisch untersucht worden ist. Mit dieser Neuorientierung müsste in der Jugendberufshilfe eine Verständigung darüber erzielt werden, was als Erfolg bzw. als erwünschte Wirkung von nachschulischen Bildungsmaßnahmen benannt werden soll, wenn sie nicht zu eng auf eine „Passgenauigkeit“ von Arbeitsmarktanforderungen ausgerichtet sind. Dabei muss auch gefragt werden, worin denn die Wirkungen der Maßnahmen anderweitig bestehen, wenn sie ihre intendierten Zielvorgaben gar nicht erfüllen? Haben sie vielleicht nicht intendierte … Auswirkungen? Und welche Auswirkungen zeitigen sie insbesondere bei den Jugendlichen? Welche Kompetenzen haben diese während der Maßnahme überhaupt erworben? Und auf welche Weise prägt die Erfahrung der Teilnahme an einer Maßnahme – oder vielleicht sogar die Erfahrung einer „Maßnahmekarriere“ – die Jugendlichen in ihrem weiteren Lebensverlauf? Lernen sie – überhaupt oder sogar besser als andere Jugendliche –, wie sie mit Brüchen im Lebenslauf umgehen müssen, wie sie Zeiten von Arbeitslosigkeit überstehen, wie sie ihre vor ihnen liegende Erwerbsbiographie selbst steuern und gestalten können? Dies sind ja tatsächlich Anforderungen, denen Jugendliche in ihrem gerade erst beginnenden Erwerbsleben begegnen werden. In der Nachfolge solcher Fragen, die über bloße Output-Kriterien hinausgehend eine Erweiterung der Wirksamkeitsperspektive auf Aspekte der Kompetenzentwicklung und Persönlichkeitsförderung einschließt, müsste auf der Grundlage einheitlicher Indikatoren eine systematische und vergleichende Überprüfung der bisherigen Modellversuche, Förderprogramme, Förderinstrumente und Einzelmaßnahmen unternommen werden. … Sollte ein Paradigmenwechsel in der beruflichen Integrationsförderung vorgenommen werden, muss auch gefragt werden, ob die aufwändigen, teuren, voraussetzungsreichen, aber dennoch weitgehend „praxeologisch“ durchgeführten Kompetenzfeststellungen am Anfang der Förder- und Qualifizierungsmaßnahmen überhaupt benötigt werden. Bisher gibt es noch keine Untersuchungen darüber, ob die mit ihnen verbundenen Ziele einer „individualisierten Maßnahmekonzeption“ und „passgenauen Förderung“ der Jugendlichen erreicht werden. … Eine Kompetenzerfassung sollte vom Beginn einer Maßnahme an deren Ende verlagert werden, wo sie zum einen zum Bestandteil einer notwendigen internen Qualitätskontrolle bei der Maßnahmendurchführung dienen könnte und zum anderen sollte sie die Lernergebnisse der Jugendlichen sichern helfen. Dabei müssen auch die Chancen bedacht werden, die der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) zur Anerkennung informell und nonformal erworbener Kompetenzen zukünftig bieten wird. Allerdings ist es wenig wahrscheinlich, dass die am Ende der Maßnahmen eingesetzten Verfahren und Instrumente zur Kompetenzerfassung dieselben sein werden, die bisher im Rahmen der Eignungsanalyse an ihrem Beginn durchgeführt werden. Sie scheinen wenig geeignet zu sein, die Kompetenzen zu erfassen, die die Jugendlichen während der Maßnahme erworben haben … Aber welche Verfahren, die zwar einerseits diagnostisch belastbar sind, aber andererseits dennoch nicht die bekannten selektiven Nebeneffekte auf die Jugendlichen ausüben, sind überhaupt geeignet, um Entwicklungsprozesse der Jugendlichen zu erfassen? Ansatzmöglichkeiten dazu bieten vielleicht „subjektorientierte“, dialogisch verfahrende, lebenswelt- und biographieorientierte Verfahren, die bereits seit langem bei vielen Bildungsträgern angewendet werden, ohne dass bisher dazu allerdings eine systematisch vergleichende Untersuchung vorliegt. Solche „formativen“ Verfahren sind gerade bei einer entwicklungsorientierten Zielsetzung der Förderung von Jugendlichen „summativen“ Verfahren überlegen …, da sie unmittelbar deren Selbstwertgefühl stärken sowie ihre Selbstwirksamkeitswahrnehmung befördern. … Ein weiterer Impuls für eine kritische Reflexion der Ausbildungs- und Berufsvorbereitung im Übergangssystem und für das Plädoyer einer Revision, die sich zu ihrem Bildungsanspruch bekennt, schließt sich an einen anderen Befund aus der Evaluation der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen des CJD von Bleck und Enggruber an. Die höchste Steigerung der ermittelten Kompetenzwerte im Laufe der Maßnahmen wurde bei den jüngeren Jugendlichen festgestellt, die zugleich gerade jene mit den relativ niedrigsten Kompetenzen am Anfang der Maßnahme waren. Dieser Befund wird auch durch die Begleitforschung des Sonderprogramms des Bundes zur Einstiegsqualifizierung Jugendlicher (EQJ-Programm) bestätigt … Solche Befunde weisen darauf hin, dass das Alter der Jugendlichen für ihre Chancen, einen vollqualifizierenden Ausbildungsplatz zu erhalten, aber auch bei der Bewertung ihrer Kompetenzen, eine größere Rolle spielt als dies in den üblichen Zielgruppendefinitionen von „Benachteiligung“ (Geschlecht, Migration, Schulnoten etc.) zum Ausdruck kommt. … Keineswegs nur der zu bewältigende Übergang ins Erwerbsleben allein, sondern die Bewältigung aller dieser übergangsspezifischen Entwicklungsaufgaben sind für den „biographischen Verselbstständigungsprozess“ und die Entwicklung von Handlungsautonomie der Jugendlichen als der Ausbildung ihrer Fähigkeit zur reflexiven Steuerung ihres Verhaltens unerlässlich. Auch die biographisch orientierte berufliche Sozialisationsforschung verfügt über zahlreiche Befunde, die bestätigen, dass die berufliche Kompetenzentwicklung untrennbar mit dem Prozess der personalen und sozialen Identitätsentwicklung verknüpft ist. Deshalb dürfen die jugendspezifischen Entwicklungsaufgaben in den Qualifizierungsmaßnahmen der beruflichen Integrationsförderung nicht zugunsten der alleinigen Förderung des Übergangs ins Erwerbsleben an den Rand gedrängt oder beiseite geschoben werden. Die berufspädagogische Praxis blendet jedoch in ihrer Fixierung auf die Vermittlung von beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht selten die zentrale Bedeutung aus, die der Entwicklung der personalen und sozialen Identität der Jugendlichen zukommt. Stattdessen versucht sie oft zwanghaft, einerseits den Jugendlichen möglichst viel an spezifischem instrumentellem Berufswissen zu vermitteln, weil man sich dadurch bessere Vermittlungschancen erhofft, und andererseits versucht sie, durch administrativen und kurativen Druck auf die Jugendlichen deren Verhalten zu beeinflussen. Damit ist das Angebot einer durch die Bildungsträger vermittelten arbeitsmarktbezogenen Dienstleistung verbunden, die bei entsprechendem Verhalten von den Jugendlichen „konsumiert“ werden kann. Die euphemistische Etikettierung der Arbeitsuchenden als „Kunden” durch die Bundesagentur für Arbeit verstärkt diese Illusion sogar noch, die sich jedoch angesichts des allgemeinen Arbeitsplatzmangels als illusorisch erweist. Aus einer entwicklungslogischen und subjektorientierten Perspektive jenseits der Förderung von fachlichen Kompetenzen müsste demgegenüber ein wichtiges Ziel der Bildungsangebote in der beruflichen Integrationsförderung zunächst in der Förderung der „berufsbiographischen Selbststeuerungskompetenz“ – als Bereitschaft und Fähigkeit für eine vorausschauende und (selbst-)verantwortliche Gestaltung und Steuerung der eigenen (Berufs-)Biographie – der Jugendlichen bestehen. In einem solchen biographischen Ansatz … wird die aktuelle jugendliche Entwicklungsphase in einen Zusammenhang mit der beruflichen Entwicklung und der individuellen Kompetenzentwicklung gestellt und der eigene Lebensweg als gestaltungsbedürftiger und zugleich als gestaltbarer Prozess aufgefasst. … Solche Elemente einer umfassenden Kompetenzentwicklung sind aktuell auch für die Bewältigung des Übergangs von der Schule in das Ausbildungssystem von Bedeutung. Sie finden sich auch im Leitbild der Selbst-Bemächtigung (Empowerment) von Individuen wieder. Maßnahmen im Rahmen der beruflichen Integrationsförderung können sich, wenn sie sich den darin zum Ausdruck kommenden Bildungszielen verpflichtet fühlen, auf ein emphatisches Bildungsverständnis berufen, das auf Selbstbestimmung, Autonomie und Persönlichkeitsentfaltung basiert und damit ein Verständnis von Kompetenzentwicklung wieder aufnimmt, das in den 70er Jahren vom Deutschen Bildungsrat propagiert wurde, aber seitdem etwas in Vergessenheit geraten ist.“ Alle Artikel in voller Textlänge sind der Veröffentlichung zu entnehmen: B. Marx, R. Preißer (Hrsg.): Die Quadratur des Kreises – Feststellung von Kompetenzen benachteiligter Jugendlicher in der Diskussion. IN VIA Verlag Paderborn/Freiburg 2009. ISBN 978-3-9812641-2-8. 19,80 EUR zzgl. Versandkosten Bitte nutzen Sie für Ihre Bestellung anhängendes Bestellformular.
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Quelle: IN VIA Meinwerk-Institut
Dokumente: Die_Quadratur_des_Kreises_Cover.pdf