Was behindert den Abgang aus der Grundsicherung in Arbeit?

Ein wichtiges Ziel der Arbeitsmarkt- und Sozialreform war, Bezieher von Arbeitslosengeld II in die Lage zu versetzen, den Lebensunterhalt baldmöglichst wieder mit eigenen Mitteln zu sichern. Diese Intention wirft zugleich die Frage nach den Chancen auf, eine Beschäftigung zu finden, die den Bezug von staatlichen Leistungen beendet. Die Analyse von Juliane Achatz und Mark Trappmann untersucht deshalb Barrieren, die den Ausstieg aus dem Leistungsbezug erschweren.

Auszüge aus der IAB Untersuchung „Arbeitsmarktvermittelte Abgänge aus der Grundsicherung“:
Der Einfluss von Ressourcen und Restriktionen auf Abgänge aus der Grundsicherung in Erwerbstätigkeit
… Die formale Bildung und Ausbildung verbessert die Abgangschancen über den Arbeitsmarkt. Fehlt ein Schul- oder Ausbildungsabschluss, dann verringert dies die Ausstiegschancen im Vergleich zur Referenzperson um jeweils etwa -6 Prozentpunkte (-6,4 Prozentpunkte für einen fehlenden Schulabschluss, -5,7 Prozentpunkte für einen fehlenden Ausbildungsabschluss). Das größte Risiko, den Einstieg in den Arbeitsmarkt nicht zu schaffen, tragen also Personen, die unter dem gesellschaftlichen Mindeststandard der im Bildungs- und Ausbildungssystem erzielbaren Abschlüsse liegen. Mehr als eine Halbierung der Abgangschancen ist für Leistungsbezieher festzustellen, die weder einen schulischen noch einen beruflichen Abschluss erworben haben. Während die Abgangschancen mit dem formalen Bildungsgrad steigen, …, verbessert ein akademischer Abschluss im Vergleich zu einem Ausbildungsabschluss die Abgangschancen nicht signifikant. … Der Haushaltskontext beeinflusst die Ausstiegschancen für Frauen und Männer unterschiedlich. Die Abgangswahrscheinlichkeit für die Referenzperson – hier ein alleinstehender Mann ohne Pflegeaufgaben … beträgt 15,4 Prozentpunkte. Bemerkenswert ist, dass alleinlebende Frauen keine schlechteren Abgangschancen haben als alleinlebende Männer. … Mit einem Partner, aber ohne Kinder in einem Haushalt zu leben, erweist sich für Frauen wie für Männer als struktureller Vorteil für die Überwindung der Abhängigkeit von Arbeitslosengeld II.
Die Abgangschancen erhöhen sich für Frauen um 6,6 Prozentpunkte und für Männer um 9,1 Prozentpunkte. In diesen Haushalten reicht es für den Ausstieg in Arbeit bereits, wenn ein Partner eine bedarfsdeckende Arbeit findet. Für den anderen Partner genügt dann bereits eine Tätigkeit im Umfang von knapp über 15 Stunden, um nach der hier zugrundegelegten Abgrenzung als arbeitsmarktvermittelter Abgang zu zählen. Denkbar ist auch, dass Partner füreinander eine soziale Ressource bilden, etwa indem sie sich bei der Arbeitssuche motivieren und unterstützen. …

Das größte Risiko, ohne Erwerbstätigkeit im Leistungsbezug zu verbleiben, tragen Frauen mit Kindern. Dabei spielt es für die Wahrscheinlichkeit einer Arbeitsaufnahme nur eine geringe Rolle, ob Mütter die Erziehungsverantwortung alleine tragen oder mit einem Partner im Haushalt leben. Ausschlaggebend sind das Alter des Kindes und der altersbedingte zeitliche Betreuungsaufwand für jüngere Kinder. Kleinkinder bis zum dritten Lebensjahr reduzieren die Wahrscheinlichkeit erwerbsbedingter Abgänge für Alleinerziehende wie auch für Frauen in Partnerhaushalten um mehr als 13 Prozentpunkte (in Relation zu alleinstehenden Männern) auf nahezu null. Sind die Kinder zwischen 3 und 17 Jahre alt, verringern sich für Mütter die Abgangschancen in Arbeit immer noch um beinahe 8 Prozentpunkte im Vergleich zur Referenzgruppe alleinlebender Männer. Für Väter haben Kinder tendenziell einen gegenläufigen Effekt. Sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbstätigkeit. Zwar finden wir für alleinerziehende Väter im Vergleich zu alleinlebenden Männern einen negativen Effekt von -4,2 Prozentpunkten. Dieser ist jedoch für diese zahlenmäßig nur sehr kleine Gruppe nicht signifikant. Bei Vätern in Partnerhaushalten haben unter 3-jährige Kinder einen schwachen positiven, nicht signifikanten Effekt auf die Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsmarktübergangs (2,3 Prozentpunkte). Bei Kindern ab dem 3. Lebensjahr ist ein deutlicher positiver Effekt von 12,3 Prozentpunkten festzustellen. Inwieweit finanzielle oder moralische Anreize die Aufnahme einer Erwerbsarbeit beeinflussen, kann mit den hier berichteten Befunden nicht vollständig aufgeklärt werden. Dass Väter in Partnerhaushalten im Vergleich zu alleinlebenden Männern trotz des geringeren Lohnabstands eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, die Grundsicherung durch Erwerbstätigkeit zu verlassen, spricht eher für eine normative Orientierung an den Pflichten eines „Familienernährers“. Finanzielle Aspekte können bei Entscheidungen für Erwerbsarrangements in Partnerhaushalten aber dennoch von Bedeutung sein, etwa wenn bei einer Erwerbstätigkeit beider Partner eine zusätzliche Kinderbetreuung finanziert werden muss. Allerdings zeigen erste Studien über die Erwerbsintegration von Frauen mit Grundsicherungsbezug auch, dass diese vielfach sowohl während als auch nach dem Ende des Leistungsbezugs geringfügig beschäftigt sind (Worthmann 2010) und das traditionelle Arrangement der weiblichen „Zuverdienerin“ in Partner-Bedarfsgemeinschaften weit verbreitet ist. …

Nach Kontrolle der Arbeitsmarktlage und Wohnregion zeigt sich nun auch eine … verdeckte Assoziation zwischen Arbeitsmarktchance und Migrationshintergrund. Migranten der ersten Generation (-5,1 Prozent)und solche, die im Haushalt eine andere Sprache als Deutsch sprechen (ebenfalls -5,1 Prozentpunkte) haben schlechtere Integrationschancen als Einheimische. … Migranten der 2. und 3. Generation … haben keine schlechteren Abgangschancen als Personen ohne Migrationshintergrund, wenn ihre Haushaltssprache nur Deutsch ist. …

Als Zwischenfazit kann … festgehalten werden, dass neun zentrale Risikomerkmale identifiziert wurden: fehlende Bildungs- bzw. Ausbildungsabschlüsse, gesundheitliche Einschränkungen, eine lange Verweildauer im Grundsicherungsbezug vor dem Untersuchungszeitraum, ein höheres Alter (50+), nach Deutschland zugewandert zu sein wie auch eine begrenzte Beherrschung der deutschen Sprache und die Pflege von Angehörigen sowie die Tatsache, Mutter zu sein. …

Prävalenz multipler Risikofaktoren

Nur eine kleine Teilgruppe von acht Prozent weist keines der neun Risikomerkmale auf, die den Arbeitsmarkteintritt erschweren. Bei weiteren 22 % liegt nur jeweils eines der beschriebenen Risiken vor. Damit kumulieren bei mehr als zwei Dritteln der Leistungsbezieher mindestens zwei Merkmale, die ihre Chance auf einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt deutlich schmälern. Von den Kombinationen zweier Risikofaktoren treten am häufigsten gesundheitliche Einschränkungen und Langzeitbezug gemeinsam auf (23,0 % aller Grundsicherungsempfänger). … Mit der Zahl der Risiken sinkt die Wahrscheinlichkeit, den Grundsicherungsbezug … in Richtung Erwerbstätigkeit zu verlassen, … . Liegt die Wahrscheinlichkeit für Personen ohne eines dieser Risiken bei 23,9 %, so halbiert sie sich jeweils etwa auf 11,5 % bei einem Risiko und auf 6,2 % bei zwei parallelen Risiken. Liegt die Übergangswahrscheinlichkeit bei drei gleichzeitigen Risiken noch bei 4,3 %, so sind die Chancen für Personen mit vier oder mehr Risiken beinahe null, … bedarfsdeckende Arbeit aufzunehmen.

Diskussion und Ausblick

Auch nach Kontrolle von zentralen arbeitsmarktrelevanten Merkmalen finden sich sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede zwischen den Geschlechtergruppen. So unterscheiden sich allein lebende Frauen und Männer und auch solche in Partner-Bedarfsgemeinschaften ohne Kinder nicht hinsichtlich ihrer Chancen auf Erwerbsarbeit, die ein Einkommen über der Bedürftigkeitsgrenze ermöglicht. Kinder jedoch erschweren die Arbeitsmarktbeteiligung – zumindest jene mit einem Umfang von mehr als 15 Wochenstunden – von Müttern, während sie für Väter in Partner-Bedarfsgemeinschaften tendenziell eher als „Motor“ für einen Abgang aus der Grundsicherung in den Arbeitsmarkt wirken. Betrachtet man die Prävalenz von mehrfachen Arbeitsmarktnachteilen, so sind vor allem gesundheitliche Einschränkungen und ein höheres Lebensalter, insbesondere in der Kombination mit einem bereits lange andauernden Bezug von Arbeitslosengeld II, häufig auftretende Kombinationen.
Beide Befunde geben Hinweise auf den sozialpolitischen Handlungsbedarf. Während das Problem der Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit und auch die Arbeitsmarktintegration von älteren Langzeitbeziehern vergleichsweise viel Aufmerksamkeit in der Praxis der Grundsicherung erfährt, wird für Ansätze der arbeitsmarktintegrativen Gesundheitsförderung noch ein großer Forschungs- und Entwicklungsbedarf konstatiert.

Ob Hilfebedürftigkeit überwunden werden kann, hängt sehr wesentlich davon ab, inwieweit die vorhandenen Beschäftigungsbarrieren durch geeignete Programme und Interventionen abgebaut werden können. Die … Hemmnisse sind nur zum Teil durch Förderprogramme für Leistungsbezieher beeinflussbar: Das gilt insbesondere für fehlende Kinderbetreuungsplätze, fehlende Bildungs- und Ausbildungszertifikate oder auch für fehlende Sprachkenntnisse von Migranten. Bei anderen Faktoren wie gesundheitlichen Einschränkungen hängt es sicherlich von der Art und dem Ausmaß der gesundheitlichen Probleme ab, inwieweit personenbezogene Förderangebote überhaupt greifen können. …

Sozialpolitisch brisant ist vor allem der Befund, dass sich im Falle der Kumulation von Hemmnissen mit jedem zusätzlichen Risiko die Übergangswahrscheinlichkeit nahezu halbiert. Umgekehrt bedeutet dies, dass die Beseitigung oder Entschärfung von Hemmnissen bei denjenigen Personen den stärksten Effekt auf die Übergangswahrscheinlichkeit aus der Grundsicherung in Erwerbstätigkeit hat, die insgesamt nur wenige Hemmnisse aufweisen: Eine Reduzierung von 5 auf 4 Hemmnisse verändert die Übergangsraten kaum, eine Reduzierung von 1 auf 0 Hemmnisse dagegen sehr. Dies könnte dazu verleiten, sich in der Förderung auf die „besseren Risiken“ zu konzentrieren. Allerdings wäre dies nicht nur deshalb bedenklich, weil es die Hilfebedürftigsten zurücklässt, sondern es wäre zudem nur kurzfristig betrachtet erfolgversprechend. Denn gerade bei Personen mit vielen Hemmnissen zeichnet sich ab, dass sich ohne Unterstützung der Bezug verfestigt und dauerhaft Hilfe in Anspruch genommen werden muss. Die Überwindung des Hilfebezugs durch nur eine Person mit multiplen Vermittlungshemmnissen kann das Hilfesystem daher stärker entlasten als die Überwindung vieler Personen mit geringen Hemmnissen, die auch ohne Unterstützung früher oder später den Bezug von Grundsicherungsleistungen beendet hätten. „

Die Untersuchung in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte aufgeführtem Link oder dem Anhang.

http://www.iab.de/183/section.aspx/Publikation/k110126n03
http://doku.iab.de/discussionpapers/2011/dp0211.pdf

Quelle: IAB

Dokumente: IAB_Disccusion_paper_Arbeitsmarktvermittelte_Abgaenge_aus_der_Grundsicherung.pdf

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