Die Produktionsschullandschaft in Deutschland wächst in den letzten Jahren stetig. Aufgrund der für benachteiligte Jugendliche angespannten Situation auf dem Ausbildungsstellen- und Arbeitsmarkt gewinnen berufsvorbereitende Maßnahmen immer mehr an Bedeutung. Die Verbindung von Lernen und Arbeiten, wie das Konzept der Produktionsschule es vorsieht, will Lösungsansätze für Jugendliche bieten, die aus dem Ausbildungssystem herauszufallen drohen. Im Auftrag der Hochschule für öffentliche Verwaltung untersucht eine Projektarbeit das Modell Produktionsschule hinsichtlich des Konzepterfolges. Der Bundesverband der Produktionsschulen weist in diesem Zusammenhang auf die soeben beendete Fortbildung von Ausbildern zu Produktionsschulpädagogen hin. Diese Fortbildung fand in Deutschland erstmalig statt und stellte die hohen Anforderungen, die Werkstattpädagogen bei der Förderung junger Menschen mit schlechten Startchancen zu bewältigen haben, in den Mittelpunkt.
Inzwischen über 100 Produktionsschulen bundesweit
Die Idee der Produktionsschule stammt aus Dänemark. Mittlerweile sind sie auch in Deutschland immer stärker verbreitet. Allein in Dortmund wurden in letzter Zeit vier Produktionsschulen gegründet. Es existieren bundesweit über 100 Produktionsschulen mit ca. 5.000 Teilnehmer/-innen. Produktionsschulen sind berufsorientierende und -vorbereitende Bildungs- und Qualifizierungsangebote, die handlungsorientiert und betriebsnah organisiert sind.
Im Rahmen des Projektstudiums an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Außenstelle Dortmund, entstand eine Projektarbeit „Untersuchung zu den Produktionsschulen in Dortmund, NRW und Deutschland“ im Auftrag der Stadt Dortmund, Sozialamt, Fachstelle für die Organisation und Durchführung von Arbeitsgelegenheiten im Konzern Stadt Dortmund. Ziel der Projektarbeit war es, den Erfolg des Konzeptes Produktionsschule aus Sicht der Träger der Leistungen nach dem SGB II und den Produktionsschulen selbst zu untersuchen. Durch quantitative- und qualitative Formen der Datenerhebung wird ein umfassendes Bild der Produktionsschullandschaft in Deutschland abgebildet. Dabei wurde unter anderem auf die Umsetzung der Konzepte und die Finanzierung der Einrichtungen eingegangen.
Auszüge aus der Untersuchung zu den Produktionsschulen:
„Die Frage nach der Anzahl von Produktionsschulen in Deutschland lässt sich nicht abschließend und eindeutig beantworten. Bei der Internetrecherche wurde deutlich, dass sich einige Einrichtungen als Produktionsschule bezeichnen, obwohl diese mit dem eigentlichen Konzept der Produktionsschule verhältnismäßig wenig gemeinsam haben. Nicht überall wo Produktionsschule draufsteht ist also auch Produktionsschule drin. Der Bundesverband geht von rund 100 Produktionsschulen aus. (…) Es lässt sich kein besonderer Unterschied von Ost- und Westdeutschland feststellen. Bezüglich der Anfänge der Produktionsschulen zeigte ein Experteninterview, dass die nördlichen Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Hamburg eine Art Vorreiterrolle eingenommen haben, was an der räumlichen Nähe zu Dänemark liegen könnte. (…)“
Rechtliche Verankerung uneinheitlich, Finanzierung nicht langfristig gesichert
„Die Produktionsschulen in Deutschland arbeiten in unterschiedlichen Trägerschaften und Rechtsformen und werden auf verschiedene Weise (Europäischer Sozialfonds, Bund, Länder, Kommunen, Landkreise, Agentur für Arbeit, JobCenter, Stiftungen, Spenden u.a.) finanziert. Ihre Existenz ist nicht langfristig gesichert, und sie sind daher auf (weitere) Förderprogramme angewiesen oder darauf, dass die zuständigen Landesministerien/Kommunen gegenüber dem Ansatz der Produktionsschulen aufgeschlossen sind und eine Anschluss- bzw. Regelfinanzierung übernehmen. Die rechtliche und finanzielle Absicherung von Produktionsschulen ist von ausschlaggebender Bedeutung. So muss längerfristig eine ausschließliche staatliche Finanzierung angestrebt werden, da die Förderung junger Menschen bis zur Ausbildungs- und Beschäftigungsfähigkeit als eine vorrangige staatliche Aufgabe anzusehen ist. Um sich als eigenständige Bildungsform zu etablieren, müssen die Produktionsschulen in Deutschland auf solide rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen aufbauen können. (…)“
Wann ist die Produktionsschule erfolgreich?
In Fragebögen wurden Träger der SGB II-Leistungen und Produktionsschulen darum gebeten, die vorgegebenen Indikatoren des Erfolges ihrer Relevanz nach in eine Reihenfolge zu ordnen. Es ergab sich folgende Rangliste bei den Indikatoren:
- Erlernen persönlicher Kompetenzen, persönliche Stabilisierung,
- Vermittlung in Arbeitsverhältnis/Ausbildungsstelle,
- Erlernen berufsbezogener Kompetenzen,
- Vermittlung in Fördermaßnahme, AGH,
- Weiterbildung an Schulen,
- Planmäßige Beendigung der Maßnahme.
Zusätzlich konnten weitere Indikatoren genannt werden. Die Kategorie „Anderes, und zwar…“ wurde separat ausgewertet, allerdings könnten fünf von den sechs Aussagen den anderen Indikatoren zugeordnet werden. Es wurden ergänzt:
- „kontinuierliche und konstruktive Mitarbeit an den festgelegten Zielen“,
- „Vermittlung von handwerklichen Fachqualifikationen und
Arbeitserfahrung“, - „Erreichen der Ausbildungsreife“,
- „Nachholung Schulabschluss“ (2 Nennungen),
- „Jeder Teilnehmer hat anderen Erfolgsquotienten“. (…)
„Die Produktionsschulen stehen (…) permanent unter dem Druck ihren Erfolg nachzuweisen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Erfolgskriterien überhaupt zu Grunde gelegt werden und welchen Beitrag diese Kriterien zu einer Optimierung der pädagogischen Arbeit der Produktionsschule leisten können. Sowohl im Experteninterview als auch bei den durchgeführten Interviews in Produktionsschulen zeigte sich die Schwierigkeit, eine einheitliche Definition für den Erfolg einer Produktionsschule zu finden.
Im ursprünglichen grundlegenden Konzept in der Produktionsschule Altona in Hamburg wurde der Erfolg noch rein quantitativ beschrieben. Danach hätten die Jugendlichen die Produktionsschule dann erfolgreich verlassen, wenn sie entweder einen Ausbildungs-, einen Arbeitsplatz oder eine weiterführende Schule gefunden haben. Durch die Einengung
der Erfolgsfrage auf eine rein quantitative Erfassung des Überganges in Arbeit oder Ausbildung, zeigte sich schnell eine sehr skeptische Haltung der Angestellten der Produktionsschule Altona. So wurde angeführt, dass zwar der Erfolg der Produktionsschule neben der persönlichen Stabilisierung jedes Einzelnen letztlich in der erfolgreichen Vermittlung in Ausbildung bzw. Beschäftigung liege, aber angesichts der Tatsache, dass es sich bei den Jugendlichen um eine äußerst heterogen zusammengesetzte Gruppe handelt und die Chancen für Jugendliche mit Hauptschulabschluss auf dem Ausbildungsmarkt sehr gering sind, eine rein quantitative Festlegung einer Erfolgsquote für willkürlich gehalten wird.
Hinzu kommt, dass je größer die Abhängigkeit der Produktionsschule von dem Erreichen dieser quantitativen Zielvorgaben wird, umso wahrscheinlicher wird die Produktionsschule neue Teilnehmende nach der Wahrscheinlichkeit auswählen, dass diese Jugendlichen erfolgreich in Ausbildung oder Arbeit gebracht werden können. Dann hätten besonders Benachteiligte mit negativer Prognose kaum noch eine Chance auf einen Platz in der Produktionsschule (Ausnahme bilden die Produktionsschulen, in denen die Teilnehmenden zugewiesen werden).
Neben dieser rein quantitativen Erfolgsuntersuchung steht noch ein weiteres Problem: Schafft eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer den Übergang beispielsweise in eine Ausbildung, wird sie oder er nach Verlassen der Produktionsschule in den meisten Fällen nicht mehr von denen kontaktiert, die den Erfolg festgestellt haben. Dann würde völlig unbeachtet bleiben, ob der Teilnehmende die Ausbildung erfolgreich beendet oder nach wenigen Monaten abbricht. Um dem entgegen zu wirken benötigen die Produktionsschulen eine kontinuierliche Begleitung der Teilnehmenden auch nach Verlassen der Produktionsschule. Somit würde nicht der kurzfristige Erfolg in den Mittelpunkt gerückt, sondern das Ziel einer nachhaltigen Befähigung der Jugendlichen, ihr Leben selbstständig gestalten zu können. (…)
In den geführten Interviews wurde deutlich, dass eine pauschale Aussage zum Erfolg eines Teilnehmenden nicht möglich sei. Vielmehr müsse die Situation vor Beginn der Teilnahme und nach Abschluss der Teilnahme an der Produktionsschule analysiert werden. So kann es beispielsweise schon ein Erfolg sein, wenn der Jugendliche jetzt regelmäßig und pünktlich jeden Morgen erscheint oder für seine Fehlzeiten ein ärztliches Attest einreicht. Im Prinzip kommt es darauf an, wie der Jugendliche in die Produktionsschule hineinkommt und wie diese wieder verlassen wird. Die Schwierigkeit besteht jetzt für die Produktionsschulen darin, eine Möglichkeit zur genauen Dokumentation dieser Vorher-Nachher-Situation der einzelnen Teilnehmenden zu entwickeln. (…)“
Das Fazit der Autor/-innen
Langjährige Erfahrungen mit der Institution Produktionsschule in allen Bundesländern Deutschlands bestätigen die positiven Auswirkungen und die Bedeutung für die angesprochene Zielgruppe. Die Vermutung, dass sich die Produktionsschulen vermehrt in den letzten Jahren gegründet haben, konnte anhand der Umfrageergebnisse bestätigt werden. Verschiedene landesspezifische Programme ermöglichten insbesondere ab 2005 eine flächendeckende Etablierung von Produktionsschulen in das Angebot an Fördermaßnahmen. Diese positive Sicht auf Produktionsschulen wird von den Trägern der Leistungen nach dem SGB II, die eine Produktionsschule fördern, geteilt. (…)
Während der Projektarbeit wurde deutlich, dass für einen positiven Austritt der Teilnehmenden oftmals eine 12 – monatige Teilnahmedauer nötig ist. Auch die Umfrageergebnisse repräsentierten diese Auffassung. 68% der Befragten Produktionsschulen gaben eine Laufzeit von bis zu 12 Monaten als reguläre Verweildauer an. Daher kann geschlussfolgert werden, dass für eine erfolgreiche Vermittlung eine längere Verweildauer für die Teilnehmenden in der Maßnahme von Bedeutung ist. Die Laufzeit von neun Monaten könnte einem positiven Austritt im Wege stehen.
Bei den angebotenen Arbeitsfeldern scheint ein vielseitiger Mix sinnvoll, sofern die entsprechenden Rahmenbedingungen vorhanden sind. Nur so kann gewährleistet werden, dass den Fähigkeiten und den Fertigkeiten möglichst vieler Jugendlichen entsprochen werden kann. Je vielfältiger die Auswahl an Arbeitsfeldern, desto flexibler kann auf Anforderungen des Marktes eingegangen werden und desto vielfältiger sind die vermittelbaren fachlichen Grundlagen. Bei den praktischen und handwerklichen Arbeitsfeldern – wie z. B. Holz, Metall, Hauswirtschaft etc. – wird den Fähigkeiten einer Vielzahl von jungen Menschen entsprochen. Moderne Bereiche wie Internet und Video können Jugendliche motivieren und das Profil der eigenen Produktionsschule beeinflussen. (…)
Anders als erwartet stellte sich heraus, dass viele Produktionsschulen in Deutschland für den freien Markt produzieren. Dies geschieht zwar in Absprache mit der IHK und den ansässigen Unternehmen, jedoch eröffnet der freie Markt den Produktionsschulen neue Absatzmöglichkeiten. Da die Produktion für Realkundenaufträge von großer Bedeutung für das Konzept Produktionsschule ist, macht es Sinn die Einrichtungen derart zu betreiben, dass auch für den freien Markt produziert werden kann. Im Gegensatz dazu wird in einigen Produktionsschulen lediglich für die Einrichtung selbst produziert, wodurch die Jugendlichen nicht mehr das Gefühl haben etwas zu produzieren, was genutzt und gebraucht wird. (…)
Durch das Produktionsschulkonzept übernehmen die jungen Menschen, die bereits als gescheitert galten, Verantwortung und erhalten so eine neue Perspektive für ihr Leben. Anzumerken bleibt jedoch, dass auch die Produktionsschule nicht alle jungen Menschen erreichen kann. So wird es immer Jugendliche geben, für die das Konzept nicht ausreichend ist. Eines zeigt sich allerdings immer wieder. Wenn es gelingt, mit einem Klienten die erste Schwelle des „Sich-Einlassens“ zu überwinden, so wird über das Konzept der Produktionsschulen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gemeinsam eine tragfähige Perspektive entwickelt werden können.“
Die vollständige Untersuchung enthält auch Ergebnisse für einzelne Standorte. Die Leitung des Projekts oblag Alfons Gunkel und Oliver Wozny. Projektteilnehmer/-innen und Autor/-innen der Untersuchung waren Sandra Brand, Stephanie Drax, Kira Kampmann und Daniel Reckel.
Quelle: Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW; Bundesverband Produktionsschulen e.V.