Ausbildungsgarantie: ohne Zeitverlust eine Berufsausbildung aufnehmen

Im Jahr 2011 wurden in Deutschland fast 300.000 junge Erwachsene in einem Teil des beruflichen Bildungssystems gezählt, in dem keine Berufsabschlüsse erworben werden können: im Übergangssystem. Hier verharren sie in Maßnahmen, aus denen vielen erst nach langer Zeit ein Wechsel in eine Berufsausbildung gelingt. Manche schaffen es auch nie, denn jedes Jahr bleiben 150.000 junge Menschen ohne Berufsabschluss. Für die Gesellschaft stellt dies eine gigantische Vergeudung der Fähigkeiten ihrer Bürger dar – gerade vor dem Hintergrund sinkender Bevölkerungszahlen und den derzeit allgegenwärtigen Klagen der Betriebe nach fehlenden Fachkräften.

Genau hier setzt die Initiative „Übergänge mit System“ an, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Übergangssystem zu reformieren. Im Rahmen der Initiative arbeitet die Bertelsmann Stiftung mit 16 Ministerien aus den neun Bundesländern Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Schleswig-Holstein sowie mit der Bundesagentur für Arbeit zusammen. Die Initiative hat ein Rahmenkonzept vorgelegt, in dem sich die Akteure auf eine Ausbildungsgarantie verständigt haben. Demnach erhält jeder ausbildungsfähige Jugendliche einen Ausbildungsplatz – idealerweise im dualen System. Diejenigen Jugendlichen, die keine Lehrstelle in einem Betrieb finden, bekommen einen staatlich geförderten Ausbildungsplatz. Übergangsmaßnahmen beginnen nach dem Reformkonzept nur noch diejenigen, die noch nicht in der Lage sind, einen Beruf zu erlernen.

Auszüge aus der Studie „Was kostet eine Ausbildungsgarantie in Deutschland?“ der Bertelsmann Stiftung:
“ … Mit einer Ausbildungsgarantie soll keinesfalls die herkömmliche duale Ausbildung abgelöst, sondern eine Alternative für diejenigen Jugendlichen geschaffen werden, die in diesem System nicht unterkommen. …

Die Berechnungen, was eine solche Ausbildungsgarantie kostet, ergaben, dass für eine Ausbildungsgarantie – ohne Berücksichtigung von Ausbildungsvergütungen und Sozialversicherungsbeiträgen – bundesweit pro Jahr Ausgaben in Höhe von maximal 1,5 Mrd. Euro anfallen. Das entspricht 11.000 Euro für jeden, der erst aufgrund der Ausbildungsgarantie einen Platz erhält. Sollten die Unternehmen in Zukunft mehr Ausbildungsplätze anbieten als bisher, würden die Ausgaben für eine Ausbildungsgarantie niedriger ausfallen als 1,5 Mrd. Euro pro Jahr.

Aber auch wenn die Anzahl der von der Wirtschaft angebotenen Ausbildungsplätze konstant bleibt, rentiert sich langfristig der Mehraufwand für eine Ausbildungsgarantie. Denn im Verlauf von 35 Jahren stehen der Investition von 11.000 Euro pro zusätzlichen Teilnehmer Einsparungen von insgesamt 22.000 Euro gegenüber: durch höhere Einnahmen aus Lohnsteuer und Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung ebenso wie durch sinkende Ausgaben für Arbeitslosengeld und Sozialleistungen.

Die Erträge einer Ausbildungsgarantie sind für die Wirtschaft, die Gesellschaft und für jeden Einzelnen noch weit höher als in der Studie berechnet: Durch die Ausbildungsgarantie können jährlich bis zu 150.000 Jugendliche mehr als heute einen Berufsabschluss erreichen und der deutschen Wirtschaft als Fachkräfte zur Verfügung stehen. Damit wird der Fachkräftemangel reduziert und das Wirtschaftswachstum steigt. Für jeden Einzelnen, der eine Ausbildung erhält, sinkt das Risiko, arbeitslos zu werden. Auch erhöhen sich die Einkommenserwartungen und die Möglichkeiten
zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Eine Ausbildungsgarantie ist somit nicht nur ein rentables Instrument zur Sicherung des Fachkräftebedarfs, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit. Das wird deutlich bei einem Vergleich der Ausgaben für verschiedene Bildungskarrieren. Eine Bildungskarriere von der Grundschule bis zum Abschluss einer öffentlich geförderten Ausbildung kostet 85.000 Euro. Von dieser Ausbildung profitieren vor allem benachteiligte Jugendliche. Das ist noch deutlich günstiger als die 120.000 Euro, die eine Bildungskarriere bis zum Universitätsabschluss
kostet. …

„Übergänge mit System“: Ein Weg zur Ausbildungsgarantie
Der Reformvorschlag „Übergänge mit System“ verfolgt das Ziel, allen Jugendlichen den Einstieg in eine Berufsausbildung zu ermöglichen und eine größtmögliche Zahl von ihnen zu einem qualifizierten Ausbildungsabschluss zu führen. Das darauf ausgerichtete Rahmenkonzept setzt sich aus den Elementen „Berufsorientierung“, „betriebsnahe Ausbildung“ und „Hinführung zur Ausbildungsreife“ zusammen. Die Berufsorientierung betrifft vorrangig die dem Übergangssystem vorgelagerten allgemeinbildenden Schulen. Ihre Verankerung dort soll bei Schülerinnen und Schülern ebenso den „Erwerb grundlegenden Wissens über die Berufs- und Arbeitswelt, über Anforderungen im Ausbildungssystem und über die eigenen Interessen und Stärken“ befördern wie auch die „Auseinandersetzung mit den eigenen Einstellungen, Haltungen und Orientierungen“. …

Das Element „betriebsnahe Ausbildung“ richtet sich an Schülerinnen und Schüler, die „aufgrund der Ausbildungsmarktsituation keine Ausbildungsstelle finden, (sog. Marktbenachteiligte)“ sowie auch an solche, „die trotz eines Förderbedarfs die Bereitschaft und Voraussetzungen mitbringen, mit entsprechender Unterstützung und gegebenenfalls einer verlängerten Ausbildungsdauer eine Berufsausbildung erfolgreich zu absolvieren“. Durch einen Ausbau subsidiärer Formen der Berufsausbildung, die zu anerkannten Ausbildungsabschlüssen führen, sowie durch „punktuelle Förderung“ soll erreicht werden, dass diese jungen Menschen ohne Verzögerungen und Warteschleifen im jetzigen Übergangssystem eine Berufsausbildung aufnehmen können.

Wie wenig zielführend der Verbleib marktbenachteiligter junger Menschen im Übergangssystem ist, zeigte z. B. eine Untersuchung des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung. In ihrem Abschlussbericht zur „Zweijährigen Erprobung des Ausbildungsvorbereitungsjahres (AVJ) in den Schuljahren 2006/07 und 2007/08“ heißt es: „Zwischen 30 und 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler beider AVJ-Kohorten profitieren sehr wahrscheinlich kaum von diesem Bildungsgang. Es handelt sich dabei vor allem um leistungsstarke Personen, die bereits zum Beginn der Maßnahme das durchschnittliche Hauptschulniveau in ELKE-BFS-tq (einem Test – der Verfasser) und sogar das durchschnittliche Realschulniveau in ULME 1 (gleichfalls einem Test – der Verfasser) übersteigen.Zum zweiten Messzeitpunkt zeigen sie weniger als ihre ursprüngliche Leistung“.

Das Überspringen von Warteschleifen, das vor dem Hintergrund erartiger Befunde mehr als geboten erscheint, soll nach den Vorschlägen des Rahmenkonzeptes dadurch gewährleistet werden, dass ausbildungslose Jugendliche unmittelbar in eine vollzeitschulische Berufsausbildung des Schulberufssystems oder in eine der etablierten Formen außerbetrieblicher Berufsausbildung einmünden. … Ein kleinerer Teil dieser Gruppe soll parallel zur Ausbildung eine punktuelle Förderung erhalten.

Das Element „Hinführung zur Ausbildungsreife“ bezieht sich auf Jugendliche, „denen aufgrund von stark ausgeprägten kognitiven und/oder sozialen Schwierigkeiten eine gezielte berufsfachliche Kompetenzentwicklung auf der Grundlage eines anerkannten Ausbildungsberufs aktuell nicht möglich ist“. Diese Jugendlichen sollen in einem einjährigen Bildungsgangzur Ausbildungsfähigkeit geführt werden. Im Anschluss an diese Hinführung sollen diesen Jugendlichen abschlussorientierte Ausbildungsgänge angeboten werden. …

Einordnung der Ergebnisse in einen größeren Kontext
## Den Ausgaben je Teilnehmerin bzw. Teilnehmer am reformierten Übergangssystem, die in Folge der Reform zusätzlich erforderlich werden (etwa 11.000 Euro), stehen Einnahmen und verminderte Ausgaben der öffentlichen Haushalte gegenüber. Allmendinger u. a. haben in einer 2011 vorgelegten Studie untersucht, wie sich eine Erhöhung der Anteile von jungen Erwachsenen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung in folgenden vier Feldern auswirken würde: (entgangene) Lohnsteuern, (entgangene) Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, (auszuzahlendes) Arbeitslosengeld I sowie Sozialleistungen. In ihrer Untersuchung stellen sie für die Gruppe der zusätzlich Ausgebildeten fest, dass diese Personengruppe über einen Zeitraum von 35 Jahren Mehreinnahmen bzw. Einsparungen von 22.000 Euro pro Person verursachen würde. … Abschließend formulieren sie dazu: „Dieser Betrag stünde damit potenziell pro Person zur Verfügung, um unzureichende Bildung zu verhindern, ohne dass auf die Gesellschaft zusätzliche Kosten zukämen“. Die zusätzlich erwarteten Einnahmen bzw. verminderten Ausgaben in Höhe von 22.000 Euro mögen auf den ersten Blick gering erscheinen. Es muss aber bedacht werden, dass durchaus nicht alle, die keine abgeschlossene Ausbildung vorweisen können, erwerbslos werden und dass auch ein Teil der Erwerbstätigen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung auf Sozialleistungen angewiesen ist. …

Den hier ermittelten zusätzlichen Ausgaben von etwa 11.000 Euro je Person stünden danach vermehrte öffentliche Einnahmen und verminderte öffentliche Ausgaben in Höhe von 22.000 Euro gegenüber. Langfristig verbessern die Ausgaben für das Rahmenkonzept damit die Lage der öffentlichen Haushalte. Während allerdings der überwiegende Anteil der für die Umsetzung des Rahmenkonzeptes „Übergänge mit System“ erforderlichen Ausgaben von den Ländern zu erbringen sein wird, profitieren diese nur zu 30 Prozent von den zu erwartenden Mehreinnahmen bzw. Einsparungen: 40 Prozent würden dem Bund, 30 Prozent den Ländern und je 15 Prozent den Kommunen bzw. der Bundesagentur für Arbeit zu Gute kommen.
## …
## Aus Sicht des Einzelnen verbessert die erfolgreiche Teilhabe an Bildung und Ausbildung die persönlichen Lebensperspektiven. Im Bildungsbericht „Bildung in Deutschland 2012“ wird berichtet: Von den 25- bis unter 65-Jährigen, die keine
abgeschlossene berufliche Ausbildung hatten, waren 56,1 Prozent Erwerbstätige, 34,3 Prozent Nichterwerbspersonen und 9,6 Prozent Erwerbslose. Bei den Angehörigen der gleichen Altersgruppe, die eine Lehr- oder Anlernausbildung hatten, lagen die Vergleichszahlen bei 76,9 Prozent, 17,4 Prozent und 5,7 Prozent. Erwerbstätige, die weder über einen Hauptschulabschluss noch über einen beruflichen Abschluss verfügten, erzielten einen Bruttostundenlohn, der bei 79,5 Prozent des Stundenlohns lag, den Erwerbstätige mit Hauptschul- und Berufsbildungsabschluss erzielen konnten. … Mit dem Erwerb eines Ausbildungsabschlusses wächst die Wahrscheinlichkeit, dauerhaft erwerbstätig zu sein, erhöht sich das Erwerbseinkommen und steigt die politische Teilhabe.
## Das Rahmenkonzept erhöht, wenn es umgesetzt wird, in Deutschland im Bereich der Bildungsausgaben die Verteilungsgerechtigkeit: Derzeit verursacht eine Bildungskarriere von der Grundschule bis zu einem Universitätsabschluss öffentliche Ausgaben in Höhe von etwa 120.000 Euro, eine Bildungskarriere von der Grundschule über die fünfjährige Hauptschule bis zu einem Abschluss im dualen System jedoch nur etwa 63.000 Euro. Diese Werte ergeben sich aus einer Berechnung der öffentlichen Ausgaben für unterschiedliche Bildungskarrieren, die in ihrem methodischen Ansatz dem im Bildungsfinanzbericht des Statistischen Bundesamtes gewählten Verfahren folgt. In diese Ausgaben für unterschiedliche Bildungskarrieren sind die Ausgaben einzuordnen, die in Folge der Umsetzung des Rahmenkonzeptes für eine Bildungskarriere entstehen, die zu einem Berufsabschluss führt: Sie liegen zwischen etwa 85.000 Euro (Grundschule, sechsjährige Hauptschule, 3,5-jährige betriebsnahe Ausbildung für Marktbenachteiligte) und etwa 91.000 Euro (Grundschule, sechsjährige Hauptschule, einjährige Hinführung, 3,5-jährige betriebsnahe Ausbildung) und sind damit noch immer deutlich niedriger als die für eine zum Universitätsabschluss führende Bildungskarriere. Vor diesem Hintergrund sind die Ausgaben für eine Ausbildungsgarantie als ein angemessener Beitrag zu einer gerechteren Verteilung öffentlicher Ressourcen anzusehen. …“

www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-17EE044C-77885F72/bst/hs.xsl/nachrichten_113546.htm
www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-17EE044C-77885F72/bst/xcms_bst_dms_36463_36464_2.pdf
www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-17EE044C-77885F72/bst/hs.xsl/99090.htm
www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-7DE79064-A439C030/bst/hs.xsl/99090_111010.htm

Quelle: Bertelsmann Stiftung

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