Perspektiven für Einrichtungen der Erziehungshilfe

Auszüge aus dem Positionspapier „Inklusion in der Erziehungshilfe“ des BVkE:
“ … Forderungen
Verschiedene Leistungen unter einer gesetzlichen Regelung
Im Mittelpunkt einer jeden Hilfeleistung müssen das Kind / der Jugendliche mit seinen individuellen, vielschichtigen Bedarfen sowie die Familie mit ihrer jeweiligen Belastungssituation stehen. Unerheblich bei der Frage, wie die Hilfeleistung finanziert wird, ist hingegen eine Unterscheidung in Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung. Auch Ursache, Form und Grad der Behinderung dürfen lediglich Einfluss auf Art und Umfang der Hilfe haben und müssen aus einem Leistungssystem finanziert werden. Aus der Überzeugung, dass sich Leistungen für Kinder und Jugendliche „primär an der Lebenslage Kindheit und Jugend orientieren und erst sekundär nach der Behinderung“, folgt, dass Eingliederungshilfeleistungen in der Kinder- und Jugendhilfe gemäß Sozialgesetzbuch VIII zusammengefasst werden müssen.

Der BVkE spricht sich für die Zusammenlegung der bisher getrennt geregelten Leistungen für Kinder und Jugendliche unter dem Motto „Hilfen zur Entwicklung“ aus. Das neue Leistungssystem muss einen erzieherischen wie auch einen behinderungsbedingten Bedarf abdecken und dem in der Inklusionsdebatte und der UN-Behindertenrechtskonvention geforderten Paradigmenwechsel entsprechen. Alle Bedarfsformen sind im Leistungstatbestand gleichwertig zu berücksichtigen und alle Hilfeformen inklusiv auszugestalten. …

Inklusion bedeutet Investition
Die Erziehungshilfe mit ihrer breit gefächerten Angebotsstruktur ermöglicht die Bereitstellung von passgenauen, individualisierten Hilfen. Neu zu gestaltende inklusive „Hilfen zur Entwicklung“ bedürfen der weiteren laufenden Anpassung von Angeboten und der Weiterbildung von Fachpersonal. Hierfür sind Schulungen, Fortbildungen sowie die Entwicklung und Implementierung von neuen Konzepten notwendig.
Die Einführung eines neuen Leistungssystems „Hilfen zur Entwicklung“ wird vor dem oben beschriebenen Hintergrund nicht kostenneutral sein. Ein neu zu schaffendes Leistungssystem muss den Herausforderungen, Umstrukturierungen und realen Kosten Rechnung tragen und darf die erreichte Qualität bzw. den Leistungsumfang von Erziehungshilfe und Eingliederungshilfe nicht unterlaufen.

Gesamtgesellschaftliche Ansprüche und individuelle Rechte respektieren
Das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderung und deren Familien ist zu respektieren. Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung sowie deren Angehörige sind oftmals Experten in eigener Sache, und diese Haltung sollten alle am Hilfeverfahren beteiligten Parteien respektieren. Politisch und gesellschaftlich gewollte Inklusion kann in einem Spannungsverhältnis zum individuellen Wunsch- und Wahlrecht der Eltern bzw. der Personensorgeberechtigten stehen. Auch die Erwartungen der Eltern einerseits und die des Kindes bzw. des Jugendlichen andererseits können unterschiedlich sein. Eltern bevorzugen zum einen „beschützende Lösungen“, zum anderen wollen sie eine maximale Inklusion. Elitedenken und -förderung und Fluchtverhalten aus teilweise belasteten Regelsystemen hin zu privaten Systemen sind keine adäquate Lösung. Vielmehr ist es erforderlich, diese belasteten Systeme zu hochwertigen Bildungs- und Lebensinstitutionen zu qualifizieren. Eine Gesellschaft, die auf dem Leistungsgedanken und dem Wettbewerb basiert, stellt sowohl die Betroffenen als auch die Einrichtungen und Dienste vor große Herausforderungen und muss sich einem erheblichen Umdenkungsprozess unterziehen Die UNBehindertenrechtskonvention bevorzugt zwar ein egalitäres und inklusives Schulsystem, sie schließt dennoch besondere pädagogische Maßnahmen in spezialisierten Institutionen nicht aus. …

Perspektiven
Inklusion als Prozess verstehen
Inklusion muss als ein Prozess angesehen werden, der keinen überhasteten Aktionismus im Sinne einer abrupten Abschaffung aller spezialisierten Einrichtungen hervorbringen wird. Die bisherigen Systeme mit ihrem Anspruch, elementare Grundbedürfnisse von Menschen mit sozialer und individueller Beeinträchtigung zu befriedigen, stehen nicht im Widerspruch zur Inklusion, sondern sind deren Voraussetzung. Wir gehen davon aus, dass temporäre und spezielle Fördersysteme weiter bestehen werden, um am Kindeswohl orientierte Hilfen zu gewährleisten.

Qualität vor Quantität

Die Umsetzung inklusiven Gedankenguts in die Praxis erfordert eine Politik der „kleinen Schritte“ gemäß dem Motto „Qualität vor Quantität“. Dieses geschieht als Prozess, der der Zeit und des Umdenkens bedarf. Die Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen arbeiten aktiv an diesem Prozess mit. Vor dem Hintergrund personeller, finanzieller und konzeptorientierter Herausforderungen gilt es Prioritäten zu erkennen. Fachkräfte und Organisationen der Erziehungshilfe sind es gewohnt, mit Mut, Flexibilität und Offenheit neue Weg zu gehen. Experimente auf Kosten des Kindeswohls müssen hingegen ausgeschlossen werden. …

Es geht nur gemeinsam und fachübergreifend

Inklusion erfasst alle Bereiche und Entwicklungsabschnitte von (jungen) Menschen und somit auch alle Fachbereiche der Bildung, der sozialen Arbeit und der erzieherischen Hilfen. Inklusive Angebote in der Erziehungshilfe sind lediglich mit gut ausgebildeten Fachkräften möglich, die in multiprofessionellen Teams nahtstellenübergreifend arbeiten. Insbesondere bei der Zusammenarbeit mit der Behindertenhilfe, mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der formellen bzw. informellen Bildung und öffentlichen Trägern der Jugendhilfe etc. bedarf es verlässlicher Partner sowie der intensiven Kommunikation, Abstimmung und Kooperation. …

Inklusive Bildungsangebote ausbauen

Auf dem Weg zu einem inklusiven Bildungssystem ist davon auszugehen, dass in Zukunft nicht mehr zwischen Kindern und Jugendliche mit/ohne Behinderung unterschieden wird, sondern individuelle Ressourcenstärkung und persönliche, passgenaue Förderbedarfe im Mittelpunkt stehen. Hier müssen sich beide Systeme, die „allgemeine Schule“ sowie die „Förderschule“, im Sinne einer „Bildung für alle“ öffnen: Die bekannten Erfolgsmerkmale von Förderschulen, insbesondere Ausbildung der Lehrkräfte, Lehrer-Schüler-Relation, kleine Lerngruppen, Formen individualisierten Lernens, spezifische Ausstattung und Methoden, sind weiterhin sicherzustellen. Ergebnis eines Umstrukturierungsprozesses müssen Bildungsorte sein, die mit ausreichend sachlicher und personeller Ausstattung in der Lage sind, auf individuelle Lern- und Förderbedarfe einzugehen. Hierzu gehören räumliche Veränderungen, Investitionen in Hilfsmittel, Diagnose- und Unterrichtsmaterialien, angemessene Lerngruppengröße und gut vernetztes pädagogisches Fachpersonal.

… Die Entwicklung zur inklusiven Schule muss als Prozess verstanden werden, in der Übergangsformen möglich sind. Inklusion darf hierbei nicht als „Einbahnstraße“ verstanden werden: Bisherigen Förderschulen muss die Möglichkeit eröffnet werden, sich für Schüler der „allgemeinen Schule“ zu öffnen.
Neben der Weiterentwicklung formeller Bildungssysteme kommt besonders der Implementierung nicht formeller Bildungsaspekte eine besondere Bedeutung zu. …

Vermittlung von Haltung

… Für eine inklusive Erziehungshilfe bedarf es einer inklusiven Haltung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den erzieherischen Hilfen. Des Weiteren fördern wir eine fachliche Kompetenzerweiterung und den Ausbau zusätzlicher Ressourcen. Bei der Fortbildung, der Mitarbeiterbegleitung und dem Kompetenzmanagement kommt den Einrichtungen und Diensten eine Schlüsselrolle zu. Im gemeinsamen Eintreten für eine inklusive Gesellschaft gilt es außerdem im intensiven Dialog mit Einrichtungen und Diensten sowie Fachvertreter(inne)n der Eingliederungshilfe zu bleiben und diesen zu vertiefen. … „

Das Positionspapier des BVkE in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.

www.bvke.de/70765.html

Quelle: BVkE

Dokumente: PP_Inklusion_in_HZE_2012_15_11.pdf

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