Interkulturelles Lernen in Projekten der schulbezogenen Jugendsozialarbeit

HANDREICHUNG FÜR MULTIPLIKATORINNEN UND MULTIPLIKATOREN Die Handreichung ist eine Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse aus dem durch die BAG KJS geförderten Projekt: „Interkulturelles Lernen von Jungen und Mädchen in Projekten schulbezogener Jugendsozialarbeit“. Das Projekt lief von April 2006 – Dezember 2007 (Schuljahr 2006 / 2007). Durchgeführt wurde es an 3 Schulstandorten vom IN VIA Landesverband Bayern e.V. Auszüge aus der Handreichung: “ DIE PROJEKTIDEE „…die Frage ist, welche Strategien „Interkultureller Bildung“ dazu beitragen, dass sich Angehörige verschiedener Kulturen und Ethnien „etwas zu sagen haben“, anstelle von gegenseitiger Missachtung oder gar gewaltsamer Auseinandersetzung, und, ob und wie solche Strategien der Förderung von Verständigung evaluiert werden können.“ Burkhard Müller 2006 Das Zitat beschreibt … welche Überlegungen die Grundlage für die Konzeptentwicklung zur vorliegenden Projektidee waren. Auch aus dem Blickwinkel der schulbezogenen Jugendsozialarbeit heraus ist es fortlaufend notwendig, Aufmerksamkeit für besondere Problemlagen zu haben. Die Systeme Schule und Kinder- und Jugendhilfe müssen gemeinsam aus dem jeweilig individuellen wie auch dem bildungspolitischen Bedarf vor allem für benachteiligte Schülerinnen und Schüler Förderziele entwickeln und konsequent an Regelschulen umsetzen. Die Arbeitsthese, die diesem Projekt als „Startgrundlage“ diente, lautete: Interkulturelles Lernen ist ein unverzichtbares Bildungselement im schulischen Alltag und trägt vor allem auch zur Verbesserung der Chancengerechtigkeit benachteiligter Kinder und Jugendlicher in Schulen bei. Projekte schulbezogener Jugendsozialarbeit sollten dieses Bildungselement als einen Qualitätsstandard enthalten. Die Schule ist die einzige Institution, die alle deutschen und ausländischen Kinder und Jugendlichen einer bestimmten Altersstufe erreicht. Insofern hat sie eine besondere Bedeutung und auch Verpflichtung für die Entfaltung interkulturellen Lernens und Lebens. Lerntheoretischer Hintergrund: Interkulturelles Lernen ist ein Prozess, der zum Erwerb interkultureller Kompetenz führt. Auf gewonnene interkulturelle Erfahrungen und Kompetenzen kann immer wieder zurückgegriffen und darauf weiter aufgebaut werden. … Im Rahmen des Projektes wurden an 3 Schul-Standorten in Bayern Methodenbausteine zum interkulturellen Lernen besonders für benachteiligte Kinder und Jugendliche entwickelt und erprobt. Dabei wurde die Prozesshaftigkeit interkulturellen Lernens berücksichtigt sowie die stetige Erweiterung interkultureller Kompetenz angestrebt. … DIE PROJEKTZIELE Strategisches Ziel des durchgeführten Projektes war es, den beschriebenen Bedarf aufzugreifen und konkrete Maßnahmen anzubieten, die interkulturelles Lernen in der schulbezogenen Jugendsozialarbeit ermöglichen und fördern. Kulturellen, sprachlichen und sozialen Dispäritäten in der Schule wurde durch systematische methodisch angeleitete soziale Gruppenarbeit wirksam begegnet. Interkulturelle Diversitätsmerkmale wurden bewusst gemacht und reflektiert (Nation, Aufenthaltsstatus, Religionszugehörigkeit, Hautfarbe, ethnische Herkunft, unterschiedliche Sprache, Behinderung, sozialer Status..). … Die untergeordneten, differenzierten Zielebenen der strategischen Ebene waren: * Sensibilisierung für kulturell bedingte Konflikte/Missverständnisse, Differenzen und Gemeinsamkeiten bei Projektmitwirkenden und Lehrerinnen/Lehrern * Gewinnung von Erkenntnissen im Hinblick auf die Entwicklung von Methoden und Konzeptionen im interkulturellen Lernprozess * Gewinnung von übertragbaren Erkenntnissen im Hinblick auf die Rahmenbedingungen für positiv oder negativ verlaufende Lernprozesse in verschiedenen Settings für bestimmte Alters- und Zielgruppen * Gewinnung von Erkenntnissen über Stör- und Erfolgsfaktoren im Hinblick auf die Rahmenbedingungen interkultureller Lernprozesse an der Schule * Fortschreibung der Qualitätsstandards schulbezogener Jugendsozialarbeit Auf der operativen Ebene war es übergeordnetes Ziel, die interkulturelle Kompetenz aller teilnehmenden Schülerinnen und Schüler zu stärken. Die Mitwirkenden sollten darin motiviert werden, sich mit anderen Kulturen, Verhaltensweisen und Denkstrukturen auseinander zu setzen anstatt die Begegnung mit ihnen möglichst zu vermeiden. Die untergeordneten, differenzierten Zielebenen der operativen Ebene waren: * Sensibilisierung für kulturell bedingte Konflikte/Missverständnisse Differenzen und Gemeinsamkeiten bei Schülerinnen und Schüler * Stärkung der Wahrnehmung bei Schülerinnen und Schüler für die eigenen Stärken und kulturellen Ressourcen * Förderung von Ambiguitätstoleranz im Umgang mit kulturellen Unterschieden * Stärkung der Fähigkeit, andere Denk-, Lebens- und Verhaltensweisen wahr zu nehmen und sich auf faire Weise mit ihnen auseinander zu setzen * Fördern der Fähigkeit, stereotype Vorstellungen und Verhaltensweisen zu erkennen * Unterstützung von Jugendlichen in ihrer Lebensumwelt, vor allem in der Schule * Sensibilisierung für geschlechtsspezifische Aspekte im interkulturellen Kontext … WELCHE STÖRFAKTOREN BZW. ERFOLGSFAKTOREN FÜR INTERKULTURELLES LERNEN KONNTEN GEFUNDEN WERDEN? Störfaktoren * Fehlende Motivation bzw. fehlendes Interesse bei den Kindern und Jugendlichen * Zu viel Raum lassen für Diskussionen aller Beteiligten im Setting * Einseitiger Vortrag der Lernmoderatorin hierbei ist besonders problematisch, wenn der Vortrag zu sprachlastig oder sehr abstrakt gehalten ist * Zu komplexe Aufgabenstellung für Spiele, Übungen * Übungen, für die Kinder etwas Eigenes mitzubringen haben (wird vergessen/vermieden) * Ansetzen an den individuellen Defiziten der Kinder und Jugendlichen * Ausfall von Einheiten wegen anderen schulischen Terminen oder als Randstunden * Klassenzimmer sind für manche Übungen zu klein bzw. vollgestellt * Fehlendes Materialgeld für Papier, Bilder etc. in den Projekten schulbezogener Jugendsozialarbeit / allgemein an Schulen- interkulturelles Lernen benötigt zur Veranschaulichung viele Materialien * Zu kurze Zeitfenster für die Durchführung von Übungen sowie deren notwendige anschließende gemeinsame Auswertung * Unbedingten Konsens über unterschiedliche Haltungen anstreben Es sollte ferner vermieden werden: Interkulturelle Verständigung darf nicht auf Konsens ausgerichtet sein. Diese Paradoxie lässt sich insofern verstehen, wenn man überlegt, dass interkulturelle Verständigung (vor allem bei Konflikten) gerade dann Chancen hat, wenn sie ohne Zwang und nicht auf einen unbedingten gemeinsamen Konsens ausgerichtet ist. Also ist der Wille, „zu verstehen“, nicht immer wirklich im Ergebnis „Frieden“ fördernd. … Die Sprache ist ein wesentlicher Aspekt der interkulturellen Kommunikation. Gleichzeitig ist sie Beschränkungen unterworfen und oft eine Quelle von Missverständnissen. Andere, non-verbale Ausdrucksmittel mussten ebenfalls eingesetzt werden, wie z.B. die Körpersprache oder Bilder. Die unterschiedlichen Niveaus von Sprach- und Kommunikationsmöglichkeiten waren in den verschiedenen Maßnahmen klar erkennbar – teils aus Altersunterschieden, teils aus intellektuellen Ursachen. Viele sprachliche Möglichkeiten, die es grundsätzlich gibt, um Erwachsene oder älterer Jugendliche interkulturell zu sensibilisieren, konnten für viele Schülerinnen und Schüler im Projekt überhaupt nicht genutzt werden. … Fehlende Geschlechterparität bei Projekt- bzw. Übungsleitungen … Erfolgsfaktoren * Leitung des „interkulturellen Unterrichtes“ durch die Sozialpädagoginnen als „Neutralität im Raum“, als sog. Lernmoderatorin * Eigene persönliche Zieloffenheit der Lehrerinnen und Sozialpädagoginnen * Offenheit der Lehrkraft für „andersartigen Unterricht“ mit neuen Methoden und Wegfall einer Leistungsbemessung * Zeitliche Möglichkeit, lange Kennenlern-Phasen einzuräumen * Respektvolles Achten der Privatsphäre jeder / jedes Einzelnen * Wiederholende, aufeinander aufbauende Übungen/ Spiele zur Festigung der Reflexionserlebnisse * Relativ häufiger Tätigkeiten- und Methodenwechsel zur Stärkung der Aufmerksamkeit von Schülerinnen und Schülern * Positive, offene Atmosphäre und möglichst spannungsfreie Beziehung in der Gruppe / Klasse * Anschauliche Beispiele, die der Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler entsprechen bzw. angemessen sind * Rückzugsmöglichkeiten im Raum für Einzelne von den Übungen bei Bedarf und Akzeptanz dessen durch die Lehrkraft * Keine Verpflichtung zur aktiven Mitwirkung, aber Rücksichtnahme auf die Gruppe * Partnerübungen * Ermöglichung direkter Lernerfahrungen durch emotionale Beteiligung * Einbeziehung mehrerer Sinne, da dies abwechslungsreich ist und nachhaltig wirkt * Ansetzen an den individuellen Ressourcen der Kinder und Jugendlichen In den interkulturellen Lerneinheiten war es sehr wichtig, auch Einstellungen, Meinungen von Minderheiten gelten zu lassen und nicht nur die der Mehrheit, der zahlenmäßig stärksten Gruppe (oft war dies die deutsche Gruppe). Es war ferner förderlich: … Hintergrundwissen über die beteiligten Kulturen und Lebenswelten war sehr hilfreich für einen zielführenden Gesprächsverlauf. Es verringerte das Konfliktpotential und förderte Empathie bei den Schülerinnen und Schülern. … Regelmäßigkeit statt Beliebigkeit war notwendig, um interkulturelle Sensibilisierung anzustoßen. Angeboten im Klassenverband, d.h. unter Mitwirkung einer Lehrerin (oder eines Lehrers), waren freiwilligen, offenen Angeboten außerhalb der normalen Unterrichtszeit vorzuziehen. Die Erarbeitung interkultureller Übungen benötigt sehr vielseitige Materialien. … METHODEN Das Motto: Die soziale Rolle sollte im interkulturellen Kontext „erschüttert“ werden, nicht aber gefestigt. Die Methode der sozialpädagogischen Gruppenarbeit war die zentrale Methode im Projekt, auch die Kleingruppenarbeit. Die Anpassung und Entwicklung der Methoden erfolgte durch Beeinflussung von den Umständen, den Sozialpädagoginnen/ der Dipl. Pädagogin, der Lehrerin sowie den Schülerinnen und Schülern. … Besonders förderlich für den positiven Start in eine „interkulturelle Unterrichtseinheit“ war ein „Warming-up“. … Es zeigten sich die Methoden gut geeignet, – die nachdenklich machten über sich und Andere – Interesse an Gemeinsamkeit und Unterschieden entwickelten – auf Vermittlung von demokratischem und solidarischem Verhalten sowie Akzeptanz gegenüber Anderen, Anders-Artigem und Fremden zielten – die das Einfühlungs- und Wahrnehmungsvermögen stärkten – eine Vorstellung dafür förderten, was Vorurteile sind und wie sie sich unter Umständen auswirken können Dies wurde mit folgenden Methoden-Kategorien im Klassen-Setting umgesetzt: – Rollenspiele – Partner-Interviews – Lernarrangements mit Bildern / Fotos – Kommunikationsspiele – Interaktionsübungen / Begegnungsarbeit – Wahrnehmungsübungen … RESÜMEE * Aus der Sicht des Bildungsträgers Schule: … Interkulturelles Lernen ist eine Querschnittsaufgabe und muss strukturell in der Schule verankert werden. … Auf der letzten KMK-Konferenz im Oktober 2007 einigten sich die Kultusminister auf ein Paket präventiver Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildungsreife. Dies soll u.a. durch eine Förderung benachteiligter Schülerinnen und Schüler durch individuelle Kompetenzprofile erreicht werden. „…Um das zu erreichen, muss der Unterricht in den Grundschulen und in allen weiterführenden Schulen auf die Akzeptanz von Vielfalt ausgerichtet sein..“ (KMK, 2007). Eine dort benannte Fördermaßnahme ist die Ergänzung der Zeugnisse durch Einführung von Portfolios, um individuelle Stärken besser nachzuweisen und zu beschreiben. … Interkulturelles Lernen trägt bei zur Gewaltprävention. … Fehlt eine konstruktive interkulturelle Kommunikation, so können Aggression, Abkapselung und im Extremfall sogar Gewaltbereitschaft entstehen. … Im Projekt zeigte sich durchwegs, dass die jüngeren Schülerinnen und Schüler offen für und neugierig auf die angegangenen Themen waren und Vorurteile noch wenig gefestigt waren. … * Aus der Sicht der Schüler: Interkulturelle Kompetenz sollte (nicht nur) für Schülerinnen und Schüler dringend grundsätzlich zu ihrem „persönlichen Portfolio“ gehören. Es ist für Kinder und Jugendliche – egal welcher Herkunftskultur – heutzutage unerlässlich, in gemischten Gruppen zurechtzukommen. Auch deutsche Jugendliche sind mit unterschiedlichen, sich zum Teil widersprechenden kulturellen Kontexten bzw. Subkulturen konfrontiert und müssen die Schlüsselkompetenzen erwerben, diese Vielfältigkeit auszuhalten. Die schulbezogene Jugendsozialarbeit findet hier ihre besondere Aufgabe für Benachteiligte gemäß §13 SGB VIII, nicht zuletzt im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen zum Europäischen Qualifizierungsrahmen und dessen Konsequenzen für diese besondere Zielgruppe. Es konnte im Projekt nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden, dass Schülerinnen und Schüler in ihrer jeweiligen Familie eine Auseinandersetzung mit eigener Kultur und Biografie erlebten. … * Aus der Sicht der Träger schulbezogener Jugendsozialarbeit: … Ausgewiesene Kompetenzen zum interkulturellen Lernen für Projektmaßnahmen schulbezogener Jugendsozialarbeit könnten die Konzeptqualität bei Projekt-Ausschreibungen erhöhen und damit u.U. die Ausgangssituation im „Benchmarking“ gegenüber anderen freien Trägern. … An den jeweiligen Projektschulen konnten der Bekanntheitsgrad von schulbezogener Jugendsozialarbeit und das Wissen über sozialpädagogische Arbeitsansätze deutlich vergrößert werden. “ Die Handreichung im Volltext entnehmen Sie bitte dem Anhang. Das Dokument enthält eine umfangreiche Methodensammlung, die sehr gut für die praktische Arbeit vergleichbarer Projekte und Vorhaben zu nutzen ist. Die redaktionelle Bearbeitung der Handreichung oblag Susanne Göttlich Herausgeber ist die Bundesarbeitsgemeinschaft katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS e.V.)

Quelle: BAG KJS

Dokumente: 150408_Handreichung_mit_Literatur_und_Methoden.pdf

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