Computerspiele: ein jugendkulturelles Leitmedium

PROBLEMATISCHE NUTZUNGSASPEKTE Die Zeitschrift „forum kriminalprävention“ berichtet in ihrer aktuellen Ausgabe über problematische Nutzungsaspekte von Computerspielen. Die Fachzeitschrift beruft sich auf eine Befragung von 14.301 Schülerinnen und Schüler neunter Schulklassen in Deutschland. Die Untersuchung wurde vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) durchgeführt. Das Ergebnis ist erschreckend: etwa 80% der Neuntklässler hat Erfahrungen mit Gewaltspielen und Spielen die erst ab 18 Jahren freigegeben sind. Darüber hinaus belegt die Untersuchung, dass das Spielen gewalthaltiger Spiele die Akzeptanz von Gewalt im Alltag fördert. Untermauert werden diese Erkenntnisse (Befragungszeitraum 2005) von einer neuen Studie des Münchner Schulpsychologen Werner Hopf. Die Hopf-Studie ist bisher nicht veröffentlicht, jedoch berichten „Geo-wissen“ und die katholische Nachrichten Agentur, PC-Gewaltspiele sind Auslöser für Jugendkriminalität. Laut Hopf’s zweijähriger Untersuchung sind PC-Gewaltspiele die bedeutsamste Ursache für Prügeln, Vandalismus, Mobbing oder Autoaufbrüche. Weitere Auslöser für Gewalt-Handeln und Gewaltakzeptanz seien gewalthaltige TV-Sendungen und Horrorfilme. Auszüge aus dem Beitrag „Problematische Nutzungsaspekte von Computerspielen“ von Florian Rehbein, Thomas Mößle und Matthias Kleimann in „forum kriminalprävention“: “ Obgleich in der Forschung immer wieder berichtet wird, dass viele Computerspiele gewaltbetonte Lösungsmuster und zudem explizite Gewaltdarstellungen aufweisen, wird bislang von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) nur ein verhältnismäßig geringer Anteil mit „Keine Jugendfreigabe‘ (Ab 18 Jahren) versehen. Dies betraf 5,3% der Spiele im Jahr 2007 und 4,0% der Spiele im Jahr 2006. Eine Verweigerung der Kennzeichnung, die eine zwingende Voraussetzung für eine ggf. vorzunehmende Indizierung oder anderweitige Verbreitungsbeschränkung darstellt, ist noch seltener der Fall und betrifft 1,5 (2007) bzw. 1,8% (2006) der Spiele. Daten der KFN-Schülerbefragung zeigen, dass die Altersfreigaben zugleich keine zufriedenstellende Wirksamkeit entfalten. Dieses Problem besteht insbesondere bei männlichen Kindern und Jugendlichen: Jungen vierter Schulklassen im Alter von durchschnittlich zehn Jahren geben zu 50% an, schon einmal ein Spiel ab 16 Jahren gespielt zu haben. Fast 30% äußern, schon einmal ein Spiel ab 18 Jahren gespielt zu haben. 21,3% spielten zum Befragungszeitpunkt (Frühjahr 2005) mindestens ein Spiel, welches aufgrund seiner entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte erst ab 16 Jahren oder ab 18 Jahren freigegeben ist. Bei den durchschnittlich 15-jährigen Neuntklässlern nutzen ca. 80% gelegentlich Spiele ab 18 Jahren, jeder Dritte tut dies sogar häufig. Neben ihrer mangelnden Wirksamkeit zeigt sich bei den Alterseinstufungen …, dass Spiele auch oftmals zu niedrig eingestuft erscheinen. … Einige Mängel in der Praxis der USK sind hierfür offenbar verantwortlich zu machen. So zeigte sich etwa bei Analyse der USK-Gutachten, dass die Spielinhalte zum Teil nicht vollständig gesichtet wurden oder Spieltitel mit ähnlichem Inhalt als inhaltsgleich gewertet und nicht einzeln geprüft werden. Sehr bedenklich erscheint auch, dass bei der Aufbereitung der Spielinhalte durch die Tester, die die Spiele vorab sichten und für das Gremium aufbereiten, nicht mit standardisierten Checklisten bzw. Prüfkatalogen gearbeitet wird und damit die Auswahl dessen, was zum Gegenstand der Prüfung im Gremium wird, nicht formal geregelt ist. … Weitere Mängel bestehen in Teilen der Organisationsstruktur, der Abstimmung mit der Bundeszentrale für Jugendmedienschutz und in der Transparenz und Offenlegung der Entscheidungsprozesse. … Die Relevanz der aufgeführten Mängel im Jugendmedienschutz und seiner Wirksamkeit werden umso deutlicher, wenn die aktuelle Forschung zur Wirkung von Computerspielgewalt auf Kinder und Jugendliche berücksichtigt wird. … Es wird inzwischen kaum mehr ernsthaft bezweifelt, dass die Nutzung gewalthaltiger Computerspiele im Sinne eines Risikomodells im Zusammenspiel mit anderen variablen die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens erhöht und die Wahrscheinlichkeit prosozialen Verhaltens vermindert. … Die Untersuchung zeigt einen direkten Zusammenhang zwischen der Nutzung gewalthaltiger Computerspiele und der Gewaltprävalenz von Jugendlichen, … Von übergeordneter Bedeutung ist, inwieweit der Jugendliche Gewalt als unverzichtbaren Bestandteil des eigenen Alltags befürwortet (Gewaltakzeptanz). Jugendliche mit einer erhöhten Gewaltakzeptanz spielen jedoch auch häufiger gewalthaltige Spiele, und das Spielen gewalthaltiger Spiele fördert wiederum die Akzeptanz von Gewalt. Die Nutzung von Gewaltcomputerspielen hat damit … zwei Auswirkungen auf Gewaltprävalenz unter Jugendlichen: Einerseits die eines eigenständigen, wenn auch schwachen bis mittleren Erklärungsfaktors für Gewaltverhalten. Besonders aber ist die intensive Nutzung gewaltbeherrschter Computer- und Konsolenspiele ein zusätzlicher Verstärkungsfaktor für die Akzeptanz gewalttätiger Konfliktlösungen und somit auch Kennzeichen eines gewaltdelinquenten Lebensstils. WAS IST ZU TUN? … Prävention muss im Bereich von Computerspielen und virtuellen Welten nicht nur einer qualitativ problematischen Nutzung jugendbeeinträchtigender Inhalte, sondern auch einer quantitativ problematischen Nutzung im Sinne eines exzessiven Spielverhaltens entgegenwirken. Hierbei spielt die elterliche Medienerziehung eine übergeordnete Rolle, zumindest bis zum Alter von zehn Jahren, am besten aber noch länger, sollten Medienaktivitäten gleichzeitig auch familiäre Aktivitäten sein. … Hohe Mediennutzungszeiten sind oft kompensatorisch und Ausdruck eines Mangels an bereichernden Erfahrungen im wirklichen Leben. Somit könnte ein Ausbau der Angebote von Ganztagsschulen auch Eltern aus einer benachteiligten sozialen Lage dabei helfen, ihren Kindern neben Computerspielen und Fernsehen ein vielseitiges Angebot spannender und fordernder Freizeitangebote zu ermöglichen. Weiterhin ist im Sinne der Prävention zu fordern, dass Medienkompetenzvermittlung fester Bestandteil des Unterrichts in Grundschulen wird. Dabei sollte jedoch stärker als bisher die Fähigkeit zum Verzicht, die bewusste Selbstbeschränkung und die Erschließung von Handlungsalternativen im Vordergrund dieser Vermittlungen stehen. … Um zukünftig Kinder besser vor entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten zu schützen muss auch die Reform des Jugendmedienschutzes im Bereich Computerspiele weiter vorangetrieben werden. … Die Entwicklung der Gewaltprävalenz als auch die Nutzung gewalthaltiger Computerspiele hängen hochgradig davon ab, in wie weit es der Gesellschaft zukünftig gelingen wird, das gesetzlich sanktionierte Gewalttabu im familiären Zusammenleben, insbesondere bei der Kindeserziehung, durchzusetzen und wie effektiv Mitglieder sozialer Randgruppen vor dem Abdriften in delinquente Milieus bewahrt werden können. Zusätzlich ist es entscheidend gerade männlichen Jugendlichen bei der Suche nach Herausforderungen und Bestätigung attraktive Angebote zu machen. “ Kontaktmöglichkeit: Florian Rehbein, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e-Mail: frehbein@kfn.uni-hannover.de

http://www.forum-kriminalpraevention.de

Quelle: Forum Kriminalprävention 2/2008

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