Förderstopp mit gravierenden Auswirkungen: Die Rechtsauslegung des BMAS zum § 16 Abs.2 Satz 1 SGB II

INTEGRATIONSFORTSCHRITTE BEHINDERT Das Schreiben von Weiterbildungs- und Integrationskursträgern in der Region Bielefeld in vollem Textumfang: “ Seit Jahren werden in der Region Ostwestfalen-Lippe (OWL), insbesondere im Kreis Herford und in der Stadt Bielefeld berufs-bzw. arbeitsmarktbezogene Sprachförderangebote für arbeitslose Menschen mit Migrationsgeschichte durchgeführt. Viele liefen über Gelder des Europäischen Sozialfonds (ESF), andere wurden von der Kommune finanziert. Seit 2005 liegen diese Kurse in der Verantwortung der regionalen Arbeitsgemeinschaften (ARGEn), deren Zielgruppe Personen im Bezug von Arbeitslosengeld II ist. Mit den Jahren haben sich breite Netzwerke von Sprachkursträgern, Weiterbildungsträgern, Beratungsstellen und Arbeitgebern entwickelt und die Qualität der Kurse ist stetig weiterentwickelt worden. Die Kurse zeichneten sich durch ihren bedarfs-und teilnehmerbezogenen Ansatz sowie ihre Handlungsorientierung aus und hatten alle einen konkreten Praxisbezug, z. B. durch ein Praktikum auf dem ersten Arbeitsmarkt, aber auch Betriebsbesuche etc. Neben der Förderung des Deutschen als Zweitsprache stand die Förderung von Schlüsselkompetenzen, Abbau von Vermittlungshemmnissen, Anerkennung von Abschlüssen aus den Herkunftsländern und zum Teil eine fachpraktische Qualifizierung sowie die Integration in den ersten Arbeitsmarkt im Mittelpunkt. Mit dem Erscheinen der Arbeitshilfe SWL (Sonstige Weitere Leistungen im SGB II) am 11. April 2008 stellte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die Möglichkeit der Förderung neuer Maßnahmen mit sofortiger Wirkung ein. In der Arbeitshilfe wird darauf verwiesen, dass es sich bei SWL um ergänzende Einzelfallhilfen handelt, womit Projektförderung generell ausgeschlossen ist. Sprachförderung für Menschen mit Migrationsgeschichte darf nach dieser Arbeitshilfe nicht mehr über den Eingliederungstitel der ARGEn laufen, denn: „Für die vollständige Förderung von integrations-und berufsbezogenen Deutschsprachkursen ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig.“ Neben den Integrationskursen, in denen allgemeine Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 vermittelt und durch das erfolgreiche Ablegen der Prüfung Zertifikat Deutsch nachgewiesen werden sollen, wird auf die Berufsbezogenen Deutschsprachkurse des BAMF verwiesen (ESFBAMF-Programm). Bei Erscheinen dieser Arbeitshilfe war aber bereits bekannt (und hat sich zwischenzeitlich auch zunehmend bestätigt), dass die Ausschreibung für diese ESF-BAMF-Kurse frühestens ab Herbst 2008 in ausgewählten Regionen startet (die Kurse selbst dann frühestens Ende 2008, wahrscheinlich aber erst Anfang 2009), bevor sie in einer weiteren Förderphase auch bundesweit zur Verfügung stehen werden. Ein genauer Termin wird auch vom BAMF noch nicht benannt, sicher ist aber, dass die bundesweite Implementierung dieser Kurse nicht vor 2009 starten wird. Das heißt, dass zwischen April 2008 und mindestens Januar 2009 keine berufsbezogenen Deutschförderangebote mehr durchgeführt werden dürfen. Personen, die bereits für ein solches Angebot vorgesehen waren, bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten – verlorene Zeit, in denen bisher erworbene Deutschkenntnisse nicht nur nicht weiterentwickelt werden, sondern durch fehlende Anwendung sogar verkümmern, da die Kontakte zwischen Zugewanderten und Aufnahmegesellschaft immer noch sehr zu wünschen übrig lassen. Gründe für die Förderpause können den Kunden nicht plausibel erklärt werden, so dass die Lernenden in der Luft hängen. Zu Recht fühlen sie sich in einer gewissen Weise der Willkür ausgesetzt. In Bielefeld und dem Kreis Herford sind hiervon über 500 Personen betroffen. In der Arbeitshilfe vom 23.05.08 wurde aufgrund zahlreicher Beschwerden noch einmal eine „Modifizierung“ vorgenommen. Nach wie vor gilt aber: „Sprachförderung im Rahmen von Sonstigen weiteren Leistungen nach § 16 Abs. 2 SGB II ist nicht möglich“. Der Vorschlag in diesem Papier, Sprachförderung als modularer Bestandteil von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen – hier wird auf Standardinstrumente wie Trainingsmaßnahmen oder Arbeitsgelegenheiten hingewiesen – umzusetzen, kann nicht als Hilfe verstanden werden. Aufgrund der starren Instrumente wäre dies nur unter Hinnahme von Qualitätsverlust, mangelnder Teilnehmerorientierung und dementsprechend Nichterreichen der eigentlich gesteckten Ziele möglich, was weder im Sinne der Kunden, noch der Träger und vor allem auch nicht des Geldgebers sein kann. Bislang wurde von der aktuellen Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzlerin selbst, Integration zur Chefsache erklärt. So stellt die Bundesregierung einen nationalen Integrationsplan auf, führt Integrationsgipfel durch, ermöglicht mit großem Aufwand Integrationskurse und fordert von MigrantInnen die aktive Teilnahme am Integrationsprozess. Dies alles geschieht, um eine nachhaltige Integration zu gewährleisten und vor allem den Zugang zum Arbeitsmarkt zu verbessern. Im nationalen Integrationsplan ist Folgendes formuliert: „Integration gelingt am besten dort, wo Menschen aus Zuwandererfamilien aktiv im Erwerbsleben stehen“ (Nationaler Integrationsplan 2007). Für uns stellt sich die Frage, ob es sich hier um eine reine Absichtserklärungen oder ein ernsthaft angestrebtes Ziel handelt. Wie sonst ist es möglich, dass das BMAS von heute auf morgen die anerkanntermaßen sinnvolle Förderung stoppt. Dies geht nicht nur auf Kosten der Glaubwürdigkeit, sondern vor allem auf Kosten einzelner Kunden der ARGEn, die sich mitten in Lernprozessen befinden. Wenn diese Lern-und Integrationsprozesse unterbrochen werden, führt dies häufig zu Rückschritten z. B. im Spracherwerb (s.o.). Letztlich und langfristig geht der Förderstopp aber auch auf Kosten der Steuerzahler – die gesellschaftlichen Kosten unzureichender Integration von Zuwanderinnen und Zuwanderern sind in der gleichnamigen Studie der Bertelsmann Stiftung eindrücklich dargestellt worden. Immer wieder ist zu lesen, dass Sprachkenntnisse unerlässlich für die Integration vor allem in den Arbeitsmarkt sind. Um erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt und in der beruflichen Weiterbildung agieren zu können, sind auch für erwachsene Migrantinnen und Migranten nicht nur fachsprachliche Kenntnisse, sondern insbesondere auch Fertigkeiten relevant, die für die unterschiedlichen beruflichen Sprachhandlungen erforderlich sind, d.h. Kommunikationsformen und -regeln, die am Arbeitsplatz gebraucht werden. Darüber hinaus werden für die erfolgreiche Teilnahme an beruflicher Weiterbildung häufig spezielle Deutschkenntnisse vorausgesetzt, die jedoch nicht immer explizit formuliert oder gefördert werden. Zur Verbesserung ihrer Chancen im Arbeitsmarkt benötigen deshalb auch die Angehörigen dieser sehr heterogenen Gruppe eine auf sie zugeschnittene berufsbezogene Deutschförderung, die es ihnen ermöglicht, (wieder) im Arbeitsleben Fuß zu fassen bzw. mit den schnellen Veränderungen im Arbeits-und Berufsleben mitzuhalten. (BAMF: Sprachliche Bildung für Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, 2008) Wir fordern, diesen zutreffenden Erkenntnissen Taten folgen zu lassen und fordern eine nachhaltige und durchgängige Sprachförderung, die eine Integration in den Arbeitsmarkt erst möglich macht, anstatt erfolgreiche Programme, Ressourcen und gewachsene Strukturen zu zerstören. In diesem konkreten Fall heißt dies, die bisherige Förderung (also vor Inkrafttreten der beiden Arbeitshilfen) weiterlaufen zu lassen, bis die ESF-BAMF-Kurse auch für unsere Region genutzt werden können. “ Unterzeichner 1. AWO Kreisverband Bielefeld e.V. 2. Internationaler Bund Bielefeld 3. Die Chance gGmbH, Herford 4. ARGE Herford 5. Arbeitskreis Recycling e.V., Herford 6. BildungsCentrum Herford 7. VHS-Bildungswerk Bielefeld e.V. 8. DRK Migrationserstberatung Bielefeld 9. DRK Integrationsagentur Bielefeld 10. IN VIA Kath. Jugendbildungswerk Herford 11. Bildungswerk DRK Bielefeld 12. Jugendmigrationsdienst Herford 13. Migrationserstberatung Diakonisches Werk Herford 14. Integrationsagentur Diakonisches Werk Herford 15. bibis (Bildungswerk des Bielefelder Schulvereins e.V.) 16. Volkshochschule Lippe-Ost, Schieder-Schwalenberg 17. Internationales Begegnungszentrum Friedenshaus e.V. (IBZ), Bielefeld 18. Maßarbeit e.V. Soziale Agentur für Arbeit/Arbeitslosenzentrum, Herford 19. Volkshochschule Reckenberg Ems 20. REGE mbH, Bielefeld 21. euwatec gGmbH, Löhne 22. Pro Arbeit e.V., Rheda Wiedenbrück 23. inlingua Sprachschule Predl GmbH Herford 24. inlingua Sprachschule Predl GmbH Espelkamp 25. inlingua Sprachschule Predl GmbH Detmold 26. inlingua Sprachschule Predl GmbH Minden-Lübbecke 27. Caritasverband für die Stadt und den Kreis Herford e.V. 28. Fachdienste für Migration und Integration des AWO Bezirksverbandes OWL e.V. 29. Volkshochschule im Kreis Herford 30. Volkshochschule Löhne 31. Migrationserstberatung Diakonisches Werk Herford 32. Jugendmigrationsdienst Diakonisches Werk Herford 33. Integrationsagentur Diakonisches Werk Herford 34. IN VIA Bildungswerk, Paderborn 35. Migrationserstberatung Evangelischer Gemeindedienst e.V. Bielefeld 36. Arbeitplus in Bielefeld GmbH 37. Netzwerk Lippe gGmbH 38. Lippe Pro Arbeit GmbH Der Redaktion liegen Hinweise vor, dass auch an anderen Orten die berufsbezogenen Sprachkurse nicht mehr von der ARGE gefördert werden. Sollten Sie Kenntnis über weitere Fälle haben, wenden Sie sich bitte an die Redaktion der Jugendsozialarbeit News.

Quelle: Schreiben von Weiterbildungs- und Integrationskursträgern in der Region Bielefeld

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