Sozialpolitischer Sprecher der Grünen bewertet den Gesetzentwurf zur ‚Instrumentenstraffung‘

BUNDESKABINETT HAT GESETZENTWURF BESCHLOSSEN Das BMAS hat am 3. September 2008 einen überarbeiteten Gesetzentwurf zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vorgelegt. Nach einer mehrfachen Diskussion hat sich die große Koalition am 5. Oktober geeinigt. Ein Kabinettsbeschluss wurde gefasst. Bedingt durch die Überschätzung ihres eigenen Zeitplans gefährdet die Regierung eine Realisierung des Gesetzes in diesem Jahr. Geplant war, dass die Änderungen in der Arbeitsförderung zum 1.1.2009 wirksam werden. Es ist damit zu rechnen, dass das parlamentarische Verfahren unter Hochdruck durchlaufen wird. Zur Diskussion gestellt eine Bewertung des Gesetzentwurfes von Markus Kurth – Sozialpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen. Auszüge aus der Bewertung: “ FLEXIBLE UND PASSGENAUE HILFEN WERDEN FAKTISCH ABGESCHAFFT Das SGB II sieht – trotz vieler anderer Mängel – gerade bei der Möglichkeit, Integrationsleistungen individuell zu gestalten, Fortschritte gegenüber der bis 2005 gültigen Rechtslage vor. Insbesondere das Instrument der ’sonstigen weiteren Leistungen‘ (§ 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II) hat in den letzten Jahren eine ständige Aufwertung und Nachfrage in allen ARGEn sowie Optionskommunen erfahren. Dieses Maß an praktisch vorgenommener Eigenverantwortung bei den Trägern der Grundsicherung für Arbeitssuchende, das seinerzeit von rot-grün ausdrücklich politisch gewollt war, scheint der heutigen politischen Leitung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) offenbar nicht mehr angezeigt. Im Vorfeld der Überarbeitung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente wurde das Instrument der ’sonstigen weiteren Leistungen‘ durch Weisung faktisch abgeschafft – und das sogar gegen den ausdrücklichen Willen der Bundesagentur für Arbeit. Der vorliegende Referentenentwurf zur Neuordnung der Instrumente der Arbeitsmarktpolitik will nun endgültig die Eigenständigkeit der ARGEn auf ein Minimum reduzieren. Durch die Beseitigung der ’sonstigen weiteren Leistungen‘ wird nun das Prinzip der individuellen und an die örtlichen Gegebenheiten angepassten Hilfeleistung aus dem SGB II auch förmlich entfernt werden. Als Pseudo-Ersatz sollen die Job Center mit einem sogenannten Experimentiertopf ausgestattet werden („Freie Förderung“ § 16 f des Gesetzentwurfes). Hierfür sollen die Träger des SGB II ganze 2 Prozent der Eingliederungsmittel verwenden dürfen. Zum Vergleich: Die Ausgaben für das Instrument der „sonstigen weiteren Leistungen“ betrugen in 2007 rund 20 Prozent der gesamten Ausgaben für Eingliederungsmaßnahmen im Rechtskreis des SGB II. Von einem „Experimentiertopf“ oder „freier Förderung“ kann keine Rede sein. Die Maßnahmen werden auf die Dauer von 24 Monaten beschränkt und dürfen nicht mit anderen Instrumenten kombiniert werden. Sollte es künftig einem Job Center gelingen, mit diesem bescheidenen Budget noch Handlungsspielräume auszuloten, werden ihm hohe Dokumentationspflichten auferlegt. Der Gesetzentwurf sieht des Weiteren sogenannte „Vermittlungsbudgets“ (§ 45 SGB III (neu)) vor. Das Vermittlungsbudget im neuen § 45 SGB III ersetzt die bisherigen Leistungen zur Unterstützung der Beratung und Vermittlung (§§ 45ff. SGB III) sowie die Mobilitätshilfen (§§ 53ff. SGB III). Die bisherigen Unterstützungsleistungen umfassen Bewerbungskosten und Reisekosten vor allem für Bewerbungsgespräche, aber auch für Berufsberatung oder eine Eignungsfeststellung. Die heutigen Mobilitätshilfen erlauben Umzugs- und Trennungshilfen, genauso wie Fahrtkostenhilfen und Zuschüsse für notwendige Arbeitsbekleidung und andere notwendige Anschaffungen. Grundsätzlich ist das mit der Neuregelung verbundene Mehr an Flexibilität zu begrüßen. Für die Betroffenen ist allerdings nicht mehr erkennbar, welche Leistungen ihnen überhaupt zustehen könnten. Eine nicht abschließende beispielhafte Aufzählung könnte Betroffenen wie Fallmanagern Orientierung bieten. … ZWANG ZUR AUSSCHREIBUNG WIRD AUSGEWEITET Der Gesetzentwurf weitet die Pflicht zur Anwendung des Vergaberechtes auch auf neue Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung (§ 46 SGB III (neu) – bisher: Trainingsmaßnahmen) sowie für die Instrumente zur Ausbildungsförderung aus. Durch die faktische Abschaffung der „sonstigen weiteren Leistungen“ wird der Vergabezwang ebenfalls erheblich ausgeweitet, denn dieses Instrument war bisher von der Pflicht zur Ausschreibung befreit. Die Erfahrung mit den Ausschreibungen der Eingliederungsleistungen des SGB III zeigt jedoch, dass die Anwendung des klassischen Vergaberechts mit Blick auf Qualität und die Kontinuität des Angebotes äußerst problematisch, bisweilen sogar schädlich sind. Gleichwohl setzt das BMAS aus Kostengründen auf dieses Mittel und schränkt auch auf diese Weise vorhandene Handlungsspielräume vor Ort in den Job Centern gezielt ein. EINHEITLICHE REHABILITATIONSLEISTUNGEN FÜR MENSCHEN MIT BEHINDERUNGEN RÜCKEN IN WEITE FERNE Schon nach heutigem Recht gibt es keinen einheitlichen Rechtsanspruch auf Rehabilitation für alle behinderten und von Behinderung bedrohten Menschen, so wie es das Neunte Buch Sozialgesetzbuch vorschreibt. Doch anstatt jetzt das Zweite und Dritte Buch Sozialgesetzbuch an die Regelungen des Neunten Buches anzupassen, verschärft der Gesetzentwurf zur Neuausrichtung arbeitsmarktpolitischer Instrumente die Kluft beider Regelungssysteme. Bestrebungen nach einem Rehabilitationsleistungsgesetz, im Sinne eines einheitlichen Rechtsanspruches auf Rehabilitation, werden zurückgeworfen. … Eine Leistungsgewährung „aus einer Hand“ wird für Menschen mit Behinderungen mit diesem Gesetz in weite Ferne rücken. SANKTION VOR SELBSTBESTIMMUNG … Im Gesetzentwurf des BMAS sucht man vergebens nach Formulierungen, die der Stärkung der Selbstbestimmungsrechte der Arbeitssuchenden dienen. Im Gegenteil: Das BMAS beschneidet die Verfahrensrechte der Arbeitssuchenden zusätzlich, indem es den Katalog der Bescheide, in denen ein Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat, ausweitet (§ 39 SGB II (neu)). Im Ergebnis würde das so gestaltete SGB II vor allem den besonderen Bedürfnissen derjenigen Langzeiterwerbslosen nicht gerecht, deren Integration in den 1. Arbeitsmarkt regelmäßig in weiter Ferne liegt und deren Problemlagen eher eines sozialpolitischen denn arbeitsmarktpolitischen Fokus‘ bedürfen. Käme dieser Gesetzentwurf zum Tragen, bedeutete dies aus meiner Sicht das endgültige Scheitern der Arbeitsmarktreformen und würde in einem konjunkturellen Abschwung in katastrophaler Weise sicht- und spürbar. “ Die Bewertung des Gesetzes im Volltext entnehmen Sie aufgeführtem Link.

http://www.markus-kurth.de/themenordner/arbeit/1695936.html
http://www2.markus-kurth.de/uploads/080925bewertungmarkuskurtharbeitsmarktpolitischerinstrumentenkasten.pdf

Quelle: Markus Kurth MdB (Sozialpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen)

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