DIE ZEITSCHRIFT DER JUGENDSOZIALARBEIT: DREIZEHN Der Nationale Integrationsplan (NIP) steht im Mittelpunkt der 52 Seiten von Heft zwei. Für DREIZEHN nimmt die Journalistin Sabine am Orde den NIP kritisch unter die Lupe. Sie ist Redakteurin im Inlandsressort der tageszeitung (taz) und dort zuständig für Migration und Integration. Auszüge aus dem einleitenden Artikel: “ DER NATIONALE INTEGRATIONSPLAN: ZWISCHEN EUPHORIE UND BOYKOTT Im Juli 2007 wurde der Nationale Integrationsplan (NIP) besiegelt. Das Thema Integration war damit endlich dort platziert, wo es schon lange hingehörte: ganz oben auf der gesellschaftlichen Agenda der Bundesrepublik. Doch was ist außer viel Symbolik und Willensbekundungen eigentlich herausgekommen? Auf dem zweiten Gruppenfoto ist er nicht zu sehen. Statt drinnen im Kanzleramt mit der Bundeskanzlerin, ihrer Migrationsbeauftragten und den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des zweiten Integrationsgipfels in die Kamera zu lächeln, gab Kenan Kolat draußen vor der Tür Interviews und verteilte Flugblätter. … „Was die Bundesregierung jetzt macht, trägt nicht zur Integration bei“, rief Kolat empört in die Kameras. … Was war passiert? Während die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Integrationsgipfels ein Jahr lang über Bildung und Arbeitsmarkt, über Gleichberechtigung, Stadtentwicklung und über die Bedeutung von Kultur, Medien und Sport für die Integration beraten hatten, erarbeitete das CDU geführte Bundesinnenministerium zeitgleich eine Reform des Zuwanderungsgesetzes. Kurz vor dem zweiten Integrationsgipfel, auf dem im Juli 2007 der Nationale Integrationsplan besiegelt wurde, beschloss die schwarz-rote Bundesregierung zahlreiche Verschärfungen. Eine davon: Ausländische Ehepartner/innen müssen nun mindestens 18 Jahre alt sein und einfache Deutschkenntnisse nachweisen, um hierzulande einreisen zu dürfen. Diese Regel aber gilt beispielsweise nicht für US-Amerikaner, Israelis und Australier. ‚Dieses Gesetz beinhaltet Ausgrenzung und Ungleichbehandlung‘, tobten entsprechend die Organisationen der Deutsch-Türken, die die weitaus größte Migrantengruppe hierzulande vertreten. Aus ihrer Sicht war der Subtext der Gesetzesverschärfung klar: „Solche wie euch wollen wir nicht.“ Genau das gegenteilige Signal sollte der Nationale Integrationsgipfel aussenden, und letztlich tat er das auch – auch wenn durch das neue Zuwanderungsgesetz ein Schatten auf dieses Signal fiel. Doch die symbolische Wirkung der Einladung ins Kanzleramt war größer. Markierte sie doch eine Wende in der deutschen Politik. Erstmals war eine Bundesregierung bereit, auf Augenhöhe mit Migranten/innen zu diskutieren – statt nur über sie zu sprechen, wie es bislang stets der Fall gewesen war. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von „einem Meilenstein in der Geschichte der Integrationspolitik“ und betonte, dass die Integration ein zentrales politisches Anliegen der Bundesregierung sei, das von den Einwanderern, aber auch von der deutschen Gesellschaft energisches Handeln erfordere. … Die Einladung ins Kanzleramt, das war also ein lange überfälliger Akt mit großer symbolischer Bedeutung. Erstaunlich war, dass dieser Schritt ausgerechnet von einer konservativen Kanzlerin ausging. Tun sich doch in Merkels Partei bis heute viele mit der Erkenntnis schwer, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Zwischen dem ersten und dem zweiten Integrationsgipfel, der von den Deutsch-Türken boykottiert wurde, lag ein Jahr. Ein Jahr, in dem Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen, von Gewerkschaften und Arbeitgebern, Vertreter/innnen von Wohlfahrtsverbänden und Migrantenorganisationen, vom Sport, den Medien und der Wissenschaft in insgesamt sechs Arbeitsgruppen zehn Themenfelder bearbeitet hatten. Sie sprachen über Integrationskurse, über mangelnde Deutschkenntnisse, Versäumnisse in der Bildungspolitik und fehlende Ausbildungsplätze, über Zwangsehen und städtische Problemviertel, über fehlende Tatort-Kommissare nichtdeutscher Herkunft, die Bedeutung von Sportvereinen für die Integration und vieles andere mehr. Viele Teilnehmer lobten die sachliche Diskussion in den Arbeitsgruppen – auch jene, die das Ergebnis des Gipfels später kritisch beurteilten. … 400 Selbstverpflichtungen und 750 Millionen allein vom Bund – das hört sich beeindruckend an. Doch bei genauerem Hinsehen sind Abstriche zu machen. … Zudem sind nur wenige Verpflichtungen mit klarer Ziel- und Zeitvorgabe versehen, die meisten gänzlich unverbindlich formuliert. Sie alle sind weder einklagbar noch drohen Sanktionen, wenn die Erfüllung ausbleibt. … Für eine wirkliche Überprüfung des Nationalen Integrationsplans aber wäre eine transparente Evaluationsstruktur von Nöten. Dabei müsste nicht nur die Erfüllung oder Nichterfüllung der Selbstverpflichtungen überprüft werden, sondern auch, welche Auswirkungen diese Maßnahmen haben – und ob sie integrationspolitisch überhaupt sinnvoll sind. Darüber aber dürften in vielen Fällen die zahlreichen Teilnehmer des Nationalen Integrationsgipfels durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Denn der Begriff Integration kommt zwar im NIP extrem häufig vor, auf eine Definition aber, was Integration eigentlich ist und mit welchen Indikatoren sie messbar ist, haben sich die Teilnehmer nicht verständigt. Selbst CDU-Politiker sind darüber uneins. So hat die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung inzwischen einen Katalog von mehr als 100 Indikatoren vorgelegt, mit denen sie künftig – unabhängig von den Selbstverpflichtungen des NIP – Integration messen will. Diesen Katalog aber hat ihr Parteifreund Armin Laschet, Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, umgehend als „unausgegorenen und wissenschaftlich nicht fundiert“ kritisiert. … Kritik wie diese will die Integrationsbeauftragte Böhmer nicht gelten lassen. Stets lobt die CDU-Politikerin den Nationalen Integrationsplan als „historischen Schritt“, immer hat sie ein paar erfolgreiche Projekte parat, zu denen sich die Teilnehmer des Gipfels verpflichtet haben. Die Bildungspaten etwa, die ehrenamtlich Kindern und Jugendlichen aus Einwandererfamilien helfen. Die Kampagne ‚Vielfalt als Chance‘, an der mittlerweile mehr als 300 Unternehmen teilnehmen. Und die Integrationskurse, die ausgebaut und besser finanziert seien. Auch die Bundesländer melden Fortschritte: Bundesweit wird mittlerweile spätestens ein Jahr vor der Einschulung festgestellt, wie weit die Kinder in ihrer sprachlichen Entwicklung sind. Dazu hatten sich die Länder im Integrationsplan verpflichtet. Erste Erfolgsmeldungen gibt es auch aus den Gewerkschaften, den Wohlfahrtsverbänden, den Migrantenorganisationen und vielen anderen Teilnehmern/innen des Integrationsgipfels. Dennoch ist schwer zu sagen, ob der Nationale Integrationsplan mehr werden wird als symbolische Politik – auch wenn man deren Wirkung nicht unterschätzen sollte. Anderthalb Jahre sind schlicht zu kurz, um die Veränderungen zu bewerten, die der Plan möglicherweise bewirken wird. Zumal es an Messinstrumenten mangelt, um dies seriös zu tun. … “ Die zweite DREIZEHN ist kostenlos und unverbindlich zu beziehen über die Stabsstelle des Kooperationsverbunds Jugendsozialarbeit. Bestellung per E-Mail: dreizehn@jugendsozialarbeit.de oder Fax 030-288 789 55.
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Quelle: Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit
Dokumente: DREIZEHN_Teaser_Heft_2_November_2008_1_.pdf