Herausforderungen für die Jugendsozialarbeit

ABSCHLIESSENDE PROJEKTEVALUATION – DEMOKRATIE LEBEN LERNEN Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e.V. war von Oktober 2007 bis September 2008 Träger des Projekts „Demokratie Leben Lernen. Herausforderung für die Jugendsozialarbeit in ländlichen Räumen“ als Nachfolger des im September 2007 geendeten XENOS-Projektes. „Demokratie Leben Lernen“ befasste sich mit der kontinuierlich wachsenden sozialen Ungleichheit, Ausgrenzung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen sowie der ungleichen Verteilung von Chancen, Ressourcen und Macht. Vor allem strukturschwache ländliche Regionen leiden darunter. Junge Menschen werden in ihren Entwicklungschancen massiv eingeschränkt. Freizeitangebote und Vorbilder fehlen. Vielfach nutzen rechtsextremistische Akteure die Situationder Jugendlichen aus und nehmen auf sie politischen Einfluss. Sie greifen Erfahrungen von Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg auf und nutzen die Unerfahrenheit junger Menschen hinsichtlich gesellschaftspolitischer Gestaltungsmöglichkeiten und demokratischer Entscheidungsprozesse. Die Jugendsozialarbeit hat dem kaum etwas entgegen zu setzen – so scheint es. Eine Fachkraft zuständig für mehrere Jugendclubs, die kilometerweit entfernt liegen – eigentlich nur mit Hin- und Herfahren, auf- und zuschließen beschäftigt. Manche Kommunen und Landkreise – vor allem in Ostdeutschland – ziehen sich aus ihrer Verantwortung Angebote und Hilfeleistungen für Jugendliche anzubieten, zurück. Die Strukturen sind zum Teil so geschwächt, dass Gebiete künftig „völlig abgehängt“ werden – die Strom- und Wasserversorgung eingestellt wird. Wie kann Jugendsozialarbeit – in ihren häufig für urbane Lebenräume konzipierten Angeboten – diesen Herausforderungen begegnen? An dieser Frage setzte das Projekt „Demokratie Leben Lernen“ an. Für Fachkräfte der Jugendsozialarbeit wurden bundesweite Fortbildungsveranstaltungen angeboten, damit ihnen ihre Arbeit vor Ort gut gelingt. Zwei Fortbildungsreihen fanden statt zu unterschiedlichen Schwerpunkten: Demokratische Mitgestaltung und Chancengleichheit in der Jugendsozialarbeit – Schwerpunkt: Arbeit im ländlichen Raum – Schwerpunkt: Interkulturelle Gestaltung und Öffnung Das Projekt endete am 30. September 2008. Die Katholische Hochschule NRW (KATHO NRW), übernahm die wissenschaftliche Begleitung des Projekts und legte nun den Evaluationsbericht vor. Der Bericht wurde angefertigt von Maria Poensgen (Diplomsozialpädagogin) und wertet die durchgeführten Fortbildungsreihen aus, die von der Projektleitung Christine Müller und der Projektreferentin Elisabeth Khan (beide BAG KJS) organisiert und geleitet wurden. Auzüge aus dem Evaluationsbericht: “ EINFÜHRUNG UND VORSTELLUNG DER FORTBILDUNG … Das Projekt „Demokratie Leben Lernen. Herausforderungen für die Jugendsozialarbeit in ländlichen Räumen“ wurde durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen des Sonderprogramms „Beschäftigung, Bildung und Teilhabe vor Ort“ und durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gefördert. Die Co-Finanzierung übernahm das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Im Rahmen des Projekts wurde bundesweit an verschiedenen Orten eine modular aufgebaute Fortbildung, bestehend aus zwei Fortbildungsreihen mit jeweils drei Modulen, die sich über einen Zeitraum von einem Jahr (01. 10. 2007 – 30. 09. 2008) erstreckten, angeboten. … Die Fortbildung konnte die aus dem vorangegangenen XENOS – Projekt generierten Ergebnisse nutzen, um Konzepte zur Demokratieförderung im ländlichen Raum zu erproben und bereits bewährte Konzepte durch eine Schulung von Multiplikatoren und Multiplikatorinnen anspruchsvoll umzusetzen und weiter zu entwickeln. Die Verknüpfung der Fortbildungsinhalte und die breite bundesweite Vernetzung stellt ein Novum im Bereich arbeitsmarktbezogener Jugendsozialarbeit dar. Hier eine Auswahl der angebotenen Inhalte der Fortbildungsreihen: – Demokratieentwicklungs – und Beteiligungsprozesse im ländlichen Raum – Community Coaching und systemisches Denken – Migrationsprozesse und Integrationsförderung – Interkulturelle Sensibilisierung und Gestaltung – Gelingende Kooperation und synergetisches Handeln * Projektziele Demokratisches Denken und Handeln soll als Querschnittsthema in die Jugendsozialarbeit integriert werden. Dadurch wird ein Klima der Anerkennung, der Partizipationsmöglichkeiten sowie der Förderung von Interkultureller Öffnung im Sinne von Teilnahme und Teilhabe geschaffen. Die Akteure sollen in ihrem eigenen demokratischen Selbstverständnis gestärkt werden, denn oft sind Jugendsozialarbeiter und Jugendsozialarbeiterinnen selbst in ihrem Handlungsfeld eingeschränkt, verunsichert und fühlen sich alleingelassen. Jugendliche und junge Erwachsene sollen motiviert werden, sich an Prozessen, die sie selbst betreffen, zu beteiligen. Sie sollen sich als aktive Gestalter und Gestalterinnen einer Demokratie wahrnehmen um rechten Agitationen entgegentreten zu können. Langfristig werden die erworbenen Demokratiekompetenzen zu einer Förderung der beruflichen und sozialen Integration junger benachteiligter Menschen in allen Bereiche des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens im Sinne von Chancengleichheit beitragen. Gleichzeitig sollen sich die entwickelten Konzepte und Ideen auf den internen Ebenen der Einrichtungen der Jugendsozialarbeit wiederspiegeln und somit zu einer Demokratie – Öffnung der Institutionen beitragen. * Rahmenziele Zur Umsetzung dieser Ziele wurden von den Veranstalterinnen und Veranstaltern fünf Rahmenziele formuliert. Neben der persönlichen Kompetenzerweiterung der Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Fortbildung ist ein Transfer der Inhalte in ihre jeweiligen Arbeitsfelder angestrebt, der schlussendlich zu einer Veränderung des Arbeitsumfeldes beitragen kann. 1. Förderung der Demokratiekompetenz in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit Die Inhalte sind geeignet, um demokratisches Handeln und Denken in der Jugendsozialarbeit zu integrieren. 2. Förderung der Demokratiekompetenz bzw. Beratungskompetenz zur Anregung demokratischer Prozesse bei Multiplikatorinnen und Multiplikatoren Durch die Angebote gewinnen Akteurinnen und Akteure Selbstsicherheit im Umgang mit der Thematik. 3. Förderung der Motivation Durch die Angebote werden Akteurinnen und Akteure der Jugendsozialarbeit für ihre Tätigkeit motiviert. 4. Entwicklung von Lernbausteinen zum Demokratie – Lernen 5. Kooperation mit unterschiedlichen Akteuren … * Zielgruppe Mit dieser Fortbildung wurden Akteure aus der arbeitsmarktbezogenen Jugendsozialarbeit angesprochen, insbesondere Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die mit benachteiligten Jugendlichen tätig sind sowie Multiplikatorinnen und Multiplikatoren auf der örtlichen und überörtlichen Ebene. EVALUATIONSDESIGN … Diese Evaluation nimmt die Inhalte der angebotenen Module in den Blick und versucht mittels der Angaben der Teilnehmer und Teilnehmerinnen aufzuzeigen, ob die Inhalte der Fortbildung geeignet sind, demokratisches Handeln und Denken in der Jugendsozialarbeit zu integrieren. Mit den evaluierten Daten soll in einem weiteren Schritt das methodisch-didaktische Herangehen an die Thematik bewertet werden. Ferner geht die Evaluation der Frage nach, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Spektrum ihrer Handlungsmöglichkeiten erweitern konnten und ob sie durch die Angebote der Fortbildung motiviert wurden, die Thematik in ihren Arbeitsbereichen aufzugreifen und gegebenenfalls intensiver zu bearbeiten. … EVALUATIONSERGEBNISSE Die Module der beiden Fortbildungsreihen wurden von insgesamt 83 Teilnehmerinnen und Teilnehmern besucht. … Arbeitsbereiche der Teilnehmer und Teilnehmerinnen Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren in den Bereichen Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Jugendberufshilfe, Jugendpflege, Jugendhilfe und in Jugendmigrationsdiensten tätig. Auch die Bereiche interkulturelle Arbeit, Bildungsarbeit gegen Rechtsradikalismus, Jugend- und Erwachsenenbildung und Migration waren vertreten. Informationsquelle Von den Veranstaltungen haben 17 TN durch das Internet/Jugendsozialarbeit News erfahren. 37 TN wurden von ihrem Arbeitgeber informiert, 22 von Kolleginnen und Kollegen, alle anderen gaben sonstige Informationsquellen an. Persönliche Erwartungen Fragte man die TN nach ihren persönlichen Erwartungen bezüglich der Veranstaltungen, so gab die Mehrheit an, dass ihnen die Erweiterung der Methoden- und Handlungskompetenz sowie neue Impulse für ihre Praxis wichtig seien. … Erfüllung der Erwartungen Bei der Mehrheit der TN (37) konnten die Erwartungen voll und ganz erfüllt werden. Für 33 TN wurden die Erwartungen größtenteils erfüllt. 11 TN gaben an teilweise das bekommen zu haben, was sie erwartet hatten und 2 Personen wurden weniger in ihren Erwartungen bestätigt. 4 TN hatten von vorn herein keine bestimmten Erwartungen an die Veranstaltung. … * Zentrales Evaluationsergebnis Die zentrale Frage an die Evaluation war, ob die Inhalte der Fortbildung geeignet sind, demokratisches Handeln und Denken in der Jugendsozialarbeit zu integrieren. Die sechs angebotenen Module differenzieren sich in zwei Betzavta Seminare und vier Methodenseminare. Evaluation der Inhalte der Betzavta Seminare Zu der Frage, ob die Inhalte der Betzavta Seminare geeignet sind, demokratisches Handeln und Denken in der Jugendsozialarbeit zu integrieren, ergibt sich laut Evaluation folgendes Bild. Von den insgesamt 83 TN der Fortbildung nahmen 21 TN an den beiden angebotenen Betzavta Seminaren teil. Die Mehrheit der TN (20) fand die Methoden als sehr geeignet und geeignet, um die vermittelten Inhalte in die Praxis umzusetzen. Die angeleiteten Übungen konnten den Wert von demokratischen Entscheidungen deutlich machen. … Vier Interviewpartner fanden die Betzavta Seminare als sehr inhaltsreich und können sich vorstellen, die Inhalte als Multiplikatorinnen und Multiplikator in ihre Arbeitszusammenhänge hineinzubringen. Auch aus den ausgefüllten Fragebögen der übrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer wird deutlich, dass die meisten TN die Inhalte des Betzavta – Trainings in die tägliche Arbeit integrieren können. Alle TN der Betzavta Seminare konnten ihre Fach-, Methoden-, Sozial-, Selbst– und Handlungskompetenzen ausbauen. Diese Ergebnisse lassen erkennen, dass die Seminare zu einer Stärkung des eigenen demokratischen Selbstverständnis, zu mehr Sicherheit im Umgang mit der Thematik und letztendlich zu einer Demokratieöffnung der Institutionen beitragen. … Evaluation der Inhalte der Methodenseminare Die Themen der vier Methodenseminare: „Position Beziehen“, „Mit dem Rücken zur Wand“, „…Da simmer dabei“ und „Achtung (+) Toleranz“ befassten sich mit weiteren Methoden und Konzepten zum „Demokratie Leben Lernen“. … Alle angebotenen Inhalte führten laut Datenerhebung auch hier bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu einer Stärkung der Fach-, Methoden-, Sozial-, Selbst– und Handlungskompetenzen. Der Transfer der Inhalte in die tägliche Arbeit wurde von den meisten Teilnehmern als möglich eingeschätzt. Die Bedeutung der Praxisrelevanz variiert in den unterschiedlichen Seminaren. Der Aussage, dass man die Inhalte des Trainings in die tägliche Arbeit integrieren kann, stimmten 17 TN voll zu, die Mehrheit stimmte zu (35), 23 TN stimmten teilweise zu und 6 TN stimmten weniger zu. Ein TN war überhaupt nicht der Meinung, dass man die Lerninhalte in seine tägliche Arbeit einbringen kann. Die Frage an die Interviewpartner, ob sie durch die Angebote motiviert wurden, die Thematik im eigenen Arbeitsbereich aufzugreifen, bzw. intensiver zu bearbeiten, wurde von allen bejaht. Auch fühlten sich alle interviewten Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch die Teilnahme an den Modulen sicherer, was Ihren eigenen Demokratiebegriff betrifft. … Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer geben an, neue Handlungsmöglichkeiten und Anregungen erfahren und durch die Angebote der Fortbildungsreihen mehr Selbstsicherheit im Umgang mit der Thematik gewonnen zu haben. … Die Fortbildungsreihe wird insgesamt als sehr gelungen beurteilt, um die Thematik „Demokratie Leben Lernen“ zu bearbeiten. Die überwältigende Mehrzahl der TN konnten demokratische Handlungsspielräume erweitern und ihr eigenes demokratisches Selbstverständnis stärken, um Jugendliche und junge Erwachsene noch intensiver zu motivieren, sich an demokratischen Gestaltungsprozessen zu beteiligen. … * Erarbeitung von Qualitätsstandards für die Jugendsozialarbeit in ländlichen Räumen In ihrem Vortrag bei der Abschlussveranstaltung in Pasewalk „Jugendsozialarbeit in ländlichen Räumen ist anders…Herausforderungen und Chancen im Wandel“, … betonte Christine Müller die Erfordernis der Erarbeitung von Qualitätsstandards für die Jugendsozialarbeit in ländlichen Räumen. Die Jugendsozialarbeit muss durch Fachstandards abgesichert und weiterentwickelt werden, laut Müller ist eine „Qualitätsoffensive“ der ländlichen Jugendarbeit durch einen Rechtfertigungsdruck von außen notwendig geworden. Die Entwicklung von Fachstandards und Leitlinien muss zugleich den politisch Verantwortlichen kommuniziert werden, ohne Fachstandards ist die Jugendsozialarbeit langfristig nicht überlebensfähig. Die Fortbildung konnte den Grundstein legen zur Entwicklung von Qualitätsstandards. Durch den intensiven Austausch der Teilnehmerinnen und Teilnehmer untereinander und mit den Referenten und Referentinnen, auch außerhalb der Seminare, konnten die Erfordernisse an Qualitätsstandards für die ländliche Jugendsozialarbeit in den Blick genommen und diskutiert werden. Die Einrichtung regelmäßig stattfindender Qualitätszirkel wäre wünschenswert und mit Sicherheit zielführend. … FAZIT Die herausgearbeiteten Evaluationsergebnisse zeigen, dass die Ziele der Veranstalter zu einem hohen Maße erreicht wurden. – Die Inhalte der Fortbildung sind sehr geeignet, demokratisches Handeln und Denken in der Jugendsozialarbeit zu integrieren. – Das methodisch-didaktische Herangehen an die Thematik ist in dieser Fortbildung sehr gelungen – Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können das Spektrum ihrer Handlungsmöglichkeiten erweitern und werden durch die Angebote der Fortbildung motiviert, die Thematik in ihren Arbeitsbereichen aufzugreifen und/oder intensiver zu bearbeiten. – Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden in ihrem eigenen demokratischen Selbstverständnis gestärkt . … Aufgabe zukünftiger Projekte ist es, diese Grundlagen weiterzudenken, weiterzuentwickeln und in einen konzeptionellen Rahmen einmünden zu lassen. … Einige Ziele konnten nicht wie vorgesehen umgesetzt werden (Vernetzung, Demokratiebausteine, Elternnetzwerke), trotzdem wird die Projektidee nach wie vor als gut befunden. Diese Thematik sollte mit Bildungsarbeit weiterbearbeitet werden, da gerade dieses Thema ein Reflexionsvermögen benötigt, dass durch Bildungsarbeit erreicht werden kann. Weniger sinnvoll scheint, das Thema in aktionsartigen Projekten anzugehen, dies benötigt langfristige Konzepte und eine ständige Weiterentwicklung.“ Den vollständigen Evaluationsbericht entnehmen Sie bitte dem Anhang.

Quelle: BAG KJS Katho NRW

Dokumente: Evaluationsbericht_Projekt_Demokratie_Leben_Lernen.pdf

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