Vorzeitige Vertragslösung und ihre Risiken:
Ein Blick auf Sachsen-Anhalt

Auszüge aus der IAB-Studie zu vorzeitigen Lösungen von
Ausbildungsverträgen in Sachsen-Anhalt
:
„Das Phänomen der vorzeitigen Lösung von Ausbildungsverträgen ist ein zentrales Signal für Probleme im dualen Ausbildungssystem. Zu den vorzeitig gelösten Ausbildungsverträgen zählen die vor Ablauf der im Berufsausbildungsvertrag genannten Ausbildungszeit gelösten Ausbildungsverträge im jeweiligen Berichtsjahr. Die Gründe für eine Vertragslösung sind vielfältig. Eine Beendigung des Ausbildungsverhältnisses kann aus formalen Gründen erfolgen, wie zum Beispiel durch Änderungen der Rechtsform des Unternehmens, aus gesundheitlichen Gründen oder durch Konflikte zwischen Auszubildenden und Ausbildern. Eine vorzeitige Lösung eines Ausbildungsvertrags ist jedoch nicht mit einem endgültigen Ausbildungsabbruch gleichzusetzen. Etwa die Hälfte der Auszubildenden mit gelöstem Ausbildungsvertrag wechselt „nur“ den Beruf und/oder Ausbildungsbetrieb und bleibt dem dualen System damit erhalten. Ebenso vielschichtig wie die Ursachen sind die Folgen für alle Beteiligten. So kann beispielsweise mit Einschnitten in die Berufs- und Bildungskarriere junger Menschen ebenso gerechnet werden wie mit Veränderungen im Ausbildungsverhalten der Unternehmen. Nicht zuletzt entstehen ausbildenden Betrieben durch Ausbildungsausfälle nicht unerhebliche Kosten.

Im Bezirk der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau (IHK) werden jedes Jahr mehrere hundert Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst. Obwohl sich die Ausbildungssituation für Jugendliche im Kammerbezirk in den letzten Jahren verbessert hat (sie können besser unter den angebotenen Ausbildungen wählen und der Anteil überbetrieblicher Ausbildungen ging zurück), ist der Anteil der vorzeitig gelösten Ausbildungsverträge nicht zurückgegangen. (…)
Über die Gründe für vorzeitige Lösungen geben die Daten nur sehr begrenzt Auskunft, da Lösungsgründe in der Probezeit – die bei weitem häufigste Nennung – nicht erfasst werden, und Kategorisierungen wie „Aufhebungsvertrag“, „Auflösung im gegenseitigen Einvernehmen“ oder „Andere Gründe“ kaum Schlussfolgerungen über die Ursachen für vorzeitige Lösungen erlauben. Dagegen ist es durchaus möglich, Faktoren zu identifizieren, die mit dem Risiko vorzeitiger Vertragslösungen zusammenhängen.

Wo konzentrieren sich die Lösungsrisiken?
Betrachtet man die Ausbildungsvoraussetzungen und Ausbildungsbedingungen im Zusammenhang mit dem Lösungsgeschehen, so zeigen multivariate Auswertungen die entscheidende Bedeutung der schulischen Vorbildung der Auszubildenden und der Ausbildungsvergütung im Ausbildungsberuf. Hauptschüler lösen Verträge deutlich häufiger als Abiturienten und Berufe mit niedrigen Ausbildungsvergütungen sind stärker betroffen als andere Berufe. (…) Frauen treten häufiger in schlecht bezahlten Berufen ihre Ausbildung an und außerbetrieblich ausbildende Betriebe bilden eher Hauptschüler aus als Abiturienten. Ebenso lässt sich das höhere Lösungsrisiko kaufmännischer Berufe auf die niedrigere Höhe der Ausbildungsvergütung in diesen – übrigens vorwiegend von Frauen erlernten – Berufen zurückführen. (…)

Betrachtet man die explizit problematischen vorzeitigen Lösungen, also Vertragslösungen, bei denen die erfassten Lösungsgründe auf Probleme im Ausbildungsverhältnis schließen lassen, so ergibt sich ein prinzipiell ähnliches Bild. Hier zeigt sich allerdings ein deutlich höheres Risiko für außerbetriebliche Ausbildungen und kaufmännische Berufe. Dagegen spielt die Entfernung zum Ausbildungsbetrieb hier keine signifikante Rolle. (…)

Handlungsempfehlungen
(…) Auch wenn Wechsel eine sinnvolle Korrektur von Fehlentscheidungen sind, so sind sie doch mit nicht unerheblichen finanziellen und zeitlichen Kosten verbunden, sowohl für Unternehmen, aber auch für die Jugendlichen selbst. So ist für Unternehmen eine Vertragslösung mit hohen direkten und indirekten Kosten verbunden. Dies kann zu Konsequenzen in der Ausbildungsbereitschaft führen. Unbesetzt bleibende Lehrstellen können vor dem Hintergrund des demografischen Wandels den Mangel an qualifiziertem Fachpersonal verstärken. Auch für Jugendliche kann ein derartiger Bruch in der Bildungsbiografie entscheidende Einschnitte für die weitere berufliche Entwicklung bedeuten. Ausgehend von den (…) Studienergebnissen können folgende bildungspolitische Handlungsempfehlungen abgeleitet (…) werden. ## Schulische Voraussetzungen verbessern, den Übergang Schule-Ausbildung bedarfsgerecht betreuen und die Berufsorientierung optimieren (…) Dass die Gruppe der Jugendlichen ohne Schulabschluss nicht das größte Lösungsrisiko aufweist, ist ein Hinweis darauf, dass arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie die Einstiegsqualifizierung eine positive Wirkung haben könnten. Es zeigt sich, dass die Gestaltung des beruflichen Übergangssystems einen hohen Stellenwert für eine gelingende berufliche und soziale Integration junger Menschen hat. Eine Weiterentwicklung bzw. Neuausrichtung des Übergangssystems in Sachsen-Anhalt sollte auf eine stärkere Systematisierung und Effektivierung abzielen. Hierbei kommt der Einbindung betrieblicher Praxis eine entscheidende Rolle zu. (…) Unklare Berufsvorstellungen von Schulabgängern stellen ein großes Ausbildungshemmnis für Unternehmen dar und sind ein häufiger Grund für die vorzeitige Lösung von Ausbildungsverhältnissen. Eine zielgerichtete Berufsorientierung steuert dem entgegen. Sie klärt über die Vielfalt der Ausbildungsberufe auf und erleichtert die Entscheidungsfindung der Schulabgänger. Der Erfolg derartiger Berufsorientierungsmaßnahmen setzt jedoch eine systematische Abstimmung zwischen den durchführenden Institutionen und Praxispartnern voraus.
## Attraktivität des dualen Berufsausbildungssystems stärken Die Kosten der Ausbildung und die Höhe des Lehrlingsentgelts stehen zum Teil in einem deutlichen Missverhältnis zu den Erwartungen der Auszubildenden. Dies zeigt sich in höheren Lösungsquoten für niedrig entlohnte Ausbildungen. Zu den Kosten der Ausbildung gehören auch die Fahrtkosten zum Betrieb und zu berufsbildenden Schulen. Wenn hier ein besserer finanzieller Ausgleich oder bessere organisatorische Lösungen gefunden werden, kann dies die Lösungsquote senken. Die Attraktivität des dualen Berufsausbildungssystems sollte jedoch nicht allein an finanziellen Rahmenbedingungen festgemacht werden. Vorzüge wie die starke Arbeitsmarktnähe und die vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten für junge Menschen gilt es transparenter zu machen. (…)
## Berufsspezifische Besonderheiten berücksichtigen Neben der generellen Bedeutung der Ausbildungsvergütung und der schulischen Voraussetzungen zeigen sich auch berufsspezifische Besonderheite Konflikte zwischen Auszubildenden und Ausbildern oder allgemein ein schlechtes Betriebsklima zählen zu den häufigsten Lösungsgründen. Bei Problemen in der Ausbildung stehen die Ausbildungsberater und Ausbildungscoaches der IHK Halle-Dessau ihren Unternehmen und Auszubildenden beratend zur Seite. Hier lässt sich prüfen, ob die Ansprechbarkeit von Beratern und Coaches insbesondere in den „Problemberufen“ erhöht werden kann. (…)“

Quelle: IAB Forschungsbericht 13/2014

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