Aktivierung ist auch in der Krise sinnvoll

ERWERBSFÄHIGE HILFEBEDÜRFTIGE IM SGB II Ziel der Aktivierung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ist die Aufnahme einer bedarfsdeckenden Beschäftigung. Das Sozialgesetzbuch II (SGB II) stellt dieses Ziel in den Mittelpunkt. Damit Aktivierung auch in der Krise nicht ins Leere läuft, ist es jetzt besonders wichtig, die Aktivierungsbedarfe differenziert zu betrachten und individuelle Handlungsansätze zu entwickeln. Stefan Bender, Susanne Koch, Alexander Mosthaf und Ulrich Walwei untersuchten diesen Beadrf und legen Ihre Erkenntnisse in einem IAB-Kurzbericht vor. Auszüge aus dem Bericht ‚Aktivierung ist auch in der Krise sinnvoll‘: “ Im ersten Jahr nach der Einführung des SGB II zum 1.1.2005 war die Zahl der Arbeitslosengeld II Empfänger und die der Arbeitslosen in diesem Rechtskreis zunächst gestiegen. Seit Mitte 2006 ging sie dann bis zum Ende des letzten Jahres kontinuierlich zurück. … Zumindest zum Teil dürfte er darauf zurückzuführen sein, dass die Arbeit der Grundsicherungsstellen konsequent auf das Ziel ausgerichtet wurde, die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wieder in Beschäftigung zu bringen. Diese … neue Akzentuierung wird mit dem Stichwort „Aktivierung“ beschrieben. … Empfänger des Arbeitslosengeldes II sind verpflichtet, im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles zu tun, um ihre Bedürftigkeit zu beenden. Damit eine passende Beschäftigung gefunden und beibehalten werden kann, sind Eigeninitiative und eigenverantwortliches Handeln einzufordern. „Aktivierung“ in einem weiteren Sinne umfasst alle Anstrengungen der Grundsicherungsstellen, die die Eigeninitiative und Eigenverantwortung der betreuten Personen stärken und damit deren Chancen auf die Aufnahme einer Beschäftigung erhöhen – und das bei jeder Arbeitsmarktlage. Aktivierungsbedarf ergibt sich nicht alleine dadurch, dass es den Leistungsempfängern unmittelbar an Eigeninitiative mangeln würde. Vielfach ist die Eigeninitiative durchaus hoch, aber andere Hemmnisse – etwa fehlende Kinderbetreuung oder Schulden – stehen der Aufnahme einer Beschäftigung entgegen … Auch hier kann Aktivierung ansetzen und auf eine Beseitigung der Hemmnisse hinwirken. Damit ist klar, dass Aktivierung mehr bedeutet als ein bloßes „Fordern“ und jeweils an den individuellen Problemlagen ansetzen muss. Diese Überlegungen zeigen, dass eine so verstandene Aktivierung auch in Krisenzeiten eine sinnvolle Strategie der Grundsicherungsstellen bleibt. Welche Ansatzpunkte für Aktivierung lassen sich aber nun erkennen? * KONZESSIONSBEREITSCHAFT UND ANSATZPUNKTE FÜR AKTIVIERUNG … Aussagen hierzu lassen sich aus Befragungen gewinnen. Das IAB hat die Konzessionsbereitschaft Arbeitsuchender hinsichtlich eines neuen Arbeitsplatzes schon in der Vergangenheit untersucht … und nun aktuelle Daten aus dem Panel „Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung“ ausgewertet. Konzessionsbereitschaft zeigt sich nicht nur darin, zu welchem Lohn jemand bereit ist zu arbeiten, sondern auch an den Arbeitsbedingungen im weitesten Sinne, auf die man sich einlässt. In den … Befragungen war die Bereitschaft arbeitsuchender ALG II Bezieher stark ausgeprägt, einen langen Arbeitsweg, ungünstige Arbeitszeiten, eine Arbeit unter dem Qualifikationsniveau oder belastende Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen: Zwischen 65 und 80 Prozent der Befragten gaben an, dies „auf jeden Fall“ oder „eher“ auf sich zu nehmen … Anders war dies … bei den Merkmalen Lohn und Wohnortwechsel: Etwa die Hälfte der Befragten gab in einer ersten Welle an, kein geringes Einkommen zu akzeptieren … In der zweiten Welle nahm die Akzeptanz sogar noch etwas ab. Noch ausgeprägter war die Ablehnung eines Umzugs: Rund 70 Prozent der Befragten … konnten sich nicht vorstellen, für einen neuen Arbeitsplatz den Wohnort zu wechseln. … Arbeitsuchende ohne ALG II Bezug sind allerdings noch weniger bereit, für eine neue Stelle umzuziehen. … Für die im Vergleich höhere Mobilitätsbereitschaft der ALG II Empfänger kann es mehrere Gründe geben: Zum einen würden sie für einen neuen Arbeitsplatz und damit die Aussicht, den Hilfebezug zu überwinden, vermutlich ohnehin mehr in Kauf nehmen als der Durchschnitt der anderen Arbeitsuchenden. Zum anderen mutet das SGB II den Hilfebedürftigen einen Umzug nahezu uneingeschränkt zu, und die Fachkräfte in den Grundsicherungsstellen können dementsprechend einen Umzug zur Arbeitsaufnahme auch einfordern. … Auch wenn die Hilfebedürftigen also bereits etwas mobiler sind als andere Arbeitsuchende, ergeben sich vor allem wegen der regional stark unterschiedlichen Arbeitsmarktlage doch Anknüpfungspunkte für eine weitere Aktivierung: Bei denen, die bisher nicht zu einem Umzug bereit sind, ginge es vor allem um intensive Beratung und die damit auch verbundene Überwindung psychischer Hürden. Bei denjenigen, die einen Umzug in Betracht ziehen, aber noch keine Stelle gefunden haben, müssen die Grundsicherungsstellen vor allem bei der Arbeitsplatzsuche an einem fremden Ort behilflich sein und ggf. Mobilitätshilfen … anbieten. Und ist ein neuer Arbeitsplatz erst einmal gefunden, sollte die Arbeit der Grundsicherungsstellen nicht enden. Wichtig sind nun die Stabilisierung der Beschäftigung und der Aufbau neuer Netzwerke an einem fremden Ort. … Eine weitere Dimension der Konzessionsbereitschaft und somit ein potenzieller Ansatzpunkt für Aktivierung liegt in der Höhe des Lohns, den Arbeitsuchende zu akzeptieren bereit sind, der sogenannte Reservationslohn. Die befragten ALG-II-Bezieher geben weit überwiegend (70 %) einen Reservationslohn zwischen 4,30 € und 8,30 € netto in der Stunde an. Der durchschnittliche Reservationslohn beträgt 6,29 €. Die Lohnansprüche sind damit im Schnitt nicht unrealistisch hoch und bewegen sich überwiegend im Niedriglohnsegment. Dies dürfte für die meisten ALG-II Empfänger auf jeden Fall erreichbar sein. Dabei ist der durchschnittliche Reservationslohn von Männern mit 6,44 € höher als der von Frauen mit 6,02 €. … Wegen der unterschiedlichen Behandlung von Alleinstehenden, Paaren und Familien mit Kindern im Steuerrecht erzeugen diese Nettolohnansprüche aber ganz unterschiedliche Anreizwirkungen. In Mehrpersonenhaushalten entsprechen die Brutto-Reservationslöhne in etwa den äquivalenten Marktlöhnen. Dagegen ergeben sich bei Alleinstehenden, die die größte Gruppe in der Befragung – aber auch unter den SGB-II-Leistungsbeziehern – ausmachen, Bruttolohnansprüche, die mehr als doppelt so hoch sind wie die Löhne, die dem ALG-II-Niveau entsprechen. Damit könnten bei den Lohnansprüchen der Alleinstehenden durchaus noch Potenziale für Aktivierung liegen. Allerdings darf man nicht erwarten, dass Reservationslöhne eine aus gesellschaftlicher Sicht akzeptable Höhe unterschreiten. Maßgeblich ist dabei sicherlich das auf Existenzsicherung zielende Grundsicherungsniveau. Dazu kommt ein als angemessen empfundener Aufschlag, der im Sinne eines Lohnabstandes für einen ausreichenden Erwerbsanreiz sorgt. Vor diesem Hintergrund kann es im Rahmen der Aktivierung auch um ein stärkeres Drängen zur Annahme auch niedrig entlohnter Stellen gehen – dabei sind jedoch verschiedene Aspekte zu berücksichtigen: Im Einzelnen müssen die individuelle Lebenssituation, Biographie und Entwicklungsmöglichkeiten einbezogen werden. Auch die Arbeitsmarktpolitik kann hier wichtige Beiträge leisten. Vorübergehende Produktivitätsnachteile können durch Lohnsubventionen ausgeglichen werden und durch die Förderung zusätzlicher Qualifizierungen können besser entlohnte Arbeitsplätze erreichbar gemacht werden. … *FAZIT Gemessen daran, was arbeitslose ALG-II-Bezieher bereit wären, für eine neue Beschäftigung auf sich zu nehmen, ist der Aktivierungsbedarf bei ihnen unterschiedlich groß. Das gilt zum einen für die Arbeitsbedingungen im weitesten Sinne. … Ablehnend stehen die meisten einem Umzug gegenüber, auch wenn dieser für die meisten Personen von Gesetzes wegen zumutbar wäre. … Eine weitere wichtige Dimension der Konzessionsbereitschaft ist in der Höhe des Lohns zu sehen, den Arbeitsuchende zu akzeptieren bereit sind. … Bei all dem darf aber zweierlei nicht aus dem Blick geraten: Erstens kommt die Arbeit der Grundsicherungsstellen bei den Betroffenen durchaus unterschiedlich an. Qualitative Studien stellen Erfolge in Frage, wenn Maßnahmen anders als intendiert wahrgenommen werden. … Wird beispielsweise eine Arbeitsgelegenheit nicht als Chance zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit, sondern als Ausgrenzung erfahren, wird sich der gewünschte Erfolg kaum einstellen. Unbedingt notwendig ist also, nicht nur den Aktivierungsbedarf individuell abzuschätzen, sondern auch den daraus resultierenden Maßnahmeeinsatz individuell und unter Berücksichtigung möglicher (Fehl-)Deutungen zu planen. … Zweitens ist – insbesondere vor dem Hintergrund der angespannten Lage am Arbeitsmarkt – eine veränderte Akzentuierung der Aktivierungsbemühungen notwendig, damit Aktivierung nicht ins Leere läuft. Mit anderen Worten: Es kommt nun noch mehr darauf an, nicht nur Eigeninitiative zu fordern, sondern auch Beschäftigungschancen zu eröffnen. … Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist Aktivierung auch in schlechten Zeiten am Arbeitsmarkt geeignet, zumindest langfristig die Arbeitsmarktchancen der betreuten Arbeitsuchenden zu verbessern. “ Den IAB-Kurzbericht in volölem Textumfang entnehmen Sie bitte aufgeführtem Link.

http://doku.iab.de/kurzber/2009/kb1909.pdf

Quelle: IAB

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