Integrationsbereitschaft von Migranten

DRUCK AUF AUSLÄNDER WIRD ERHÖHT – DIE AKTUELLE INTEGRATIONSDEBATTE Angestoßen durch mehr oder weniger ausländerfeindliche Aussagen von Thilo Sarrazin (Vorstand Bundesbank) diskutiert man die Integrationsbereitschaft von Menschen mit Migrationshintergrund. Die Debatte kehrt immer wieder: Wie lassen sich Migrantinnen und Migranten in die deutsche Gesellschaft integrieren, wie lassen sich ihre Sprachkompetenzen verbessern und ihr Integrationswille sträken? Wie die Integration nun am besten realisiert werden kann, überlegen derzeit auch die künftigen Regierungsparteien CDU/CSU und FDP. Die Liberalen wollen die Ausländerpolitik aufwerten und deshalb ein neues Ressort schaffen. Die Union lehnt ein Integrationsministerium ab. Seit Donnerstag Abend ist dieser Vorschlag nun auch vom Tisch. U.a. mit der Begründung ein solches Ministerium sei verfassungswidrig, da viele Zuständigkeiten in alleiniger Verantwortung der Bundesländer lägen. Diese These vertritt der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl (CSU). Darin unterstützt wird er von Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU). In der vergangenen Legislaturperiode war Maria Böhmer (CDU) als Staatsministerin im Kanzleramt für Integrationsfragen zuständig. In den Bundesländern fällt das Thema Integration in die Zuständigkeit verschiedener Ministerien. In Nordrhein-Westfalen ist Armin Laschet (CDU) Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration. In Hessen und Baden-Württemberg ist das Thema Integration an das Justizministerium gekoppelt. Ulrich Goll (FDP) ist Justizminister und Integrationsbeauftragter der baden-württembergischen Landesregierung. Sein Parteikollege Jörg-Uwe Hahn ist in Hessen Minister für Justiz, Integration und Europa. Uwe Schünemann (CDU) in Niedersachsen dagegen ist zuständig für Inneres, Sport und Integration. Auch wenn die Verortung der Integrationsfragen innerhalb der künftigen Bundesregierung noch offen ist, so ist doch klar, der Druck auf Ausländer soll erhöht werden. Vor allem auf Erwerbslose mit Migrationshintergrund, die aufgrund mangelhafter Deutsch-Kenntnisse schwerer vermittelbar seien, soll verstärkt Druck ausgeübt werden. Dem Kölner Stadt-Anzeiger sagte Bosbach, wer nicht an Deutsch-Kursen teilnehmen wolle und „sich nicht ernsthaft um Arbeit bemüht“, könne nicht dauerhaft auf Kosten der Steuerzahler leben. Nach eigenen Angaben Bosbachs liege der Anteil derjenigen, die eine Teilnahme an den Sprach-/Integrationskursen meiden bei 40%. Diese Zahl allerdings bezieht sich auf 2005. Nach einer veränderten Rechtslage kann für 2008 allenfalls von ca. 23% „Verweigerern“ gesprochen werden. In der momentanen Debatte und den Zeitungs-Schlagzeilen („Jeder dritte Ausländer schwänzt den Sprachkurs“) wird die Realität allerdings verzerrt. Nur ein bestimmter Personenkreis von Migranten/Migrantinnen ist nach §§44 und 44a Aufenthaltsgesetz berechtigt, Sprach-/Integrationskurse zu besuchen. Die Pauschalisierung auf alle Ausländer hin verfälscht damit das Bild. Beispielsweise dürfen schulpflichtige Personen oder Personen die nicht erwerbsfähig sind, die Kurse nicht besuchen. Ob ein Migrant/eine Migrantin an einem Integrationskurs teilnehmen darf oder dazu verpflichtet werden kann ist differenziert nach Zuwanderungs- und Aufenthaltsstatus. Teilnehmen dürfen oder verpflichtet werden können: – Neuzuwanderer mit einer Aufenthaltserlaubnis von mehr als einem Jahr – Spätaussiedler – Deutsche Staatsangehörige mit unzureichenden Sprachkenntnissen – langfristig aufenthaltsberechtigte Drittausländer. EU-Bürger haben keinen Anspruch auf Teilnahme, können allerdings auf Antrag zum Kurs zugelassen werden. Für länger in Deutschland lebende Ausländer ist eine Teilnahme gar nicht vorgesehen. Langjährig Geduldete müssen bürokratische Antragshürden überwinden, bevor sie zu einem Kurs zugelassen werden. Auf welche Mitbürger/-innen mit Migrationshintergrund richtet sich Bosbachs Drohung den Druck auf Ausländer zu erheben denn nun genau? Dahingehend spezifiziert er seine Aussagen nicht. Ferner läßt die Debatte außer Acht, dass nicht alle Teilnahmeberechtigten auch tatsächliche Möglichkeiten zu einer Kursteilnahme haben. Viele Personen bedürfen Zielgruppenspezifische Integrationskurse z.B. Jugendintegrationskurse oder Kruse in denen für Alleinerziehende Kinderbetreuung bereit gehalten wird, die aufgrund bürokratischer Hürden wie Mindestteilnehmerzahlen nicht zu Stande kommen. Die Fragen, wie es sich mit der Integrationsbereitschaft jugendlicher Migranten verhält, ist Heinz Reinders nachgegangen. In einem Aufsatz in „Aus Politik und Zeitgeschichte“ erkärt er Mißverständnisse bezüglich des Integrationsverständnisses und belegt die Integrationsbereitschaft Jugendlicher. Auszüge aus dem Beitrag „INTEGRATIONSBEREITSCHAFT JUGENDLICHER MIGRANTEN – VEXIERBILDER UND EMPIRISCHE BEFUNDE“: “ Seit Deutschland im politisch-öffentlichen Diskurs als Einwanderungsland anerkannt ist, wird nicht mehr über das Ob oder Ob-nicht der Integration debattiert, sondern intensiv darüber beraten, wie diese am besten realisiert werden kann. Nach wie vor prägend ist dabei das Vexierbild einer nicht oder nur unzureichend integrationswilligen Sukultur, deren Mitglieder vorwiegend ihre Herkunftssprache verwenden, sich in den Stadtteil-Kiez zurückziehen und Infrastrukturen aufbauen und pflegen wollen, die der Segregation förderlich sind. Es handelt sich deshalb um ein Vexierbild, weil erstens der Begriff Integration häufig im Sinne von Assimilation verwendet wird. Zweitens handelt es sich bei der Vorstellung von „den‘ Migranten um eine übergeneralisierte Vorstellung: Sie entsteht dadurch, dass Unterschiede zwischen verschiedenen Migrationsgruppen ausgeblendet und empirische Studien, die ein sehr viel differenziertes Bild zeichnen, nicht wahrgenommen werden. … Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Integration häufig im Sinne einer Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft verwendet. Die exklusive Übernahme von Wertvorstellungen, Sprachgebrauch und Handlungsmustern wird dabei als wesentliches Kennzeichen dieser Integration angesehen. Tatsächlich handelt es sich beim Terminus „Integration‘ etymologisch und aus wissenschaftlicher Perspektive um ein Phänomen, bei dem zwei Bereiche miteinander verbunden und in Einklang zu bringen sind: Integration von Migranten bedeutet demnach die Balance zwischen Elementen der Herkunftskultur (etwa der der Türkei) und der Aufnahmekultur (in diesem Fall der deutschen). Die begriffliche Festlegung auf die Kombination beider Kulturen ist wesentlich für das Verständnis subjektiv funktionaler Eingliederungsprozesse. So ist es für die psychische Stabilität von Einwanderern zumeist nicht hilfreich, herkunftsbedingte Verhaltens- und Denkweisen völlig aufzugeben: zum einen deshalb, ‚weil durch eine radikale Abkehr von der Herkunftskultur stabilisierende soziale Netzwerke verloren gehen, die insbesondere in Frühstadien der Einwanderung eine wichtige Funktion haben zum anderen, weil sich im Laufe der biografischen Entwicklung ein System von Werten und von Handlungsmustern herausgebildet hat, das für das psychische Gleichgewicht einer Person notwendig ist … Für Kinder und Jugendliche, die im Aufnahmeland geboren wurden, besitzt die Herkunftskultur eine ähnlich wichtige Funktion wie für Zugewanderte, definiert sich doch über deren Elemente – zumindest zum Teil -die Verbundenheit mit der Familie. Verstärkte Abgrenzungen von Jugendlichen und Kindern zu diesen Wertvorstellungen gehen tendenziell mit erhöhtem Entwicklungsstress einher. Funktionaler ist die sukzessive Anreicherung und Ergänzung der Herkunfts- durch die Aufnahmekultur. Dabei sind sprachliche Kompetenzen als Basis für diesen Anreicherungsprozess unabdingbar. … Aber auch die Muttersprache ist oder bleibt von großer Bedeutung, stellt sie doch eine wichtige Brücke zu sozialen Netzwerken des Herkunftslandes dar. … Wenn also eine mangelnde Integration konstatiert wird, so basiert diese Bewertung nicht selten auf der Vorstellung eines kompletten „Aufgehens‘ in der Aufnahmekultur. Diese im Grunde auf Assimilation zielende Interpretation führt leicht dazu, gepflegte Aspekte der Herkunftskultur wie beispielsweise den Gebrauch der (türkischen, russischen oder italienischen) Herkunftssprache als Indiz für eine Integrationsverweigerung zu interpretieren. Wird jedoch die Perspektive gewendet und jedes Anzeichen der Annäherung an die Aufnahmekultur als Integrationserfolg gewertet, verliert das oben skizzierte Vexierbild an Bedeutung, und es kommt weniger zu pauschalen Stigmatisierungen „der‘ Migranten. Eine weitere wesentliche Differenzierung ergibt sich aus dem Tatbestand der Heterogenität innerhalb der Migrantenpopulation. Diese weist keineswegs nur geschlechtsspezifische Unterschiede auf und unterscheidet sich auch nicht nur hinsichtlich der Zugehörigkeit zur ersten oder zweiten Generation. Zunächst muss zwischen Migrantengruppen verschiedener Herkunftsländer und deren Verhalten unterschieden werden. Aber auch unterhalb der Differenzierung nach der nationalen Herkunft ergeben sich weitere Facetten, die auf die große Varianz innerhalb der Migrantenpopulation verweisen. Das gilt zum Beispiel für die ethnischen Identitäten türkischer Jugendlicher, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Auch die Zukunftsperspektiven dieser Migrantenjugendlichen weisen eine relativ breite Streuung auf. Die SINUS-Studie zu sozialen Milieus bei Migranten belegt schließlich die Vielfalt unterschiedlicher Wertorientierungen und sozioökonomischer Verortungen von Einwanderern, wobei Migranten unterschiedlicher Herkunft einem ähnlichen Milieu angehören können. Bereits diese wenigen Indikatoren verweisen auf unterschiedliche Geschwindgkeiten der Integration und verdeutlichen die Notwendigkeit, bildungspolitische Maßnahmen zur besseren, das heißt zielgruppenorientierten Integrationsförderung von Migrantinnen und Migranten einzuleiten. Insbesondere bei der jungen Migrantengeneration können Übergeneralisierungen und damit verbundene Stigmatisierungen sowie Diskriminierungserfahrungen zu einem Rückzug oder einer Flucht in die Herkunftskultur führen. Im Rahmen der Studie „FRIENT – Freundschaftsbeziehungen in interethnischen Netzwerken‘ – wurden in der seit 2005 laufenden zweiten Projektphase in den Jahren 2005 und 2007 insgesamt 1140 Jugendliche mit Migrationshintergrund im Alter von 12 bis 17 Jahren per Fragebogen befragt. An der Befragung nahmen Jugendliche türkischer (46 Prozent), italienischer (16 Prozent) und sonstiger Herkunft (38 Prozent) teil. Die zuletzt genannte Gruppe setzt sich zum überwiegenden Teil aus Jugendlichen osteuropäischer und zu einem kleinen Teil griechischer Herkunft zusammen. Die Jugendlichen wurden unter anderem dazu befragt, inwieweit sie eine Integration der Lebensweise ihres Herkunftslandes und jener des Aufnahmelandes anstreben. … So streben vor allem Jugendliche italienischer Herkunft eine Balance beider Kulturen an. Auch die Jugendlichen türkischer und sonstiger Herkunft wünschen dies mehrheitlich (mehr als die Hälfte der Befragten), wobei insbesondere bei den türkischen Jugendlichen ein deutlicher Anstieg der Integrationsbereitschaft zu verzeichnen ist. Inwieweit sich diese Integrationsbereitschaft in der konkreten Lebensweise der Jugendlichen niederschlägt, kann unter anderem anhand der sozialen Netzwerke der Migrantinnen und Migranten festgestellt werden. Ein erheblicher Teil der befragten Jugendlichen nennt auf die Frage nach der Herkunft ihrer Freunde einen Freund oder eine Freundin deutscher Herkunft. Knapp die Hälfte der italienischen Jugendlichen ist mit einem Jugendlichen deutscher Herkunft befreundet gleiches gilt für etwas mehr als 40 Prozent der befragten Jugendlichen (Schülerinnen und Schüler) sonstiger Herkunft. Zurückhaltender sind hier die türkischen Jugendlichen, wenngleich zwischen 2005 und 2007 eine deutliche Zunahme interethnischer Freundschaften bzw. ein entsprechender Ausbau interethnischer Netzwerke zu verzeichnen ist. Zwischen der Integrationsabsicht und interethnischen Freundschaften besteht im Übrigen ein bedeutsamer Zusammenhang: Je länger eine solche Freundschaft dauert, desto wichtiger wird es den Jugendlichen mit Migrationshintergrund auch, die eigene und die Lebensweise des Aufnahmelandes miteinander zu verbinden. Insgesamt zeigen die Befunde der Studie, dass es bei der jungen Migrantengeneration ein erhebliches Integrationspotenzial gibt und dass sich gerade bei den Jugendlichen türkischer Herkunft die Bereitschaft zur Integration deutlich erhöht – und durch die Ausbildung sozialer Netzwerke auch tatsächlich erfolgt. … Auch hinsichtlich der Selbstwahrnehmung des eigenen Sprachgebrauches ist eine substanzielle Verbesserung zu verzeichnen. Etwas weniger als 88 Prozent der türkischen Migranten gaben 2005 an, im Alltag sowohl deutsch als auch türkisch zu sprechen. Zwei Jahre später waren dies bereits über 95 Prozent. Wenngleich die Informationen zum Sprachgebrauch keine verlässlichen Indikatoren für die deutsche Sprachkompetenz darstellen, so zeigen sie dennoch, dass bei türkischen.wie auch bei den Jugendlichen anderer Herkunft ein erhebliches Integrationspotenzial vorhanden ist. … Deutschland ist ein Einwanderungsland mit allen damit verbundenen Chancen und Risiken. Das derzeit größte Risiko stellt die nicht gelingende Integration von Migrantinnen und Migranten dar. … Pauschalisierte Zuschreibungen an „die‘ Migranten, die Übergeneralisierung nur teilweise vorhandener geringer Integrationsbereitschaft und die Popularisierung von Kriminalität unter Migranten sind dabei nicht förderlich. … Die öffentliche Debatte und ihre Fokussierung auf das „Wie‘ der Integration bedarf deshalb einer zwingenden Ergänzung durch die Frage danach, wie sich altersspezifisch relevante Förderinstrumente entwickeln lassen, die Kindern und Jugendlichen zugute kommen. Der erste Schritt in diese Richtung ist der Verzicht auf Vexierbilder. “ Den vollständigen Aufsatz entnehmen Sie bitte der Schrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ 59 (2009). Zum Autor: Heinz Reinders , Prof. Dr. phil, geb. 1972 seit 2007 Inhaber des Lehrstuhls Empirische Bildungsforschung an der Universität Würzburg mit den Forschungsschwerpunkten Sozialisation in Kindheit und Jugend, Migrations- und Bildungsforschung Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Philosophische Fakultät, Am Hubland-Philosophie Gebäude, Bauteil 7, 97074 Würzburg. heinz.reinders@uni-wuerzburg.de

Quelle: KSTA KNA Tagesspiegel Hamburger Abendblatt BAMF ApuZ 5/2009

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