Förderschule: Hoher Finanzbedarf, aber wenig Perspektiven für Schüler und Schülerinnen

FÖRDERSCHULEN – EINE SACKGASSE? Studie zu den Ausgaben und zur Wirksamkeit von Förderschulen in Deutschland 77 Prozent der Förderschüler/innen bleiben ohne Hauptschulabschluss. Nur wenige von ihnen schaffen den Sprung zurück auf eine allgemeine Schule. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung. Die Untersuchung belegt zugleich anhand von internationalen und nationalen Studien: Je länger ein Schüler eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen besucht, desto ungünstiger entwickeln sich seine Leistungen. Allein in diesen Förderbereich gehen jährlich 800 Millionen Euro. Laut der Studie erzielen hingegen Kinder mit besonderem Förderbedarf beim Lernen, die gemeinsam mit Kindern ohne Förderbedarf lernen und leben, im Vergleich deutlich bessere Lern- und Entwicklungsfortschritte. Und auch die Kinder ohne Förderbedarf profitieren vom gemeinsamen Unterricht, indem sie höhere soziale Kompetenzen entwickeln – ohne dass sich ihre fachbezogenen Schulleistungen von den Leistungen in anderen Klassen unterscheiden. Im internationalen Vergleich beschreitet Deutschland mit seinem hoch differenzierten Förderschulsystem einen Sonderweg. Nur 15 Prozent der Schüler/ innen erhalten einen inklusiven Unterricht. Mit der im März 2009 in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland allerdings verpflichtet, den Weg hin zu einem inklusiven Schulsystem zu beschreiten. Auszüge aus der Studie von Prof. Klaus Klemm im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ‚Sonderweg Förderschulen: Hoher Einsatz, Wenig Perspektivn‘: „In Deutschland werden 400.000 Schülerinnen und Schüler mit einem diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf an Förderschulen unterrichtet. Dafür geben die Bundesländer Jahr für Jahr 2,6 Milliarden Euro zusätzlich, d.h. für zusätzliche Lehrkräfte an Förderschulen, aus. Ca. 800 Millionen Euro entfallen davon auf die rund 180.000 Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Die übrigen 1,8 Milliarden Euro gehen in die Förderung von 221.000 Kindern und Jugendlichen mit anderen Förderschwerpunkten. … Auf den ersten Blick scheint dies wenig aufsehenerregend: Kinder und Jugendliche bekommen in Förderschulen eigens auf ihren Bedarf zugeschnittenen Unterricht. Gut ausgebildete pädagogische Fachkräfte fördern sie individuell in kleinen Klassen – das klingt nach sinnvollen Investitionen. Bei genauer Betrachtung stimmt jedoch nachdenklich, dass internationale und nationale Studien zumindest für den Förderschwerpunkt Lernen das Gegenteil belegen. Eine Durchsicht von Untersuchungen führt zu der Feststellung, dass Förderschülerinnen und -schüler in integrativen Settings gegenüber denen in institutionell separierenden Unterrichtsformen einen deutlichen Leistungsvorsprung aufweisen. Allerdings beziehen sich die Studien, die sich mit Fragen der Leistungsentwicklung befassen, überwiegend auf Schüler und Schülerinnen des Förderschwerpunkts „Lernen“ (in der älteren Terminologie auf „Lernbehinderte“), obwohl in Deutschland in allen Förderschwerpunkten Gemeinsamer Unterricht praktiziert wird. … Die Leistungen von Förderschülerinnen und -schülern entwickeln sich demnach ungünstiger, je länger sie auf der Förderschule sind. In Deutschland schafft nur ein Bruchteil der Förderschülerinnen und -schüler den Sprung zurück auf eine allgemeine Schule. Im Ergebnis machen am Ende der Pflichtschulzeit 77,2 Prozent von ihnen keinen Hauptschulabschluss. Kinder mit besonderem Förderbedarf, die im Gegensatz dazu im Gemeinsamen Unterricht mit Kindern ohne Förderbedarf lernen und leben, machen im Vergleich deutlich bessere Lern- und Entwicklungsfortschritte. Zudem profitieren auch die Kinder ohne Förderbedarf vom Gemeinsamen Unterricht, indem sie höhere soziale Kompetenzen entwickeln, während sich ihre fachbezogenen Schulleistungen nicht von den Leistungen der Schülerinnen und Schüler in anderen Klassen unterscheiden. … Zwischen den Bundesländern gibt es dabei erhebliche Unterschiede: In Rheinland-Pfalz haben 4,4 Prozent aller vollzeitschulpflichtigen Schülerinnen und Schüler einen besonderen Förderbedarf, in Mecklenburg-Vorpommern sind es 10,9 Prozent. Während in Bremen 44,9 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf den Gemeinsamen Unterricht an allgemeinen Schulen besuchen, sind es in Niedersachsen 4,7 Prozent. … Es bestehen begründete Zweifel daran, dass separierende Förderschulen die bestmögliche pädagogische Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderungsbedarf ermöglichen. Diese Einsicht beeinflusst zunehmend die Schulpolitik der Länder sowie ihre eher normativen Setzungen. So heißt es aktuell auf der Homepage der Kultusministerkonferenz (KMK 2009c) zu „Sonderpädagogischer Förderung“: „Die Pluralität der Förderorte, Erfahrungen mit gemeinsamem Unterricht behinderter und nicht behinderter Kinder, erziehungswissenschaftliche Denkanstösse und schulpolitische Schwerpunktsetzungen in den einzelnen Ländern der Bundesrepublik Deutschland machen deutlich, dass die personenbezogene, individualisierende Sichtweise sonderpädagogischer Förderung und integrativer Bildung Vorrang vor institutionsbezogener Förderung hat.“ Weiteren Auftrieb erhält diese Sichtweise durch die am 26.3.2009 in Deutschland in Kraft getretene UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, in der es in Artikel 24 heißt: „ (1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen… (2) Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass a) Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden b) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben c) angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen getroffen werden d) Menschen mit Behinderungen innerhalb des allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung geleistet wird, um ihre erfolgreiche Bildung zu erleichtern e) in Übereinstimmung mit dem Ziel der vollständigen Integration wirksame individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet, angeboten werden.“ … Jährliche Ausgaben für die Unterrichtung der Schüler/innen mit besonderem Förderbedarf Die Ausgaben, die für Schülerinnen und Schüler getätigt werden, lassen sich unterscheiden in Personalausgaben, investive Ausgaben sowie in Ausgaben für den laufenden Sachaufwand. Für Deutschland insgesamt gilt für die Schulausgaben, dass etwa 80 Prozent auf die Personalausgaben entfallen, etwa 12 Prozent auf den laufenden Sachaufwand sowie etwa 8 Prozent auf Investitionsausgaben. Aufgrund der Datenlage lassen sich bezüglich der Ausgaben für den Bereich der Unterrichtung der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Förderschulen nur die Personalausgaben und innerhalb dieser Gruppe nur die Ausgaben für das lehrende Personal berücksichtigen. … Für die etwa 400.000 Schülerinnen und Schüler, die im Schuljahr 2007/08 in Deutschland in Förderschulen unterrichtet wurden, wurden zusätzlich zu den Ausgaben, die sie ohne sonderpädagogische Förderung in allgemeinen Schulen verursacht hätten, bundesweit für lehrendes Personal etwa 2,6 Milliarden Euro ausgegeben. Wenn diese finanziellen Mittel in einem inklusiven Schulsystem in den Gemeinsamen Unterricht fließen würden, stünden je Schüler oder Schülerin mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Durchschnitt aller Bundesländer und aller Förderschwerpunkte zusätzlich zu den im allgemeinen Schulsystem angesetzten Unterrichtsstunden 2,4 Wochenstunden zur Verfügung. Bei z.B. vier Schülern oder Schülerinnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf wären dies je Klasse zusätzlich wöchentlich etwa 10 Unterrichtsstunden. Hinzu kämen die nicht lehrenden Fachkräfte, die von den Förderschulen in die allgemeinen Schulen „mitgenommen“ werden sollten sowie Einsparungen im Bereich des Schülertransports. Eine nach Förderschwerpunkten differenzierende Betrachtung zeigt, dass im Förderschwerpunkt Lernen bundesweit etwa 0,8 Milliarden Euro und je Schülerin bzw. Schüler im Bundesdurchschnitt 1,63 Wochenstunden zusätzlich zur Verfügung stünden. In den anderen Förderschwerpunkten wären etwa 1,8 Milliarden Euro verfügbar – je Schülerin bzw. Schüler mit Förderbedarf 3,06 Wochenstunden. … Die Ausgaben für Förderschülerinnen und Förderschüler in den einzelnen Bundesländern variieren erheblich mit der Größe und den damit verbundenen Schülerzahlen in den Bundesländern. Darüber hinaus spiegeln die Ausgaben aber auch bildungspolitische Entscheidungen in den Bundesländern wider. So geben die Werte Unterschiede in den Förderquoten und in der Zuweisung von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf an Förderschulen wieder. Aber auch aufgrund der sehr unterschiedlichen finanziellen Ausstattung der Förderschulen der einzelnen Bundesländer finden sich bei den zusätzlich eingesetzten Ressourcen wie auch bei den je Lernendem zusätzlich verfügbaren Unterrichtsstunden erhebliche länderspezifische Unterschiede: Im Förderschwerpunkt Lernen schwanken bei den zusätzlichen Unterrichtsstunden je Förderschüler/in die Werte zwischen 1,86 wöchentlichen Unterrichtsstunden in Berlin und 1,03 in Schleswig-Holstein (Hessen, das zwischen den Förderschwerpunkten nicht differenziert, wird hier nicht in den Vergleich einbezogen). In den „Sonstigen Förderschwerpunkten“ reicht die Spannweite von 5,15 zusätzlichen Unterrichtsstunden je Förderschüler bzw. -schülerin in Baden-Württemberg bis hin zu 1,71 im benachbarten Bayern.“ Die Studie in vollem Umfang entnehmen Sie bitte aufgeführtem Link oder dem Anhang.

http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_29959_29960_2.pdf

Quelle: bildungsklick Bertelsmann Stiftung

Dokumente: Studie_Sonderweg_Foerderschulen_hoher_Einsatz_wenig_Perspektiven.pdf

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