Der Weg in eine inklusive Gesellschaft ist unumkehrbar

Auszüge aus „einfach machen“ – dem nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention:
Ziele und Inhalte des Nationalen Aktionsplans

Weltweit leben mehr als eine Milliarde Menschen mit einer Behinderung. In Deutschland sind es etwa 9,6 Millionen, also mehr als 11,7 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Davon hat mit 7,1 Millionen die Mehrzahl eine schwere Behinderung; 2,5 Millionen leben mit einer leichteren Behinderung.
Trotz der beträchtlichen Zahl weltweit gibt es nur in etwa 40 Staaten – zumeist Industrienationen – Vorschriften, die die Rechte behinderter Menschen besonders schützen. Deshalb beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen 2001, Vorschläge für ein umfassendes internationales Übereinkommen zur Förderung und zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen zu entwickeln. Ergebnis ist die 2006 verabschiedete UN-Behindertenrechtskonvention. Deutschland hat die Konvention und das Zusatzprotokoll am 24. Februar 2009 ratifiziert.
Die UN-Behindertenrechtskonvention konkretisiert die universellen Menschenrechte für die speziellen Bedürfnisse und Lebenslagen behinderter Menschen. Inklusion ist dabei die durchgängige Haltung und das zentrale Handlungsprinzip. Damit wird das Prinzip der Inklusion zur Leitlinie und zu einer klaren Orientierung für die praktische Umsetzung der Konvention.
Ziel ist, dass Menschen mit und ohne Behinderungen von Anfang an gemeinsam in allen Lebensbereichen selbstbestimmt leben und zusammenleben. Auf Basis des Grundsatzes gleichberechtigter Teilhabe werden für Menschen mit Behinderungen die gleiche Qualität und der gleiche Standard in den jeweiligen Lebensbereichen erwartet, der auch für Menschen ohne Behinderungen gilt. Es geht um gleichberechtigte Teilhabe am politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben, um Chancengleichheit in der Bildung, um berufliche Integration und um die Aufgabe, allen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit für einen selbstbestimmten Platz in einer barrierefreien Gesellschaft zu geben. Dies bezieht eine dem individuellen Bedarf und der jeweiligen Lebenssituation angepasste Unterstützungsleistung ein.

Inklusion heißt Gemeinsamkeit von Anfang an. Sie beendet das aufwendige Wechselspiel von Exklusion (= ausgrenzen) und Integration (= wieder hereinholen).

Mit dem Nationalen Aktionsplan schafft die Bundesregierung ein Instrument, mit dem sie die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in den nächsten zehn Jahren systematisch vorantreiben will. Dieser Prozess beginnt mit einer Bestandsaufnahme: Der Aktionsplan dokumentiert sämtliche Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung jetzt und in der Zukunft die Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft verfolgt. Die 213 großen und kleinen Vorhaben, Projekte und Aktionen aus allen Lebensbereichen zeigen, dass Inklusion ein Prozess ist, der längst im Gange ist. Wir fangen nicht bei Null an. Behindertenpolitik ist eine Aufgabe aller Ressorts. Und: Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. …

Ein Problem allerdings – insbesondere für die Eltern behinderter Kinder – ist dabei nach wie vor die Abgrenzung der verschiedenen Leistungsansprüche aus unterschiedlichen Gesetzbüchern, die von unterschiedlichen Trägern erbracht werden. Hier müssen Eltern Koordinierungsaufgaben leisten, die bestehenden Strukturen geschuldet sind.
Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, die bekannten Schnittstellenproblematiken in den verschiedenen Bereichen der Frühförderung zu lösen. Die Zuständigkeits- und Finanzierungsprobleme, die eine ganzheitliche Sicht auf Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und ihren Familien verstellen, werden in einer interkonferenziellen Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter der Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände und der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe behandelt. Perspektivisch gilt es, die unterschiedliche Verantwortungsaufteilung zu überwinden und die Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen unter dem Dach des Sozialgesetzbuches VIII (Kinder- und Jugendhilfe) im Konsens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zusammenzuführen („Große Lösung SGB VIII“). …

Jedes Kind hat Anspruch auf individuelle Förderung, Unterstützung, Entwicklung und Bildung. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass inklusives Spielen und Lernen zur Selbstverständlichkeit wird.
Jedes Kind soll auf die Schule seiner und seiner Eltern Wahl gehen können, also zwischen Regel- oder Förderschule frei entscheiden. Egal, welche Fähigkeiten und Neigungen, Stärken und Schwächen es mitbringt. Das ist der Leitgedanke der inklusiven Bildung. Heute besuchen nur 20,1 Prozent aller Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf eine Regelschule. Das wird sich ändern. Auf diesem Weg wollen wir auch die Eltern von Kindern mit und ohne Behinderungen mitnehmen. Denn auch der Schulalltag wird sich ändern.
Deutschland verfügt über ein ausdifferenziertes Fördersystem auf hohem Niveau. Es gilt dieses Potenzial zu nutzen, um alle Schülerinnen und Schüler in einer Klasse bzw. unter einem Dach zu unterrichten.
In vielen Bundesländern gibt es bereits vielversprechende Ansätze. Dieser Weg wird fortgesetzt. Fragen der inklusiven Bildung sind Gegenstand der Qualifizierungsinitiative von Bund und Ländern. Die Länder überarbeiten derzeit die „Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen der Bundesrepublik Deutschland“. Die gemeinsame Bildung von Kindern mit und ohne Behinderungen ist dabei ein wichtiger Schwerpunkt. …

Eine inklusive Arbeitswelt zu entwickeln, ist Kernanliegen der Bundesregierung. Arbeit zu haben, bedeutet persönliche Unabhängigkeit und Selbstbestätigung. Sie ist fundamental für die Selbstverwirklichung der meisten Menschen in unserer Arbeitsgesellschaft. Mit 100 Millionen Euro für das Programm „Initiative Inklusion“ wird die Bundesregierung für mehr Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen sorgen. Viele Menschen mit Behinderungen finden auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Stelle. Ihre Arbeitslosenquote ist überdurchschnittlich hoch. Viele behinderte Jugendliche finden keinen betrieblichen Ausbildungsplatz. Die „Initiative für Ausbildung und Beschäftigung“ spricht viele Akteure an, die einen Beitrag zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt leisten können. …

Eine zukunftsorientierte, die Art und Schwere einer Behinderung berücksichtigende Ausbildung, ist die entscheidende Herausforderung auf dem Weg zu einem gelungenen Berufsstart. Die Ausbildungssituation für behinderte Jugendliche hat sich in den letzten Jahren zwar verbessert, allerdings ist der Anteil betrieblicher Ausbildungsmöglichkeiten nach wie vor ausbaufähig. Auch für außerbetriebliche Berufsausbildungen kann durch die Ausweitung betrieblicher Anteile die Praxisnähe der Ausbildung weiter erhöht werden. …

Ausbildung ist der Schlüssel für die späteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Bildung und Qualifizierung sind entscheidend für die gesellschaftliche Teilhabe.
Der besondere Unterstützungs- und Förderbedarf, aber auch die Potentiale junger Menschen mit Behinderungen müssen früh erkannt werden, um ihre individuelle Entwicklung zu fördern und ihnen Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt zu eröffnen. Deshalb werden die Bundesregierung und die Bundesagentur für Arbeit die berufliche Orientierung von schwerbehinderten Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf wesentlich verbessern. Zu den Kerninhalten gehören neben einer Potenzialanalyse insbesondere berufliche Praktika. Sie sollen vorrangig in Betrieben durchgeführt, begleitet und für den anschließenden Orientierungsprozess ausgewertet werden. Neben den Schülerinnen und Schülern selbst werden auch Erziehungsberechtigte, Lehrkräfte und die zuständigen Leistungsträger beteiligt. Mittelfristig soll so ein breites Angebot an Berufsorientierungsmaßnahmen aufgebaut werden. Die Bundesregierung wirkt darauf hin, dass die Ausbildung behinderter Jugendlicher ein Augenmerk des Nationalen Pakts für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs („Ausbildungspakt“) bleibt und weiter fortentwickelt wird.

Zusätzlich werden 100 Millionen Euro im Rahmen der „Initiative Inklusion“ bereitgestellt. Diese wurde zusammen mit den Ländern, der Bundesagentur für Arbeit, den Kammern sowie Integrationsämtern und Hauptfürsorgestellen entwickelt. Sie setzt da an, wo sich die Berufsausrichtung entscheidet: in der Schule. Sie umfasst eine verbesserte Berufsorientierung und den Ausbau der betrieblichen Ausbildung für schwerbehinderte Jugendliche. Die Bundesregierung will damit die berufliche Orientierung von schwerbehinderten Schülerinnen und Schülern wesentlich erleichtern und die betriebliche Ausbildung schwerbehinderter Jugendlicher in anerkannten Ausbildungsberufen fördern. Sie setzt Anreize und sensibilisiert vor allem auch kleine und mittlere Unternehmen für die Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen. …

„Initiative Inklusion“
Das Programm setzt folgende Schwerpunkte: ## Berufsorientierung schwerbehinderter Schülerinnen und Schüler: In den nächsten 2 Jahren werden 40 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, mit dem Ziel, jährlich 10.000 schwerbehinderte Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf beruflich intensiv zu orientieren. Berufsorientierung für junge Menschen mit Behinderungen soll darüber hinaus als Regelinstrument der Arbeitsförderung verankert werden.
## Betriebliche Ausbildung schwerbehinderter Jugendlicher in anerkannten Ausbildungsberufen: In den nächsten 5 Jahren werden 15 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, mit dem Ziel, 1.300 neue betriebliche Ausbildungsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen.
## …
## Implementierung von Inklusionskompetenz bei Kammern: In den nächsten 2 Jahren werden 5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, mit dem Ziel, bei den Kammern, die für kleine und mittlere Unternehmen Ansprechpartner sind, verstärkt Kompetenzen für die Inklusion schwerbehinderter Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen und durch gezielte Beratung mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen bei den Mitgliedsunternehmen zu akquirieren.
Jede und jeder, der heute in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeitet, soll die Möglichkeit haben, bestimmte Leistungen auch bei anderen Anbietern in Anspruch zu nehmen. Deshalb wird in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe die Neuausrichtung des Werkstättenrechts diskutiert. Die Bundesregierung setzt sich dabei für eine deutliche Stärkung des personenzentrierten Ansatzes ein. …

Inklusion heißt, Diskriminierungen zu erkennen und wirksam zu bekämpfen. Das gilt sowohl für den öffentlichen wie für den privaten Bereich.
Bei Anfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) als unabhängige Beratungsstelle ist der Diskriminierungsgrund „Behinderung“ mit 25 Prozent der meistgenannte. Bei Mehrfachdiskriminierungen werden die Kombination „Behinderung und Alter“ (rund 17 Prozent) sowie „Behinderung und Geschlecht“ (rund 7 Prozent) am häufigsten genannt. Vor diesem Hintergrund wird die Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Jahr 2013 ein Themenjahr zum Diskriminierungsgrund Behinderung initiieren mit dem Ziel, das Bewusstsein für täglich stattfindende Diskriminierung zu schärfen und insbesondere die Bedeutung von Barrierefreiheit und Inklusion aufzuzeigen. …

Behinderung ist nicht heilbar. Sie ist integraler Bestandteil der Persönlichkeit behinderter Menschen und verdient Respekt. Behindernde Strukturen und behinderndes Verhalten aber sind heilbar. Die Therapie lautet: Inklusion. Wir werden die Welt einfacher machen. Und das werden wir gemeinsam mit unseren Mitstreiterinnen und Mitstreitern einfach machen. … „

Den nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.

http://www.bmas.de/portal/52006/property=pdf/2011__06__15__hinztergrundpapier__nap.pdf
http://www.bundesregierung.de/nn_774/Content/DE/Artikel/2011/06/2011-06-15-nationaler-aktionsplan.html
http://www.bmas.de/portal/52000/property=pdf/2011__06__15__nap.pdf
http://www.alle-inklusive.de/?p=5033

Quelle: Bundesregierung; Behindertenbeauftragter der Bundesregierung; Pressedienst des Deutschen Bundestages

Dokumente: 2011__06__15__nap.pdf

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