Auch wenn die Bundesregierung der Auffassung ist, befristete Jobs seien die Ausnahme, sieht die Realität anders aus. Vor allem (selbständig) Beschäftigte in der Weiterbildung sind von befristeten und prekären Arbeitsverhältnissen betroffen. Das Institut für Berufs- und Weiterbildung der Universität Duisburg/Essen hat eine Expertise auf Grundlage qualitativer Interviews erstellt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft greift die Erkenntnisse im aktuell veröffentlichten „Schwarzbuch Beschäftigung in der Weiterbildung“ auf. Die prekär Beschäftigten in der allgemeinen Weiterbildung spüren sich dem Druck ausgesetzt, einerseits ihre Professionalität zu erhalten und andererseits keine Ressourcen zur Verfügung zu haben, dies zu gewährleisten.
Deprofessionalisierung und drohende Armut
Selbständige bzw. Honorarkräfte sind nicht in entsprechende Strukturen wie z.B. in der betrieblichen Weiterbildung eingebunden. Neben der drohenden Deprofessionalisierung der honorarmäßig Beschäftigten, kämpfen diese aufgrund geringer Einkommen und kurzer Vertragslaufzeiten ständig gegen ein Abgleiten in Armut an. Das monatlich verfügbare Einkommen selbständiger Honorarkräfte beträgt zwischen 800,- und 1.100,- Euro. Als Kompensation wird auf die Entrichtung von Renten- und Krankenversicherungsbeiträgen verzichtet.
Die Ausbreitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse und Anforderungen an die Politik war das Thema einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke. Befristete Arbeitsverhältnisse blieben die Ausnahme und ihr Anteil sei seit Jahren stabil. Das schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes habe es in den letzten Jahren keine signifikante Änderung der Befristungsquote gegeben. Der Anteil der befristet Beschäftigten an den abhängig beschäftigten Erwerbstätigen habe 2006 8,9 Prozent betragen, 2007 8,8 Prozent und 2008 8,9 Prozent. Gegenüber dem Jahr 2008 sei die Befristungsquote im Jahr 2009 mit 8,6 Prozent leicht rückläufig, heißt es weiter.
Flexible Beschäftigungsformen als Reaktion auf Globalisierung und Strukturwandel unerlässlich?
Nach Auffassung der Bundesregierung sind flexible Beschäftigungsformen als Reaktion auf die zunehmende Globalisierung der Wirtschaft, neue Technologien und den Strukturwandel unerlässlich. Sie dienten vielfach nicht nur den Interessen der Arbeitgeber, sondern auch den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Lebensplanung und Erwerbsarbeit besser zu vereinbaren.
Dabei außer Acht gelassen wird der gesamte Bereich der Weiterbildung, in dem vor allem selbständige Lehrkräfte – auf Honorarbasis und in befristeten Arbeitsverhältnissen – tätig sind. Laut einer Studie der WSF Wirtschafts- und Sozialforschung bestanden bereits im Jahr 2005 1,35 Millionen solcher Beschäftigungsverhältnisse. Von diesen Beschäftigungs-/Tätigkeitsverhältnissen sind
- Sozialversicherungspflichtig 185.000 (14%),
- Honorarkräfte/Selbständige 996.000 (74%),
- Ehrenamtliche 130.000 (10%),
- Sonstige 39.000 (3%).
In der Weiterbildung sind atypische Beschäftigungsverhältnisse die Regel
Für die Beschäftigten in der Weiterbildungsbranche ist klar: atypische Beschäftigungsverhältnisse sind der Regelfall. Ebenso niedrige Vergütung, die durch aufstocken von ALG II-Leistungen ergänzt werden.
Dieser Problematik hat sich die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im „Schwarzbuch Beschäftigung in der Weiterbildung“ angenommen. Die GEW weist darauf hin, dass sich Tendenzen der Ausweitung prekärer Arbeit auch in anderen Bildungsbereichen zeigen. Das Schwarzbuch richtet sich gegen einen schleichenden Gewöhnungsprozess an prekäre Arbeit in der Weiterbildung und damit gegen das Schönreden und gegen die Verherrlichung der Marktgesetze im gesamten Bildungsbereich. Die GEW ist der Auffassung, die pädagogische Arbeit hat in allen Bildungsbereichen einen hohen Wert für die Gesellschaft, in kultureller, sozialer und ökonomischer Hinsicht. Eine Diskriminierung des Personals in der Weiterbildung, sowohl hinsichtlich der Entlohnung wie auch der sozialen Rechte der Beschäftigten, sei nicht akzeptabel und rechtlich höchst problematisch. Die Gewerkschaft fordert, die Ungerechtigkeit gegenüber den Weiterbildnern nicht hinzunehmen.
Ausgangspunkt für das Schwarzbuch ist eine Expertise von Prof. Dr. Rolf Dobischat, Marcel Fischell und Anna Rosendahl von der Universität Dusiburg-Essen. Diese stellt prekäre Beschäftigung als Ergebnis einer Polarisierung in der Weiterbildung fest. Basis für die Expertise waren qualitative Interviews mit Beschäftigten der Branche.
Auszüge aus der Expertise „Beschäftigung in der Weiterbildung“, die im Anhang des Schwarzbuchs abgedruckt ist:
Wie steht es um Akzeptanz und Wertschätzung für Weiterbildende?
„Schenkt man den öffentlichen Bekundungen zur gesellschaftlichen Bedeutung des lebensbegleitenden Lernens Glauben, so dürfte es eigentlich um die Verfassung der Weiterbildung in Deutschland gut bestellt sein. Folglich müsste auch die Tätigkeit des Weiterbildners (…) eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz und Wertschätzung genießen, was sich in attraktiven und sozial abgesicherten Beschäftigungsverhältnissen ausdrücken sollte.
Bekannt ist Gegenteiliges. Eine im Jahr 2005 publizierte Studie (WSF 2005) belegt, dass die realen Beschäftigungsverhältnisse des Weiterbildungspersonals bei weitem nicht einem Beschäftigungsstandard entsprechen, der für Bereiche des allgemein bildenden Bildungssystems längst Gültigkeit besitzt. (…) Prekäre Beschäftigung ist das Ergebnis der Entwicklung von deregulierten Arbeitsmärkten und flexiblen Beschäftigungsformen, die durch das im Jahr 1985 verabschiedete Beschäftigungsförderungsgesetz forciert wurde. Dies hat sich im Laufe der Jahre in vielfältige atypische Beschäftigungsformen ausdifferenziert und ein hohes individuelles Prekaritätsrisiko verursacht. (…)
Als besonders prekär beschäftigt einzustufen sind circa 150.000 „hauptberufliche“ Honorarlehrkräfte, die meist nur über ein geringes Einkommen verfügen, von dem sie zudem ihre soziale Absicherung selbst finanzieren müssen. Die Beschäftigungslage ist außerdem deshalb prekär, da die Arbeitsverhältnisse keine Dauerhaftigkeit des zeitlichen Beschäftigungsumfangs und vor allem keine konstante Beschäftigungssicherheit bieten. Diese Art von „Selbstständigkeit“ verursacht hohe Arbeitsbelastungen, was dadurch flankiert wird, dass der betroffene Personenkreis sich gezwungen sieht, zunehmend auch die Zeit- und Kostenaufwendungen für die eigene Weiterbildung zur Erhaltung der Professionalität wie auch zur Sicherung der Beschäftigung aufzubringen. (…)
Beschäftigte in der allgemeinen Weiterbildung – Merkmale prekärer Beschäftigung
Nach Recherchen der Autoren befinden sich die Beschäftigten in der allgemeinen Weiterbildung mehrheitlich in einer prekären Beschäftigungssituation. Niedrige Einkommen, flexible Arbeitseinsätze, zeitlich verdichtete Arbeit, erhebliche Belastungen und das Gefühl, zunehmend mit Aufgaben konfrontiert zu sein, die der beruflichen Ausbildung nicht entsprechen und für die keine ausreichenden Kernkompetenzen vorhanden sind und auch nicht durch eigene Weiterbildung abgedeckt werden können, sind die wesentlichen Attribute des Arbeitsalltags. Zeitlich wie aber auch finanziell sehr begrenzten Dispositionsspielräumen stehen wachsende Arbeitsanforderungen der Auftraggeber entgegen, deren Ansprüche zur Aufgabenerledigung nur durch eine entsprechende Weiterqualifizierung befriedigt werden könnten, was aber auf Grund der finanziellen und zeitlichen Rahmenbedingungen der Arbeitstätigkeit kaum oder nur sehr erschwert möglich ist. Man fürchtet die wachsende Gefahr für die eigene Beschäftigungsfähigkeit und den drohenden Verlust des professionellen Handelns verquickt mit der Befürchtung von unzureichend abgelieferter Qualität der Arbeit. (…)
Die Interviewaussagen zeigen, dass sich die Einkommen in der allgemeinen Weiterbildung im Vergleich zur beruflichen/betrieblichen auf einem wesentlich niedrigeren Niveau bewegen, wobei dies vornehmlich die hauptberuflichen Honorarkräfte betrifft. Als „Kompensation“ hierfür berichten die Honorarkräfte von einem „bewussten“ Verzicht auf die Entrichtung der Renten- und Krankenversicherungsbeiträge mit der fatalen Folge einer dann komplett fehlenden sozialen Absicherung. Die katastrophale Einkommenslage ist Ergebnis eines bereits vorgelagerten Destabilisierungsprozesses in der Erwerbsbiografie, der im aktuellen Status der Honorarkraft sein vorläufiges Ende gefunden hat. (…)
Das monatlich verfügbare Einkommen der selbstständigen Honorarkräfte beträgt nach unseren Recherchen zwischen 800 und 1.100 Euro. Aber auch das Einkommen der Festangestellten liegt in der Regel deutlich unterhalb des üblich erzielbaren Nettogehalts von 3.453 Euro monatlich. Durch das geringe Einkommen und die kurzen Vertragslaufzeiten sehen sich die Befragten permanent mit einem Bedrohungsszenario im Sinne eines Abgleitens in Armut und dem Verlust von beruflicher Anschlussfähigkeit konfrontiert. Diese Drohkulisse gewinnt besondere Brisanz, wenn das Einkommen aus der Weiterbildungstätigkeit im Haushalt der Betroffenen die einzige Einnahmequelle ist, was auf die Mehrheit der befragten Probanden zutrifft. (…)
Zusammenfassung und Perspektive
Durch die Ergebnisse aus der Befragung von Beschäftigten in der Weiterbildung wird belegt, dass eine Polarisierung in den Beschäftigungsbedingungen wie auch -chancen zwischen den beiden Segmenten der allgemeinen/ beruflichen sowie der betrieblichen Weiterbildung eingetreten ist. (…) Innerhalb des Segments der allgemeinen Weiterbildung hat sich ein Ausmaß an prekärer Beschäftigung breit gemacht hat, das den öffentlichen Bekundungen über die gesellschaftliche Bedeutung des Lebensbegleitenden Lernens diametral entgegensteht. Ob sich die Beschäftigungsbedingungen in der Weiterbildung tatsächlich im Sinne einer voranschreitenden Polarisierung konstituieren oder ob nicht vielmehr weitere Ausprägungsstufen und Typisierungen auf einem Kontinuum zwischen den beiden Polen bestehen, kann auf Basis der Befunde nicht exakt beantwortet werden. Es muss geprüft werden, ob und inwiefern ordnungspolitische Regulierungen des Weiterbildungssektors zu einer segmentspezifischen Spaltung der Beschäftigungsbedingungen in der Weiterbildung beigetragen haben.
Besonders von einkommensprekärer Beschäftigung sind die Selbstständigen in der allgemeinen Weiterbildung betroffen. (…) Einkommensprekarität und instabile Beschäftigung stehen in einem deutlichen Zusammenhang zu den jeweilig zu betreuenden Adressatengruppen, den Maßnahmezielen und den beauftragenden Arbeitgebern. Während die prekär „Beschäftigten“ vornehmlich in öffentlich geförderten Maßnahmen mit sehr heterogenen, eher geringqualifizierten Zielgruppen arbeiten und neben der (sozial-) pädagogischen Betreuung auch sozialpolitische (integrative) Funktionen und Aufgaben übernehmen müssen, arbeiten die weitaus besser bezahlten Selbstständigen in der betrieblichen Weiterbildung mit zumeist homogenen, höherqualifizierten Adressatengruppen in fachlich profilierten Inhaltsbereichen. (…)
Als ein problematisches Feld erweist sich aus der Sicht der Befragten der beschleunigte Wandel in den Arbeits- und Aufgabenfeldern. Nicht nur, dass der – in der Regel durch eine akademische Ausbildung – erworbene berufliche Abschluss als unzureichend für die anfallende Aufgabenerledigung empfunden wird, der permanente Wechsel der Aufgaben und Funktionen, die Ausdünnung pädagogischer Kompetenzfelder durch Verbreiterung und Anreicherung mit anderen Einsatzbereichen, für die erst die nötigen Kompetenzen erworben werden müssen, produziert einen enormen Arbeitsdruck mit hohen zeitlichen und psychischen Belastungen infolge der dauerhaften Arbeitsverdichtungen und den Flexibilitäts- und Mobilitätsansprüchen. (…) Während besonders die prekär Beschäftigten in der allgemeinen Weiterbildung unter ihren Bedingungen einen besonderen Leidensdruck spüren, begreifen die Festangestellten wie auch die Selbstständigen in der (privatwirtschaftlich finanzierten) betrieblichen Weiterbildung den Druck als potenziellen Entwicklungskorridor, um ihre Handlungsbasis, ihr Kompetenzrepertoire und ihr Autonomiespektrum in den abgesicherten institutionell-organisatorisch-kommunikativen Strukturen zu verbreitern. Zugespitzt formuliert: Während die Beschäftigten in der privatfinanzierten, betrieblichen Weiterbildung dies aufgrund ihrer sozialen und beruflichen Lage als Professionalisierungschancen nutzen können, droht den Honorarkräften in der allgemeinen Weiterbildung aufgrund fehlender Einbindung in entsprechende Strukturen eher eine Deprofessionalisierung und damit womöglich eine dauerhafte Destabilisierung im Erwerbslauf, da sie sich nur in losen Arbeitsbeziehungen in einer Zone austauschbarer pädagogischer „Jedermannstätigkeit“ befinden. (…)
In der Professionsdebatte der Weiterbildung gilt es (…), die dialektische Spannung zwischen „gesellschaftlichem Mandat und Lizenz“ – also die Divergenz eines oftmals diffusen und weiten Aufgaben-, Tätigkeits- und Funktionsfeldes (weites Mandat) und einem nur begrenzten Gestaltungsspielraum und Handlungsrepertoire (enge Lizenz) aufzuheben –, damit sich eine identitätsstiftende Profession der Weiterbildung herausbilden kann. Interessant wird bei diesem Aushandlungsprozess sein, ob sich eine subjektive Beruflichkeit in biografischer Perspektive als Gegenentwurf zu den Konstrukten des „Arbeitskraftunternehmers“ und „Selbstmanagers“ entwickeln kann.“
Quelle: GEW