Junge Frauen und Männer im Übergang von der Schule in den Beruf

Die Agentur für Gleichstellung im ESF untersucht Programme am Übergang Schule – Beruf hinsichtlich der Gleichstellung von jungen Frauen und Männern. Ziel einer neu veröffentlichten Expertise ist es, den Akteurinnen und Akteuren, die mit der Umsetzung von ESF-geförderten Programmen im Bereich Übergang Schule – Beruf befasst sind, einen Einblick in die Gender-Aspekte zu vermitteln, die in diesem Gebiet relevant sind und bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming berücksichtigt werden müssen. Denn der Übergang von jungen Frauen und Männern von der Schule in den Beruf ist nicht nur in beschäftigungspolitischer, sondern auch in gleichstellungspolitischer Hinsicht eine wesentliche Weichenstellung.

Die „Verbesserung der Lage am Ausbildungsmarkt und Reduktion des Anteils junger Erwachsener ohne Berufsausbildung“ ist ein spezifisches Ziel des ESF-Bundesprogramms 2007-2013. So sind ESF- Programme wie „Jobstarter“ und „Perspektive Berufsabschluss“ des BMBF oder Programme im Rahmen der Initiative „JUGEND STÄRKEN“ des BMFSFJ der Förderung des Übergangs von der Schule in den Beruf gewidmet.

Zum Beispiel: Männlich und weiblich dominierte Berufe

Die Expertise präsentiert zu Beginn Daten und Fakten zur Situation von jungen Frauen und Männern im Übergang von der Schule in den Beruf. Der Anteil männlicher Jugendlicher im Übergangssystem bspw. beträgt rund 57 Prozent. Damit korrespondiert er mit dem überdurchschnittlichen hohen Anteil männlicher Schulabgänger ohne oder maximal mit Hauptschulabschluss. Junge Frauen sind zwar zahlenmäßig weniger im Übergangssystem aber dafür mit höheren Schulabschlüssen. Zudem haben sie im Anschluss an eine Maßnahme eine geringe Chance eine Berufsausbildung aufzunehmen. Nach einer Übersicht über Schulabschlüsse und Berufsbildung werden die duale Berufsausbildung, die schulische Berufsausbildung sowie das sogenannte Übergangssystem näher in den Blick genommen. Ein unter Gleichstellungsaspekten besonders virulentes Problem, die starke Teilung der Berufsbildung und Beschäftigung in männlich oder weiblich dominierte Berufe, wird gesondert beleuchtet. Abschließend werden vor dem Hintergrund der Befunde Empfehlungen für eine gleichstellungsorientierte Bildungs- und Ausbildungsförderung im ESF abgeleitet.

Auszüge aus den Befunden und Handlungsempfehlungen der Expertise „Junge Frauen und Männer im Übergang von der Schule in den Beruf“ von Irene Pimminger (Februar 2010):

„(…) Die Befunde

Trotz des mittlerweile zu konstatierenden Bildungsvorsprungs junger Frauen und eines größeren Anteils junger Männer in der besonders gefährdeten Gruppe der Jugendlichen ohne oder mit niedrigem Schulabschluss zeigt ein genauerer Blick, dass bislang kaum von einer wirklichen Trendwende gesprochen werden kann, sondern im Berufsbildungssystem die Strukturen der Geschlechterungleichheit im Beschäftigungssystem immer noch deutlich reproduziert werden.

Die Befunde lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Die größten Schwierigkeiten im Übergang von der Schule in den Beruf haben Jugendliche ohne oder nur mit geringem Schulabschluss. Da junge Männer häufiger als junge Frauen über keinen oder maximal Hauptschulabschluss verfügen, sind sie quantitativ stärker betroffen.
  • Ein genauerer Blick zeigt allerdings, dass zwar der Anteil junger Frauen an den Schulabgängen ohne oder nur mit geringem Abschluss unterdurchschnittlich ist, dass Frauen mit geringen Bildungsabschlüssen jedoch größere Schwierigkeiten an der ersten
    und zweiten Schwelle haben als die männliche Vergleichsgruppe. So bleiben Frauen ohne oder mit maximal Hauptschulabschluss deutlich häufiger als Männer der Vergleichsgruppe ohne eine Berufsausbildung. Sie haben geringere Chancen auf eine betriebliche Berufsausbildung und nach absolvierter Ausbildung schlechtere Aussichten auf einen
    (ausbildungsadäquaten) Arbeitsplatz. Als Teilnehmerinnen an einer Maßnahme des Übergangssystems oder einer außerbetrieblichen Ausbildung haben Frauen geringere Chancen auf eine Ausbildungs- oder Arbeitsaufnahme im Anschluss an die Teilnahme.
  • Obwohl die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze zurückgeht, insbesondere in männerdominierten Bereichen (…), hat sich der Anteil junger Frauen im dualen Ausbildungssystem seit Anfang der 1980er nicht wesentlich verändert. Der Frauenanteil an den Auszubildenden und den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen ist in den 2000er Jahren sogar geringfügig gesunken. Junge Männer konnten stärker von den Neuordnungs- und Modernisierungsaktivitäten im Bereich der dualen Ausbildung profitieren, ihren Anteil in den modernisierten und neuen Dienstleistungsberufen erhöhen und sich stärker in innovativen Berufen etablieren.
  • Die Trennung in traditionelle Frauen- und Männerberufe (…) wird im Berufsbildungssystem nach wie vor fortgeschrieben. Eine deutliche geschlechtsbezogene Verteilung ist sowohl entlang der Ausbildungswege (…) als auch entlang der Ausbildungsberufe beobachtbar. Bereits in der betrieblichen Ausbildungssituation zeigen sich Unterschiede zwischen männlich und weiblich dominierten Berufen hinsichtlich Ausbildungsvergütung und Arbeitsbedingungen zu Ungunsten von Frauen.“

Handlungsempfehlungen: „Handlungsschwerpunkt schulische Bildung

Der überdurchschnittliche Anteil von jungen Männern, die die allgemeinbildende Schule ohne oder nur mit einem geringen Abschluss verlassen, erfordert es, bereits im Schulalter anzusetzen und gendersensible Förderansätze zu entwickeln. (…) Wichtig wäre eine Erhöhung der Gender-Kompetenz aller Lehrkräfte sowie des Beratungs- und Betreuungspersonals, da die geschlechtsbezogenen Sozialisationsbedingungen einen Einfluss auf das Bildungsverhalten haben. Die schulkonformen Eigenschaften (brav, fleißig) sind insbesondere mit den gängigen Weiblichkeitsnormen vereinbar, und gefährdete Mädchen reagieren eher mit passiver Verweigerung. Demgegenüber ist der Schulalltag von männlichen Schülern maßgeblich bestimmt durch die männliche Peer Group und den „Männlichkeitsdruck“ (cool, witzig, stark), weshalb sie häufiger dem widerständigen und auffallenden Schülertypus entsprechen. Männlichkeit hat zudem insbesondere bei benachteiligten Jugendlichen einen hohen Stellenwert als Identitätsressource. Eine wesentliche Herausforderung in diesem Zusammenhang ist deshalb die Reflexion und Bearbeitung insbesondere der herrschenden Männlichkeitsleitbilder.

Daraus lässt sich die Empfehlung ableiten, in allen Maßnahmen, die sich im Bereich Schule und Bildung an die Zielgruppe benachteiligte Jugendliche richten, auf die Gender-Kompetenz des Lehr-, Beratungs- und Betreuungspersonal zu achten, das heißt die Kompetenz zur kritischen Reflexion und Bearbeitung geschlechtsbezogener Sozialisationsbedingungen und traditioneller Geschlechterleitbilder. Das beinhaltet, sowohl bei laufenden Projekten im Zuge der Programmsteuerung begleitende Maßnahmen zur Förderung der Gender-Kompetenz zu ergreifen als auch bei der Vergabe von neuen Projekten den Nachweis von Gender-Kompetenz in die Auswahlkriterien aufzunehmen. … Zum anderen empfiehlt es sich im Sinne des im ESF-Bundesprogramm verankerten dualen Ansatzes, auch spezifische Maßnahmen zu fördern, die auf die Bearbeitung geschlechtsbezogener Muster zielen. Dies können Projekte sein, die sich spezifisch an Jungen oder Mädchen richten und die reflektierte Bearbeitung geschlechtsbezogener Problemkonstellationen zum Ziel haben. Vor dem dargelegten Hintergrund wären insbesondere Projekte der Jungenförderung, die Männlichkeitsmuster kritisch hinterfragen, ein Ansatzpunkt mit Signalwirkung. Denkbar sind aber auch Projekte, die speziell der Wissensvermittlung und dem Aufbau von Gender-Kompetenz sowie der Öffentlichkeitsarbeit zur Reflexion von Geschlechterleitbildern dienen. (…)“

Handlungsempfehlungen: „Handlungsschwerpunkt Förderung der Berufsausbildung

Die Befunde zeigen, dass zwar der Anteil junger Männer an den Jugendlichen ohne oder mit geringen Schulabschlüssen, die die größten Schwierigkeiten beim Berufseinstieg haben, über dem Anteil der jungen Frauen liegt. Jedoch haben Frauen ohne oder nur mit Hauptschulabschluss größere Schwierigkeiten, eine Berufsausbildung aufzunehmen und danach einen Arbeitsplatz zu finden, als Männer der Vergleichsgruppe. Der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit sollte deshalb nicht nur vorrangig auf männliche Jugendliche gelegt werden, sondern es sollten besondere Anstrengungen unternommen werden, um auch jungen Frauen einen erfolgreichen Berufsabschluss zu ermöglichen.

Es gibt Hinweise darauf, dass es in den öffentlich geförderten Maßnahmen, die eine Berufsausbildung anbieten, bislang nicht gelingt, den geschlechtsbezogenen Unterschieden entgegenzuwirken, sondern dass sie in überdurchschnittlichem Maße männlichen Zielgruppen zugute kommen. (…)

Im Sinne des Gender Mainstreaming sollten deshalb alle bestehenden und künftigen ESF- Maßnahmen im Bereich der Berufsvorbereitung und Ausbildungsförderung daraufhin überprüft werden, ob sie insbesondere männliche oder weibliche Zielgruppen ansprechen und erreichen, beispielsweise anhand folgender Fragestellungen:

  • Auf welche Ausbildungsberufe sind die Maßnahmen ausgerichtet? Werden damit eher männliche oder weibliche Jugendliche angesprochen?
  • Wie und wo werden die Angebote beworben? Werden durch die Werbe- und Informationsmaterialien (bspw. Bilder) und Zugangsweisen (bspw. Orte, an denen geworben und Informationsmaterial verteilt wird) weibliche und männliche Jugendliche gleichermaßen angesprochen? Wie können insbesondere junge Frauen erreicht werden (bspw. durch Kooperation mit Frauen- und Mädchenberatungsstellen)? (…)

Für die einzelnen Programme sollten Zielquoten über die Verteilung von männlichen und weiblichen Teilnehmenden festgelegt und regelmäßig überprüft sowie gegebenenfalls Maßnahmen zur Gegensteuerung ergriffen werden. Damit soll sichergestellt werden, dass die
ESF-geförderten Programme und Projekte nicht einseitig männliche Zielgruppen ansprechen, sondern auch die besonderen Schwierigkeiten der weiblichen Zielgruppen angemessen berücksichtigen. (…)

Wichtig ist es zudem, im Zuge der Programmevaluation nicht nur die Teilnahmequoten, sondern auch die Verbleibsquoten nach Geschlecht zu überprüfen, um Aufschluss über die Maßnahmenwirkungen und Erfolgschancen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu erhalten,
und daraus Schlussfolgerungen für die künftige Gestaltung von Maßnahmen ziehen zu können.“

Handlungsempfehlungen: „Handlungsschwerpunkt berufliche Segregation

In gleichstellungsorientierter Perspektive ist die Teilung des Berufsbildungssystems in männlich geprägte und weiblich dominierte Ausbildungswege (…) sowie in traditionelle Frauen- und Männerausbildungsberufe (…) ein besonders virulentes Problemfeld, das im Sinne des Gender Mainstreaming in den Maßnahmen im Bereich Übergang Schule-Beruf unbedingt Berücksichtigung finden sollte. In allen Programmen und Projekten sollte diesbezüglich ein fundiertes Problembewusstsein entwickelt werden. (…)

Wie die Befunde zeigen, ist es für junge Frauen schwieriger, in männerdominierten Bereichen einen Ausbildungsplatz und anschließend eine ausbildungsadäquate Arbeitsstelle zu finden. In Maßnahmen, die darauf abzielen, besondere Risikogruppen überhaupt an eine berufliche
Ausbildung heranzuführen, kann die Einmündung in nichttraditionelle Berufsausbildungen deshalb nicht unbedingt ein vorrangiges Ziel sein. Die Ausweitung des Berufswahlspektrums insgesamt ist jedoch auch in diesem Kontext eine sinnvolle und zielführende Perspektive.

(…) Die ESF-geförderten Programme und Projekte im Bereich der Berufsbildungsförderung sollten (…) dahingehend überprüft werden, inwieweit sie geeignet sind, im Sinne des Gender Mainstreaming das Gleichstellungsziel Abbau der beruflichen Segregation zu verfolgen, gegebenenfalls auch durch begleitende und spezifische Maßnahmen.

Die Maßnahmen dürfen dabei nicht bloß auf das individuelle Berufswahlverhalten von Jugendlichen abstellen. Vor dem Hintergrund der besonderen Schwierigkeiten, die Jugendliche beim Einstieg in einen nicht-traditionellen Beruf haben, ist ein breiteres Unterstützungsangebot notwendig, das sie auch bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz und beim Berufseinstieg begleitet. Ein besonderes Augenmerk sollte zudem auf Aktivitäten gelegt werden, die auf das
Einstellungsverhalten von Unternehmen zielen, bspw. indem im Zuge der Kooperation mit und Beratung von Unternehmen auch eine diesbezügliche Bewusstseinsbildung stattfindet.“

Quelle: Agentur für Gleichstellung im ESF, Lohmühlenstrasse 65, 12435 Berlin

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