Die interministerielle Arbeitsgruppe Zuwanderung ‚Junge Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler‘ des Landes NRW hat jetzt ihren Untersuchungsbericht vorgelegt. “ … Der … Bericht greift zentrale Aspekte auf, die für eine qualifizierte Betrachtung der Situation von jungen Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern von Bedeutung sind. Er gliedert sich in die folgenden Abschnitte: 1) Rechtliche Grundlagen und quantitative Entwicklung der Spätaussiedlerzuwanderung 2) Rückläufige Deutschkenntnisse und bildungspolitische Reaktion / Situation in den Schulen 3) Arbeitsmarkt: Kernbereich der Integration 4) Probleme der Sozialisation und Kriminalität jugendlicher Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler 5) Integration von jungen Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern als integraler Bestandteil der Zuwanderungspolitik des Landes 6) Veränderungen durch das am 1.1.2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz 7) Schlussfolgerungen und Perspektiven. … Mit dem am 1.1.2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetz haben sich die Aufnahmebedingungen erneut in wichtigen Punkten geändert. Konkret bedeutet das: Spätaussiedler werden künftig ihre Bescheinigung gemäß § 15 BVFG nicht mehr von den Kommunen, sondern zentral vom Bundesverwaltungsamt erhalten, nichtdeutsche Ehegatten und Abkömmlinge werden künftig nur dann in Aufnahmebescheide von Spätaussiedlern einbezogen, wenn der Spätaussiedler dies ausdrücklich beantragt hat, in ihrer Person keine Ausschlussgründe i. S. v. § 5 BVFG vorliegen, die Ehe zwischen dem Spätaussiedler und dem Ehegatten seit mindestens 3 Jahren besteht. sie Grundkenntnisse der deutschen Sprache besitzen.“ …“Schlussfolgerungen und Perspektiven Der vorgelegte Bericht beleuchtet wichtige Aspekte zur Zuwanderung und zur Integration von jungen Spätaussiedlern und Spätaussiedlerinnen. Auf spezifische Risiken, aber auch auf besondere Chancen im Integrationsprozess wird aufmerksam gemacht. Unter den Risikofaktoren stehen die schlechten Sprachkenntnisse an erster Stelle. Sie wirken sich in Schule und Ausbildung nachteilig aus – das zeigen die schulstatistischen Daten deutlich -, können zur sozialen Isolation führen, verstärken Ressentiments und verhindern die volle Partizipation an den Karrierepfaden der deutschen Gesellschaft. Hinzu kommen mitgebrachte soziokulturelle Prägungen der jungen Zuwanderer, die sich negativ auf das soziale Miteinander auswirken können. Als Neueinwanderer stehen Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen wie andere Migranten vor der Herausforderung, sich in einer zunächst fremden Umgebung rasch zurechtfinden zu müssen und deren Regeln zu akzeptieren. Die vorliegenden sozialwissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse und die Erfahrungen vor Ort in den Kommunen und Betrieben zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der jungen Spätaussiedler die Bereitschaft zur Integration mitbringt. Es gibt den Rückzug in eigensprachliche soziale Cliquen und die trotzige Selbstdefinition als „Russe‘. Gleichwohl überwiegt der Wunsch und die Bereitschaft zur Kontaktaufnahme mit einheimischen Deutschen und zur Partizipation in den Strukturen und Organisationen der Mehrheitsgesellschaft. Dass es den meisten spätausgesiedelten Jugendlichen gelingt, die Schule qualifiziert abzuschließen, eine Ausbildung aufzunehmen oder ein Studium zu beginnen, ist zu allererst ihr persönliches Verdienst und das der sie unterstützenden Eltern. Bevor vorschnell auf eine fehlende Integrationsbereitschaft hingewiesen wird, oder darauf, dass die jetzige Generation junger Spätaussiedler „anders‘ als die der vergangenen Jahrzehnte sei, sollten auch die veränderten, schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse bedacht werden. Der moderne Arbeitsmarkt verlangt hohe Anforderungen an Ausbildung und Arbeitsbereitschaft. Die Mehrheit der spätausgesiedelten Jugendlichen bewältigt diese Herausforderungen trotz sprachlicher Rückstände und eingeschränkter familiärer Ressourcen auf anerkennenswerte Weise. Von ihnen wird dabei eine hohe Anpassungsfähigkeit erwartet. Integration gelingt viel öfter als sie scheitert: Diese Tatsache muss bei aller berechtigten Kritik an Missständen deutlich herausgestrichen werden. In der öffentlichen Diskussion wird immer wieder auf die Kriminalität, den Alkoholkonsum und die Drogenabhängigkeit von jungen Spätaussiedlern hingewiesen. Einzelne schwere Straftaten von spätausgesiedelten Jugendlichen haben berechtigterweise Abscheu hervorgerufen. Kriminalität darf nicht geduldet werden, auch dann nicht, wenn sie Resultat schwieriger familiärer Verhältnisse oder sozialer Lebensbedingungen ist. Die deutsche Rechtsordnung ist von jedermann zu akzeptieren. Der Polizei, die Straftaten verfolgt und Präventionsarbeit leistet und den vielen sozialen Einrichtungen, die sich für ein gelingendes Miteinander einsetzen, gebührt Anerkennung für ihre Arbeit. Die in diesem Bericht vorgestellten empirischen Studien zeigen aber auch, dass Gewalt und Kriminalität nicht Konsequenz bestimmter Staatsangehörigkeiten oder ethnischer Zugehörigkeiten sind, sondern auf negative soziale Umweltbedingungen zurückgeführt werden können. Das entschuldigt keine begangene Straftat, bewahrt aber davor, ganze Gruppen vorschnell zu verurteilen. … Aufgabe der Politik ist es, eine chancengleiche Partizipation der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler in Arbeitsmarkt und Gesellschaft zu ermöglichen, beispielsweise durch die Förderung der Vernetzung von Hilfen und den Einsatz multikultureller Teams in der Jugendarbeit. Ghettoisierung muss dort, wo sie auftritt, verhindert werden. Dies verlangt die Unterstützung der Zuwanderer beim Erwerb der deutschen Sprache und erfordert Eigeninitiative. In der pädagogischen Arbeit sind die in den Herkunftsländern gemachten Erfahrungen der Jugendlichen zu berücksichtigen. Interkulturelle Erziehung und Bildung sind von hoher Relevanz für die notwendigen Auseinandersetzungen. Ohne Kenntnis der Hintergründe und Ursachen der Verhaltensweisen und Einstellungen wird eine effektive unterstützende Sozialarbeit nicht möglich sein.Den Jugendlichen müssen im Rahmen transparenter Strukturen ihre Rechte, aber auch ihre Grenzen aufgezeigt werden. …Zunächst ist es allerdings wichtig, verlorenes oder noch nicht hergestelltes Vertrauen zu gewinnen. Dazu sind (muttersprachliche) Lotsen sinnvoll und multikulturelle Teams, die in die Regeldienste einzubeziehen sind. Kurz- und mittelfristig bieten sich Konzepte der Gemeinwesenarbeit an, die auf den effektiven Einsatz vorhandener Ressourcen und Fähigkeiten setzen. Dabei richtet sich das Hauptaugenmerk auf die Kompetenzen des Einzelnen, um dessen Selbstwertgefühl zu steigern. Neben den multikulturellen Trainern sind Treffpunkte für die Jugendlichen in den Stadtteilen ebenso erforderlich wie der Einsatz von Streetworkern. Auf die Kerngruppe der überwiegend männlichen, jugendlichen Spätaussiedler wirken sich Mittelkürzungen besonders aus gerade sie bedürfen der zusätzlichen Förderung. Häufige Personalwechsel bei Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und Behörden im Allgemeinen haben sich als schädlich erwiesen, weil damit die Bezugspersonen verloren gehen – Bezugspersonen, die als Mittler zwischen den Lebenswelten fungieren können. Die Familien als Ressourcen zur Konfliktlösung sollten konsequent einbezogen werden. Die Schulen können mit vernetzten Konzepten zu einer verbesserten Integration beitragen, in die auch die Freizeit- und Sportangebote integriert werden. Zum besseren Verständnis tragen auch Klassenbesuche in den Übergangsheimen bei, ebenso wie Aussiedlerkulturtage und andere kulturelle Veranstaltungen. Hilfreich können auch Videos sein, die in Schulen und der stadtteilorientierten Sozialarbeit bzw. Jugendarbeit eingesetzt werden. …Für aggressive Problemgruppen sind spezielle Maßnahmen erforderlich. Dafür gibt es keine Patentlösungen. Viele sind für soziale Arbeit unerreichbar. Die Landesregierung erwartet von den oben beschriebenen Modellprojekten und den sie begleitenden Evaluationen ergänzende Antworten auf die drängenden Fragen des Gelingens und Misslingens der Integration und der Wirkungsmechanismen bereits bestehender Handlungsansätze. … “ – untersuchungsbericht_spaetaussiedler.pdf
http://www.mgsff.nrw.de/aktuelles/presse/material/untersuchungsbericht_spaetaussiedler.pdf
Quelle: Land NRW: ‚Untersuchungsbericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe Zuwanderung „Junge Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler“,
Dokumente: untersuchungsbericht_spaetaussiedler.pdf