Jugend und Beruf: Eine Repräsentativumfrage zur Selbstwahrnehmung der Jugend in Deutschland Die Ergebnisse einer Repräsentativbefragung der Bertelsmann Stiftung bieten ein Zustandsbild der jungen Generation in Deutschland. Insbesondere Jugendliche, die Schwierigkeiten beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt haben, müssen deutlich stärker unterstützt werden. „… Wie sehen die Jugendlichen ihre berufliche Zukunft? Jugendliche blicken mit wenig Vertrauen in die Zukunft Mehr als jeder zweite Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren blickt hinsichtlich seiner Ausbildungs- und Berufschancen eher zurückhaltend / skeptisch (42%) oder sogar negativ / pessimistisch (10%) in die Zukunft. Dieses Ergebnis muss sehr bedenklich stimmen, da in Umfragen die persönliche Zukunft immer besser bewertet wird als die erwartete Entwicklung in der Gesellschaft allgemein. Die Stimmung unter den Jugendlichen ist alles andere als hoffnungsfroh: Mehr als jeder dritte Jugendliche (39%) macht sich große Sorgen darüber, ob er einen Ausbildungsplatz bzw. einen festen Arbeitsplatz bekommt. Fast genauso groß ist die Angst, (später einmal) den Arbeitsplatz zu verlieren (34%). Die ausbildungs- und berufsbezogenen Ängste dominieren bei den Jugendlichen andere Zukunftsängste, wie zum Beispiel die Angst vor Krankheit, Unfall oder Tod. Mehr als andere Ängste plagen die Jugendlichen folglich Zweifel bezüglich ihrer Leistungen in der Schule, eines hinlänglichen Schulabschlusses sowie des Erreichens der Wunschausbildung und -berufes. Die Ausbildung und die Berufsentscheidung nehmen in der Gedankenwelt der Jugendlichen eine zentrale Rolle ein und sind auch im Freundeskreis ein wichtiges Gesprächsthema. 37% der Jugendlichen sind sich nicht sicher, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, der ihren Vorstellungen und Erwartungen entspricht. Und sogar 45% der Jugendlichen bezweifeln, dass sie nach der Ausbildung einen Arbeitsplatz finden werden, der ihren Vorstellungen und Erwartungen entspricht. Die Arbeitsplatzunsicherheit ist unter den Jugendlichen also noch größer als die Ausbildungsplatzunsicherheit. Deutlich wird dies auch in der Auffassung, die knapp die Hälfte (45%) aller Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren teilen: In Deutschland kann nicht jeder, der sich anstrengt, den Beruf ergreifen, den er will. Arbeitsplatz- und Lehrstellenknappheit Nach den wichtigsten Hindernissen auf dem Weg in die Ausbildung und den Beruf befragt, antworten die Jugendlichen folgendermaßen (freie Nennungen ohne Vorgaben): Es gibt nicht genügend Arbeitsplätze: 81%, Nicht ausreichende schulische Leistungen: 26%, Einstellungskriterien der Unternehmen zu hoch: 22%, Wirtschaftslage sehr schlecht: 14%, Unternehmen gehen Konkurs bzw. gehen ins Ausland: 12%, Keine Unterstützung vom Staat: 9%, Zu teuere Weiterbildung: 6%, Man braucht Beziehungen: 4%. 37% der Jugendlichen, die heute an der Schwelle zum Berufsleben stehen, haben das Gefühl, dass ihnen der Weg zum Wunschberuf versperrt ist, weil es keine freien Arbeitsplätze gibt. Lediglich 9% sehen die eigenen ungenügenden schulischen Leistungen als Hindernis auf dem Weg zum ‚Traumberuf‘. Pessimismus deutlich ausgeprägter bei Jugendlichen mit einfacher Schulbildung Zwei Drittel der Hauptschüler, also eine deutliche Mehrheit, blicken nicht optimistisch in die eigene berufliche Zukunft. Hauptschüler sehen sich selber als die Verlierer im Kampf um Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Aber selbst unter Jugendlichen mit Realschulabschluss ist noch jeder zweite Jugendliche skeptisch, was seine Zukunftschancen betrifft. … Hauptschüler gelten als stigmatisiert Mehr als vier Fünftel der Jugendlichen (82%) sind der Meinung, dass Schüler mit einem Hauptschulabschluss bei der Lehrstellensuche und der anschließenden Arbeitsplatzsuche benachteiligt werden. In der Bundesrepublik teilen sich Jugendliche zu je einem Drittel auf Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien auf. Im Kampf um Ausbildungs- und Arbeitsplätze ist der Schulabschluss das erste, entscheidende Wettbewerbskriterium, bei dem Hauptschulabsolventen systematisch gegenüber anderen Absolventen benachteiligt sind. Mädchen und Jugendliche in den neuen Bundesländern haben mehr berufsbezogene Ängste Mädchen machen sich mehr Sorgen, keinen festen Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatz zu bekommen als Jungen (42% zu 35%) und haben auch mehr Angst vor einem Arbeitsplatzverlust (38% zu 30%). Damit scheinen auch die heutigen Jugendlichen eine latente Befürchtung zu haben, dass Frauen im Berufsleben benachteiligt werden. Noch deutlicher sind die Ängste der Jugendlichen in den neuen Bundesländern ausgeprägt. 44% der Jugendlichen aus den neuen Bundesländern gegenüber 37% der Jugendlichen in den alten Bundesländern haben Angst keinen festen Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatz zu finden. Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes haben 42% im Osten gegenüber 32% im Westen. Angst vor Armut bzw. nicht ausreichendem Verdienst haben im Osten 36% und im Westen 27%. Die pessimistischere Haltung der Jugendlichen in den neuen Bundesländern reflektiert also ganz deutlich die schwierigere wirtschaftliche Situation in diesen Bundesländern. Pessimistische Jugendliche sind weniger bereit, in den Beruf zu investieren Eine Schlüsselfrage der Untersuchung an die Jugendlichen war, ob ihnen (A) das berufliche Fortkommen so wichtig ist, dass sie dafür vieles zurückstellen, auch die eigene Freizeit und das Privatleben, oder ob (B) das Privatleben und die persönliche Freizeit wichtiger sind und diese nicht geopfert werden, um Karriere zu machen. Insgesamt sind knapp zwei Drittel (63%) der Jugendlichen bereit, für ihr berufliches Vorankommen Opfer zu bringen. Grundsätzlich bekennt sich also die Mehrheit der Jugendlichen zu Leistung und Investitionen in die berufliche Zukunft. Aber immerhin gibt ein gutes Drittel (37%) der Jugendlichen privaten Interessen den Vorzug. Dies sind in signifikant erhöhtem Maße folgende Teilgruppen: Die Jüngsten, die 14/15jährigen Jugendlichen, die bisher weniger vom Ernst des Lebens mitbekommen haben (besonders Jungen sind hier noch sehr freizeitbetont: 53%) die Jugendlichen in den alten Bundesländern (39%), die eher zu glauben scheinen, dass es auch mit weniger Investition geht und die den Ernst der Lage nicht deutlich realisieren wie die Jugendlichen in den neuen Bundesländern (29%) ostdeutsche Jugendliche zeigen sich insgesamt pragmatischer (‚Ich bin meines Glückes Schmied‘), sind deshalb, was ihre Zukunft insgesamt betrifft, positiver gestimmt (54% gegenüber 46%), aber machen sich realistischerweise trotzdem mehr Sorgen Hauptschüler (45%), die hinsichtlich ihrer Chancen von vornherein defätistischer eingestellt sind und schon sozusagen ‚präventiv‘ resignieren schließlich zeigt sich bei dieser Frage der gravierende Unterschied hinsichtlich der Leistungsbereitschaft für das berufliche Weiterkommen: Pessimistisch eingestellte Jugendliche erteilen fast doppelt so häufig beruflichen Investitionen auf Kosten des Privatlebens eine Absage wie positiv Eingestellte. … Mit der gefühlten und tatsächlichen Benachteiligung der Hauptschulabsolventen wird ein gefährliches Potenzial an ‚Aussteigern‘ und resignativen ‚Leistungsverweigerern‘ geschaffen. Ein ‚Verlierergefühl‘ entsteht nicht von alleine, sondern ist vor allem umweltbedingt. Mangelnde Leistungsbereitschaft ist zu einem Großteil auf mangelnde Motivation zurückzuführen. Den Benachteiligten der Gesellschaft, die noch dazu erst Heranwachsende sind, wird es aber schwer fallen, sich selbst und ohne fremde Hilfe zu motivieren. Sie brauchen massive Unterstützung von außen, um Selbst- und Zukunftsvertrauen zu entwickeln. Hauptschüler sind passiver und wenig bereit, für einen Arbeitsplatz Opfer zu bringen. Aber: Häufig sind sie einfach unsicherer, resignativer und vom familiären Hintergrund her limitiert. Wenn es am Wohnort nicht gelänge, einen Arbeitsplatz zu finden, käme es für 40% der Hauptschüler durchaus in Frage, erst einmal nichts zu tun und weiterzuhoffen. Sie sind also ’schicksalsergebener‘ und haben weniger Vertrauen in Eigeninitiativen. Für Realschüler und Gymnasiasten kommt es hingegen nur zu 29% bzw. 24% in Frage, erst mal nichts zu unternehmen. Für 48% der Hauptschüler kommt es keinesfalls in Frage, für eine Arbeitsstelle in eine andere Stadt zu ziehen, bei den Realschülern sind es nur 38%, bei den Gymnasiasten 26%. Es lässt sich daraus ableiten, dass Hauptschüler unsicherer sind und im Durchschnitt aus finanziell schlechter gestellten Familien kommen. Die Hauptschüler wären eher bereit, auf einen anderen Beruf auszuweichen (63%) als die Realschüler (57%) und die Gymnasiasten (47%). Sie geben ihre Wünsche schneller auf und nehmen den Ausbildungsplatz, der sich ihnen bietet. … Mehr Unterstützung von Staat, Schule und Wirtschaft gewünscht Jugendliche im Berufsfindungsprozess wünschen sich mehr Unterstützung vom Staat, von der Schule und von der Wirtschaft bzw. den Unternehmen. Mehr Einsatz wird also vor allem von den Institutionen gefordert, die bislang weniger in die Berufsentscheidung einbezogen wurden. Ihr Angebot an Jugendliche scheint zum Teil noch zu gering und noch zu wenig bedarfsgerecht zu sein. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen würde sich diese Unterstützung verstärkt von ihrer Schule (58%), der Arbeitsagentur (56%) und den Betrieben (47%) wünschen. So gut wie erwünscht wäre dagegen mehr Hilfestellung von den Gewerkschaften (9%). Auch Jugendorganisationen (14%) und die Industrie- und Handelskammern (19%) sind nur bedingt Stellen, von denen Jugendliche gerne mehr Unterstützung erfahren würden. Auffallend ist auch hier wieder: Je pessimistischer die berufliche Zukunftsperspektive, desto lauter der Ruf nach mehr Unterstützung – vor allem in Richtung Staat, Wirtschaft und Schule. Festzuhalten bleibt: Angebote zur Unterstützung des Berufsfindungsprozesses sind willkommen. Wichtig für die grundsätzliche Akzeptanz der Unterstützung ist das ‚magische Dreieck‘: Staat – Wirtschaft – Schule. Fazit Die Situation Jugendlicher auf dem Arbeitsmarkt ist bekanntermaßen besorgniserregend – und eine nachhaltige Verbesserung ihrer Situation derzeit nicht in Sicht: Obwohl vor dem Hintergrund der bevorstehenden Überalterung der Gesellschaft die Integration junger Menschen in das Erwerbsleben von besonders großer Bedeutung ist, verfestigt sich die Jugendarbeitslosigkeit zunehmend auf relativ hohem Niveau. Der steigenden Ausbildungsplatznachfrage bei Jugendlichen steht ein geringer werdendes bzw. auf zu niedrigem Niveau verharrendes Ausbildungsplatzangebot gegenüber. Diese insgesamt prekäre Situation spiegelt sich auch in den Einschätzungen und Erwartungen der Jugendlichen selbst wider: Mehr als jeder dritte Jugendliche macht sich große Sorgen, ob er einen Ausbildungs- oder einen festen Arbeitsplatz bekommt. Fast genauso groß ist die Angst, später einmal den Arbeitsplatz zu verlieren. Vier Fünftel der Jugendlichen sind der Ansicht, dass es nicht genügend Arbeitsplätze gibt und etwa ebenso viele sind der Meinung, dass Schüler mit Hauptschulabschluss speziell bei der Lehrstellensuche, aber auch bei der anschließenden Arbeitsplatzsuche benachteiligt werden. Was die berufliche Orientierung betrifft, so wundert es in Anbetracht der zahllosen Informationsquellen zum Thema Berufsorientierung nicht, dass von den Jugendlichen weniger ein Mangel an Informationen zur Berufswahl beklagt wird, als vielmehr die Schwierigkeit, sich in diesem Informationsdschungel zurechtzufinden – dies wird schulformübergreifend von etwa der Hälfte aller Schüler konstatiert. Der beruflichen Orientierung in der Schule werden lediglich Stärken und Hilfestellungen im formalen, und damit didaktisch leicht zu vermittelnden Bereich zugeordnet. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen würde sich eine stärkere Unterstützung wünschen. Sehr eindrucksvoll zeigt sich, dass die Jugendlichen in erster Linie sich selbst in der Verantwortung sehen, wenn es um einen guten Start in den Beruf geht. Welche Schlussfolgerungen lassen sich hieraus für eine Erfolg versprechende Verbesserung von Strategien zur Integration junger Menschen in die Arbeitswelt ableiten? Allgemein gilt: Insbesondere Jugendlichen, die Schwierigkeiten beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt haben, müssen deutlich stärker unterstützt werden – und zwar von allen gesellschaftlichen Gruppen. Es sind gerade die Hauptschüler, die am meisten Hilfestellung brauchen. Indem man ihre Berufsperspektiven verbessert und ihnen dadurch mehr Selbstvertrauen gibt, hilft man, ein problematisches Potenzial an frühen Aussteigern zu verringern. Der Wert einer Gesellschaft misst sich unter anderem daran, welchen Respekt sie ihren Schwächsten zollt. Den Hauptschülern die Chance zu einer besseren Integration in die Berufswelt zu finden, heißt, einem Drittel der nachwachsenden jungen Generation wieder Mut für ihre berufliche Zukunft zu machen. … “
Quelle: http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-0A000F0A-F749B06E/stiftung/CBP05-Studie-Jugend_und_Beruf.pdf