Dr. Henning Schierholz, b+a consult: 25 Jahre berufliche Benachteiligtenförderung: Ein Hauch von Abschiedsstimmung “ Alle Jahre wieder: Auch im Herbst 2005 fehlen in Deutschland mehrere zehntausende Ausbildungsplätze und nur durch die Anstrengungen der Beruflichen Schulen, aber auch der außerbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen kann die vorhandene Lücke – insbesondere, aber nicht nur in Ostdeutschland – dann noch einigermaßen geschlossen werden. Etwa 30.000 Jugendliche in Sonderprogrammen, ca. 20.000 in der beruflichen Benachteiligten- und Behindertenförderung und in der Spitze mehr als 100.000 in Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen sind mittlerweile ein eigenständiges Segment im Berufsbildungssystem mit teilweise ordentlicher, teilweise aber auch recht zweifelhafter Qualität. Denn nun geht die Bundesagentur für Arbeit, maßgeblicher Finanzier dieser Angebote, Zug um Zug daran, ihre neue Einkaufs- und Geschäftspolitik auch in diesen Bereich zu übertragen, früher maßgebliche sozial- und bildungspolitische Ziele aufzugeben. Mit zentralisierten und standardisierten Ausschreibungen über „Regionale Einkaufszentren“ wird alles unter das Verdikt der Ökonomie (dort „Wirkung und Wirtschaftlichkeit“ genannt) gestellt um die Angebote massiv zu „verschlanken“: Kürzere Laufzeiten bei den berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (BVB), (erheblich) abgesenkte Personalschlüssel, eine übertriebene Betriebs- und Praktikumsorientierung und eine starke Individualisierung und Flexibilisierung der Angebote sind der vorherrschende Trend. Vor allem aber übt die Bundesagentur massiven Druck auf die Anbieterpreise aus, indem Qualitätsstandards abgesenkt, aber auch Dumping-Anbieter in der Trägerlandschaft bedient (in manchen Regionen sogar bevorzugt) werden, die ihren „festen freien Mitarbeiter/innen“ monatliche Löhne/Gehälter von 1300 € und weniger für Vollzeitstellen bezahlen. Die gegenwärtige Ausschreibungspraxis der Bundesagentur für Arbeit mit zentralisierten Verfahren nach der Verdingungsordnung für Leistungen (VOL/A) erweist sich für Qualität und Verstetigung der beruflichen Förderung benachteiligter Jugendlicher momentan als schwerer Klotz am Bein. Unter den Anbieter ziehen diejenigen immer stärker den kürzeren, die die Benachteiligtenförderung in den achtziger und neunziger Jahren zwar aufgebaut haben, in letzter Zeit aber kaum noch neue Aufträge erhalten, weil etliche wirtschaftsnahe und/oder im Niedrigpreissektor angesiedelte Träger die Trägerlandschaft in der BNF kräftig (etwa zulasten ortsnaher/kleinerer Anbieter) durcheinandergewirbelt und verändert haben. Etliche Anbieter, z.B. große Diakonische Stiftungen, der Katholische Fachverband für Mädchenarbeit IN VIA oder auch Volkshochschulen haben sich jüngst bereits aus diesem Bereich verabschiedet ( und weitere dürften folgen). In der BNF ist viel erreicht worden (sogar mehr als ursprünglich in den achtziger Jahren intendiert) – mit ihrem Instrumentarium sind in den letzten 25 Jahren mehrere zehntausend Jugendlichen zu einem anerkannten Berufsabschluß geführt worden, solange der Grundsatz „Qualifizierte Berufsausbildung für alle Jugendlichen“ politisch über die Parteigrenzen hinweg handlungsleitend war. Der Paradigmenwechsel in der Arbeitsförderung (für das die Hartz-Gesetzgebung symbolisch steht) hat aber auch vor ihr nicht Halt gemacht und knabbert nunmehr langsam aber sicher auch den o.g. Grundsatz an, denn was soll schon eine qualifizierte Berufsausbildung für einen Personenkreis, der nach Auffassung vieler auf dem Arbeitsmarkt ohnehin nicht mehr gebraucht wird. Dies kann auch nicht dadurch kompensiert werden, dass von Bund, Ländern, EU, Kommunen und privaten Stiftungen mittlerweile eine Vielfalt von Förderprogrammen für zehntausende von Jugendlichen aufgelegt worden sind, von denen allerdings ein größerer Teil eher der Statistikbereinigung dient und das Profil der BNF strukturell verunklart haben. Da konnte kaum trösten, dass auf der Fachtagung sowohl die Erfolge aber auch die Defizite klar herausgearbeitet und Perspektiven/Forderungen zur bildungspolitischen Stabilisierung der beruflichen Benachteiligtenförderung aufgestellt wurden , die aber, etwa im Forum Bildung, vor fünf Jahren zumeist auch schon in ähnlicher Form benannt wurden. Dass ordnungspolitisch die Uhren in der beruflichen Benachteiligtenförderung jetzt in jeder Hinsicht anders gehen machte der Vertreter des NRW-Arbeitsministeriums in der Abschlußpodium deutlich, als er sich für eine Dualisierung bereits der Sek I-Schulbildung stark macht und die verstärkte Stufung anerkannter Ausbildungsgänge (samt einem stärkeren Engagement der Betriebe für die Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher) einforderte. Dass damit die klassische BÜE und abH-Angebot weiter an Bedeutung (und auch an Wert verlieren werden) dürfte auf der Hand liegen. Der „Fachbeirat Benachteiligtenförderung“ bei der Bundesagentur für Arbeit wird nunmehr aufgelöst, und bei den Trägervertretern war deutlich zu spüren, dass das Sonderprogramm des Bundes zur Verbesserung der Berufschancen von Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf ( „BQF-Programm“) nun langsam dem Ende zugeht. „Strukturelle Konsolidierung“ des Fördersystems hatte es sich unter anderem auf die Fahnen geschrieben – dass sie sich als solide Umstrukturierung der erprobten Trägerlandschaft entpuppt hätten sich die meisten ExpertInnen vor einigen Jahren noch nicht träumen lassen. So auch der mehrheitliche Tenor einer Fachtagung die Fachtagung zu „ 25 Jahre berufliche Benachteiligtenförderung: Vom Modellprogramm zur Daueraufgabe“, die das Bundesinstitut für Berufsbildung in Kooperation mit der Universität Hannover kürzlich in Bonn veranstaltete näheres unter: www.bibb.de/gpc. “
Quelle: ‚Erziehung und Wissenschaft‘ Heft 12/2005, mit freundlicher Genehmigung des Autors