Fünf Jahre Hartz IV – Eine Bilanz

WAS HAT HARTZ IV GEBRACHT?
Der Übergang von aktiver zu aktivierender Arbeitsmarktpolitik wurde 2005 mit der Einführung des SGB II – im Volksmund Hartz IV – vorerst abgeschlossen. Ziel der größten Sozial- und Arbeitsmarktpolitik-Reform in Deutschland war es, möglichst vielen Menschen über die Teilhabe dem Erwerbsleben gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen. Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sollte deshalb in erster Linie darauf ausgerichtet sein, die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zu eigenverantwortlichem und autonomen Handeln zu befähigen. Daraus sollte die Aufnahme einer – möglichst bedarfsdeckenden – Erwerbsfähigkeit resultieren.

Auch wenn das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) eine positive Bilanz zieht – „Der Arbeitsmarkt hat profitiert“ – ist eine unbestrittene Schwachstelle, die passgenaue Vermittlung Langzeitarbeitsloser. Hinzu kommen Mängel in der Förderung von Personen mit spezifischen Bedarfen sowie die zu wenig auf individuelle Bedarfslagen zugeschnittenen Hilfsangebote wie Kinderbetreuung für Alleinerziehende.

Hartz IV – Ein Leistungssystem, das vielfältigen Anforderungen gerecht werden muss: Mitnichten handelt es sich um ein Leistungssystem ausschließlich für Langzeitarbeitslose. Ebenfalls Teil sind Arbeitslosenversicherung, Bezieher von Arbeitslosengeld, dessen Höhe zum Leben nicht ausreicht, Beschäftigte, deren Einkommen zur Deckung des Lebensunterhaltes zu gering ist, sowie jeweils deren Angehörigen. Alle die, die mit einer Person die Hartz IV-Leistungen bezieht, in einer Haushaltsgemeinschaft leben, werden einbezogen.

Grundlage der Unterstützung von Hilfsbedürftigen Menschen ist das Fördern und Fordern. Doch scheint eine faire Balance von Fördern und Fordern in den fünf Jahren nicht erreicht worden zu sein. Die Anforderungen an Leistungsempfänger und Arbeitslose überwiegen den positiven Elementen des Förderns.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisiert das Gesetz und stellt zur Verbesserung der Situation von Arbeitslosen eine Reihe von Forderungen auf. Auszüge aus der Veröffentlichung des DGB „5 Jahre Hartz IV – keine Erfolgsstory“:
>>… Hartz IV steht für das Zweiklassensystem in der Arbeitsförderung. Die Ansprüche und Rechte in der Arbeitslosenversicherung sind grundsätzlich besser als im Fürsorgesystem Hartz IV. Diese ungleiche Behandlung ist nicht nur ungerecht, sondern auch verwaltungsaufwändig. Nach der regierungsamtlichen Evaluation der Hartz Gesetze liegt hier die „Achillesferse der deutschen Arbeitsmarktpolitik“. Die Spaltung der Arbeitsförderung in ein Versicherungs- und Fürsorgesystem lässt diese in Konkurrenz zueinander treten. Es gibt einen Arbeitsmarkt, aber zwei unterschiedliche VermittIungs- und Integrationssysteme mit den entsprechenden unterschiedlichen gesetzlichen Grundlagen und unterschiedlichem Behördenaufbau. Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz verlieren, durchlaufen beide Systeme oft hintereinander, mit viel bürokratischer Doppelarbeit.

Sind sie in der Arbeitslosenversicherung vor dem Zwang zur Annahme auch niedrigst entlohnter Beschäftigung noch besser geschützt, ändert sich dies nach dem Wechsel ins Hartz IV System. Umgekehrt haben sie es im Versicherungssystem schwerer, wenn notwendig, flankierende soziale Leistungen wie Kinderbetreuung oder Schuldnerberatung zu erhalten. Hartz IV, bzw. die Einrichtung der Jobcenter, steht auch für eine organisatorische Fehllösung von Anfang an. … Die zahlreichen Schnittstellen zu den anderen Sozialgesetzbüchern verursachen bis heute ungelöste Probleme in der Praxis. Vor allem die Verzahnung mit der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch mit der beruflichen Rehabilitation und den Rechten von Menschen mit Behinderung ist unzureichend. Ausbildungssuchende Jugendliche werden bspw. je nach Einkommenssituation ihrer Eltern entweder der Arbeitslosenversicherung oder dem Hartz IV-System zugeordnet.

Hartz IV hat die Ausbreitung des Niedriglohnsektors begünstigt. Die verschärfte Zumutbarkeitsregelung, die Eingliederungspolitik – Hauptsache schnell und egal zu welchen Bedingungen – sowie eine oftmals unzureichende Qualitätskontrolle, sowohl bei Vermittlungsangeboten als auch bei Eingliederungsmaßnahmen, haben dies begünstigt. Eine nachhaltige Eingliederung in den Arbeitsmarkt oder die längerfristige Entwicklung beruflicher Aufstiegswege werden im Hartz IV-System völlig vernachlässigt.

In der Summe weist Hartz IV keine faire Balance von Fördern und Fordern auf. …

WESENTLICHE ZIELE NICHT ERREICHT
„Die zentrale Zielsetzung besteht darin, die Eingliederungschancen der Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger in ungeförderte Beschäftigung zu verbessern, insbesondere durch besonders intensive Beratung und Betreuung und Einbeziehung in die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die anders als die kommunalen Aktivitäten überörtlich ausgerichtet ist“, heißt es in der Gesetzesbegründung vom 05.09.2003.

* Auf den ersten Blick scheint Hartz IV in den letzten 5 Jahren zu einem spürbaren Abbau der Arbeitslosigkeit beigetragen zu haben. Die offizielle Zahl der hilfebedürftigen Arbeitslosen lag im November 2009 immerhin um 580.000 bzw. 21 Prozent niedriger als im Durchschnitt des Jahres 2005. Dazu beigetragen haben dürfte aber auch die relativ gute Konjunktursituation der vergangenen Jahre sowie die aktuellen beschäftigungsstabilisierenden Maßnahmen auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Überzeichnet wird dieser Rückgang der Arbeitslosigkeit jedoch durch die steigende Zahl von Hartz IV-Empfängern, die zwar nicht als arbeitslos aber als arbeitsuchend geführt werden. Hierzu zählen bspw. Hilfeempfänger, die sich in Maßnahmen befinden, mangels Alternativen noch zur Schule gehen und dennoch suchen oder auch (vorübergehend) erwerbstätig sind und mehr arbeiten möchten. Im Schnitt des Jahres 2005 wurden im Hartz IV System 857.000 Hilfeempfänger als arbeitsuchend geführt. Ihre Zahl hat sich nahezu kontinuierlich bis 2008 auf 1,349 Mio. erhöht und lag im November 2009 bereits bei 1,448 Mio. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit geht folglich mit einem Anstieg der Hilfebedürftigen in gleicher Größenordnung einher, die als nicht arbeitslose Arbeitsuchende geführt werden. …

Auch die Zahl der Hilfeempfänger insgesamt (einschließlich der Kinder) konnte zwar in der Phase der wirtschaftlichen Erholung verringert werden, liegt aber immer noch auf dem Niveau von 2005. Während 2005 rd. 6,756 Mio. hilfebedürftige Personen gezählt wurden, waren es im November 09 immer noch 6,717 Mio. Dabei hat die Finanz- und Wirtschaftskrise bisher vorrangig zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Arbeitslosenversicherung geführt und weniger im Hartz IV System.

* Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit wenig aussagefähig
In den Jahren 2007 und 2008 ist die offizielle Zahl der Langzeitarbeitslosen zurückgegangen, jedoch ist der Rückgang weitgehend parallel mit der Entwicklung der Arbeitslosigkeit insgesamt verlaufen, so dass der Anteil der Langzeitarbeitslosen immer noch bei 33,3 Prozent liegt.

Doch diese offiziellen Daten sind wenig aussagefähig, da jede Krankmeldung oder Teilnahme an kurzzeitigen Trainingsmaßnahmen oder Ein-Euro-Jobs zu einer Unterbrechung bzw. statistischer Beendigung der Arbeitslosigkeit führt. Das IAB ermittelte, dass drei Viertel der Leistungsempfänger heute ununterbrochen seit 12 Monaten im Leistungsbezug sind. 45 Prozent der Bedarfsgemeinschaften sind sogar seit Einführung von Hartz IV ununterbrochen auf diese Leistung angewiesen. …

ARM TROTZ ARBEIT BEI SINKENDEM ARBEITSVOLUMEN
Hartz IV hat viel weiter in den Arbeitsmarkt und die Struktur des Arbeitsmarktes eingegriffen als dies auf den ersten Blick deutlich wird. Der Arbeitsmarkt sollte nicht nur flexibler werden, sondern durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors neue Beschäftigung entstehen. Durch Absenkung der Unterstützungsleistungen und Verschärfung der Zumutbarkeit sollte der Druck erhöht werden, auch niedrig bezahlte Arbeit anzunehmen.

Tatsächlich ist die Zahl der Erwerbspersonen mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in 2007/2008 erstmals auf über 40 Mio. angestiegen. Ursache für die zunehmende Erwerbstätigkeit war hauptsächlich die Zunahme von Teilzeitarbeit, zu der auch die sogenannten Minijobs zählen; aber auch das hohe Niveau der Ein-Euro-Jobs.

Vergleicht man die Aufschwungjahre 2000 (vor Hartz IV) und 2008 (nach Hartz IV), dann ist durch die Deregulierung des Arbeitsmarktes per Saldo keinesfalls mehr Beschäftigung entstanden. In 2000 betrug das Volumen aller geleisteten Arbeitsstunden 57,6 Milliarden, in 2008 jedoch nur 57,5 Milliarden. Mit der Ausbreitung atypischer Beschäftigung ist demnach zwar ein Anstieg der Erwerbstätigkeit beobachtbar, allerdings kein zusätzliches Arbeitsvolumen. …

Die Dramatik der Entwicklung zeigt noch mehr ein Vergleich mit 1995, also zehn Jahre vor Einführung von Hartz IV. Während im Jahr 1995 nur 110.000 (davon war die Hälfte in Teilzeit beschäftigt) Menschen so wenig verdienten, dass sie ergänzend Sozialhilfe beziehen mussten, waren dies 12 Jahre später 1,3 Millionen. 586.000 sind in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, davon 71 Prozent in Vollzeit. D. h. knapp 420.000 Personen waren trotz Vollzeitbeschäftigung auf Hartz IV angewiesen. Innerhalb eines knapp zehnjährigen Zeitraums hat sich die Zahl der Vollzeitbeschäftigten, die gleichzeitig Sozialleistungen beziehen müssen, verzehnfacht. …

ATYPISCHE ARBEIT VERSCHÄRFT DIE PROBLEME
Während reguläre Beschäftigung zurück geht, geschieht der Aufbau von Beschäftigung sehr oft über atypische Beschäftigung. Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen, dass die Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse deutlich zugenommen hat, während gleichzeitig das sogenannte Normalarbeitsverhältnis zurückgegangen ist. Zwischen 1997 und 2007 sind 1,5 Mio. Normal-Arbeitsplätze verloren gegangen, während die Zahl der atypisch Beschäftigten um 2,5 Mio. zunahm.

Die atypische Beschäftigung verstärkt den Trend zu niedrigen Löhnen zusätzlich. Während bei allen Beschäftigten nur 14 Prozent im Niedriglohnsektor arbeiten, sind es bei den Minijobbern 90 Prozent, bei sv-pflichtigen Teilzeitbeschäftigten 23 Prozent und bei vollzeitbeschäftigten Leiharbeitern sogar 71 Prozent.

Vor allem die Zielgruppe der Geringqualifizierten findet über den Umweg Minijob oder Leiharbeit keine stabile Beschäftigung, gleichzeitig ist für die Beschäftigten das Arbeitslosenrisiko beträchtlich. Selbst in guten Zeiten beträgt der Klebeeffekt bei Leiharbeit 15 Prozent, zurzeit geht der Klebeeffekt gegen Null.

DGB-FORDERUNGEN
1. Hartz IV vermeiden
* Rahmenfrist für Arbeitslosengeld I verlängern
Viele instabile und befristet Beschäftigte könnten von der Abhängigkeit von Hartz IV verschont bleiben, wenn die gültige zweijährige Rahmenfrist für die notwendigen Beitragszeiten zumindest um ein Jahr verlängert würde. Dann könnte der Absturz in Hartz IV gebremst und vielleicht sogar verhindert werden. … Der Schutz der Arbeitslosenversicherung muss darüber hinaus dringend ausgebaut werden, vor allem dann, wenn die Krise länger andauert.

* Ein Überbrückungsgeld nach Auslaufen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld I.
Für ein weiteres Jahr soll dadurch ein Abrutschen in Hartz IV-Bedürftigkeit vermieden werden. Das Überbrückungsgeld wird in Höhe des Arbeitslosengeldes gezahlt. Die Finanzierung erfolgt je zur Hälfte aus Beiträgen und Steuern, damit die gesamte Gesellschaft zur Finanzierung einer krisenbedingten Folge beiträgt.

* Vorgelagerte Systeme weiter ausbauen
… Der Kinderzuschlag muss auf 200 Euro (aktuell 140,-) pro Kind erhöht werden und Steigerungsbeträge für ältere Kinder analog der Regelsatzstaffelung bei Hartz IV eingeführt werden. …

* Regelsätze armutsfest machen

3. Arbeitsförderung zielgenau ausbauen
… Der Instrumenteneinsatz ist bisher wenig zielgenau. Die Maßnahmezuweisung entspricht nicht nur bei Ein-Euro-Jobs oftmals einer Zufallsverteilung. Durch zielgenaue Maßnahmen und eine ganzheitliche Betreuung könnte eine höhere Effektivität erreicht werden. Zugleich sollten die Beschäftigung stabilisierenden Maßnahmen, wie nachgehende Betreuung, ausgebaut werden. Die sozial flankierenden Leistungen der Kommunen müssen dringend ausgebaut und eine an der persönlichen Problemlage ausgerichtete Steuerung eröffnet werden. …

5. Keine Sanktionen bei Jobs unter 7,50 Euro
Hartz IV-Empfänger sind verpflichtet, jede Arbeit anzunehmen (Ausnahme: Die Arbeitsbedingungen sind sittenwidrig). Da den Arbeitgebern diese „Zwangslage“ bekannt ist, werden vielfach unangemessen niedrige Löhne gezahlt. Sanktionen gegen Hartz IV-Bezieher sollten deswegen nur dann erfolgen, wenn eine Arbeit abgelehnt wird, bei der tarifliche Vereinbarungen gelten. Wenn keine tariflichen Vereinbarungen vorliegen, sollte mindestens ein Stundenlohn von 7,50 Euro gezahlt werden. Bei niedriger Bezahlung sollte der Arbeitsuchende frei entscheiden können, ob er das Arbeitsangebot annimmt oder nicht. << Die Veröffentlichung ‚arbeitsmarkt aktuell‘ in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang. Die Bilanz des Instituts für Arbeitmarkt- und Berufsforschung ist ebenfalls im Anhang oder über aufgeführten Link abzurufen. http://www.dgb.de
http://www.iab.de
http://www.iab.de/194/section.aspx/Publikation/k091214a07

Quelle: DGB; IAB; BMAS

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