Kleine Inseln des Friedens – Salesianer in Bethlehem organisieren Berufsbildung und interreligiösen Dialog

Kleine Inseln des Friedens  – Salesianer in Bethlehem organisieren Berufsbildung und interreligiösen Dialog Artikel von Annette Kaiser, Salesianer Don Bosco “ „Allahu akbar, allahu akbar …” schallt es durch die Straßen der Stadt. „Allahu akbar, allahu akbar,“ fällt der nächste Lautsprecher ein, dann folgt noch ein dritter aus der entgegensetzten Richtung. Einen regelrechten Wettkampf um den lautesten Weckruf liefern sich die Ausrufer der muslimischen Gemeinden. Vier Uhr morgens in Bethlehem. Früher drängten sich täglich Pilger, Prozessionen und Touristenströme durch die schmalen Gassen der Geburtsstadt Jesu. Inzwischen sind die meisten Geschäfte am Freitag, dem muslimischen Feiertag, geschlossen. Und statt Kirchenglocken rufen die Lautsprecher von den Minaretten ihre Gläubigen zum Gebet. Doch Pater Nikola (57) sieht’s gelassen. „Ich habe mich schon dran gewöhnt. Und schlafen kann ich trotzdem gut,“ sagt der Priester vom katholischen Orden der Salesianer Don Boscos schmunzelnd. Seit 1891 ist der Orden in Bethlehem aktiv, leitet in der Altstadt ein Berufsbildungs- und Jugendzentrum. Höchstens 300 Meter sind es von hier aus bis zur prächtig dekorierten Moschee am Krippenplatz, direkt gegenüber der berühmten Geburtskirche Jesu. Von außen sieht man nur ein graues Eisentor mit der Aufschrift „Don Bosco Technical Center“, daneben ein Pförtnerhäuschen. Bis auf eine kleine Kapelle im Inneren des Gebäudes weist nichts darauf hin, dass es sich um eine christliche Einrichtung handelt. Die Nachbarn sind da weniger bescheiden. „Im Umkreis von sechs Kilometern gibt’s 12 Moscheen,“ sagt der italienische Pater Nikola. „Vor drei Jahren stand hier erst eine.“   Von der einstigen Wiege des Christentums ist im Bethlehem von heute nicht allzu viel zu spüren. Vor zehn Jahren hat die palästinensische Autonomiebehörde die Verwaltung übernommen. Etwa 65 Prozent muslimische und 35 Prozent christliche Palästinenser leben hier, Tendenz sinkend. „Viele Christen wandern aus zu Verwandten nach Schweden, Südamerika oder in die USA.“ Das sieht man auch im Stadtbild. Wer durch die historischen Gassen der Altstadt schlendert, fühlt sich eher an die Türkei oder Nordafrika erinnert. Man sieht viele verschleierte junge Frauen, die Arm in Arm spazieren gehen. Das ist neu: Bis vor ein paar Jahren habe er kaum eine Frau mit Kopftuch gesehen, so Pater Nikola. „Eine Reaktion auf die erzwungene Isolation. Heute wird ein westliches Erscheinungsbild von immer mehr muslimischen Palästinensern als �Pro Israel’ abgelehnt.“   Mit „erzwungener Isolation“ meint der Priester den Bau des so genannten Sicherheitszauns. Denn Bethlehem ist eine Stadt der Eingeschlossenen. Neun Meter hoch und 130 km lang ist die Mauer, die sie um Bethlehem und die übrigen palästinensischen Gebiete hochgezogen haben. „Welcome to the ghetto“ hat jemand auf die graue Betonwand gesprüht, die von Stacheldraht umgeben ist. Eine ironische Anspielung auf das Warschauer Ghetto im Zweiten Weltkrieg. Völlig abwegig ist der Vergleich nicht. Schwer bewaffnete Wachposten der israelischen Armee stehen heute vor dem Checkpoint und bestimmen, wer nach Bethlehem hinein und wer hinaus darf. Die meisten müssen drin bleiben. Für die Einwohner von Bethlehem eine Katastrophe. „Wir leben in einem großen Gefängnis. Und es wird jeden Tag schlimmer,“ sagt Buchhändlerin Adriana (36). Seit Jahren hat die syrisch-orthodoxe Christin ihre Geschwister nicht gesehen. Denn die wohnen in Nazareth. Ihr Mann, vorher Facharbeiter in einer Glasfabrik in Jerusalem, verlor durch den Bau der Mauer seinen Job. „Ohne mein Einkommen könnten wir nicht überleben. Ich habe zwei Kinder und muss zusätzlich meine Eltern versorgen.“ Kein Einzelfall. Seit dem Mauerbau hat sich die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung rapide verschlechtert: Etwa 65 Prozent der Männer und Frauen in Bethlehem sind arbeitslos, eine soziale Abfederung existiert nicht. Nicht nur, dass vielen Palästinensern der Weg zum Arbeitsplatz versperrt ist. Auch Pilger, Touristen und Israelis, die früher gerne zum Shopping kamen, bleiben aus. Hotels, Restaurants und Bürozeilen stehen leer. Die kleinen Schnitzerwerkstätten und Touristencafes in den verwinkelten Gassen der Altstadt sind zwar geöffnet, locken mit günstigen Preisen und bunter Beleuchtung. Aber auf Kundschaft warten sie vergeblich. „Wir werden hier kollektiv für Verbrechen bestraft, die radikale Einzeltäter begangen haben,“ beschreibt Adriana die allgemeine Stimmung. „Dabei haben wir mit denen nichts zu tun.“ Vor allem die jungen Leute leiden unter der Isolation und Stagnation. In den Frust über das erzwungene Nichtstun mischt sich Aggression. In diese Nische stoßen die Salesianer mit ihrem Angebot. Das Don Bosco-Berufsbildungszentrum in Bethlehem ist die einzige technische Schule in Bethlehem. 116 Schüler aus armen Familien machen hier derzeit eine dreijährige Ausbildung zum Radio- oder TV-Elektroniker, Mechaniker, Elektriker, Schreiner oder Keramiker. Rund 40 Euro kostet das Schulgeld im Monat – etwa die Hälfte der üblichen Gebühren an anderen privaten Bildungseinrichtungen. Darüber hinaus gibt’s einjährige Weiterbildungskurse für junge Schulabbrecher und Bewerbungstraining für Arbeitslose, an denen 130 junge Männer teilnehmen.       „Berufliche Qualifikation ist die einzige Chance für die Jugendlichen,“ sagt der italienische Pater Jacques Amateis (47), der ebenfalls in der Don Bosco-Einrichtung arbeitet. „Damit können sie sich in Bethlehem selbständig machen, nach Ramallah oder nach Gaza gehen. Dort brauchen sie dringend Techniker, Ingenieure, PC-Spezialisten. Wer eine besondere Qualifikation hat, findet auch bei den Israelis einen Job.“ Die Ausbildung bei den Salesianern sei staatlich anerkannt, betont Pater Jacques. Zudem beschränken sich die Salesianer nicht auf die Vermittlung technischer Kenntnisse. Den Vorstellungen von Ordensgründer Don Bosco entsprechend geben die Salesianer ihren Schülern christliche Werte wie die Nächstenliebe, Toleranz, Respekt  sowie eine differenziertere Sicht der Situation mit auf den Weg. „Wir sagen den jungen Arabern zum Beispiel, dass durchaus nicht alle Israelis den Bau des Sicherheitszauns unterstützen. Und dass Racheakte die Situation nur verschlimmern, nicht verbessern.“ 49 der Berufsschüler sind Christen, 81 sind Muslime. „Unsere Türen stehen allen offen, egal welcher Religion oder Herkunft.“ Einer der Schüler ist der 16-jährige Thabet, Moslem und im zweiten Lehrjahr. Seine Ausbildung bei den Salesianern sieht der junge Palästinenser als Sprungbrett. Er will später an die Uni in Hebron und Ingenieur werden. Seine Cousins seien bereits zur Don Bosco-Schule gegangen und hätten ihm davon erzählt, so der Junge. Was sagen die Eltern dazu, dass er die Don Bosco-Schule besucht? „Sie waren dafür,“ sagt Thabet. „Für sie zählt, dass die Ausbildung gut ist und die Lehrer sich intensiv um uns kümmern.“ Darüber hinaus hätten ihn die Salesianer auf Übereinstimmungen zwischen den Religionen aufmerksam gemacht. „Freundschaft, Respekt vor den Eltern und Hilfsbereitschaft stehen auch bei uns Moslems hoch im Kurs.“ Allerdings sei es nicht so einfach, diese Ideale im Alltag umzusetzen. So sei es schwierig, Vergebung und Nächstenliebe zu praktizieren, wenn man täglich einen Sicherheitszaun mit Stacheldraht vor Augen hätte.  Für muslimische Schüler wie Thabet gibt’s zweimal pro Woche Islamkunde bei einer muslimischen Religionslehrerin. Vor extremistischen Inhalten haben die Salesianer dabei keine Angst.  „Wir prüfen den Stundenplan und machen gelegentlich, Stichproben,“ sagt Pater Nikola. „Doch bisher haben wir noch nie Probleme gehabt.“ Auch im Jugendzentrum, dessen Freizeitangebote täglich im Schnitt von 80 Jungen und Mädchen angenommen werden, mischen sich die religiösen Gruppen. Dabei kommt es auch schon mal zu Reibereien. „Ein christliche Berufsschüler hat mich zum Beispiel gefragt, warum wir nicht nur Christen ausbilden,“ sagt Pater André Haddad (30). „Auf der anderen Seite hat schon mal ein junger Moslem behauptet, die Christen hätten in Palästina nichts zu suchen.“ Doch das Verhältnis zwischen Christen und Moslems sei grundsätzlich gut, betont der junge Priester, der selbst Araber ist. Erst in der letzten Zeit hätten die religiösen Spannungen etwas zugenommen. Seine Beobachtungen bestätigen auch andere Einwohner. „Einmal haben mir ein paar Jugendliche die Fenster eingeschlagen, weil ich alkoholische Getränke verkaufe,“ erzählt eine christliche Restaurantbesitzerin. Die hätten außerdem von ihr verlangt, das Restaurant am Freitag zu schließen. Ihre Zukunft in Bethlehem sieht die Mutter von drei Kindern eher kritisch. „Wir haben keine Lobby. Die Israelis misstrauen uns, weil wir Araber sind. Und die Muslime misstrauen uns, weil wir Christen sind.“ Auch Pater Nikola gibt zu, dass der Weg zu Frieden und Versöhnung noch weit ist. Aber seinen Optimismus verliert der quirlige Priester deshalb nicht. Sein Ziel sei, kleine Inseln des Friedens in einem Meer von Unruhe zu schaffen. Bei den Salesianern könnten die Jugendlichen schon mal lernen, wie man Vorurteile überwindet. „Wenn sich dadurch das Verhältnis zu den Israelis entspannt, ist das ein Schritt in die richtige Richtung.“ “

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