Deutschpflicht auch auf Schulhöfen? Die Herbert-Hoover-Realschule im Berliner Stadtteil Wedding hatte die Pflicht zum Deutsch sprechen vor gut einem Jahr mit Zustimmung der Eltern in ihre Hausordnung aufgenommen. Jetzt ist die Sache öffentlich geworden und wird nicht weniger kontrovers diskutiert als der ‚Gesprächsleitfaden für die Einwanderungsbehörden‘. Anschließende Auszüge aus Meldungen geben den Stand der Diskussion wieder. Nur Deutsch auf dem Schulhof? “ Berliner Schule verbietet ausländische Sprachen – Wenig Verständnis in Bund und Ländern Deutsch lernen – auch in der Pause. Das sollen die Schüler einer Berliner Realschule. Dort wurden kurzerhand alle ausländischen Sprachen auf dem Schulhof verboten. In anderen Bundesländern findet das erst einmal keine Nachahmer. … Das sächsische Kultusministerium bezeichnete die Verpflichtung zum Deutsch Sprechen … wegen des hohen Ausländeranteils in Berlin als nachvollziehbar. In Sachsen sei eine solche Anweisung aber wegen der ganz anderen Zusammensetzung der Bevölkerung nicht notwendig. Das bayerische Kultusministerium kritisierte die Regelung der Berliner Schule als Einschränkung der Persönlichkeitsentfaltung. Die Berliner Herbert-Hoover-Realschule, bei der die Quote von Schülern mit nichtdeutscher Muttersprache bei mehr als 90 Prozent liegt, verpflichtet ihre Schüler, auf dem Schulhof und bei Schulveranstaltungen nur Deutsch zu sprechen. Lehrer begrüßen Maßnahme Der Beschluss war bereits im vergangenen März gefasst worden. Nachdem darüber berichtet worden war, war Empörung laut geworden. Während Berliner Türken und auch die Linkspartei.PDS im Berliner Abgeordnetenhaus das Verbot verurteilten, begrüßten Bildungssenator Klaus Böger (SPD) und der Deutsche Lehrerverband die Maßnahme ausdrücklich. … Auch das Schulministerium in Nordrhein-Westfalen erklärte, eine Anweisung, nach der auf Schulhöfen nur Deutsch gesprochen werden dürfe, sei ’nicht im Sinne der Landesregierung‘. Es gebe bessere Wege zur Integration ausländischer Schüler, ‚beispielsweise die vorschulische Sprachförderung‘. Es habe in der Vergangenheit einige Schulen in Ostwestfalen gegeben, die über eine Deutschpflicht nachgedacht hätten. Diesen sei aber geraten worden, das nicht umzusetzen. ‚Verbote ungeeignet‘ In Rheinland-Pfalz ist nach Angaben des Bildungsministeriums landesweit keine Schule bekannt, die ein Verbot ausländischer Sprachen auf dem Schulhof angeordnet hat. Dass im Unterricht Deutsch gesprochen werde, stehe auf einem anderen Blatt, sagte Pressesprecher Wolf-Jürgen Karle. Es gebe auch keine Überlegungen der Schulbehörden, alle Schulen in Rheinland-Pfalz anzuweisen, dass auf den Pausenhöfen nur noch Deutsch geredet werden dürfe: ‚Verbote und Zwangsmaßnahmen sind kein geeignetes Mittel für die Sprachförderung.‘ Das Kultusministerium in Baden-Württemberg erklärte, man habe zu diesem Thema keine Überlegungen angestellt. In den zuständigen Ministerien in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern hieß es, dies sei wegen des geringen Ausländeranteils im Land ‚kein Thema‘. Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, begrüßte die Deutschpflicht an der Berliner Schule. ‚Spracherwerb findet nicht allein im Unterricht statt‘, erklärte die CDU-Politikerin. ‚Gerade an Schulen mit einem hohen Anteil von Migrantenkindern ist diese Selbstverpflichtung angemessen, um das sprachliche Lernumfeld zu erweitern und Deutsch im Alltag der Schülerinnen und Schüler stärker zu verankern.‘ Die Akzeptanz bei Schülern und Eltern zeige, dass ein richtiger Weg beschritten werde. ‚Es würde mich freuen, wenn dieses Beispiel Schule macht‘, sagte Böhmer.“ mit Material von AP, (heute.de vom 24.1.2006) Thierse fordert Deutschpflicht “ Bundestagsvizepräsident sieht Initiative der Herbert-Hoover-Realschule als Beispiel für ernsthaftes Bemühen um Integration. … Wolfgang Thierse (SPD) hat sich für Deutsch als Pflichtsprache auf Schulhöfenausgesprochen. … In der von vielen Migranten besuchten Schule in Wedding war eine Hausordnung erlassen worden, wonach auf dem gesamten Schulgelände ausnahmslos Deutsch gesprochen werden soll. Der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) sowie die Grünen und die Linkspartei.PDS kritisierten die Verordnung. ‚Integration lässt sich nicht mit Pausenreglementierungen erzwingen‘, sagte die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, den ‚Stuttgarter Nachrichten‘. TBB-Sprecher Eren Ünsal sagte, ’niemand, auch nicht der Schulsenator oder ein Schulleiter, darf eine Sprache verbieten.‘ Der migrationspolitische Sprecher der Berliner Linkspartei.PDS, Giyasettin Sayan, sprach von einer hilflosen Geste, die zur Lösung von Integrationsproblemen nichts beitrage. Ünsal bezweifelte den pädagogischen Sinn der Verfügung. ‚Uns ist sicherlich bewusst, dass das Erlernen und Sprechen der deutschen Sprache sehr wichtig ist, aber mit Verboten wird man das Gegenteil erreichen.‘ Das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen werde dadurch nicht gefördert. Der Leiter des Zentrums für Türkeistudien, Faruk Sen, begrüßte hingegen Deutsch als Pflichtsprache: ‚Wer in Deutschland Karriere machen will, soll in der Schule ausschließlich Deutsch sprechen‘, sagte er den ‚Stuttgarter Nachrichten‘. Das sei keine diskriminierende Maßnahme – anders als der Einbürgerungstest für Muslime, der eine ‚Islamphobie‘ schüre. Auch beim Deutschen Lehrerverband (DL) fand die Hausordnung Zustimmung. … Die Deutsch-Pflicht könne auch helfen, die Entstehung von Parallelgesellschaften zu verhindern. Die Herbert-Hoover-Realschule hatte die Pflicht zum Deutsch sprechen vor gut einem Jahr mit Zustimmung der Eltern in ihre Hausordnung aufgenommen. Es sei ein Gebot der Höflichkeit, dass jeder jeden versteht, hatte Schulleiterin Jutta Steinkamp den Vorstoß begründet. …“ (Berliner Morgenpost vom 24.1.2006) Deutschpflicht an Schulen sollte Schule machen “ Zur Diskussion um die Deutschpflicht an einer Berliner Schule erklärt die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Prof. Dr. Maria Böhmer: ‚Spracherwerb findet nicht allein im Unterricht statt. Der Beschluss von Berliner Schulen, Deutsch auf dem gesamten Schulgelände vorzuschreiben, ist daher eine begrüßenswerte Maßnahme, die meine Unterstützung findet. Gerade an Schulen mit einem hohen Anteil von Migrantenkindern ist diese Selbstverpflichtung angemessen, um das sprachliche Lernumfeld zu erweitern und Deutsch im Alltag der Schülerinnen und Schüler stärker zu verankern. Ja zu Deutsch im gesamtenschulischen Leben heißt auch Ja zur Integration. Gute Deutschkenntnisse sind nicht nur eine Grundvoraussetzung für die Verständigung von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlicher Familiensprache untereinander sie stellen auch eine bessere Bildung sicher. Das hier ein richtiger Weg beschritten wird, zeigt die Akzeptanz dieser Regelung bei den Schülerinnen und Schülern wie bei den Eltern. Es würde mich freuen, wenn dieses Bespiel Schule macht.'“ (Pressemeldung der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung vom 24.1.2006) Deutsch auf dem Schulhof ist Pflicht “ An einem Projekt im Berliner Stadtteil Wedding scheiden sich die Geister. Deutsch als Pflichtsprache auch auf dem Schulhof, bei Wandertagen oder Klassenfahrten – dieses Reizthema erregt in Berlin die Gemüter. … ‚Ich stehe voll hinter dem Verbot, eine andere Sprache als Deutsch zu sprechen‘, sagt Schulsenator Klaus Böger (SPD). Einen Verstoß gegen das Grundgesetz sieht dagegen der Schul-Experte der Grünen, Özcan Mutlu. Die Befürworter … berufen sich darauf, dass der Pflichtsprachen-Beschluss gemeinsam von Schülern, Eltern und Lehrern getragen werde. Die Schulleiterin teilte mit, dass seitdem die Zahl der Anmeldungen von Schülern um bis zu 20 Prozent gestiegen sei. Zu den Gegnern der umstrittenen Maßnahme … gehört auch die Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Rose-Marie Seggelke. ‚Die Deutsch-Pflicht ist völlig absurd.‘ In einer multikulturellen Gesellschaft könne nicht angeordnet werden, dass Deutsch die einzige ‚zugelassene‘ Sprache sei.“ (KStA vom 23.1.2006) Deutschpflichttrifft auf blanke Nerven “ Die Empfindlichkeiten in der Integrationsdebatte sind hoch wie nie. Das zeigt der Fall einer Weddinger Realschule. Dort einigten sich Eltern, Lehrer und Schüler, auf dem Schulgelände nur Deutsch zu sprechen. Obwohl von einem Sprachverbot keine Rede ist, reagieren Migrantenvertreter allergisch. … während der Schulzeit auf dem Schulgelände nur Deutsch gesprochen werden soll. Soll, wohlgemerkt, denn ein ausdrückliches Verbot anderer Sprachen gibt es nicht. Ebenso wenig wie Kontrollen der Einhaltung oder gar Strafen bei Nichteinhalten der Schulregel. Dennoch sollte der Vereinbarung Nachdruck verliehen werden: Deshalb unterschreiben bei Schuleintritt alle neuen Schülerinnen und Schüler die Hausordnung ihrer Schule, in der unter anderem auch die Übereinkunft über das Deutschsprechen steht. Dies alles ist schon seit eineinhalb Jahren so – und hat bisher niemanden interessiert. Geschweige denn jemandem Schaden zugefügt. Klagen waren jedenfalls bislang nicht zu hören. Doch nun kam die Sache an die Öffentlichkeit, und das Echo ist enorm. Grundgesetzwidrig sei die Regelung, nationalistisch, von ‚Sklaventreibermentalität‘ ist die Rede und sogar der Vergleich mit dem Verbot der kurdischen Sprache in der Türkei ist zu hören, wenn man sich dieser Tage mit Vertretern der Zuwanderer und ihrer Organisationen unterhält. Sie bewerten die Regelung der Weddinger Schule mehrheitlich als ‚Muttersprachen-Verbot‘, das nicht geduldet werden könne. Jutta Steinkamp, die Direktorin der Weddinger Realschule, … will die Chancen ihrer Schülerinnen und Schüler auf dem Arbeitsmarkt verbessern. … die Debatte um die als ‚Muttersprachenverbot‘ missverstandene Schulregel fällt in eine erregte Zeit. Der unsägliche Muslim-Test in Baden-Württemberg ist dabei nur das jüngste Glied einer langen Kette von Ereignissen und Diskussionen, die zu der Erhitzung geführt haben. Auch die beruflich und damit ökonomisch ausweglos schlechte Lage vieler Migranten und die Einschnitte durch Hartz IV bestärkten, so Ünsal, viele Zuwanderer in dem Gefühl, ausgegrenzt und diskriminiert zu werden, von der Mehrheitsgesellschaft unerwünscht zu sein. Da werde eine Regelung wie die an der Weddinger Schule zum Zündfunken: ‚Denn wir sitzen auf einem Pulverfass, und wenn die Dinge so weiter laufen, dann könnte das irgendwann explodieren.‘ Dem, was an der Weddinger Schule tatsächlich Sache ist, wird dabei kaum Aufmerksamkeit gezollt. Darf man der Darstellung von Direktorin Jutta Steinkamp und einiger Schüler der Hoover-Realschule Glauben schenken, dann ist der Abstimmungsprozess über die Vereinbarung geradezu vorbildlich demokratisch gelaufen. Bevor die Schulversammlung aus Vertretern von Eltern, Lehrern und Schülern über die Deutschklausel entschieden habe, sei in allen Klassen der Schule darüber diskutiert und abgestimmt worden. Nur 2 von 14 Klassen hätten sich damals dagegen ausgesprochen. Schüler- und Elternvertreter verteidigen ihre Schulregel bis heute. Glaubt man Direktorin Steinkamp, dann hat die Regelung an ihrer Schule deren Beliebtheit noch gesteigert: Gerade Familien mit Migrationshintergrund meldeten ihre Kinder gerne dort an. Dass sie das als Erfolg wertet, spricht für sie. Denn es gibt viele Schulen in Berlin, die in einem wachsenden Anteil migrantischer Kinder keine besondere Auszeichnung sehen. Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, …Das Ziel, die Deutschkenntnisse der Kinder zu fördern, sei richtig. ‚Die Methode der Schule ist aber falsch.‘ Mutlu hatte die Regelung jüngst publik gemacht. ‚Ein besorgtes Elternpaar‘ habe ihm die Schulordnung mit der umstrittenen Regelung gezeigt, sagt der Grüne. Ihren Namen hätten die Eltern aus Angst vor Repressalien von Seiten der Schule nicht angeben wollen. Und die Direktorin habe ein klärendes Telefongespräch mit ihm zunächst verweigert. Immerhin diese Kommunikationsstörung wird also demnächst behoben werden.“ von Alke Wierth (taz Berlin vom 26.1.2006) Zweisprachigkeit unterstützen “ Türkische Eltern: Deutschpflicht auf Schulhöfen widerspricht dem Gesetz Nach dem Türkischen Bund Berlin-Brandenburg hat jetzt auch die Föderation Türkischer Elternvereine in der Bundesrepublik die Deutschpflicht an der Weddinger Herbert-Hoover-Realschule scharf verurteilt. Der Bundesvorsitzende Ertekin Özcan forderte Berlins Bildungssenator Klaus Böger (SPD) und die Schulkonferenz der Realschule auf, ‚diese Praxis sofort zu beenden‘. Das Sprachenverbot widerspreche dem Schulgesetz. Die Zweisprachigkeit vieler Kinder sollte nicht verboten, sondern unterstützt werden. Um die Integration zufördern, verlangen die Eltern … mehr vorschulische Sprachförderung. … Das Verbot sei ‚diskriminierend, nutzlos und verletzt menschenrechtliche Standards‘, schreiben die Jusos Berlin Mitte in einem offenen Brief an den Schulsenator. Auch der Verband Bildung und Erziehung hat die Deutschpflicht als ‚bizarre Integrationsmaßnahme‘ kritisiert. Unterstützung für die Schule kommt dagegen vom Zentrum für Türkeistudien. Deutsch als verbindliche Sprache sei ein effektiver Weg, ausländische Kinder besser zu integrieren, sagte der Direktor der Stiftung, Faruk Sen.“ (Berliner Morgenpost vom 26.1.2006)
Quelle: http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/5/0,3672,3725509,00.html http://morgenpost.berlin1.de/content/2006/01/24/berlin/806214.html http://www.integrationsbeauftragte.de http://www.ksta.de http://www.taz.de/pt/2006/01/26/a0269.1/text.ges,1 http://mor