Die Rütli-Schule und der Integrationsaufschrei

Vor einigen Tagen wurde die eskalierte Situation an der Berliner Rütli- Hauptschule in der Öffentlichkeit bekannt. Seitdem wird eine breite Diskussion mit so vielen verschiedenen inhaltliche Ansätzen geführt, dass man fast den Überblick verliert. Drohen Parallelgesellschaften die Mehrheitsgesellschaft zu vernichten? Ist die Integrationspolitik gescheitert? Wird die Ausländerproblematik vorgeschoben, um von anderen Schwierigkeiten abzulenken? Gehört Gewalt und Terror an Schulen zum Alltag für Schüler und Schülerinnen in Deutschland? Ist das Schul- und Bildungssystem in Deutschland noch zeitgemäß? Wie lauten die Antworten auf die Herausforderungen, vor die uns die Vorgänge in der Rütli-Schule stellen? Der Schulbischof Engelbert Siebler betont, Bildung sei wichtiger als Leistung. Die Integrationsabeauftragte der Bundesregierung Böhmer kündigte einen nationalen Aktionsplan an. Vorwürfe, die Politik verbaue eine erfolgreiche Integration ausländischer MitbürgerInnen, wurden laut. Schulsozialarbeit soll Lehrkräften an Brennpunktschulen Hilfe leiten. Mit einer Zusammenstellung von Kommentaren, Stellungnahmen, Auszügen aus Presseberichten und politischen Reden stellen wir die oben genannten Fragen zur Diskussion. *Schindler: ‚Die Rütli-Schule und der Integrationsaufschrei‘ Ein Kommentar von Brigitte Schindler (Referentin BAG Katholische Jugendsozialarbeit): “ Erschreckend ist, was nach dem Aufschrei aus der Rütli-Schule nun in Politik und Medien geschieht. Hier scheinen, fast schon besessen, die meisten leider ziemlich undifferenziert und ohne sich ein fundiertes und genaueres Urteil über die Ursachen zu bilden, die Sündenböcke ausgemacht zu haben. Die vielen Ausländer – political correct heißt das „der hohe Ausländer- oder MigrantInnenanteil“. Kaum die Rede von Brennpunktsituation, von sozialem Milieu, von der Aussichtslosigkeit von HauptschulabgängerInnen eine Lehrstelle zu finden, kaum die Rede von der Klassenstärke, von den Bedingungen am Arbeitsmarkt, wo HauptschülerInnen ja kaum mehr eine Chance haben, eine Lehrstelle zu bekommen, kaum die Rede davon, warum bewährte Mittel wie Schulsozialarbeit in fast allen Bundesländern gekürzt bis gestrichen werden. Es ist auch nicht die Rede davon, dass Gewalt und Kriminalität auch in anderen Schulen vorkommt, wo der AusländerInnenanteil nicht so hoch ist, wie nicht nur die Beispiele in Hildesheim oder Gardelegen zeigten. Es wird nicht der Eindruck erweckt, dass es darum geht, die Situation benachteiligter Kinder und Jugendlicher verbessern zu wollen. Dieser könnte erreicht werden, wenn laut darüber nachgedacht würde, was benachteiligte Kinder und Jugendliche benötigen, um sich in diese Gesellschaft sozial und wirtschaftlich integrieren und an der Gesellschaft partizipieren zu können. Benachteiligte Jugendliche sind nicht nur AusländerInnen, das sind Deutsche, AusländerInnen, Deutsche mit Migrationshintergrund, Deutsche mit Sprachproblemen, Jugendliche mit und ohne Hauptsschulabschluss, Deutsche und AusländerInnen die aus Familien kommen, die seit Generationen von Sozialhilfe leben und an der Schule, wie „Pisa“ zeigte weiter ausgegrenzt werden, etc., etc.. So haben Sprachtests in niedersächsischen Kindergärten zu Tage gebracht, dass auch ein hoher Anteil „deutschstämmiger“ Kinder enorme Sprachdefizite aufweisen und einer Sprachförderung bedürfen. Was brauchen benachteiligte Kinder und Jugendliche in Brennpunktstadtteilen? Erstaunlich ist, dass trotz jahrzehntelanger Erfahrung der verschiedensten sozialen Projekte und Träger hier immer noch so getan wird, als müssten hier völlig neue Methoden und Maßnahmen entwickelt werden. Es gibt mannigfaltige gute und bewährte Mittel, benachteiligte Kinder und Jugendliche adäquat zu fördern. Die Jugendsozialarbeit hat hierbei die vielfältigsten und besten Erfahrungen und das entsprechende know how. Gegen den Rat verschiedenster Fachleute wurden jedoch die Mittel für die Integration massiv gekürzt. Die KürzerInnen schreien jetzt nach einem Integrationsgipfel. Bei der Schulsozialarbeit hat bereits der heraufbeschworene föderale Wettbewerb eingesetzt, jedoch in falscher Richtung: Hier heißt es mittlerweile welches Bundesland kürzt schneller, weiter und mehr. Schulverweigerer Projekte gibt es fast nur, wenn vom Bund finanziert, Kreise und Länder halten sich hier meist föderal zurück. Dieser Wettbewerb wird nicht dazu führen, dass Eltern von Schulverweigerern in das Bundesland ziehen, das die besten Konzepte hierfür fördert. Die Zustände an der Schule, also Gewalt und Kriminalität, so muss man leider die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Frau Prof. Böhmer verstehen, „seien ein alarmierender Hinweis auf eine Parallelgesellschaft, in der Werte und Regeln des Zusammenlebens nicht mehr greifen“. Sie plädiert für eine bessere Integration. Ob man jedoch eine bessere Integration erreicht, indem eine Integrationsbeauftragte ganz selbstverständlich Gewalt und Kriminalität mit Ausländern zusammenbringt, ist zu bezweifeln, Wer diese Vorurteile schürt, verstärkt nicht gerade die Bereitschaft der Unternehmer, ausländischen SchulabgängerInnen einen Lehrvertrag zu geben und der Bevölkerung die immer noch und wieder stärker werdenden Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund aus bestimmten Ländern abzubauen. Wenn auch noch von einem unserer Ministerpräsidenten das „Ende der Toleranz“ angekündigt wird, muss man gerade als wertorientierte Organisation ins grübeln kommen. Leider scheint es hier mehr um die so genannte „Lufthoheit über den Stammtischen“ zu gehen, als um eine verantwortliche, von christlichen Werten geprägte Politik für ein menschenwürdiges Dasein, das gerade unseren jungen Mitmenschen Chancen und berechtigte Hoffnungen auf ein halbwegs erfülltes und sinnhaftes Leben bietet. Die Integrationspolitik unseres Landes und die Haltung vieler Menschen war ja die letzten Jahrzehnte weniger von Toleranz, also einem aktiven Verhalten, das sich bewusst mit Fremdheit, anderen Kulturen, Religionen und dem Zusammenleben etc. auseinandersetzt, in Dialog tritt, durchaus auch in kritischen, geprägt, als vielmehr von Ignoranz. Das geht natürlich nur solange gut, solange es keine oder wenige oder nicht offensichtlich werdende Probleme gibt. Diese entstehen nun aber zusehends, sowohl aufgrund des Umbaus der Arbeitsgesellschaft als auch aufgrund der wirtschaftlichen Situation. Und sie entstehen nicht nur für ausländische Jugendliche, wenn auch in verstärktem Maße, sondern auch für viele Jugendliche der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Deshalb wäre es erfreulich, wenn nun des Ende der Ignoranz verkündet würde, zugunsten benachteiligter Jugendlicher, egal welcher Nationalität, Herkunft und Geschlecht. Konzepte gibt es genug. Fachliches know how ebenfalls. Allein die Erkenntnis, dass für die Förderung benachteiligter Jugendlicher kurzfristige und sporadische Mittelvergaben „wenn’s brennt“ wenig Sinn machen, vielmehr langfristige und auch präventive Angebote notwendig sind, hat sich bei Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern auf kommunaler, Kreis-, Landes und Bundesebene noch nicht wirklich durchsetzen können. So differenziert die Problematik rund um die Gewalt- und Schuldiskussion zu betrachten ist, so langfristig und nachhaltig sind die entsprechenden Konzepte von der Frühförderung, den Kinderbetreuungsangeboten, Ganztagsschulen, Schulsozialarbeit, Sprachkursen, Maßnahmen für den Übergang Schule und Beruf, berufsbegleitende Angebote etc. etc. zu planen und zu finanzieren. Je früher mit der Förderung begonnen wird, umso größer sind die Chancen für diese Kinder und Jugendlichen. Es geht immer hin um unsere Jugend, um unsere Zukunft und um menschenwürdiges und hoffnungsfrohes Leben. “ (Brigitte Schindler) * Schulbischof: ‚Bildung ist wichtiger als Leistung Auszüge aus Engelbert Sieblers Statement: “ Im Zusammenhang mit den Gewaltproblemen an einer Berliner Schule hat der katholische Schulbischof Engelbert Siebler davor gewarnt, die Hauptschule schlecht zu reden. Es gebe auch andere Beispiele, wo ein vorbildhaftes Zusammenarbeiten von Eltern, Schülern und Lehrern praktiziert werde, sagte der Münchner Weihbischof am Freitag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Das Grundübel liegt seiner Ansicht nach darin, dass die Gesellschaft seit Jahren eine geringe Meinung von schulischer Bildung habe stattdessen zähle immer nur die Leistung. Die Länder sparten speziell an den Hauptschulen, monierte Siebler. „Dabei muten wir diesem Schultyp Aufgaben zu, die die Gesellschaft als Ganze nicht leistet.“ Diese Entwicklung habe zur Folge, dass die dort unterrichteten Jungen und Mädchen oftmals das Gefühl hätten, nichts wert zu sein und keine Zukunft zu haben das schwäche ihr Selbstvertrauen. Dabei wäre es wichtig, sie in ihrer Persönlichkeit zu stärken. Eine begleitende Sozialarbeit, die der Staat an den Schulen ermögliche, sei grundsätzlich zu begrüßen, meinte der Bischof. Doch damit werde bereits zugegeben, dass Lehrer und Schüler ein Problem hätten und sich der Staat mehr kümmern müsse. Deswegen habe die Deutsche Bischofskonferenz auch vor zwei Jahren in dem Schreiben „Den Schüler stark machen“ neue Wege angemahnt. … “ (KNA – 3949) * Wagner, bildungspolitischer Sprecher von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ‚Gewaltprobleme an der Schule können nicht abgeschoben werden Die Pressemitteilung im Wortlaut: “ ‚Abschieben ist keine Lösung.‘ Mit diesen Worten reagiert der bildungspolitische Sprecher von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Mathias Wagner, auf die heutige Äußerung von Kultusministerin Wolff(CDU), gewalttätige Jugendliche ohne deutsche Staatsbürgerschaft könnten im Extremfall auch abgeschoben werden. ‚Wer dieses Problem allein zu einem Problem von Einwanderern macht, hat die Entwicklung nicht begriffen. Es handelt sich um eine Mischung aus Armut und Perspektivlosigkeit, die ausländische und deutsche Familien in prekären sozialen Lagen gleichermaßen betrifft. In einzelnen Stadtteilen konzentrieren sich Armut, Arbeitslosigkeit und schlechte Bildungschancen. Dies setzt sich auf fatale Weise in der Konzentration der Probleme überwiegend in den Hauptschulen fort.‘ Deshalb wäre es für eine Kultusministerin angebrachter, sich Gedanken über die Zukunft der Hauptschule zu machen, die in bestimmten Bereichen immer mehr zur Restschule wird, anstatt über Abschiebungen zu räsonieren. Unter diesem Gesichtspunkt zeigt sich nach Auffassung der GRÜNEN auch noch einmal die negative Auswirkung der ‚Operation Düstere Zukunft‘, durch die auch soziale Hilfen gestrichen wurden. ‚Notwendig für eine bessere Integration sind auch – aber nicht nur – bessere Kenntnisse der deutschen Sprache. Hinzu kommen müssen mehr echte Ganztagsschulen, gerade in sozialen Brennpunkten, und eine verstärkte Zusammenarbeit mit Jugendhilfe, Betrieben und Vereinen im Stadtteil. Aufsuchende Elternarbeit muss zur Selbstverständlichkeit werden. Der Hauptpunkt aber ist, dass nicht ganze Bevölkerungsschichten vom Arbeitsmarkt und vom kulturellen Leben ausgeschlossen werden dürfen‘, unterstreicht Mathias Wagner. “ (Pressemitteilung vom 3.4.2006) * tagesschau.de: ‚Gewalt an Schulen. Mehr Hilfe für Lehrer an ‚Brennpunktschulen“ Auszüge aus dem Beitrag: “ In der Debatte über eskalierende Gewalt an Schulen hat Bundesbildungsministerin Annette Schavan die Einrichtung von Netzwerken für besonders betroffene Schulen angeregt. Angesichts der Ereignisse an der Berliner Rütli-Hauptschule sagte sie der ‚Financial Times Deutschland‘: ‚Wir brauchen künftig an solchen Brennpunktschulen ein Bündnis für Integration – ein Netzwerk, das intensiv aggressive und orientierungslose Jugendliche begleitet.‘ Dazu sollten Sozial- und Jugendarbeiter künftig direkt in Schulen arbeiten. … Der … Berliner Bildungssenator Klaus Böger kündigte an, … er wolle das Programm ‚Jugendsozialarbeit‘ schneller umsetzen als geplant. Vorgesehen war bislang, vom kommenden Schuljahr an 20 und bis Herbst 2007 insgesamt 50 Sozialpädagogen an Hauptschulen einzusetzen. ‚Das muss jetzt wesentlich schneller gehen‘, sagte der SPD-Politiker. Kauder fordert die ‚ungeschminkte Wahrheit‘ Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, rief dazu auf, die Probleme der Integration von Migranten in Deutschland ungeschminkt darzustellen. Der Fall der Rütli-Hauptschule zeige, ‚wie sehr sich die Realität gerade in Großstädten von der naiven Vorstellung multikultureller Straßenfestromantik entfernt hat‘, schrieb der CDU-Politiker für die ‚Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung‘. … Der Berliner SPD-Abgeordnete Klaus Uwe Benneter prangerte die ‚Doppelzüngigkeit‘ vieler Unionspolitiker an und nannte dabei namentlich den brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und Kanzlerin Angela Merkel. Benneter wies darauf hin, dass im Bundeshaushalt 68 Millionen Euro weniger für Integration ausgegeben werden sollten. ‚Herr Schäuble soll erst einmal dieses Geld für den Sprachunterricht von Ausländern zur Verfügung stellen und nicht pharisäerhaft solche Vorgänge nutzen, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren‘, so Benneter. “ (tagesschau.de vom 3.4.2006) * BAG Jugendsozialarbeit: ‚Prävention an Schulen stärken – Schulsozialarbeit als Regelangebot verankern‘ Auszüge aus der Presseinformation: “ Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um Gewalt an Schulen, ausgelöst durch den Brandbrief des Lehrerkollegiums der Berliner Rütli-Schule, fordert die BAG Jugendsozialarbeit, dass an allen Schulen Angebote der Jugendhilfe, insbesondere der Schulsozialarbeit als Regelangebote installiert werden. Nach Auffassung der BAG Jugendsozialarbeit hat sich gezeigt, dass Lehrerinnen und Lehrer alleine überfordert sind, um die zunehmende Gewalt vor allem an Schulen in sozialen Brennpunkten in den Griff zu bekommen. Sie benötigen Unterstützung der schulbezogenen Jugendsozialarbeit, die eine wertvolle Ergänzung zum schulischen Angebot bietet und mit ihrer Arbeit die Integration ausländischer SchülerInnen fördert. Darüber hinaus leistet sie einen Beitrag zur Gewaltprävention an Schulen. Gerade die Perspektivlosigkeit vieler Schülerinnen und Schüler an so genannten Problemschulen ist häufig eine Triebfeder für eskalierende Gewalt. Hier setzen die Angebote der Schulsozialarbeit an, die die Schülerinnen und Schüler dabei unterstützen, eine Perspektive zu entwickeln und notwendige Qualifikationen zu erwerben, die ihnen den Übergang von der Schule in den Beruf erleichtern. … Die BAG Jugendsozialarbeit fordert die zuständigen politischen Entscheidungsträgerinnen und –träger auf, die hierfür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. … “ (Pressemitteilung vom 4.4.2006) * Neue Züricher Zeitung: ‚Bankrott der deutschen Integrationspolitik. Eine überforderte Berliner Hauptschule schlägt Alarm‘ Auszüge aus dem Beitrag: “ Die Zustände an einer Berliner Hauptschule haben der Debatte über die Versäumnisse der Integrationspolitik neue Nahrung gegeben. Doch selbst in Berliner Problemvierteln gehen die einzelnen Schulen unterschiedlich mit der Herausforderung Migration um. In den vergangenen Monaten erörterte die deutsche Politik ausgiebig, ob es der Integration förderlich ist, wenn Ausländer wissen, dass die Rhön ein deutsches Mittelgebirge ist. Über Einbürgerungstests und Eidesformeln für Neubürger wurde diskutiert, als sei dies das Schlüsselelement gelungener Integration. Mit einem Brief an die Schulverwaltung sorgten nun die Lehrer der Berliner Rütli- Hauptschule dafür, dass sich die Debatte wieder auf die eigentlichen Probleme konzentriert. … Vandalismus, Tätlichkeiten gegen Mitschüler und Lehrer und ein durch Schwänzen oder Störaktionen dokumentiertes Desinteresse gegenüber dem Unterricht sind keine Seltenheit. “ (Neue Zürcher Zeitung vom 3.4.2006) * Reitz: ‚Integration ist das Haupt-Thema – Schule knallhart‘ Auszüge aus einem Kommentar von Ulrich Reitz, erschienen in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung: “ … Man kann es sich einfach machen. Wie Stoiber. Und mal schnell fordern, Ausländer rauszuwerfen, die sich nicht integrieren wollen. Nur wird er dem Hauptthema, der zu oft daneben gegangenen Integration ebenso wenig gerecht wie jene, die schon immer wussten, dass die Hauptschule abgeschafft gehört. Wer die Restschule auflöst, wird damit nicht den ‚Rest‘ los. Wenn für Hauptschüler, vor allem mit Migrationshintergrund, Klassenzimmer und Schulhof zur Kampfzone um Macht und Anerkennung werden, wenn nur Respekt bekommt, wer anderen seine Sprache und die archaisch-männliche Wertewelt aufzwingt, dann haben wir nur vordergründig ein Schul-Problem. … Sie erfahren, dass es aus ihrer Unterschichten- Biografie keinen Ausweg gibt. Irgendwann schlägt Frust in Gewalt um. Das gute an der aufgebrochenen Debatte ist die Empfehlung, jenseits konservativer wie linker Lebenslügen sich nun ganz lebenspraktisch an die Integrations-Arbeit zu machen. … “ (WAZ vom 3.4.2006) * Prantl: ‚Deutschland und seine Zuwanderer. Die zweite Deutsche Einheit‘ Auszüge aus einem Kommentar von Heribert Prantl, erschienen auf Sueddeutsche.de: “ Es gibt zehn Regeln, an die man sich halten muss, um den Ausländern in Deutschland den Weg zur Integration erfolgreich zu verbauen. Der Politik ist es seit dem Aufruhr über die Zustände an der Rütli-Schule in Berlin gelungen, viele dieser Regeln zu beherzigen. Erste Regel: Sobald Missstände bekannt werden, muss man sie generalisieren und als Beweis für die sozialen und sonstigen Gefahren betrachten, die von ethnischer Andersartigkeit ausgehen. … Zweite Regel: Man muss bei der Reaktion auf Hilferufe wie die der Rütli-Hauptschule möglichst oft mit „Abschiebung“ und „Rückführung“ drohen, auf dass auch die Einwanderer, die schon in der dritten Generation in Deutschland sind, nicht das Gefühl bekommen, dass sie auf Dauer hier bleiben dürfen. … Dritte Regel: Die Neubürger, die einen deutschen Pass haben, sollen nicht glauben, dass sie damit wirklich schon richtige Deutsche sind. … Es könnte sich ja als notwendig erweisen, dass man ihnen die Staatsbürgerschaft bei Fehlverhalten wieder aberkennen muss. … Vierte Regel: Man sollte die Schulen noch mehr als bisher als Fehlersuchmaschine betrachten, die die Schüler möglichst früh sortiert: Wer ganz wenig kann, kommt in die Sonderschule oder in eine Ausländer-Spezialklasse wer wenig kann, bleibt an der Hauptschule wer ein wenig mehr kann, darf aufsteigen. Um dem Erziehungsauftrag der Schulen gerecht zu werden, sollte man die echt oder vermeintlich schwer erziehbaren Kinder möglichst früh aus dem normalen Schulverband herausnehmen. Es ist zu teuer und zu schwierig, die Fähigkeiten und Talente von schwierigen Jugendlichen zu fördern. Fünfte Regel: Wer die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrscht, ist daran selber schuld und muss dementsprechend behandelt und ausgegliedert werden. … Sechste Regel: Wer dazu gehören will, soll sich gefälligst besonders anstrengen: Wer die Hauptstädte der deutschen Bundesländer nicht aufzählen, wer die höchsten Berge der deutschen Mittelgebirge nicht nennen kann, der kennt sich offenbar in Anatolien besser aus als hier – und sollte sich nach dorthin orientieren. Siebte Regel: Man bleibe bei der Diskussion der Integrationsprobleme möglichst allgemein und plakativ. … Ausländerpolitik sollte Wahlkampfpolitik bleiben – also eine Politik, bei der man nicht mit den Ausländern, sondern über die Ausländer redet. Achte Regel: Man unterscheide möglichst wenig zwischen der Frage, wer künftig noch als Einwanderer nach Deutschland kommen darf und der Frage, wie diejenigen behandelt werden sollen, die schon lange da sind. … Neunte Regel: Man sollte das Ende der Toleranz ausrufen und, zehntens, von den Ausländern verlangen, dass sie sich assimilieren. Die CDU/CSU hat die Bundeskanzlerin gebeten, einen Integrationsgipfel einzuberufen Einzelheiten darüber, was dort beraten werden soll, konnte Norbert Röttgen, der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, noch nicht nennen. Sollte der Weg zu diesem Gipfel aber mit obigen Regeln gepflastert werden, kann man sich das Treffen sparen. Mit Haudrauf und Wegdamit wird nämlich nur eines erreicht: Die Minderheit flüchtet sich noch mehr in ihr Anderssein. … Es geht um viel, es geht um die zweite deutsche Einheit: um die zwischen Alt- und Neubürgern, also zwischen Bürgern deutscher und ausländischer Herkunft. “ (SZ vom 5.4.2006) * Böhmer: ‚Aus aus Parallelgesellschaften muss ein Miteinander werden‘ Rede der Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin, Dr. Maria Böhmer MdB, in der Aktuellen Stunde „Bundespolitische Folgerung aus den Vorgängen an der Rütli- Hauptschule in Berlin“ am 5. April 2006 im Deutschen Bundestag – Auszüge aus dem Stenografischen Bericht – “ … Wir wissen sehr wohl, worauf es ankommt. Das heißt, wir müssen die Realitäten in den Blick nehmen. … In vielen großen Städten in unserem Land werden wir im Jahr 2010 die Situation vorfinden, dass die Hälfte der unter 40-Jährigen einen Migrationshintergrund hat und die andere Hälfte Deutsche sind. Dann werden wir nicht mehr über Mehrheiten und Minderheiten diskutieren. Daher sind wir nun gefordert, dafür zu sorgen, dass die Integration konkret wird und dass aus Parallelgesellschaften ein Miteinander wird. Hinzu kommt, dass jeder fünfte Schüler, der aus einer Zuwandererfamilie stammt, ohne Schulabschluss bleibt … Bundesweit können 40 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund keinerlei berufliche Qualifizierung vorweisen. Legt man allein diese wenigen Zahlen zugrunde, muss man feststellen, dass in der Tat erhebliche Integrationsdefizite bestehen. Die Zeit des Wegschauens bzw. der Gleichgültigkeit ist vorbei. Wir müssen die Bilanz, die ich gerade genannt habe, zur Kenntnis nehmen und daraus die richtigen Konsequenzen ziehen. Deshalb wird sich die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode schwerpunktmäßig mit dem Thema Integration beschäftigen. … Da ich … die Rütli-Schule besucht habe, kann ich Ihnen sagen: Diese Schule ist ein Sonderfall, aber leider kein Einzelfall. Der Anteil der Schülerinnen und Schülern arabischer Herkunft beträgt dort 43 Prozent 30 Prozent von ihnen sind türkischer Abstammung und 13 Prozent sind deutscher Herkunft. Allerdings möchte ich betonen: Allein die Tatsache, dass der Ausländeranteil an einer Schule hoch ist, muss noch nicht bedeuten, dass dort Gewalt vorprogrammiert ist und dass die Schule und damit die Schülerinnen und Schüler keine Chance haben. … Aber man muss auch die Frage stellen, ob Hauptschullehrer, die in sozialen Brennpunkten tätig sind, vielleicht nicht nur mehr Anerkennung, sondern auch eine Leistungszulage verdient haben. Denn dort, wo Leistung besonders gefordert ist, muss sie, wie ich finde, auch honoriert werden. Zur Forderung nach einer Abschaffung der Hauptschule kann ich nur sagen: Wir müssen von unseren typischen Reflexen Abstand nehmen. Ich weiß, dass der Bund für die Bildung nicht mehr zuständig ist das ist richtig. Aber an dieser Stelle müssen wir uns auf die Stärken der Hauptschule besinnen. Wer die Hauptschule abschreibt, der schreibt auch ihre Schüler ab. Dazu darf es nicht kommen. Wir müssen für eine stärkere Verzahnung von Schule und Betrieb sorgen, die auch praktiziert wird, zum Beispiel an den so genannten SchuB-Klassen in Hessen oder durch das Hamburger Modell. Auch in Berlin gibt es einzelne Schulen, an denen man solche Wege beschreitet. Dort haben die Schülerinnen und Schüler sehr wohl eine Chance. Die Schule muss also gestärkt werden, damit sie in der Lage ist, ihre Aufgaben zu erfüllen. … Deshalb wollen wir als neue Bundesregierung alles daransetzen, dass diejenigen, die einen Migrationshintergrund haben, in der Zukunft bessere Chancen haben, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das haben wir im Ausbildungspakt an der Stelle „Jugendliche mit Migrationshintergrund“ verankert. … Ich will noch ein deutliches Wort zum Erwerb der deutschen Sprache sagen … Es muss gelingen, dass jedes Kind, das die Grundschule besucht, die deutsche Sprache so beherrscht, dass es dem Unterricht von Anfang an voll folgen kann das ist das A und O. Ich sehe, dass die Bundesländer die Kindergärten immer mehr zu Bildungseinrichtungen entwickeln und dass dort frühkindliche Förderung stattfindet. Wir brauchen Sprachstandstests und wir brauchen entsprechende Fördermöglichkeiten. … Das bedeutet, wir müssen Integration konkret machen. Diesen Weg werden wir fortsetzen: Wir arbeiten auf einen nationalen Aktionsplan hin denn wir müssen die Ebenen Bund, Länder und Kommunen verbinden. Wir wollen, dass Kinder in unserem Land Chancen haben, damit sie sich später beruflich integrieren können. Das wird unsere Aufgabe sein das sind die Konsequenzen aus den Vorgängen in der Rütli-Schule. “

Quelle: Brigitte Schindler (BAG KJS) KNA Informationsdienst Inland Nr. 65 April 2006 http://makeashorterlink.com/?O2D5137EC Pressemitteilung bildungspolitischer Srecher von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN http://makeashorterlink.com/?T252216EC http://www.bag-jugendsoz

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