Zur Abgrenzung und Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Jobcenter

Vielerorts gehen die Kommunen dazu über, die Förderung der sozialpädagogischen Leistungen der Jugendhilfe, besonders der Jugendsozialarbeit, zu reduzieren oder ganz einzustellen. Das geht vielfach zu Lasten der Jobcenter. Klarheit über die Vor- oder Nachrangigkeit des SGB VIII gegenüber dem SGB II bringt der Artikel von Prof.Dr. Peter Schruth und Thomas Pütz ‚ZUR ABGRENZUNG UND ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN JUGENDHILFE UND JOBCENTER‘. Der Artikel erschien in der Fachzeitschrift ‚Jugend Beruf Gesellschaft‘, Heft 1 /2006, Hrsg: Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit, Bonn. Auszüge aus dem Beitrag: “ Zur Abgrenzung und Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Jobcenter 1. Leistungskonkurrenz zwischen SGB II und SGB VIII Die Nachrangstellung der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) gegenüber der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zunächst im Kommunalen Optionsgesetz 1 und später im KICK führt dazu, dass nicht wenige öffentliche Träger der Jugendhilfe ihre Förderung der sozialpädagogischen Leistungen der Jugendhilfe, insbesondere der Jugendsozialarbeit, zu Lasten der Jobcenter reduzieren oder beenden. Die Kommunen stützen sich dabei zunächst auf § 10 Abs. 2 SGB VIII, der den Leistungen des SGB VIII zwar grundsätzlich Vorrang gegenüber dem SGB II einräumt, jedoch die Jugendsozialarbeit als nachrangig gegenüber dem SGB II definiert. … Junge Menschen, die unter 25 Jahre alt und nach dem SGB II erwerbsfähig und hilfebedürftig sind, sind unverzüglich nach Antragstellung in Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit zu vermitteln … ihnen ist ein „persönlicher Ansprechpartner“ zur Verfügung zu stellen, … mit ihnen ist eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen … und es sind ihnen nach Bedarf spezifische SGB III-Leistungen, oder weitere Leistungen wie z. B. Schuldnerberatung, Suchtberatung oder psychosoziale Betreuung zu gewähren … Die öffentlichen Träger der Jugendhilfe, die sozialpädagogische Leistungen der Jugendhilfe und der Jugendsozialarbeit zu Lasten der Jobcenter kürzen oder streichen, gehen offensichtlich von der Annahme aus, dass die oben aufgeführten SGB II-Leistungen die Leistungen der Jugendsozialarbeit ersetzen, oder für den Fall, dass die Eingliederung in Arbeit mit SGB II-Instrumenten nicht gelingt, nachrangig machen. Diese Annahme basiert jedoch auf einem unzureichenden Verständnis sozialrechtlicher Leistungskonkurrenzen. … Es handelt sich bei § 10 Abs. 3 SGB VIII vielmehr um eine Kollisionsnorm, die den Fall regelt, dass Leistungskonkurrenzen tatsächlich auftreten, d. h. identische Leistungen sowohl vom SGB II-, als auch vom SGB VIII-Träger im Einzelfall beansprucht werden können. Nur bei identischem Sinn und Zweck der konkurrierenden Leistungen ist der SGB II-Träger vorrangig zuständig. … 2. Vorrang sozialpädagogischer Leistungen des SGB VIII vor den SGB II-Leistungen Der Träger der Jugendhilfe ist, da ein SGB II-Bezug nicht vorliegt, exklusiv zuständig für junge Menschen mit erhöhtem sozialpädagogischem Unterstützungsbedarf gemäß § 13 Abs. 1 SGB VIII … Der Jugendhilfeträger ist ebenfalls zuständig für junge Menschen mit erhöhtem sozialpädagogischen Unterstützungsbedarf gemäß § 13 Abs. 1 SGB VIII, die durch die Eingliederungsmaßnahmen des SGB II nicht erfolgreich integriert werden können. Lässt sich die exklusive Zuständigkeit der Jugendhilfe relativ einfach über Personengruppen eingrenzen, so kann die Entscheidung, ob die Träger des SGB II oder des SGB VIII vorrangig zuständig sind, nur über eine dezidierte Betrachtung der Leistungen erfolgen. … 3. Psychosoziale Betreuung und sozialpädagogische Begleitung … Kern der rechtlichen Bewertung der Leistungskonkurrenzen zwischen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Jugendhilfe ist jedoch § 16 Abs. 2 SGB II und insbesondere die hier allgemein als Eingliederungsleistung definierte „psychosoziale Betreuung“ (Nr.3). Zu klären ist, ob „psychosoziale Betreuung“ im Sinne des SGB II eine konkurrierende Schnittmenge mit der „sozialpädagogischen Begleitung“ des SGB VIII darstellt: Psychosoziale Betreuung als Instrument des SGB II ist stets lohnarbeitszentriert und muss bei erfolgreicher Vermittlung in Arbeit beendet werden. Psychosoziale Betreuung ist, insbesondere für die mit der Jugendsozialarbeit identischen Altersgruppe der 15 bis 25-jährigen jungen Menschen, im Kontext von § 31 Abs. 5 SGB II sanktionsbelastet und ihr Erfolg wird ausschließlich am Eingliederungserfolg in Arbeit gemessen. „Sozialpädagogische Begleitung“ im SGB VIII ist dagegen darauf ausgerichtet, junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern und dazu beizutragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen (§ 1 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII). Jugendhilfe kennt grundsätzlich keine Sanktionierung, sondern ein auf Leistungen der Unterstützung, Beratung, Betreuung bezogenes persönliches Wunsch- und Wahlrecht. … Im Ergebnis wird deutlich, dass sich das „psychosoziale Förderungsverständnis des SGB II und das sozialpädagogische Hilfeverständnis des SGB VIII […] wie �Feuer und Wasser’ gegenüber“ stehen und sie deshalb keine konkurrierenden Leistungen darstellen. 4. Merkmale sozialpädagogischer Hilfen nach § 13 SGB VIII Leistungen der Jugendsozialarbeit nach § 13 SGB VIII haben Vorrang vor Leistungen des SGB II, sofern erstens die Tatbestandsmerkmale des § 13 Abs. 1 vorliegen und es sich zweitens in der Rechtsfolge um sozialpädagogische Leistungen handelt, das sozialpädagogische Profil also Charakteristikum der Leistungen ist. Nach den Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 1 muss es sich um junge Menschen handeln, … die in erhöhtem Maße auf sozialpädagogische Unterstützung angewiesen sind, weil sie sozial benachteiligt oder individuell beeinträchtigt sind. Soziale Benachteiligung liegt immer dann vor, wenn die altersgemäße gesellschaftliche Integration nicht wenigstens durchschnittlich gelungen ist. … Individuelle Beeinträchtigungen sind bei jungen Menschen in erschwerten Lebenslagen gegeben, deren Entwicklung aufgrund von psychischen, physischen oder sonstigen persönlichen Problemen, Behinderungen oder Störungen individueller Art gefährdet und deren Erziehung und (Aus)bildung deshalb beeinträchtigt ist. … Liegen ein oder mehrere der oben genannten Merkmale sozialer Benachteiligung oder individueller Beeinträchtigung vor und ergibt sich daraus im Einzelfall ein erhöhter sozialpädagogischer Unterstützungsbedarf. … 6. Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Jobcenter … Schaut man sich die Zugangs- und Überweisungswege zwischen den jungen Menschen und ihren Hilfeangeboten an, so ist zunächst festzustellen, dass die Jugendämter … für die Klientel der Jugendsozialarbeit keine primäre Anlaufstelle sind. Dies sind vielmehr die Arbeitsagenturen, die Jobcenter und – in begrenztem Umfang – die Angebote freier (und öffentlicher) Träger. An dieser Stelle wird deutlich, dass eine sinnvoll differenzierte Zuweisung von vermittlungs-bezogenen SGB II- und sozial-pädagogisch ausgerichteten SGB VIII-Leistungen bereits am Zugangssystem scheitern könnte, würde doch insbesondere von Mitarbeiter(inne)n der Arbeitsagenturen und Jobcentern verlangt, dass sie die Kriterien der Jugendhilfe kennen und anwenden können. Der „Königsweg“ kann daher nur in einer geregelten Zusammenarbeit zwischen freien und öffentlichen Trägern der Jugendhilfe einerseits und Jobcenter bzw. Arbeitsagenturen andererseits bestehen. … Als Instrumente der Kooperation und Abstimmung bieten sich auf struktureller Ebene die unter Federführung der SGB II-Träger durchzuführenden … Jugendkonferenzen sowie unter Federführung der Jugendhilfeträger die Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII an. … Der Verzicht auf einen gegebenen Vorrang der Jugendhilfe zu Lasten der Jobcenter ist jedoch ein in mehrfacher Hinsicht zweischneidiges Schwert: Die Leistungserbringung nach SGB II unterliegt den gesetzlichen Rahmenbedingungen des SGB II, nicht des SGB VIII. Mit anderen Worten: Die Arbeitsgemeinschaft oder Optionskommune kann aufgrund der vorgegebenen sozialrechtlichen Systematik keine Jugendhilfeleistung einkaufen, da diese bei Anwendung durch den SGB II-Träger automatisch zu einer Leistung der Grundsicherung für Arbeitsuchende wird und damit zwangsläufig ihren Charakter als Jugendhilfeleistung einbüßt. So werden beispielsweise die Hilfeplanung und das Wunsch- und Wahlrecht des SGB VIII durch die Eingliederungsvereinbarung und die Sanktionsmechanismen des SGB II ersetzt. … Fazit: Wem nichts fehlt außer Arbeit, gehört nicht in die Jugendhilfe. Aber: Wo die Sozialpädagogik der Jugendhilfe anfängt, hört die sachliche Zuständigkeit des SGB II-Leistungsträgers auf. “ (Peter Schruth und Thomas Pütz)

http://www.jugendsozialarbeit.info

Quelle: Fachzeitschrift ‚Jugend Beruf Gesellschaft, Heft 1 / 2006 http://www.jugendsozialarbeit.info/jsa/lagkjsnrw/lagweb.nsf/23885d952510f10ec1256f280055d449/cd90580754259bb0c12571550054ebf0/$FILE/Gesamtartikel%20Kooperation.pdf

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