Stellungnahme der in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammenarbeitenden Spitzenverbände.

STELLUNGNHAME DER BAGFW ZUM ENTWURF EINES GESETZES ZUR FORTENTWICKLUNG DER GRUNDSICHERUNG FÜR ARBEITSUCHENDE Auszüge aus der Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege: “ … Der Gesetzentwurf wird von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege differenziert bewertet. Neben positiven Elementen wird er in einigen Punkten den an ihn gerichteten Erwartungen nicht gerecht. Zudem werden wichtige Reformbedarfe, auf die die Wohlfahrtsverbände immer wieder hingewiesen haben, nicht aufgegriffen. … * Zu den Gesetzesänderungen im Einzelnen a. Schaffung einer datenschutzrechtlichen Grundlage für regelmäßige telefonische Befragungen von Leistungsbeziehern der Grundsicherung für Arbeitssuchende durch nichtöffentliche Call-Center (Änderung des § 51 SGB II) / Einrichtung eines Außendienstes zur Missbrauchskontrolle (§ 6 SGB II) … Diese Regelungen sind abzulehnen. Bei einer Befragung durch private Call-Center besteht die Gefahr, dass aus der Nichterreichbarkeit des Leistungsempfängers zu Unrecht auf einen Leistungsmissbrauch geschlossen wird. Die Beauftragung von Call-Centern verursacht zudem erhebliche Kosten, die vordringlich in die bessere Erreichbarkeit der persönlichen Ansprechpartner bei den Trägern der Grundsicherung investiert werden sollten. Ferner besteht keine Notwendigkeit für die obligatorische Einführung eines Außendienstes. Dort, wo für die Bekämpfung von Leistungsmissbrauch die Einrichtung eines Außendienstes als notwendig erachtet wird, ist dies auf der Rechtsgrundlage des § 20 SGB X bereits jetzt möglich. Einige Arbeitsgemeinschaften haben von diesem Instrument auch Gebrauch gemacht. Andere halten die Einrichtung eines solchen Außendienstes aufgrund der Gegebenheiten vor Ort für nicht erforderlich. Diese flexible Handhabung entsprechend der örtlichen Gegebenheiten erscheint sinnvoll und sichert einen bestmöglichen Ressourceneinsatz. Die Notwendigkeit einer weitergehenden Regelung erschließt sich daher nicht. … c. Leistungen für Personen in stationären Einrichtungen (Änderung des § 7 Abs. 4 SGB II) Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, Personen, die in einer stationären Einrichtung untergebracht sind, grundsätzlich aus dem SGB II auszuschließen. Davon ausgenommen sind Personen, die voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus untergebracht sind oder die in einer stationären Einrichtung untergebracht sind und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig sind. Diese Regelung ist entschieden abzulehnen, da sie den Bedürfnissen stationär untergebrachter Personen nicht gerecht wird. Dabei handelt es sich insbesondere um den Personenkreis der sucht- oder psychisch kranken und wohnungslosen Menschen. Sehr viele dieser Hilfeempfänger/innen sind erwerbsfähig und stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, auch wenn sie z. B. zur Überwindung ihrer besonderen sozialen und persönlichen Schwierigkeiten in einer stationären Einrichtung leben. Eine wesentliche Aufgabe der Drogen-, Sucht- und Wohnungslosenhilfe besteht gerade auch in einer Integration aus der Einrichtung heraus in das Erwerbsleben. Wenn sich derzeit ein erwerbsfähiger Hilfeempfänger nach mehr als 6 Monaten Aufenthalt in einer stationären Einrichtung an eine Agentur wendet, um Vermittlung und / oder Eingliederungsmaßnahmen ersucht … dann ist es widersinnig, wenn er – im Sinne des Gesetzes … erwerbsfähig und offensichtlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehend – abgewiesen wird. Genau dies passiert aber vielfach in der Praxis. Letztendlich wird der Leistungsausschluss der Intention des Gesetzgebers nicht gerecht, der lediglich ein einfaches Abgrenzungskriterium für Personen suchte, die zwar erwerbsfähig sind, dem Arbeitsmarkt tatsächlich aber nicht zur Verfügung stehen. Das sind z.B. Strafgefangene oder Bewohner geschlossener psychiatrischer Abteilungen. Ferner führt der sofortige Leistungsausschluss ab Beginn der Unterbringung zu einem häufigen Zuständigkeitswechsel und damit zu Rechtsunsicherheit und Finanzierungsproblemen bei kürzeren Unterbringungen. … fordern wir deshalb, dass erwerbsfähige Menschen, die eine Arbeit aufnehmen können, auch dann vollen Zugang zu den Eingliederungsleistungen des SGB II erhalten, wenn sie länger als 6 Monate in einer stationären Einrichtung leben. … d. Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen bei nicht leiblichen Kindern in der Bedarfsgemeinschaft (Änderung des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II) Es ist vorgesehen, zukünftig das Einkommen innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft auch auf den Bedarf nicht leiblicher Kinder anzurechnen. Dies hat zur Folge, dass bei nicht miteinander verheirateten Partnern das Einkommen des nicht leiblichen Elternteils auf den Bedarf eines nicht leiblichen Kindes angerechnet wird. Die vorgesehene Berücksichtigung des Einkommens und Vermögens von Partnern bei nicht leiblichen Kindern in der Bedarfsgemeinschaft ist abzulehnen. Für die Einkommenssicherung eines Kindes sind nach dem Unterhaltsrecht zunächst seine Eltern und Verwandten und bei deren Hilfebedürftigkeit der Staat verantwortlich. Das Unterhaltsrecht sieht keine Unterhaltspflicht für Kinder von (ehelichen oder nichtehelichen) Partnern im eigenen Haushalt vor. Die staatliche Letztverantwortung auf einen mit einem Elternteil zusammenlebenden Dritten abzuschieben, ist verfassungsrechtlich und unterhaltsrechtlich bedenklich. Das gilt umso mehr, als der Dritte im Falle des Zusammenlebens mit einem allein erziehenden Elternteil regelmäßig bereits unentgeltliche Erziehungsleistungen erbringt und das Kindeswohl unterstützt. Mit der … Neuregelung wird die Neubildung von Familienstrukturen verhindert. Partnerschaften werden nicht eingegangen, weil hieran die Einstandspflicht für die Kinder neuer Partnerinnen oder Partner geknüpft wäre. … h. Sofortangebot für Kunden ohne bisherigen Leistungsbezug (Einführung § 15a SGB II)Erwerbsfähigen Personen, die innerhalb der letzten zwei Jahre weder Leistungen nach dem SGB II noch nach dem SGB III bezogen haben, sollen gem. § 15a SGB II bei der Beantragung von Leistungen nach dem SGB II unverzüglich Leistungen zur Eingliederung in Arbeit angeboten werden. Wird ein zumutbares Angebot nach § 15a SGB II abgelehnt, hat das gem. § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II eine Leistungskürzung zur Folge. Grundsätzlich ist ein Sofortangebot eines Arbeitsplatzes oder einer Integrationsmaßnahme für arbeitslose Menschen die beste Maßnahme, die der Leistungsträger gewähren kann. Allerdings sind Sofortangebote, die ausschließlich darauf abzielen, die Arbeitsbereitschaft zu überprüfen und nicht auf Integration zielen, entschieden abzulehnen. Sie binden lediglich personelle und finanzielle Kapazitäten. Die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten, die Mitwirkung der Arbeitssuchenden zur Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit einzufordern, sind ausreichend. Vorrangig sollte der Abschluss von Eingliederungsvereinbarungen qualitativ verbessert werden. Sinnvoll kann es sein, Angebote des Profilings und Assessments vorzuhalten. Damit diese Angebote zielgruppenspezifisch und qualitativ hochwertig organisiert werden, wird von der Einführung von ‚Massenangeboten‘ abgeraten. Vielmehr sollte es jeweils nach Erstgesprächen in den ARGEn möglich sein, im Einzelfall zuzuweisen. i. Ausbildungsstellen- und Arbeitsvermittlung (Änderung des § 16 Abs. 1 S. 1 SGB II) Es wird begrüßt, die Arbeits- und Ausbildungsstellenvermittlung einheitlich als Pflichtaufgabe für die Arbeitsgemeinschaften und zugelassenen kommunalen Träger festzulegen. Diese Aufgabe korrespondiert mit dem unverzüglichen Vermittlungsgebot für Jugendliche gem. § 3 SGB II. Notwendig ist jedoch ein Hinweis darauf, dass sich die Agenturen für Arbeit nach dem SGB III und die Träger der Grundsicherung hinsichtlich der Schnittstelle zwischen Berufsberatung und Ausbildungsstellenvermittlung abstimmen. In der Praxis gibt es z. T. gerade im Falle von optierenden Kommunen an dieser Schnittstelle keine oder nur eine unzureichende Zusammenarbeit. … k. Der Vollfinanzierung der Aktivierungshilfen für erwerbsfähige, hilfebedürftige Jugendliche durch den SGB II-Träger ist zuzustimmen (Neuregelung des § 16 Abs. 1 S. 5 SGB II). … t. Flexibilisierung der Sanktionen (Ergänzung des § 31 Abs. 1 S. 1. Nr. 1 Buchst. c SGB II) … § 31 Abs. 1 S. 1. Nr. 1 Buchst. c SGB II wird um die Voraussetzung ergänzt, dass auch das Ausschlagen eines zumutbaren Angebots nach § 15a oder eine sonstige in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme eine Leistungskürzung zur Folge hat. Darüber hinaus wird definiert, dass eine wiederholte Pflichtverletzung vorliegt, wenn der Beginn des vorangegangenen Sanktionszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt. Bei unter 25jährigen, soll die Absenkung und der Wegfall der Regelleistung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auf sechs Wochen verkürzt werden. Die geplante Regelung ist nicht ausreichend. Die Grundsicherung für Arbeitssuchende hat das Ziel, Hilfebedürftigkeit zu verkürzen oder zu verringern. Der Träger der Grundsicherung muss Spielräume haben, diesem Ziel auch im Einzelfall hinsichtlich Dauer und Höhe des Leistungswegfalls gerecht werden zu können. Insbesondere die rigide Sanktionierung junger Menschen im SGB II nimmt das Entwicklungsmoment der Jugendphase nicht ernst und birgt damit die Gefahr, dass sich die von Sanktionen betroffenen Jugendlichen vollständig zurückziehen. Die Sanktionierungen sollten stufenweise eingesetzt werden können und im Rahmen eines ausführlichen Gesprächs transparent gemacht werden. Die Flexibilisierung sollte nicht nur – wie jetzt vorgeschlagen – für Sanktionierungen von Jugendlichen eingeführt werden, sondern für alle Bezieher von Leistungen nach dem SGB II gelten. * 2. Folgende Punkte, die dringend zu ändern wären, wurden nicht berücksichtigt: … a. Härtefallregelung für unabweisbare Bedarfe Über eine weitgehende Pauschalierung sind im SGB II fast alle einmaligen Leistungen in die Regelleistung miteinbezogen worden. Der Hilfebedürftige soll Schwankungen seines Bedarfes durch Ansparungen aus der Regelleistung ausgleichen. Dies ist allerdings in den Fällen problematisch, in denen für den Hilfebedürftigen regelmäßig ein erheblich höherer Bedarf entsteht. Dieses Problem tritt z. B. bei Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts, Besuchen von Angehörigen in der JVA, nicht lehrmittelfreien Schulbüchern oder nichtverschreibungspflichtigen Medikamenten (OTC) auf. Bei regelmäßig erhöhtem Bedarf ist die Darlehensaufnahme keine sinnvolle Lösung, da die Rückzahlungsverpflichtung und die zwingend vorgeschriebene Aufrechnung zu einer fortdauernden Bedarfsunterdeckung und zu Schulden führen. … ALG II und Sozialgeld stellen das unterste soziale Netz dar. Für Menschen, deren Bedarf im Einzelfall erheblich über den durchschnittlichen Bedarf hinausgeht, muss ebenfalls das soziokulturelle Existenzminimum gesichert sein. Das verfassungsrechtlich begründete Prinzip der individuellen Bedarfsdeckung muss im SGB II ebenso wie im SGB XII gelten, wo für diese Fälle Bedarfe abweichend festgelegt werden können. b. Bemessungskriterien für angemessene Unterkunftskosten ALG II Empfänger/innen erhalten in zunehmendem Maß die Aufforderung, ihre Wohnkosten entweder durch Aufnahme von Untermietern oder durch Umzug zu reduzieren. Dies wird verbunden mit der Ankündigung, dass die Unterkunftskosten in Zukunft nicht mehr vollständig übernommen werden, da sie nicht angemessen seien. Die anerkannten Heizkostenpauschalen reichen oft nicht aus, um die Heizkosten zu bezahlen und berücksichtigen nicht die individuelle Wohnsituation. In einigen Bezirken wurden die Quadratmeterzahlen für den als angemessen angesehenen Wohnraum gegenüber bisherigen Regelungen der Sozialhilfe abgesenkt. In vielen Bezirken sind zu den anerkannten Mietpreisen keine freien Wohnungen verfügbar. Personen sehen sich gezwungen, für die Zahlung der Miete Geld aufzunehmen, was zu einer Verschuldung dieser Haushalte führt. Der durch den Umzug in billigere Wohnungen eingeleitete Prozess einer Konzentration von Personen mit geringen Einkommen/ALG II Bezug konterkariert die Zielsetzung des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“, das eine soziale Entwicklung und Konsolidierung von Wohngebieten anstrebt. Diese neu entstehenden Konzentrationen würden erhebliche Folgekosten mit sich bringen. Eine solche Situation kann wegen ihrer sozialen Risiken (siehe die Entwicklung in Frankreich im November 2005) und ihres finanziellen Mehrbedarfes nicht im Sinne des Bundes, der Länder und der Kommunen sein. … Die Bemessungskriterien „tatsächliche Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarktes“, der „örtliche Mietspiegel“ sowie die „Berücksichtigung familiärer Verhältnisse“ gelten bisher nur für Hilfeempfänger von SGB XII Leistungen. Eine Ungleichbehandlung von SGB II Empfängern ist nicht nachvollziehbar. … d. Vorrang der Ausbildung bei Jugendlichen Nach § 3 Abs. 2 SGB II sind Jugendliche unverzüglich nach Antragstellung in eine Arbeit, eine Ausbildung oder eine Arbeitsgelegenheit zu vermitteln. Vorrang muss dabei die Vermittlung einer Ausbildung haben. Sofern eine Ausbildungsstelle nicht zur Verfügung steht, sind nicht nur Arbeitsgelegenheiten, sondern in erster Linie Eingliederungsleistungen nach den §§ 16 Abs. 1 und Abs. 2 SGB III zu erbringen. Zudem ist darauf zu achten, dass in der Praxis der Vorrang der Ausbildung tatsächlich umgesetzt wird. … “

http://dip.bundestag.de/parfors/parfors.htm

Quelle: http://www.diakonie.de/de/html/aktuelles/23_4234.html

Dokumente: 1601410.pdf

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