Plädoyer für eine geschlechterreflektierende sozialpädagogische Arbeit mit männlichen Fans

PLÄDOYER FÜR EINE GESCHLECHTERREFLEKTIERTE SOZIALPÄDAGOGISCHE ARBEIT MIT MÄNNLICHEN FANS Das Deutsche Jugendinstitut hat passend zur Fußball-WM sein Thema des Monats der Gewalt und Fremdenfeindlichkeit im Sport gewidmet. Sport kann über Grenzen hinweg verbinden, bringt aber auch bedrohliche Situationen in und um Austragungsstätten mit sich. Die besonders beim Fußball freigesetzten Emotionen führen neben Begeisterung auch zu Ausschreitungen. Das DJI-Thema des Monats wirft einen interessanten und ungewöhnlichen Blick auf die Arbeit mit – vornehmlich männlichen – aggressiven oder gewaltbereiten Fans. Auszüge aus einem Beitrag des Monats des DJI mit freundlicher Genehmigung der Autorin: “ Die Kombination Fußball und Frauen, Fußball und Weiblichkeit galt lange Zeit in Deutschland als Widerspruch an sich. So wurde bis vor kurzem den weiblichen Fans kaum Aufmerksamkeit zuteil … , noch wurde der seit 1970 vom DFB erlaubte Frauenligabetrieb … innerhalb der medialen Öffentlichkeit repräsentiert. Nicht zuletzt durch die anhaltenden internationalen Erfolge der Frauennationalmannschaft (Weltmeisterinnen, Europameisterinnen, Olympiasiegerinnen) begann allmählich auch in Deutschland die Erkenntnis zu reifen, dass die Themen Fußball und Frauen nicht zwangsläufig einen Antagonismus darstellen müssen. Hinzu kam, dass die ausufernde Gewalt in den europäischen Fußballstadien u. a. Diskussionen über einen vermeintlichen … gewalthemmenden Einfluss von Frauen in den Fankurven beförderten. Dadurch gerieten weibliche Fans zum ersten Mal in den Fokus des öffentlichen Interesses. Heutzutage verfügen viele Fußballstadien über Familienblöcke und Bundesligavereine sprechen mit ihrer Familienorientierung gezielt Frauen an. Das Bild des Fußballs erscheint geläutert: die Fußballerinnen der Nationalmannschaft erhalten als Anerkennung ihrer Leistungen vom DFB kein Kaffeeservice mehr, die Gewalt in den Stadien der ersten Männerligen ist zurückgegangen und der Einfluss des organisierten Rechtsextremismus auf die Fußballfankultur konnte in vielen bundesdeutschen Städten zurückgedrängt werden. … Ich möchte im Gegenzug zu derartigen Überlegungen mit diesem Beitrag herausarbeiten, dass der Fußball an sich und das Stadion als sozialer Ort seiner Inszenierung auch heute noch einen Hort der Männlichkeiten darstellt. Das Fußballstadion ist immer noch eine der letzten Bastionen echter oder archaischer Männlichkeit … . Auffällig erscheint ein allgemeiner und undifferenzierter Bezug affirmativer oder abwertender Art zu einer proletarischen Männlichkeit . Ich halte den unreflektierten Gebrauch dieses Begriffs für zu kurz gegriffen. Wird doch auf diese Weise einerseits das Proletariat an sich diffamiert und werden andererseits privilegierte und gesellschaftlich anerkannte Praxen von Männlichkeiten innerhalb der Fußball- und Fußballfankultur verschleiert. Die Inszenierung und Wahrnehmung der Fußballkultur als rein männlich ist meines Erachtens insbesondere darauf zurückzuführen, dass das Zusammenspiel vieler männlicher Akteure auf vielen männlich besetzten Ebenen (Fans, Vereine, Medien, DFB, FIFA, aktive Profis, Trainer etc.) dafür sorgt, dass dieses wirklich ernste Spiel … ein Spiel unter Männern bleibt … In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Funktion und dem professionellen Handeln der sozialpädagogischen Fanprojekte im System der männlichen Fußballkultur. Es gilt zu hinterfragen, ob sich die Akteure ihrer Rolle im System bewusst sind oder in ihrer Unbewusstheit (und Nicht-Benennung) zur Reproduktion und Verfestigung einer exklusiv männlichen Fußballkultur beitragen. Diese Überlegungen bilden den Ausgangspunkt für die Forderung nach geschlechterreflektierenden Ansätzen in der sozialpädagogischen Fanarbeitspraxis. Wenn ich von Männlichkeiten spreche, beziehe ich mich auf das Konzept der hegemonialen Männlichkeit von Robert Connell und auf das habitustheoretische Konzept der männlichen Herrschaft von Bourdieu. … Männlichkeitskonstruktionen und der Zusammenhang zu Fußballfans Connell folgend gehe ich davon aus, dass Gewalt allen Männlichkeiten inhärent ist, und dass andererseits selbst die hegemoniale Männlichkeit als normativer Spitzenreiter der innerrelationalen Hierarchie von einer Krisentendenz berührt wird. Daher kommt dem Zusammenhang von unteren Männlichkeiten … und Gewalt insofern eine besondere Aufmerksamkeit zu, als dass sich Angehörige dieser Arbeitermännlichkeit stärker von der Infragestellung des patriarchalen Geschlechterverhältnisses bedroht fühlen. … Nach Connell … ist Arbeitermännlichkeit häufig verbunden mit frühkindlichen Erfahrungen der Machtlosigkeit. Hieraus speist sich eine Motivstruktur, die ein übertriebenes Machtstreben zur Folge hat, das in der westlichen Kultur mit männlichem Verhalten verbunden wird: Die jungen Männer aus der Arbeiterschaft erheben Anspruch auf einen Teil der Macht. Sie erleben sowohl den Machtanspruch als auch das Einfordern als durch ihr Geschlecht legitimiert. Sie treiben männliche Gepflogenheiten ins Extrem … und zwar in Form eines kollektiven Verhaltens, beispielsweise im Stadion. … Männliches Gehabe erscheint vor diesem Hintergrund auch als ein Ausdruck dazu gehören zu wollen , um von den männlichen Privilegien, die unsere Gesellschaft verspricht, zu profitieren. … kann das Gefühl, ein richtiger Mann zu sein über eine Vielzahl tatsächlicher und vermeintlicher Kränkungen und Ungleichwertigkeitserfahrungen hinweg helfen. … Eine zentrale These von mir lautet: Je drängender das Streben nach hegemonialer Männlichkeit ist, umso wahrscheinlicher wird die Akzeptanz von Gewalt als soziale Praxis zur Durchsetzung der eigenen Ziele und der eigenen Vorstellungen von Männlichkeit … Darüber hinaus wird in der Auseinandersetzung mit der im Stadion zur Schau gestellten Hypermaskulinität deutlich, dass ein zwanghaftes Aufrechterhalten einer männlichen Fassade auf die darunter liegende Fragilität verweist. … Das Messen mit den gegnerischen Fans funktioniert nur dann in einer für die Fußballfans befriedigenden Weise, wenn es sich auch um richtige Männer handelt. Die Herstellung richtiger Männer funktioniert innerhalb der herrschenden Geschlechterordnung über die zeitgleiche Konstruktion richtiger Weiblichkeit. … Auf der Suche nach Ansätzen geschlechterreflektierender sozialpädagogischer Fanarbeit Wenn wir uns nachfolgend mit dem Thema der geschlechterreflektierenden Ansätze in der sozialpädagogischen Arbeit mit Jungen und jungen Männern auseinandersetzen, wird augenscheinlich, dass seit Jahren zwar über die Notwendigkeit geschlechterreflektierender Konzepte (auf theoretischer und praktischer Ebene) geredet wird, diese Forderungen aber bisher nur in einem geringem Maße umgesetzt werden … . Grundsätzlich sind wir damit konfrontiert, dass es innerhalb von Jugendhilfe nur in geringem Maße Konzepte für die Arbeit mit Jungen und jungen Männern gibt. Als eklatant erweist sich dieser Mangel nicht nur in der Fanarbeit, sondern grundsätzlich in der sozialpädagogischen Arbeit mit schwierigen , kriminellen, gewalttätigen oder auffälligen Jungen und jungen Männern, beispielsweise in der Straßensozialarbeit oder in der sportbezogenen Jugendarbeit, hier gibt es bis dato keine geschlechterreflektierenden Konzepten. Diese Tatsache ist vor dem Hintergrund, dass Gewalt in unserer Gesellschaft hochgradig gegendert ist und ungeachtet einer weiblichen Aufholstrategie in den letzten zehn Jahren immer noch ein männliches Geschlecht hat umso erstaunlicher. Auch die kurze Geschichte der sozialpädagogischen Fanprojekte ist eng verknüpft mit dem Thema Gewalt oder genauer Gewalt und Männlichkeit. Die Einrichtung der ersten Fanprojekte in Bremen und Hamburg Anfang der achtziger Jahre, kann auch als sozialpädagogische Konfliktbearbeitungsstrategie der eskalierenden Gewalt männlicher, junger Fans betrachtet werden. … Bis dato liegen keine geschlechterreflektierenden Konzepte oder Ansätze in der Arbeit mit jungen, männlichen Fußballfans vor. Auch wenn sich die Arbeit der Fanprojekte in einem hohen Maß als Arbeit mit männlichen Fans darstellt, wird die Zielgruppe als solche zwar konzeptionell benannt. Aber weitere Schlüsse werden daraus nicht gezogen, bzw. wird die männliche Gewalt, bzw. die Frage, inwieweit Gewalt unabdingbarer Bestandteil männlicher Sozialisation ist, nicht weiter bearbeitet. Der gewalttätige, hypermaskuline Habitus vieler Fußballfans wird als normal und gegeben hingenommen. … Vor dem Hintergrund des von mir beschriebenen Zusammenhangs von Männlichkeiten und Fußballkultur halte ich es für zwingend erforderlich, soziale Praxen von Männlichkeiten endlich auch in der Fanarbeit zu reflektieren und vor diesem Hintergrund geschlechterreflektierende Praxen in der Arbeit mit weiblichen und männlichen Fans zu etablieren. Ich bin der Auffassung, dass geschlechterreflektierende Konzepte in der Arbeit mit männlichen jugendlichen Fans an deren Lebenswelten anknüpfen können. Männlichkeiten, die Suche nach männlichen Identitäten und Orientierungen sind Themen, die nicht von außen an die jungen Männer herangetragen werden müssen, sondern Themen, die ihnen auf den Nägeln brennen. Für diese wichtige Auseinandersetzung bedarf es männlicher Sozialpädagogen, die sich bereits mit ihrer Männlichkeit, ihren Vorstellungen über die Geschlechterordnung auseinandergesetzt haben und aus einer kritischen Auseinandersetzung heraus einen positiven Bezug zu ihrer eigenen Männlichkeit entwickelt haben. Unter derartigen Voraussetzungen kann der Bezug und die Thematisierung von Männlichkeit zu einer wichtigen Ressource in der sozialpädagogischen Arbeit werden und das notwendige Pendant zur relevanten Mädchenarbeitspraxis innerhalb von Fanprojekten darstellen. “ Dr. Esther Lehnert (Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin Die MBR ist ein Projekt des Vereins für Demokratische Kultur in Berlin e.V.)

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Quelle: http://www.dji.de/cgi-bin/projekte/output.php?projekt=605&&Jump1=LINKS&Jump2=36

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