Schule – und dann? Schwierige Übergänge von Schule in die Berufsausbildung

Hauptschüler und Berufsausbildung: Sie haben begrenzte Chancen, und die nutzen sie. In einer bundesweiten Längsschnittuntersuchung geht das Deutsche Jugendinstitut den – häufig komplizierten und langwierigen – Wegen nach, die Jugendliche mit Hauptschulbildung gehen, um ihre Ausbildungsziele zu verwirklichen. Auszüge aus einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse aus den ersten fünf Befragungswellen: „… Die Befragung von Hauptschülerinnen und Hauptschülern, die diesem Bericht zu Grunde liegt, wurde u. a. im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprogramms „Kompetenzagenturen“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des Projektes „Netzwerk Prävention von Schulmüdigkeit und Schulverweigerung“ im Programm „Kompetenzen Fördern“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durchgeführt. Die Veröffentlichung erfolgt durch das DJI-Projekt „Übergangspanel“. … Schule – und dann? Schwierige Übergänge von der Schule in die Berufsausbildung … Trotz der schlechten Arbeitsmarktchancen für Unqualifizierte stagniert der Anteil der jungen Erwachsenen, die bis zum 25. Lebensjahr keine anerkannte Ausbildung absolviert haben, seit längerem auf relativ hohem Niveau (zwischen 14 und 15 %). Gleichzeitig ist das durchschnittliche Alter der Jugendlichen beim Eintritt in eine betriebliche Berufsausbildung über die Jahre hinweg deutlich angestiegen. Offenbar ist der frühere ‚Normalverlauf‘, ein unmittelbar nach Ende der Pflichtschulzeit ohne weitere Zwischenschritte stattfindender Eintritt in die Berufsausbildung eher die Ausnahme geworden. Angesichts des lang anhaltenden Mangels an Ausbildungsplätzen befinden sich die Hauptschulabsolventinnen und -absolventen in einer schwierigen Konkurrenz zu Jugendlichen mit mittlerem Bildungsabschluss oder gar Abitur. … Der Bericht behandelt die folgenden Aspekte: – Die Wünsche und Pläne der Jugendlichen rund vier Monate vor Ende des Schulbesuchsjahres 2003/2004, – die in diesen letzten Monaten des Schuljahres ablaufenden Orientierungs- und Entscheidungsprozesse, – den Vergleich zwischen den im März 2004 geplanten und den im November 2004 realisierten Bildungs- und Ausbildungswegen, – die Bildungs- und Ausbildungsverläufe zwischen November 2004 und November 2005. 1. Wünsche und Pläne von Hauptschülerinnen und Hauptschülern im letzten Schuljahr der Hauptschule Wir hatten die Schülerinnen und Schüler im März 2004 gefragt, was aus ihrer Sicht wichtige Kriterien für die Wahl eines Ausbildungsberufs sind. … Fast alle Mädchen und Jungen (94 bzw. 95 %) halten es für ein wichtiges oder sehr wichtiges Entscheidungskriterium, dass die Ausbildung zu einem sicheren Arbeitsplatz führen soll. Gleichzeitig wollen die Jugendlichen auch realistisch sein. Neun von zehn sind der Auffassung, dass es ein Beruf sein muss, in dem sie auch die Chance haben, überhaupt einen Ausbildungsplatz zu finden. Das zu erwartende Einkommen halten Jungen für etwas wichtiger als die Mädchen. Dass der Beruf auch genügend Zeit für die Familie lassen muss, finden Mädchen wie Jungen in gleicher Weise (womit nicht gesagt ist, dass Mädchen und Jungen ihre Rolle in der Familie in ähnlicher Weise sehen). Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es insbesondere bei zwei Kriterien: bei der Frage, ob ein Beruf gesucht wird, in dem man anderen Menschen auch helfen kann (dieses Kriterium nennen die Mädchen weit häufiger als die Jungen) und ob der Beruf den Umgang mit Technik erfordert (dieses Kriterium nennen die Jungen deutlich häufiger als die Mädchen). … Wir haben die Jugendlichen im März 2004 weiter gefragt, welchen nächsten Schritt sie nach Ende des laufenden Schuljahres planen. Insgesamt zeigen die Antworten, dass bei den Jugendlichen Bildung und Ausbildung hoch im Kurs stehen: … Knapp die Hälfte (44 %) will unmittelbar nach der Schule eine Berufsausbildung beginnen. … 14 % sehen die Teilnahme an einem Angebot der Berufsvorbereitung als nächsten Schritt. … 6 % wissen noch nicht, was sie als nächstes tun wollen. Und nur 2 % geben an, auch ohne vorherige Qualifizierung erst einmal jobben und Geld verdienen zu wollen. Richtet man den Blick allerdings auf Teilgruppen der Befragten, so werden große Unterschiede in den Plänen sichtbar: 49 % der Jungen (aber nur 38 % der Mädchen) wollen als nächsten Schritt eine Ausbildung beginnen. Bei den Jugendlichen deutscher Herkunft planen 52 % sofort eine Berufsausbildung anzuschließen, bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund nur 38 %. … Für diejenigen, die nicht sofort eine Ausbildung beginnen wollen, lautet die Alternative insbesondere ‚weiter zur Schule gehen‘ … Die Ergebnisse zu den im März 2004, also wenige Monate vor Ende des Schuljahres, genannten Plänen, müssen sicher vor dem Hintergrund interpretiert werden, dass die Jugendlichen zu diesem Zeitpunkt den Realitätsgehalt ihrer Planungen bereits testen konnten. Während 44 % angeben, als nächstes eine Berufsausbildung beginnen zu wollen, haben zum selben Zeitpunkt bereits 60 % Bewerbungsunterlagen versandt. Der Anteil derjenigen, die ursprünglich eine Berufsausbildung beginnen wollten, muss also deutlich über dem Wert von 44 % gelegen haben, und wahrscheinlich wurden Ausbildungspläne vertagt, nachdem Bewerbungen erfolglos waren. … Der relativ hohe Anteil von Nennungen von ‚Berufsvorbereitung‘ als nächsten Qualifizierungsschritt dürfte schließlich der Einsicht geschuldet sein, dass andere ursprünglich geplante nächste Bildungs- und Ausbildungsschritte erst einmal nicht realisierbar sind. Insgesamt zeigen die Daten auf, dass die Jugendlichen versuchen, realistisch mit ihrer Situation umzugehen, ohne dabei ihre Bildungs- und Qualifizierungsziele preiszugeben. 2. Schwierige Entscheidungsprozesse an der ersten Schwelle Trotz aller Bereitschaft, realistisch zu sein, sind die Jugendlichen zwischen März und Juni 2004 zu vielfältigen Revisionen ihrer Planungen gezwungen. … Erkennbar gerät ein großer Teil der Jugendlichen zwischen März und Juni 2004 unter einen starken Entscheidungsdruck, ohne in allen Fällen die Voraussetzungen und Konsequenzen für unterschiedliche Alternativen angemessen einschätzen zu können. Die Einsicht, dass ein Ausbildungsplatz erst einmal nicht erreichbar ist, wird vor allem in die Absicht umgemünzt, erst einmal weiter zur Schule zu gehen. Demgegenüber erscheint die Teilnahme an einem berufsvorbereitenden Angebot für die Mehrzahl der Jugendlichen keine attraktive Alternative. 3. Plan und Realität … wird deutlich, dass die Anpassungsprozesse im Juni 2004 noch keineswegs abgeschlossen waren. Vielmehr mussten sich viele bis zur tatsächlichen Platzierung im November 2004 weiter umorientieren … gegenüber den ursprünglichen Planungen im März 2004 hat sich der Anteil der tatsächlichen Einmündungen in Ausbildung von 44 % auf 26 % fast halbiert. Der Rückgang von Juni bis November betrug noch einmal 13 Prozentpunkte bei den Jungen mit Migrationshintergrund und 10 Prozentpunkte bei den Jungen deutscher Herkunft. Bei den Mädchen lag der Anteil der tatsächlichen Einmündungen fünf Prozentpunkte unter den Planungen vom Juni. Auch hier war der Rückgang geringer bei den Mädchen deutscher Herkunft … als bei den Mädchen mit Migrationshintergrund … Eine Berufsausbildung haben bis November 2004 deutlich mehr Jungen als Mädchen (29 zu 22 %) begonnen und deutlich mehr Jugendliche deutscher Herkunft als Jugendliche mit Migrationshintergrund (35 zu 20 %). Am häufigsten hatten Jungen deutscher Herkunft den Einstieg in die Berufsausbildung vollzogen (39 %), am seltensten Jugendliche, die in der Türkei geboren waren (7 %). … Wenn im Folgenden von Schule die Rede ist, ist damit nicht nur die allgemeinbildende Schule gemeint. Die Jugendlichen gehen weiter zur Schule, weil sie entweder den Hauptschulabschluss nachholen oder einen höheren Schulabschluss erwerben wollen. … Betrachtet man die Jugendlichen, die im März 2004 explizit für Ende des Schuljahres den Eintritt in eine Berufsausbildung anstrebten, so ergaben sich im November 2004 die folgenden Realisierungsquoten: Von denen, die zum Ende des Schuljahres den Hauptschul- oder einen höheren Schulabschluss erworben hatten, gelang jeder/m Zweiten der Einstieg in die Berufsausbildung. Bei den Jugendlichen ohne Schulabschluss war es nur jede/r Dritte. Bei den Jugendlichen deutscher Herkunft erreichte gut die Hälfte den angestrebten Einstieg in die Ausbildung, bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund waren dies nur 36 %. Die Realisierungsquoten lagen für die Jungen mit 46 % geringfügig höher als für die Mädchen mit 42 %. Insbesondere Schulabschluss und Herkunft beeinflussen also die Wahrscheinlichkeit, dass unmittelbar nach der Schule der angestrebte Berufseinstieg gelingt. 4 Wie geht es weiter? Nur etwa die Hälfte der Jugendlichen, die unmittelbar nach der Schule eine Berufsausbildung beginnen wollten, konnte dieses Ziel auch verwirklichen. Ein Teil war auf einen weiteren Schulbesuch ausgewichen. Ein deutlich größerer Teil hat versucht (oder versuchen müssen), durch die Teilnahme an einer Berufsvorbereitung entweder seine Voraussetzungen für die Aufnahme einer Berufsausbildung zu verbessern oder zumindest die Zeit bis zur Aufnahme einer Berufsausbildung zu überbrücken. … Schulische Berufsausbildungsgänge, die zu vergleichbar anerkannten Abschlüssen führen …, stehen ihnen allein mit dem Hauptschulabschluss kaum offen. Insofern sind weiterer Schulbesuch und Berufsvorbereitung Zwischenschritte, deren Wert daran zu messen ist, ob sich über diese Zwischenschritte Zugänge zur Berufsausbildung öffnen, sei es in Richtung schulische Ausbildung, sei es in Richtung betriebliche Berufsausbildung. … Wie geht es weiter nach diesen Zwischenschritten? Ein Vergleich der Zeitpunkte November 2004 und November 2005 gibt dafür erste Anhaltspunkte … Tatsächlich befand sich im November 2004 mit einem Anteil von 35 % die größte Gruppe in der Schule. Von diesen gingen im November 2005, also ein Jahr später, 60 % noch immer in der Schule. 21 % hatten nach einjährigem Schulbesuch eine Berufsausbildung aufgenommen, 11 % waren in eine Berufsvorbereitung eingetreten und 5 % waren weder in einer Schule noch in Ausbildung oder Arbeit, damit faktisch arbeitslos. Von denen, die bis November 2004 eine Berufsausbildung aufgenommen hatten, waren im November 2005 88 % noch immer in Ausbildung. … Insgesamt ist dieser Wert jedoch ein Indikator für einen relativ stabilen Verbleib in der Berufsausbildung, die in der Regel eine Dauer von mindestens zwei Jahren, meist sogar drei Jahren hat. … Berufsvorbereitung ist demgegenüber in der Regel auf eine Dauer von maximal einem Jahr angelegt. Insofern war bei einem Vergleich der Zeitpunkte November 2004 und November 2005 ein Wechsel der Jugendlichen in einen anderen Status zu erwarten. … Tatsächlich befinden sich von den Jugendlichen, die sich im November 2004 in Berufsvorbereitung befanden, im November 2005 35 % in Ausbildung. Ein weiteres knappes Drittel (29 %) befindet sich erneut in Berufsvorbereitung. … Die drittgrößte Gruppe (15 %) befindet sich im November 2005 weder in der Schule, noch in Arbeit oder Ausbildung. Diese Jugendlichen haben offenbar bis zu diesem Zeitpunkt keinen für sie passenden Anschluss gefunden, auch keinen, der allein der Zeitüberbrückung dienen könnte. 11 % haben den Weg zurück in die Schule genommen. … Vergleicht man die Wege von Jugendlichen deutscher Herkunft und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, so ergibt sich folgendes Bild: Jugendliche mit Migrationshintergrund befinden sich im November 2004 deutlich häufiger in der Schule, um allgemeinbildende Abschlüsse zu erwerben. … Höher sind in der Gruppe mit Migrationshintergrund auch die Anteile der Übergänge in eine Schule für diejenigen, die sich im November 2004 noch in einer Berufsvorbereitung oder einer Berufsausbildung befanden. Im Ergebnis besuchen im November 2005, also rund 16 Monate nach Ende des Pflichtschulbesuches, noch 35 % der Jugendlichen mit Migrationshintergrund (aber nur 22 % der Jugendlichen deutscher Herkunft) eine Schule. Dafür befinden sich zu diesem Zeitpunkt nur 36 % der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in einer Berufsausbildung (aber 52 % der Jugendlichen deutscher Herkunft). … 5 Zusammenfassung und Fazit Das DJI untersucht seit 2004 in einer Längsschnittuntersuchung die Wege von der Schule ins Arbeitsleben von Jugendlichen, die 2003/2004 das letzte Schuljahr der Hauptschule besucht haben. … Seitdem haben vier Folgebefragungen (als Computer gestützte Telefoninterviews) stattgefunden. An allen fünf … bisher durchgeführten Befragungswellen nahmen 1.722 Jugendlichen teil. Die hohen Fallzahlen der Untersuchung erlauben differenzierte Analysen der Bildungs- und Ausbildungswege für die Gesamtpopulation wie auch für Teilgruppen, so für Migrantenjugendliche mit Herkunft aus unterschiedlichen Ländern und mit unterschiedlichen Migrationskontexten. Insgesamt gilt: Fast die Hälfte der Hauptschulabsolventinnen und –absolventen hatte sich noch im März 2004 an der traditionellen Abfolge ‚Pflichtschulbesuch – Berufsausbildung‘ orientiert. Allerdings kann nur eine Minderheit tatsächlich diese Abfolge von Schritten gehen. … Die Untersuchung belegt, dass die Absolventinnen und Absolventen der Hauptschulen eine in ihren Motiven, Zielen und Potenzialen heterogene Gruppe sind. In der Mehrzahl sind sie bereit und in der Lage, lange und komplizierte Abfolgen von Bildungs- und Qualifizierungsschritten zu absolvieren, um ihre Qualifizierungsziele zu verwirklichen. “

http://www.dji.de

Quelle: http://www.dji.de/bibs/276_6072_Schuleunddann_2006.pdf

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