JUGENDHILFEPOLITIK AN DER SCHNITTSTELLE VON HARTZ IV UND JUGENDHILFE Auszüge aus einem Referat von Lutz Wende, gehalten auf der Tagung „Jugendliche im Spannungsfeld von Arbeitsförderung, Jugendhilfe und Hartz IV“ der Arbeitskammer des Saarlandes: “ Der Titel suggeriert auf dem ersten Blick eine Fragestellung, die sich auf die politische Gestaltung der Schnittstelle zwischen Arbeitsmarktpolitik und Jugendhilfe bezieht. Jugendhilfepolitik meint aber mehr als parlamentarisches oder Verwaltungshandeln, sondern im Sinne der Koppelung öffentlicher und freier Jugendhilfe und im Sinne ihres Einmischungsauftrags geht es um die Gestaltung des Sozialen. Dies ist nun aber ein Auftrag mit subsidiären Anforderungen und er vollzieht sich in der Regel vor Ort, also in der Kommune und in der Region. Er ist daher gleichermaßen als Anforderung an öffentliche und freie Träger der Jugendhilfe wie an Politik und Verbände zu richten. Darüber hinaus beinhaltet der Titel die Gestaltung des Verhältnisses zweier Leistungsgesetze zueinander, die unterschiedlich ausgerichtet sind: Zum einen das SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) – als Sozialisationsgesetz Zum anderen SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) – als Erwerbsintegrationsgesetz (Dabei spielt das SGB III eine ebenso große Rolle, weil dort BVB usw. originär verortet sind bzw. weil bis auf die Ausnahme Arbeitsgelegenheiten weitgehend auf Maßnahmen aus dem SGB III – Bereich zurückgegriffen wird.) Beide haben einen gemeinsamen Gegenstand: die Erwerbsintegration junger Menschen. D.h., es geht hier um eine konkrete Schnittstelle, nämlich der beruflichen Integration in bezug auf § 13 SGB VIII. Die Erwerbsintegration wird dabei einmal aus der Perspektive einer gelungenen individuellen Sozialisation und damit Integration betrachtet (SGB VIII) zum anderen als nachhaltige Erwerbsintegration unter dem Aspekt der Vermeidung, zumindest aber der Reduzierung von Transferleistungen (SGB II u. III). … In der Realität haben sich beide Ansätze längst miteinander vermischt und verwoben. Diese Vermischung hat einen so einfachen wie handlungsmächtigen Grund nämlich die Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen … Mit der Einführung des SGB II haben sich vielen Kommunen und sogar einzelne Länder mit genau diesem Hinweis vielfach aus der Förderung der Jugendberufshilfe zurückgezogen. Die gemeinsame Aufgabe bedingt ein aufeinander zugehen, ein gemeinsames Kommunizieren von Arbeitsförderung und Jugendhilfe. … GRUNDLAGEN DER ZUSAMMENARBEIT Für den Bereich Integration junger Menschen sind – mit je unterschiedlichen Ansätzen und Ausrichtungen … das SGB II, das SGB III und das SGB VIII … sowie unter bestimmten Umständen das SGB IX zu berücksichtigen. Die Abgrenzungen zueinander erfolgen nach dem Erwerbsstatus …entweder des Jugendlichen selbst, häufig aber nach dem der Eltern, nach einer sozialisationsorientierten Zuständigkeit im SGB VIII und nach einer Rehabilitations- und teilhabeorientierten Zuständigkeit im SGB IX. Aber so eindeutig sind die Abgrenzungen nicht. Es gibt Lücken, durch die Jugendliche herausfallen und es gibt den Versuch, Zuständigkeiten in andere Bereiche abzuschieben. Darüber hinaus sind Begriff und Definition von Benachteiligung im fachlichen Diskurs nicht eindeutig geklärt, so dass einzelne Zielgruppen je nach Auslegung dazugezählt oder eben auch nicht dazugezählt werden können. Soziale, individuelle und Marktbenachteiligung sind nicht mit eindeutigen Zuschreibungen verbunden. Zumeist werden soziale und individuelle Problembereiche in Verknüpfung mit Ausbildungs- und Arbeitslosigkeit und der Gefahr einer sozialen Ausgrenzung zur Begründung von Benachteiligung angeführt. Dabei ist die Unterscheidung zwischen einer Unterstützung im Übergang Schule – Beruf oder einer vorrangig sozialpädagogischen Unterstützung zu treffen. Je nachdem, ob ein weiter Begriff – „Abbau von Benachteiligung“ aus der Jugendhilfe abgeleitet – oder ein enger Begriff – Sicherung der „Eignung für Ausbildung und Beruf“ bzw. Erwerbsintegration aus dem Feld der Arbeitsförderung und der Beruflichen Bildung abgeleitet – benutzt wird. In diesem Spannungsfeld agieren freie Träger und deren Einrichtungen, Agenturen für Arbeit, Kommunen (insbesondere deren Jugend- und Sozialämter), Schulen, Bildungsträger sowie lokale Wirtschaftsvertreter. Zur immanenten Logik der Arbeitsmarktpolitik Die neue Arbeitsmarktpolitik und im weiteren Sinne die beruflichen Integrationspolitiken gehen von neuen, veränderten Anforderungen an und Verhaltensweisen von den in den Arbeitsmarkt zu Integrierenden aus. Diese sollen sich aktiv, eigenverantwortlich, selbstständig um ihre berufliche bzw. Erwerbintegration kümmern und sich durch eigeninitiierte (Fort-)Bildung und Qualifikation für den Arbeitsmarkt interessant (nachfragbar) machen. … Vor diesem Hintergrund wird in den neuen Arbeitsmarktgesetzen (Hartz-Gesetze) ein neues Leitbild (zumeist unter dem Kürzel: Fördern und Fordern) realisiert … Auch für die berufliche Integration junger Menschen findet das Leitbild seine Anwendung. Als Arbeitskräftenormbild prägt es über die sozialpolitische Dimension hinaus ebenso die Vorstellungen an Auszubildende (Stichworte: Ausbildungsfähigkeit, Weiterentwicklung der Ausbildungsberufe)….Ausbildung bzw. Jugend … stellt sich unter diesen Bedingungen als Phase dar, in der höchstmögliche formale Abschlüsse und Qualifikationen erreicht werden sollen, also der Grundstein für erfolgreiche berufliche Teilhabe, die Etablierung zukünftiger Erwerbsrollen, der Karriere und für ein relativ gesichertes Einkommen gelegt wird … Zur Handlungslogik der Jugendsozialarbeit Aus der Sicht der jugendhilfeorientierten Jugendsozialarbeit stellt sich die Frage nach einer wenigstens durchschnittlich gelungenen altersgemäßen gesellschaftlichen Integration … Der Unterstützungsbedarf setzt direkt am Alltag der Jugendlichen an, akzeptiert ihre spezifischen Lebenswelten bzw. Lebenslagen und basiert auf Freiwilligkeit und Partizipation … Sie versteht die Statusphase „Jugend“ immer auch als Schonraum, in dem verschiedene Entwicklungsformen erprobt und entwickelt werden können. Diese Entwicklung kann sich an Kriterien und Prinzipien jenseits der Erwerbsarbeit orientieren, aber nie vollständig ohne Bezug dazu sein, denn Erwerbsarbeit selbst stellt nun mal eine grundlegende (aber eben nicht die alleinige) Bedingung gesellschaftlicher Integration dar… In der Arbeitsförderung wird gesellschaftliche Integration dagegen auf den Tatbestand der Erwerbsintegration reduziert bzw. durch den Tatbestand der Anspruchberechtigung wird erfolgte gesellschaftliche Integration vorausgesetzt … Diese beiden Leittypen zur Integration junger Menschen stehen sich im in der Jugendberufshilfe gegenüber. Daraus leitet sich die Frage ab: Wer ist wann wie zuständig? Bisher wurde die Zuständigkeit auf der Basis von finanziellen Ressourcen entschieden, die lange bei der BA lagen. Inzwischen haben die Träger der Leistungsgesetze angefangen, die finanzielle Belastung – wenn es irgendwie geht – auf die jeweils anderen Leistungsträgern abzuschieben … Gleichwohl wurden die eigenen inhaltlichen und fachlichen Ansprüche aufrechterhalten … In der bisherigen Form wurde der zwischen ihnen stehende Widerspruch innerhalb der Maßnahmen ausgetragen. Nun wird im Rahmen des SGB II bzw. der Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (neues Fachkonzept) das Gestaltungsverhältnis verändert. Die Entscheidung über die Zuweisung in die richtige Maßnahme wird durch ein mehr oder weniger entwickeltes und außerhalb der Umsetzung agierendes Fallmanagement/Bildungsbegleitung entschieden. Zugleich wird der Druck auf die Umsetzung berufsqualifizierender Anteile erhöht. Eine durch die Ausschreibungskonkurrenz hervorgerufene ökonomischer Rationalisierung führt unterm Strich dazu, dass der Erfolg im direkten Übergang in Ausbildung und Erwerbsarbeit bzw. der erfolgreichen Vermittlung von beruflichen Qualifizierungsanteilen gemessen wird. Sozialpädagogische Unterstützungsformen, die der Persönlichkeitsentwicklung dienen und nicht unmittelbar die Vermittlungsfähigkeit in Ausbildung erhöhen, scheinen dagegen immer weiter ausgegrenzt zu werden. .. Kooperationsempfehlungen zwischen Jugendhilfe und Arbeitsförderung Im Wissen um die Notwendigkeit der Kooperation zwischen Jugendhilfe und Arbeitsförderung wurden schon frühzeitig durch Kooperationsempfehlungen versucht Formen der Arbeitsteilung zu etablieren … Allerdings wird in Kooperationsempfehlungen auch eine Abgrenzung von Arbeitsmarkt und Jugendhilfe vorgenommen, die aussagt, dass wenn mit den „Instrumenten der Arbeitsförderung eine Eingliederung (voraussichtlich) nicht erreicht werden kann, soll der bzw. die Jugendliche bei entsprechender Indikation in die Jugendhilfe vermittelt werden.“Bei aller Kooperation und abgestimmter Angebotsstruktur, es stellt sich die Frage welcher Gegensatz hier aufgemacht wird und wo der Gewinn einer dermaßen strikten Abschottung der Unterstützungshilfen liegen soll? Auf dem ersten Blick scheint hier der Begriff der Nichtvermittlungsfähigkeit in die Jugendhilfe eingeführt zu werden. Die Umsetzung dieser Kooperationsempfehlungen bleiben – ohne dass spezielle Auswertungen vorliegen – nach meinem Kenntnisstand seltsam formal. Die Kooperation bezieht sich auf gegenseitige Information, kooperatives Handeln wird eher selten angestrebt. Ein gemeinsam formuliertes grundsätzliches Integrationskonzept wurde bisher so gut wie gar nicht entwickelt und eine darauf abgestimmte Maßnahmenplanung und –steuerung ist mir nicht bekannt. Die Hauptakteure achten noch viel zu stark auf ihre jeweilige Eigenständigkeit … ANFORDERUNGEN AN EIN KOHÄRENTES (KONSISTENTES)(LOKALES)INTEGRATIONSKONZEPT UND ZUR LOKALEN KOOPERATION Als Entscheidend für die Wirksamkeit des Übergangssystems werden in einer Studie über „politische Maßnahmen für benachteiligte Jugendliche“, die das Tübinger Institut IRIS für die europäische Kommission erstellt hat, unter anderem folgende Faktoren genannt: Zugangsgestaltung, dies umfasst die Erreichungsquote bei Zielgruppen wie Breite und Bedingungen für den Zugang sind dies offene und flexible Zugänge. Zu ergänzen ist hier die Etablierung von Diagnose- bzw. Feststellungskonzepten, die eine individuell und passgenau orientierte Unterstützung ermöglichen. Das Maßnahmeangebot muss quantitativ ausreichend und lokal verfügbar sein. Es soll Brücken in andere Systeme ermöglichen und sie dürfen keine Einbahnstraßen darstellen. Koordination innerhalb lokaler und regionaler Netzwerke werden die Angebotsstrukturen aufeinander abgestimmt. Diese sind verzahnt und weisen eine hohe Flexibilität auf. Reflexivität er geht hierbei weniger um starre Förderprogramme. Aufgrund der Entstandardisierung der Übergangswege und deren Komplexität sind reflexiven Schleifen zur Erkennung von Effekten und Nebeneffekten sowie zur Feinsteuerung einzubauen. Des weiteren werden noch Finanzierung und Empowerment und Anerkennung genannt. Derart angelegte Integrationskonzepte benötigen Kooperationsstrukturen, die auf die systematische Schaffung dauerhafter Strukturen zur Abstimmung und zur Kooperation abzielen. Es sind Vereinbarungen zur Zielfestlegung, zur Entscheidungsfindung, zur Kommunikation, zur Ressourcenbindung sowie zur Dokumentation und zur Evaluation getroffen werden. In diesen Strukturen sind alle Anbieter vertreten, das heißt von der Schule, die öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe, die Agenturen für Arbeit, die ARGEn, Unternehmen und Kammern usw. Ihr gemeinsames Anliegen ist die Etablierung flexibler Regelangebote, die auf die regionalen Bedarfe und Anforderungen abgestimmt sind und eine verbindliche Festlegung von Zielgruppen beinhaltet. Das Angebot umfasst präventive wie kompensatorische Angebotsformen, allerdings ohne Stigmatisierung ganzer Gruppen, sondern durchlässig und flexibel nutzbar … Ein derart umfassendes Konzept und Kooperationsstrukturen benötigen ein professionelles (Schnittstellen-)Management. Es setzt Vertrauen, Anerkennung und Lernfähigkeit voraus. Die Basis ist eine neutrale Moderation, die aber zugleich mit Steuerungskompetenzen und einer entsprechenden politisch abgesicherte Reputation ausgestattet ist … Diese Kooperationsarbeit ist Führungsaufgabe. FAZIT Nach dem ein Prozess der Ausgrenzung des Entwicklungsstatus aus der Ausbildung und Berufsvorbereitung zu beobachten ist, diese aber zugleich als stillschweigende Voraussetzung für Erfolg in Ausbildung und Beruf gelten, ist es die Aufgabe der Jugendhilfe, hierfür Räume und Möglichkeiten zu schaffen und diese in der Auseinandersetzung mit der aktuelle Arbeitsmarktpolitik durchzusetzen … Es geht auf der strukturellen Seite um Bündelung der Angebots- und Maßnahmeformen, eine konsistente Zugangs- wie Durchlaufsteuerung, die Schaffung von übergeordneten Strukturen und Vorgaben. Auf der individuellen Seite um das ernstnehmen des Anspruchs auf passgenaue, individuelle und maßgeschneiderte Integrationskonzepte. Dies ist nicht unter einem einzigen Aspekt zu gewährleisten. Und dies geht nicht unter dem Damoklesschwert einer Ökonomisierung durch Konkurrenz … Unter inhaltlichen Aspekten lässt sich die „Konsolidierten lokalen Integrationskonzeptes“ nur unter dem Aspekt einer stabilen Basisstruktur mit flexiblen Detaillösungen erreichen. “ Mit freundlicher Genehmigung des Referent Lutz Wende, Wende-Organisationsberatung, Bornheim Kontakt: lutz.wende@t-online.de
http://www.arbeitskammer.de
Quelle: Arbeitskammer des Saarlandes