Chancen für Schulmüde. Reader des DJI erschienen

CHANCEN FÜR SCHULMÜDE Reader zur Abschlusstagung des Netzwerks Prävention von Schulmüdigkeit und Schulverweigerung am Deutschen Jugendinstitut e.V. erschienen. „Chancen für Schulmüde“ war der Titel der Abschlusstagung des Netzwerks Prävention von Schulmüdigkeit und Schulverweigerung am 16. September 2005 in Leipzig, mit dem das DJI-Projekt seine Netzwerkarbeit beendet hat. Der gleichnamige Reader beinhaltet Fachbeiträge, die auf der Abschlusstagung in Leipzig vorgetragen wurden und Grundlage für die Diskussionen in den Fachforen und Workshops waren. Des Weiteren kommen Fachkräfte aus Schulen, aus Projekten der Jugendhilfe und aus Ministerien zu Wort, die über ihre Ansätze und Erfahrungen im Handlungsfeld Schulmüdigkeit – Schulverweigerung berichten. Kurze Projektpräsentationen vermitteln einen Eindruck über die vielfältigen Strategien und Methoden „Guter Praxis“ der im Netzwerk engagierten Projekte. Ihre Unterstützungsangebote sind darauf gerichtet, Schulmüdigkeit und Schulverweigerung frühzeitig zu begegnen und schulferne und tatsächlich oder vermeintlich nicht mehr beschulbare Kinder und Jugendliche bei der schulischen und sozialen Reintegration zu unterstützen. Des Weiteren werden die Ergebnisse von Untersuchungen des DJI in Schulen und Projekten der Jugendsozialarbeit aus dem DJI-Übergangspanel vorgestellt. Auszüge aus den Beiträgen: HAUPTSCHÜLER IN DEUTSCHLAND – ENGAGIERT – MOTIVIERT – FLEXIBEL Längsschnittstudie zum Übergang Schule – Beruf „Vor dem Hintergrund wachsender Schwierigkeiten von Hauptschülerinnen und Hauptschülern beim Übergang in Ausbildung und Erwerbsarbeit sind die Hauptschulen – wieder einmal – in die Kritik geraten: Zu viele Schülerinnen und Schüler erwürben nicht einmal den Hauptschulabschluss, die Mindestvoraussetzung für die Aufnahme einer Berufsausbildung. Hauptschulen entließen ihre Schülerinnen und Schüler ohne die für eine Ausbildung notwendige Ausbildungsreife. Führt der viel diskutierte Restschulcharakter der Hauptschule zu einer Zusammensetzung ihrer Schülerschaft, von der nichts Besseres zu erwarten ist? Oder gibt es hier Potentiale, die es zu heben gilt? Das ‚DJI-Übergangspanel‘, eine Längsschnittuntersuchung zu den Bildungs- und Ausbildungswegen von Absolventinnen und Absolventen von Hauptschulen, will mehr über die Herkunft, die Lebensumstände, die Ziele und die weiteren Bildungs- und Ausbildungswege dieser Jugendlichen erfahren. …. Hauptschule = Restschule? Hauptschüler = Restschüler? Die Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf die unterschiedlichen Schulformen hat sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten dramatisch gewandelt. …. Durch die veränderte Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf die Sekundarschulen hat sich zwangsläufig auch die Zusammensetzung der Hauptschülerinnen und Hauptschüler verändert: Da für die Zuordnung der Jugendlichen zu den unterschiedlichen Formen der Sekundarschule im dreigliedrigen Schulsystem die soziale Herkunft faktisch ein Kriterium ist (…), sind in den Hauptschulen Jugendliche aus sozial- und bildungsbenachteiligten Familien und Jugendliche aus Zuwandererfamilien überproportional vertreten. … Hauptschüler im letzten Schulbesuchsjahr … Bildung und Qualifizierung im Mittelpunkt der Zukunftsziele Knapp die Hälfte der Schülerinnen und Schüler orientiert sich im März des letzten Schulbesuchsjahres am ‚klassischen‘ Verlauf Schule – Ausbildung – Arbeit und plant, nach der Schule eine betriebliche oder schulische Ausbildung zu beginnen. Jeder/ r Vierte plant, weiter zur Schule zu gehen. Bereits für jede/ n Achte/ n ist klar, dass sich an die Schule zunächst eine Berufsvorbereitung (…) als Zwischenstation anschließen wird. Nur zwei Prozent wollen gleich nach der Schule arbeiten, ohne eine Ausbildung zu absolvieren. Fast jede/ r Zehnte ist noch unentschlossen oder hat noch keine konkrete Vorstellung über den weiteren Ausbildungsweg. Dabei planen eher Jungen und Jugendliche deutscher Herkunft eine berufliche Ausbildung, während umgekehrt mehr Mädchen und Jugendliche mit Migrationshintergrund weiter zur Schule gehen wollen. Die Bildungs- und Ausbildungsziele deuten auf eine realistische Einschätzung der Wichtigkeit des Erwerbs von Qualifikationen für das Gelingen des Übergangs von Schule ins Arbeitsleben und auf das Streben nach einem möglichst ’normalen‘ Verlauf dieses Übergangs. … Flexibel und mobilitätsbereit … Zwischen März und Juni geht der Anteil derjenigen, die planen, in eine Berufsausbildung einzumünden, um sieben Prozentpunkte zurück (von 47% auf 40%). Parallel steigt der Anteil derjenigen stark an, die eine Fortsetzung des Schulbesuchs ins Auge fassen (von 25% auf 37%). Der Vergleich der Pläne im März mit den tatsächlichen Einmündungen zeigt: Von denen, die eine Ausbildung anstrebten, konnte dies nur gut die Hälfte auch verwirklichen. Weiter zur Schule zu gehen, um bessere Abschlüsse zu erwerben und so die Ausgangschancen zu verbessern, ist für erfolglose Lehrstellenbewerber eine bevorzugte Alternative. … Hauptschüler – total normal Hauptschüler erweisen sich dieser Studie zufolge als heterogener, was ihre Motivation, ihr Engagement und ihre Kompetenzen betrifft, als dies ihr Status als vermeintliche ‚Restschüler‘ vermuten ließe. Sie haben ein eher positives Verhältnis zur Schule und zum Lernen. In ihrer Freizeit engagieren sie sich in Vereinen und Initiativen. Sie nutzen Praktika in Betrieben zur Orientierung und zur Verbesserung ihrer Zugangschancen zur betrieblichen Berufsausbildung. Weitere Bildung und Qualifizierung im Anschluss an die Hauptschule haben für sie höchste Priorität. … Bei entsprechender Unterstützung entwickeln sie realistische Berufspläne, informieren sich über Berufsfelder und entwickeln Orientierungs- und Bewerbungsaktivitäten. Für eine generelle oder verbreitete ‚Null Bock-Haltung‘ unter den Hauptschülerinnen und Hauptschülern finden wir keine Anhaltspunkte.“ Irene Hoffmann, Nora Gaupp, Birgit Reißig (DJI München/Halle) DEN SCHULAUSSTIEG VERHINDERN. STRATEGIEN EINER FRÜHEN PRÄVENTION VON SCHULMÜDIGKEIT “ Einführung Sowohl seitens der Fachliteratur als auch von Experten der Praxis wird darauf verwiesen, dass sich schwierige Schulverläufe bereits in der Grundschule abzeichnen. Neben Misserfolgserlebnissen in den ersten Schuljahren verstärkt der Wechsel von der Grundschule in weiterführende Schulen bereits vorhandene Unsicherheiten. Die Kinder benötigen hier besonders dringend Hilfestellungen und feste Bezüge, um sich an die neuen Anforderungen zu gewöhnen. An dieser Schwelle kann sich eine Abkehr von Schule manifestieren. … Die ersten Anzeichen für Schulmüdigkeit können sowohl aktiver Natur sein und sich durch Störung des Unterrichts oder Fernbleiben zeigen. Es kann sich um das Fehlen einzelner Stunden genauso handeln wie um die Fehltage, die offiziell entschuldigt sind und somit das Schwänzen verdecken. Daneben gibt es auch passive Erscheinungsformen, wie etwa Träumen oder geistig ‚abwesend‘ sein, was aber auch auf Schwierigkeiten des Kindes hindeuten kann. … Chancen für Schulmüde müssen sich auf ein breites Spektrum an lebensweltlichen Problemen beziehen. … Manche Jugendliche haben aufgrund bestimmter Merkmale (Migrationshintergrund, Lebenslage, biographischer Hintergrund etc.) schlechtere Ausgangsbedingungen, wachsen aber in einer Gesellschaft auf, die ihnen spiegelt, sie ‚könnten alles erreichen, wenn sie sich nur genügend anstrengen‘. Gezielte Strategien der Förderung setzen an individuellen Problemlagen der Kinder an und arbeiten mit flexiblen Konzepten der Einzelfallhilfe oder Förderung in kleinen Lerngruppen. … Den Schulausstieg verhindern, wie? Wie kann eine wohlwollende Systematisierung von Früherkennung aussehen? … Es stellt sich als bedeutsam heraus, an handhabbaren und systematischen Strategien der Früherkennung zu arbeiten. Dennoch birgt die Früherkennung gewisse Gefahren der Stigmatisierung. Die Fachkräfte sind aufgefordert, auf diese Kinder ein besonderes Augenmerk zu haben und Veränderungen besonders sensibel zu beachten. … Häufig gibt es Hinweise darauf, dass die Ursachen von Schulmüdigkeit im familiären Bereich liegen. Die Schule weiß jedoch oft wenig über die Probleme und Lebensverhältnisse der Kinder. Die Analyse der Ursachen ist zentral für die Zusammensetzung der Lösungs- und Bearbeitungsstrategien. An diesem Informationsdefizit wird in der Praxis auf verschiedenen Ebenen gearbeitet … Übergangsprozesse sind entscheidend für die Pädagogik und für die Bildungsbiografien der Kinder. Dennoch ist die Zusammenarbeit von abgebender und aufnehmender Schule häufig noch verbesserungsbedürftig. Neben dem Mangel an Ressourcen und Kooperationsbereitschaft der Schulen wird oftmals auch die Äußerung der angestrebten Unvoreingenommenheit genannt. … Schule und Lehrkräfte können gesellschaftliche Probleme (wie z.B. den Mangel an Ausbildungsplätzen und den damit verbundenen Mangel an Zukunftschancen) natürlich nicht lösen. Aber sie können, beispielsweise durch Kooperation mit Betrieben und eine Öffnung nach außen, wohl aber den Blick darauf richten, welchen Beitrag sie zur Verbesserung der Situation der Bildungsinstitutionen leisten. … Was ist Prävention – Was ist Prävention von Schulmüdigkeit? … Mit welchen Inhalten kann dieser Begriff gefüllt werden, um sinnvoll im Rahmen der Prävention von Schulmüdigkeit angewendet werden zu können? …. Prävention von Schulmüdigkeit im hier verwendeten Sinne meint das frühzeitige Erkennen mit dem Ziel einer rechtzeitigen und wirkungsvollen Bearbeitung der Probleme mit Schule. Die Prävention ist hier ’sekundär‘, denn es liegen bereits Anzeichen von Schulmüdigkeit vor und müssen bewältigt werden, um eine Verfestigung der Verhaltensweisen zu verhindern. Der Begriff der ’sekundären Prävention‘ … versteht Prävention als ‚vorbeugendes Eingreifen‘ zu unterschiedlichen Zeitpunkten. … Die sekundäre Prävention bemüht sich um ‚frühzeitiges Erkennen. … mit dem Ziel rechtzeitiger und wirkungsvoller Behandlung, um vor unkalkulierbaren Folgen zu schützen‘. … Prävention von Schulmüdigkeit – Wann? … Retrospektiv formulieren die Lehrkräfte oftmals, sie hätten ‚etwas gemerkt‘ und ‚geahnt‘, dass die/der Jugendliche Probleme hat. Was fehlt, sind systematische Verfahren, die frühzeitigs Erkennen von Anzeichen regeln und damit den Beteiligten Orientierungen geben. Es mangelt an gezielten und planvollen Handlungsstrategien und transparenten Verfahren …. Als Zeitpunkt … der Übergang von Grundschule in die weiterführende Schule und die beiden anschließenden Jahrgangsstufen … ‚Gefährdete‘ Kinder erkennen und gemeinsam helfen … Die ‚gefährdeten‘ Schülerinnen und Schüler der 4. bis 7. Klassen haben in verschiedener Hinsicht Schwierigkeiten in ihrer Schulbiographie. Zu nennen sind hier Leistungsschwierigkeiten, Wechsel von Schule und Schulform, Konflikte mit den Eltern und die beginnende Pubertät und damit verbundene Verunsicherungen und Ängste, welche oftmals durch Erziehungsunsicherheiten von Eltern noch verstärkt werden. … Eine Lösungsstrategie ist die Öffnung der Schule nach innen. Wenn ein klassen- und fallbezogener Austausch gefördert wird, wird auch bekannt, wenn ein Kind in einzelnen Fächern Probleme hat, Verhaltensveränderungen aufgetreten sind oder das Kind bei dem Wechsel zwischen einzelnen Fächern und Lehrkräften vielleicht aus der Schule verschwindet. Ein offener und transparenter Umgang der unterschiedlichen Beteiligten ist … zu fördern. … Die Prozesse einer zunehmenden Schulmüdigkeit werden selten von Lernbehinderungen verursacht, sondern durch krisenhafte Entwicklungen und die Kumulation verschiedener Probleme.“ Andrea Michel (DJI München) WEGE AUS DEM ABSEITS – ALTERNATIVE BESCHULUNGSFORMEN FÜR SCHULFERNE JUGENDLICHE „… Schulverweigerung beschreibt das längere Fernbleiben vom Unterricht, von der Institution Schule: wochen- oder monatelang, oftmals über mehrere Schuljahre hinweg erfolgt kein regelmäßiger Schulbesuch mehr. Diese Dauer des Rückzugs macht aus dem gelegentlichen Schwänzen eine Verweigerung. … Die problembelasteten biografischen Entwicklungen, die diese Kinder und Jugendlichen bis zum Misslingen ihrer Schullaufbahn durchlaufen haben, erfordern eine Aufarbeitung verschiedenster habitueller und kognitiver Merkmale. Schulferne Schülerinnen und Schüler weisen häufig einen Mangel an tragfähigen sozialen Lernerfahrungen auf. … Zur Zielgruppe in der außerschulischen Beschulung gehören insbesondere Jugendliche im letzten Schulpflichtjahr, die sich von der Schule abgewandt haben. Es handelt sich um Schülerinnen und Schüler, für die der Erwerb des Schulabschlusses in der Regel unerreichbar geworden ist. … Außerschulische Angebote kennzeichnen drei Grundsäulen: Es handelt sich vorrangig um eine Kombination von sozialpädagogischer Betreuung und Förderung, schulischem Lernen und berufsorientiertem Lernen (Werkstattarbeit). Es werden in den Angeboten sowohl Allgemeinwissen als auch handwerkliche Grundlagen vermittelt, … Durch intensive Betreuung und die Herstellung stabilier Beziehungen erfolgt eine Verbindung von arbeits- und sozialpädagogischer Elementen mit konventionellen Methoden der Stoffvermittlung. Theorie und Praxis, Lernen und Arbeiten, aber auch erlebnispädagogische Aktivitäten bilden eine Einheit. … Kennzeichnend für die Jugendhilfeangebote im Handlungsfeld Schulverweigerung ist eine veränderte Lernortkonstellationen: Im Mittelpunkt steht in der Regel ein außerschulischer Lernort. …Die rechtliche Grundlage für eine Beschulung außerhalb der Schle bilden in der Regel das KJHG (SGB VIII) sowie die Schulgesetze der jeweiligen Länder. … Ziel ist es, das Selbstwertgefühl der Jugendlichen herauszubilden bzw. zu stärken. Des Weiteren ermöglicht die werkpraktische Arbeit die Vorbereitung der Jugendlichen auf die Anforderungen der bevorstehenden Berufswahl, die Berufsausbildung oder die Erwerbsarbeit. … Eine frühzeitige und vor allem individuell zugeschnittene Hilfe und Unterstützung für schulferne Kinder und Jugendliche auf den Weg zu bringen, bedarf der gemeinsamen Anstrengungen und des integrierten Zusammenwirkens von Schule und Jugendhilfe. … Die Schule steht vor der Anforderung, ein neues Aufgabenverständnis zu entwickeln und nach Wegen zu suchen, soziale Benachteiligungen und Schulabkehr abzubauen. … Schulisches Lernen muss lebensnah und lebenspraktisch gestaltet sein, um zu interessieren, zu motivieren und vor allem um nachhaltig zu wirken.“ Elke Schreiber (DJI Halle) Unter angebenem Link steht Ihnen ein Download des Readers zur Verfügung. Elke Schreiber (Hrsg.): Chancen für Schulmüde. ­Reader zur Abschlusstagung des Netzwerks Prävention von Schulmüdigkeit und Schulverweigerung am Deutschen Jugendinstitut e. V., München/Halle: 2006, Reihe „Wissenschaft für alle“, 206 S.

http://www.dji.de/cgi-bin/projekte/bchlst1.php?browid=6264&projekt=229&kurzform=0
http://www.dji.de/schulmuedigkeit

Quelle: Deutsches Jugendinstitut

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