FEINJUSTIERUNG ODER GENERALREVISION Eine erhitzte Debatte wird derzeit um die Refomierung des ALG I und des Hartz IV-Gesetzes geführt. Der Vorstoß des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) sorgt für Diskussionsstoff. Besonders brisant, aber in der Presse weniger diskutiert, ist die angestrebte Wiedereinführung der Einstandspflicht Eltern Kinder – Kinder Eltern. Müntefering kanzelt Rüttgers ab. Die Linksfraktion benennt klar die soziale Ungerechtigkeit des CDU-Vorschlags, wenn junge Arbeitslose letztlich für die verlängerte Auszahalung des ALG I an ältere bluten sollen. Auch die Grünen Abgeordnete Dückert findet Rüttgers Vorschläge inakzeptabel. Die ohnehin benachteiligten Bevölkerungsgruppen würden besonders hart getroffen. Jüngere, Frauen und diejenigen mit einer unterbrochenen Erwerbsbiographie würden schnell aus dem ALG I herausfallen und müssten dabei gegebenenfalls noch einen arbeitslosen Elternteil unterstützen. Unmittelbar nach dem CDU-Beschluss hatte SPD-Chef Kurt Beck Rüttgers «ein unglaubliches Theater» vorgeworfen. Die ALG-I-Bezugsdauer war Anfang Februar auf grundsätzlich zwölf Monate verkürzt worden. Nur über 55-Jährige erhalten ALG I noch bis zu 18 Monaten, wenn sie zuvor mindestens zweieinhalb Jahre Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt haben. Auszüge aus dem CDU NRW-Antrag an den 20. Bundesparteitag sowie eine Zusammenstellung verschiedener Beiträge geben einen Einblick in die momentane Diskussion. Details der geforderten Generalrevision entnehmen Sie bitte dem Anhang. * Antrag des Vorstandes des CDU-Landesverbands NRW an den 20. Bundesparteitag der CDU Deutschlands am 27./28.11.06 in Dresden “ … Der Bundesparteitag möge beschließen: 1. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes wird wieder stärker an die Dauer der Beitragszahlung gekoppelt. Es wird eine Staffelung entwickelt, bei der sichergestellt ist, dass zukünftig jemand, der jahrzehntelang Beiträge gezahlt hat, deutlich länger Arbeitslosengeld erhalten kann als jemand, der nur kurz gearbeitet und Beiträge gezahlt hat. … 3. Die Freibeträge zur Altersvorsorge werden erhöht. … Im Gegenzug werden die alten Regelungen der Sozialhilfe zur gegenseitigen Einstandspflicht von Eltern für ihre Kinder als auch von Kindern für ihre Eltern wieder eingeführt. 4. Am Arbeitsmarkt wird ein Kombilohn eingeführt. Insbesondere Menschen mit schweren Vermittlungshemmnissen sollen dauerhaft die Möglichkeit eines staatlichen Zuschusses bekommen. Dies bietet Menschen mit erheblichen Vermittlungsproblemen endlich eine Chance auf eine Teilhabe am Arbeitsmarkt und damit auf ein selbstbestimmtes Leben. … 6. In den Fällen, in denen Arbeitsangebote mutwillig abgelehnt werden, müssen die schon heute vorhandenen Sanktionsmöglichkeiten zukünftig besser ausgeschöpft werden. … “ * Koalition schmiert Jobmaschine “ Trotz aller Reformbemühungen haben Langzeitarbeitslose schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Kosten für Hartz IV laufen aus dem Ruder. Mit zahlreichen Änderungen hofft die Koalition, das System zu verbessern und die Ausgaben zu senken. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städetages, Stephan Articus, lehnt eine Generalrevision von Hartz IV zum jetzigen Zeitpunkt ab. Es gebe zwar weiterhin Probleme in den Arbeitsgemeinschaften (Argen), … ‚aber in der Zusammenarbeit liegen echte Chancen‘, sagte er. … Ab jetzt wird … ein kleinerer Kreis von CDU, CSU und SPD die nächsten Arbeitsmarktreformen beraten. Spätestens im Frühjahr soll ein Gesetzentwurf vorliegen. Zwar gibt es noch Forderungen nach dem großen Wurf. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) etwa würde gerne vieles anders machen. Er möchte die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes an die Einzahlungsdauer koppeln. Bislang aber arbeitet die Koalition eher an kleineren Änderungen. Dazu zählen die Ausweitung des Kombilohns, die Einrichtung eines dritten Arbeitsmarkts für schwer vermittelbare Arbeitslose, Sanktionen und neue Zuverdienstregeln für Arbeitslose. Änderungen dürfen nicht viel kosten Für alle Änderungen gilt: Viel kosten dürfen sie nicht, schon gar nicht langfristig. … Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger stieg … auf 5,2 Millionen. … Auch die Kosten übersteigen hier längst den Haushaltsansatz von 24,4 Mrd. Euro. Die CDU rechnet dieses Jahr mit Kosten von 27 Mrd. Euro. Besonders die Kommunen, die die Unterkunftskosten tragen, leiden unter der steigenden Zahl von Hartz-IV-Empfängern. Das System verbessern und dadurch sparen ist deswegen die Devise der anstehenden Änderungen im Hartz IV-Gesetz. Bereits im vergangenen Sommer hat die Große Koalition im Fortentwicklungsgesetz erste Änderungen beschlossen, darunter schärfere Sanktionen … Hartz-IV-Struktur verbessern In den Hartz-IV-Behörden, den Arbeitsgemeinschaften aus Agenturen und Kommunen, gibt es immer wieder Streit über die Befugnisse. Das führt zu immensen Reibungsverlusten. Vor dem Bundesverfassungsgericht läuft eine Klage gegen die Mischform. “ Financial Times Deutschland * Nordrhein-Westfalens CDU will „Generalrevision“ von Hartz-IV “ Der NRW-CDU-Landesvorstand hatte am Montagabend (30.10.2006) einen entsprechenden Antrag für den CDU-Bundesparteitag am 27. und 28. November in Leipzig einstimmig verabschiedet. Der Vorsitzende der CDU Sozialausschüsse, Landesarbeitsminister Karl-Josef Laumann, zeigte sich „sehr zufrieden“, dass der mitgliederstärkste CDU-Landesverband zu der „generellen Überarbeitung“ von Hartz IV „eine Rundum- Positionierung“ als Volkspartei vorgenommen habe. Nach dem Antrag sollen Arbeitnehmer, die länger als 15 Jahre Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet haben, künftig 15 statt bisher 12 Monate Arbeitslosengeld beziehen. Im Falle von 25 Beitragsjahren soll die Bezugsdauer auf 18 Monate, bei über 40 Beitragsjahren auf 24 Monate verlängert werden. Zugleich soll die derzeit zwölfmonatige Bezugsdauer für jüngere Arbeitslose mit Beitragszeiten von unter fünf Jahren deutlich verkürzt werden. Beim so genannten Schonvermögen sollen pro Lebensjahr 700 Euro „unter Schutz gestellt werden“, die bei der Berechtigung für die Arbeitslosenhilfe nicht angerechnet werden dürfen. … Laumann betonte, die Hartz-Gesetze würden bei den Arbeitsagenturen und Optionskommunen teils mangelhaft umgesetzt. Das müsse dringend überprüft werden. … Zugleich tritt die NRW-CDU bei der Finanzierung von Pflegebedürftigkeit für ein „Haftungsprinzip“ innerhalb der Familien ein. „Eltern müssen für ihre Kinder eintreten und umgekehrt“, erklärte Laumann. Er plädierte dafür, die derzeitigen Überschüsse bei der Bundesagentur für Arbeit vollständig für Beitragssenkungen der Arbeitslosenversicherung zu nutzen. Die von der NRW-CDU geforderten Korrekturen der Hartz-IV-Gesetzgebung könnten finanziell anders „kompensiert werden“. “ Katholische Nachrichten Agentur * Wieder Ärger wegen Hartz “ Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat mit seinen Vorschlägen für eine grundlegende Revision der ‚Hartz IV‘-Reformen einen neuen Koalitionsstreit ausgelöst. Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) lehnt die Pläne strikt ab. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm stellte klar, Rüttgers‘ Vorstoß sei ’noch kein Regierungshandeln‘. SPD-Fraktionsvize Joachim Poß warf der Union maßlose Finanzforderungen an den Bund vor. Franz Müntefering sehe die Debatte gelassen, da die von Rüttgers angestoßenen Pläne ’nicht Politik der Koalition sind und das auf absehbare Zeit auch nicht werden‘, sagte sein Sprecher … CSU widerspricht Rüttgers Auf Widerspruch stieß der Rüttgers-Vorstoß auch in der CSU. Der CSU-Arbeitsmarktexperte Stefan Müller betonte: ‚Die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung hat oberste Priorität.‘ Deshalb dürften für die Vorschläge aus Nordrhein-Westfalen keine Beitragsmittel herangezogen werden. Stattdessen müsse die Bezugsdauer für diejenigen gesenkt werden, die nur relativ kurz in das System eingezahlt haben. “ Der Tagesspiegel online * Rüttgers versucht Hartz-Notbremsung, aber nur mit halber Kraft “ Zu den Forderungen von NRW-Ministerpräsident Rüttgers (CDU), die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für langjährige Beitragszahler auszudehnen, erklärt die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE., Kornelia Möller: Jürgen Rüttgers versucht sich an einer Notbremsung bei den Hartz-Gesetzen. Sinkende Umfragewerte infolge des großkoalitionären Sozialabbaus, Proteste in den eigenen Reihen, weil die Hartz IV-Gefahr unmittelbar auch vor den Türen von Mitgliedern der CDU und deren Wählerinnen und Wählern lauert, haben einigen Verantwortlichen in der CDU offensichtlich die Augen dafür geöffnet, dass die Hartz-Gesetze eben doch nicht gerecht sind, sondern Armut per Gesetz verordnen. Zum „Robin Hood“ allerdings taugen weder der NRW-Ministerpräsident noch Bundestagspräsident Lammert (CDU), der die wachsende Diskrepanz zwischen der Entwicklung von Unternehmensgewinnen und Kapitalerträgen auf der einen und der Löhne und Gehälter auf der anderen Seite bemerkt hat. Ihre Vorschläge weisen zwar in eine richtige Richtung, allerdings bleiben sie auf halbem Wege stehen, weil sie nicht an den Ursachen der sich verschärfenden sozialen Schieflage unseres Landes ansetzen. Und die große Pose des Retters der Gerechtigkeit schrumpft schnell zusammen, wenn junge Arbeitslose letztlich für die verlängerte Auszahlung des Arbeitslosengeldes an ältere bluten sollen. “ Pressedienst – Die Linke im Bundestag * Müntefering kanzelt Rüttgers ab “ Krach zwischen Arbeitsminister Müntefering und NRW-Ministerpräsident Rüttgers: Der SPD-Politiker lässt den neuen CDU-Sozialvorkämpfer mit seinem Plan auflaufen, Älteren länger Arbeitslosengeld I zu zahlen. Er hält davon ‚wenig bis nichts‘. … SPD-Minister und Vizekanzler Müntefering nannte das gleich einen ‚Trick‘ und sprach davon, dass sich Rüttgers nur als ’sozial‘ zu profilieren versuche – und jetzt legte Münteferings Sprecher Stefan Giffeler noch mal richtig nach. Sein Minister halte von den Vorschlägen im Detail ‚wenig bis nichts‘, sagte er am Mittwoch in der Bundespressekonferenz. … Soll heißen: Wenn Rüttgers Plan umgesetzt würde, müsste dafür an anderer Stelle im Hartz-IV-Bereich gespart werden. Wilhelm hielt sich als Sprecher der Kanzlerin diplomatisch zurück – doch Giffeler wurde deutlicher. Was Rüttgers vorschlage, habe ’nichts mit der Politik der Bundesregierung zu tun – und das ist auch gut so‘. Es werde keine Generalrevision von Hartz IV geben, darauf hätten sich die Partner in der Koalitionsvereinbarung bekanntlich geeinigt, betonte Giffeler. … Hintergrund des neuesten Grummelns in der Koalition ist ein seit langem erwarteter Vorstoß Rüttgers und seines NRW-Landesvorstands für den kommenden CDU-Bundesparteitag Ende November in Dresden. Wiederholt hatte Rüttgers als NRW-Ministerpräsident in der jüngsten Zeit die Hartz-IV-Regelungen kritisiert. … Schon seit längerem wird hinter den Kulissen um die Frage gerungen: Wie sozial soll die Union sein? Um eine offene Konfrontation mit Rüttgers auf dem Parteitag zu vermeiden, einigten sich schließlich CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, der zugleich Mitglied des NRW-Landesvorstandes ist, und die NRW-CDU auf einen Kompromiss, der sich nun in einem Antrag für Dresden wiederfinden wird. … seine Vorschläge sollen aufkommensneutral sein -sprich, das Geld muss woanders gespart werden. … In der SPD stößt der Vorstoß Rüttgers auf Ablehnung. Von einer ‚Mogelpackung‘, sprach der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD, Klaus Brandner, in der ‚Lausitzer Rundschau‘ und fügte hinzu: ‚Wenn langjährige Beitragszahler mehr Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bekommen sollen, müsste man Jüngeren, die unverschuldet ihren Arbeitsplatz verloren haben, und Älteren, die keine dauerhafte Erwerbstätigkeit hatten, etwas wegnehmen. Das kann nicht gerecht sein‘. Ansonsten müsse man die Beiträge erhöhen, was aber keiner wolle. “ SPIEGEL ONLINE
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,445895,00.html
http://www.rundschau-online.de/html/artikel/1162370725628.shtml
http://www.wissen.de/wde/generator/wissen/services/nachrichten/ftd/PW/125937.html
http://www.tagesspiegel.de/politik/nachrichten/ruettgers-hartz/79179.asp#
http://www.linksfraktion.de/mdb_moeller_pressemitteilungen.php
Quelle: Katholische Nachrichtenagentur Aktueller Dienst Inland Nr. 210 Spiegel Online, Kölnische Rundschau, Wissen.de, Der Tagesspiegel, Bundestagsfraktion Die Linke (Büro Kornelia Möller), Büro Thea Dückert MdB Bündnis 90/Die Grünen
Dokumente: HartzIV_generell_ueberholen.pdf