Übergänge zwischen Schule und Beruf und darauf bezogene Hilfesysteme in Deutschland

ÜBERGÄNGE ZWISCHEN SCHULE UND BERUF UND DARAUF BEZOGENE HILFESYSTEME IN DEUTSCHLAND Der Gesprächskreis der Friedrich-Ebert-Stiftung „Arbeit und Qualifizierung“, in Kooperation mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung abgehalten, beschäftigte sich mit der Frage nach Übergängen und entsprechenden Hilfesystemen. In einem Band veröffentlichen die FES und das IAB ausgewählte Beiträge der Veranstaltgung. Auszüge aus zwei Beiträgen: DIE ROLLE DER JUGENDSOZIALARBEIT IM ÜBERGANGSSYSTEM SCHULE – BERUF Frank Braun und Tilly Lex “ 1. Vorbemerkung Kennzeichen des Übergangssystems Schule – Beruf in Deutschland ist ein hohes Maß an Unübersichtlichkeit. Das gilt nicht nur für die Vielzahl der an diesem Übergangssystem beteiligten Akteure. Das gilt in gleicher Weise auch für die Zuständigkeitsbereiche der einzelnen Akteure. Die Jugendsozialarbeit, …, ist dafür ein gutes Beispiel. … Für die Leistungen der Jugendhilfe zur Unterstützung des Übergangs von der Schule ins Arbeitsleben werden die Bezeichnungen „Jugendsozialarbeit“ und „Jugendberufshilfe“ benutzt. Jugendsozialarbeit ist der umfassendere Begriff, der neben konkreten Unterstützungs- und Qualifizierungsangeboten auch Beratung, Sozialarbeit in Schulen und Wohnangebote für Jugendliche im Übergang Schule – Beruf einschließt. … Der Begriff Jugendsozialarbeit in Deutschland meint nicht generell Sozialarbeit mit Jugendlichen, sondern impliziert immer eine Unterstützungsfunktion im Hinblick auf das Gelingen der sozialen und beruflichen Integration von Jugendlichen, insbesondere von Jugendlichen mit Benachteiligungen. … 3. Zur Datenlage … Die für die Jugendsozialarbeit aufgewendeten Mittel umfassen ca. ein Prozent der für die Kinder- und Jugendhilfe insgesamt verausgabten Gelder. Die jährlichen Ausgaben der Jugendsozialarbeit pro Jugendlichen … variieren stark zwischen den Bundesländern: Spitzenreiter mit 66 Euro pro Jugendlichen pro Jahr ist Berlin. … Mit dem Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit sinkt auch der Umfang der aufgewendeten Mittel, mit dem Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit steigen auch die Ausgaben. Interessant ist eine Verschiebung zwischen den Kostenarten: Gingen im Jahre 1992 noch über die Hälfte der Mittel in die Infrastruktur, so betrug dieser Anteil im Jahr 2001 nur noch gut ein Drittel der Ausgaben. Dies kann als eine Verschiebung von Prioritäten weg von der Bereithaltung einer stabilen Infrastruktur und hin zum Erbringen von Leistungen bei akutem Handlungsbedarf interpretiert werden. … Was sich in den rechtlichen Grundlagen der Jugendsozialarbeit abzeichnet, setzt sich in den öffentlichen Haushalten fort. Jugendsozialarbeit ist eher nachrangig. Jugendsozialarbeit kann … bedarfsgerecht Leistungen dort erbringen, wo sie von anderen Akteuren nicht erbracht werden. Sie hat nicht nur rechtlich, sondern auch durch das Volumen der Mittel, die sie einbringen kann, gegenüber anderen Akteuren im Übergangssystem eine relativ schwache Position. 4. Jugendsozialarbeit auf verschiedenen Handlungsebenen Kommunen und Landkreise Die Erbringung von Leistungen der Jugendsozialarbeit nach dem Kinder- und Jugendhilferecht für Individuen und Gruppen ist vorrangig Aufgabe der Kommunen und Landkreise. Angesichts der Nachrangigkeit dieser Leistungen und dem Fehlen eines Rechtsanspruchs auf solche Leistungen gibt es, wie nicht anders zu erwarten, große Unterschiede im Engagement von Kommunen und Landkreisen in diesem Feld. … Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass einzelne Kommunen ihr Engagement bei der Förderung der beruflichen und sozialen Integration von benachteiligten Jugendlichen im Rahmen der Jugendhilfe zurückfahren werden. Ein zweites mögliches Handlungsfeld der kommunalen Jugendsozialarbeit liegt im Aufbau bzw. Bereitstellung einer Infrastruktur … also eine aktive Gestaltung des Übergangssystems. Die aktive Gestaltung des lokalen Übergangssystems wurde seit Beginn der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts zunehmend Gegenstand der Politik in Kommunen und Landkreisen. Diese Politik gestaltete sich aber in sehr unterschiedlicher Weise. … Mit den neuen gesetzlichen Grundlagen der Arbeitsmarktpolitik werden die Kommunen und Landkreise als Partner der gemeinsam mit den örtlichen Arbeitsagenturen gebildeten Arbeitsgemeinschaften zur Betreuung der Arbeitslosengeld II-Bezieher fast zwangsläufig zu Ko-Akteuren einer lokalen Übergangspolitik. Allerdings sind in diesen Konstruktionen der Arbeitsgemeinschaften die Sozialämter die kommunalen Partner der Arbeitsagenturen. Eine Beteiligung der Jugendämter ist bisher nur in Ausnahmefällen feststellbar. Unsere These lautet, dass dort, wo die Jugendämter als öffentliche Träger der Jugendsozialarbeit bereits in der Vergangenheit Übergangspolitik mit gestaltet (und dafür auch Ressourcen eingesetzt) haben, wird Jugendsozialarbeit auf der lokalen Ebene auch zukünftig Akteur bei der Gestaltung eines bedarfsgerecht ausgestatteten lokalen Übergangssystems sein. Wir erwarten, dass dies sich auch in den Übergangsverläufen von Jugendlichen mit Benachteiligungen abzeichnen wird, also sich die Chancen auf das Gelingen der beruflichen Integration verbessern. Länder Die großen Unterschiede im Aktivitätsniveau der Jugendsozialarbeit zwischen Kommunen …, lassen sich auch auf der Ebene der Länder wiederfinden. Die … Daten weisen auf große Unterschiede zwischen den Ländern hin, was die Leistungen betrifft, die sie im Rahmen der Jugendsozialarbeit zur beruflichen Integration von Jugendlichen erbringen. Im Prinzip sind dabei zwei Typen von Leistungen der Länder zu unterscheiden: • Ein Typ von Leistungen besteht darin, dass Modellprogramme initiiert werden, die der Erprobung von Methoden und Strategien dienen und eine Anregungsfunktion für die öffentliche Jugendsozialarbeit auf lokaler Ebene bzw. Anbieter von Leistungen in öffentlicher und freier Trägerschaft haben sollen. • Ein zweiter Typ von Leistungen der Jugendsozialarbeit auf Länderebene besteht im Aufbau einer Infrastruktur, die quasi flächendeckend eine feste Funktion im Übergangssystem erfüllt. … Bund Auf Bundesebene ist die Jugendsozialarbeit BMFSFJ angesiedelt. Auch auf dieser Ebene findet sowohl die Förderung von Infrastruktureinrichtungen als auch die Durchführung von Modellprogrammen statt, wofür das Finanzierungsinstrument der Kinder- und Jugendplan des Bundes ist. Vom BMFSFJ geförderte Infrastruktureinrichtungen sind insbesondere die Zentralstellen der bundesweit agierenden freien Träger der Jugendsozialarbeit, … 5. Perspektiven Unser Überblick über die drei Ebenen – Kommunen/Landkreise, Länder, Bundesebene – zeigt, dass sich in der Tendenz eine Entwicklung vom relativ isolierten Ad-hoc-Handeln in Richtung zu einer vertikalen und horizontalen Kooperation abzeichnet. Hatte die Jugendsozialarbeit anfangs der 90er Jahre unter dem Motto „Strategie der Einmischung“ den Anspruch vertreten, in einer Anwaltsfunktion für benachteiligte Jugendliche eine zentrale Rolle bei der Ausgestaltung des Übergangssystems für diese Zielgruppe zuspielen, so sind in den letzten Jahren zunehmend Angebote und Strategien in den Vordergrund gerückt, die eine komplementäre, unterstützende Funktion gegenüber den primär zuständigen Institutionen (Schulen, Betriebe, Arbeitsagenturen) in den Vordergrund stellen. Dies mag nicht zuletzt der Tatsache geschuldet sein, dass der geringe Umfang der für Jugendsozialarbeit verfügbaren Ressourcen eine Beschränkung auf ergänzende Leistungen nahe legt. Gleichzeitig ist aber auch die Einsicht gewachsen, dass es nicht im Interesse der Jugendlichen liegen kann, in einem von den Regeleinrichtungen des Übergangssystems abgeschotteten Teilsystem der Jugendsozialarbeit „ihre Kreise zu ziehen“ und sich dabei möglicherweise vom ersten Arbeitsmarkt immer weiter zu entfernen. Die Wahrnehmung komplementärer Funktionen gegenüber Schulen, Betrieben und Arbeitsagenturen setzt allerdings eine stabile Finanzierung voraus. Eine solche stabile Finanzierung ist im Rahmen der Förderung aus Modellprogrammen, seien sie kommunal, landesspezifisch, bundesweit oder europäisch, in der Regel nicht gegeben. Insofern kann hier nicht abschließend entschieden werden, ob die Jugendsozialarbeit zukünftig im Übergangssystem systematisch und auf Dauer Funktionen erfüllen kann, die ihren Möglichkeiten und besonderen Kompetenzen entspricht.“ DAS NEUE FACHKONZEPT DER BERUFSVORBEREITUNG UND SEIN EINFLUSS AUF DIE ÜBERGANGSWEGE JUGENDLICHER AUSBILDUNGSSUCHENDER Kathrin Dressel und Hannelore Plicht „1. Einführung Der für die Bundesrepublik idealtypische Ablauf an der Schwelle zwischen allgemeinbildender Schule und Erwerbstätigkeit über eine betriebliche Berufsausbildung hat in den vergangenen Jahren … stark an Gewicht verloren. Vor allem Jugendliche, die das allgemeinbildende Schulsystem unzureichend qualifiziert verlassen, haben erhebliche Schwierigkeiten bei der Lehrstellensuche. Ergänzend zur Ausbildung im dualen System herkömmlicher Prägung hat sich daher in den vergangenen Dekaden ein „Chancenverbesserungssystem“ stetig wachsenden Ausmaßes etabliert und zur Ausdifferenzierung der Ausbildungsmuster in der school-to-work-transition geführt. … Über … schulischen Angebote hinaus, fördert die Bundesagentur für Arbeit außerschulische berufsvorbereitende Maßnahmen (BvB/BA), indem sie sowohl die Lehrgangskosten finanziert als auch Berufsausbildungsbeihilfen gewährt. Die BvB der BA werden ausgeschrieben und an externe Bildungsträger vergeben. … In diesem System der Berufsvorbereitung kommt der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine weitreichende Rolle zu: Auf der Grundlage des SGB III fördert sie erstens einen hohen Prozentsatz aller berufsvorbereitenden Maßnahmen sowie zweitens die außerbetriebliche Berufsausbildung (BaE) für sozial benachteiligte und/oder lernbeeinträchtigte Jugendliche. Die Berufsberatung der BA entscheidet, für welche der im Wettbewerb um das knappe Gut „Berufsausbildung“ erfolglosen Jugendlichen die kostenintensiven BaE offen stehen. Mit der Einführung des Neuen Fachkonzepts der Berufsvorbereitung im September 2004 haben sich die institutionellen Rahmenbedingungen für die Förderung jugendlicher Ausbildungssuchender verändert. Gleichzeitig mit anderen Neuerungen – hier ist vor allem der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit als neue Dimension in der BA zu nennen – führt dies dazu, dass die Wege des Übergangs von der Schule zu Ausbildung und Beschäftigung über berufsvorbereitende Angebote im Verantwortungsbereich der BA deutlich gestrafft werden. … 2. Neues Fachkonzept versus alte Förderstruktur … Die inhaltlich Gliederung der BvB/BA nach dem neuen Konzept nimmt von der Einteilung in Maßnahmekategorien Abstand und sieht stattdessen zielgruppenübergreifende Ebenen und Sequenzen vor. Diese bauen zwar aufeinander auf, eröffnen jedoch den Berufsberatern gemeinsam mit dem Fachpersonal der Träger die Möglichkeit, Jugendliche je nach individuellem Förderbedarf einsteigen bzw. flexibel von der einen Ebene auf die andere umsteigen zu lassen. … Im Unterschied zu den alten Förderstrukturen ist nach Ablauf der Förderhöchstdauer eine weitere Berufsvorbereitung in BA-geförderten Maßnahmen – mit Ausnahme des AQJ – nicht mehr möglich. … Kritische Stimmen mahnen in diesem Zusammenhang, dass die restriktive zeitliche Gestaltung der einzelnen Fördersequenzen sowie die Förderhöchstdauer von 10 bzw. 11 Monaten dem postulierten Individualisierungsansatz entgegenstehen. … 3. Der Zuweisungsprozess … Der Zuweisungsprozess für (noch) nicht ausbildungsreife Jugendliche Das neue Fachkonzept sieht zwingend vor, nicht ausbildungsreife Jugendliche … dahingehend zu beurteilen, ob sie mit Hilfe berufsvorbereitender Maßnahmen die Ausbildungsreife erreichen können. Damit werden dem Berufsberater schwierige prognostische Einschätzungen abverlangt. In Zweifelsfragen sollen die Berufsberater nach § 32 SGB III ergänzend zu den Beratungsgesprächen und mit Einverständnis der Ratsuchenden den Psychologischen Dienst der BA hinzuziehen. … Mit Einführung des neuen Fachkonzepts gehen Einschränkungen im Zugang zu den geförderten BvB einher: Erstens können aufgrund der restriktiven Setzungen im neuen Fachkonzept nur diejenigen Jugendlichen an der Förderung teilnehmen, die die maximal mögliche Förderdauer noch nicht ausgeschöpft haben. Zweitens legt das neue Konzept fest: „Nach Beendigung der Eignungsanalyse und dann fortlaufend ist durch die Beratungsfachkraft zu überprüfen, ob … eine weitere Teilnahme als sinnvoll und notwendig erachtet wird.“ … setzt die Benachteiligtenförderung der BA erst am Ende des Prozesses der Berufsvorbereitung ein. … 4. Folgerungen für die Forschung … dass mit dem neuen Konzept der Berufsvorbereitung der BA viele Neuerungen und damit auch Verbesserungen angezielt werden. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch die Frage, ob die einzelnen Teilziele des Konzepts aufeinander abgestimmt sind: So könnte die angestrebte Verbesserung der individuellen Förderung mit der restriktiven zeitlichen Vorgabe genauso in Widerspruch stehen wie mit der gleichrangigen Zielsetzung der Einmündung in Ausbildung bzw. in Arbeit. … Damit wird für die Forschung zu den Folgen des neuen Fachkonzepts ein weiter Bogen aufgespannt. Neben den Fragen, ob die angezielten positiven Neuerungen in der Praxis greifen … sind es natürlich v.a. auch die angesprochenen potenziellen Risiken, die einer Untersuchung bedürfen. Zunächst ist zu fragen, ob die beschriebene zeitliche Limitierung und die vorausgesetzte Erfolgsaussicht vor Aufnahme in eine BvB und BaE in ihrem Zusammenspiel zu Problemen führen. Eine zweite Gruppe (die sich wohl auch teilweise mit der erstgenannten überschneidet) sind die benachteiligten Jugendlichen (nach Definition §242 SGB III). Für die Benachteiligtenförderung über eine außerbetriebliche Ausbildung wird vorausgesetzt, dass die Jugendlichen eine mindestens 6 Monate dauernde BvB absolviert haben. Spätestens nach Ablauf der maximalen Förderdauer müssen sie des weiteren die Ausbildungsreife erlangt haben. Damit stellt sich die Frage, ob sozial benachteiligte und/oder lernbeeinträchtigte Jugendliche überhaupt noch diese Hürde auf dem Weg zu einer BaE überwinden können. … Resümee: Das neue Fachkonzept der Berufsvorbereitung der BA setzt sich ehrgeizige Ziele. Die Förderung der Jugendlichen soll deutlich verbessert und gleichzeitig gestrafft werden. Einmündungen in Ausbildung oder Arbeit sollen dadurch in weit größerem Umfang erreicht werden als bisher. Gleichzeitig steht es in der Kritik, dass die einzelnen Zielstellungen möglicherweise einander behindern. Dies zu prüfen, sollte Gegenstand einer weiterführenden Untersuchung sein.“

Quelle: http://www.fes.de/aktuell/focus/6/publ_a.htm

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